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Geschichten aus dem Jagdtagebuch
Geschichten aus dem Jagdtagebuch
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eBook447 Seiten4 Stunden

Geschichten aus dem Jagdtagebuch

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Über dieses E-Book

Im schönen Eutin in Holstein, erblickte Klaus Frischkorn im September 1941 das Licht der Welt. Kindheit und Schulzeit verbrachte er im Norden Hamburgs, im Ortsteil Fuhlsbüttel. Schon mit acht Jahren begann er damit Rassegeflügel wie Tauben und Zwerghühner zu züchten und machte das Gebiet der Oberalster sowie das Ohemoor, westlich der nördlichen Landebahn des Flughafens Fuhlsbüttel mit seiner großartigen Natur zu seinem "Revier". Schon in den Schuljahren hielt er die damals gewonnenen beglückenden Erlebnisse und Eindrücke schriftlich, in den damals üblichen Halbjahresarbeiten fest. Auch dadurch entwickelte sich bei ihm eine tiefe Naturverbundenheit. Als Berufsoffizier der Bundeswehr kam er in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts auch für ein paar Jahre auf die schwäbische Alb. Hier lernte er den Offizierkameraden Nikolaus Graf Adelmann kennen, der mit seiner Familie in Hohenstadt, auf der Ostalb, sein wunderschönes Zuhause und ein Jagdrevier hat. Mit ihm und seiner ältesten Tochter Patricia entwickelte sich eine herzliche, heute noch währende Freundschaft. Viele der geschilderten Erlebnisse aus dem Jagdtagebuch stammen aus dem dortigen Revier. Natürlich kam es im Laufe der Jahre auch zu einer Reihe von Einladungen in andere Reviere. Einige davon auch ins Ausland, wie zum Beispiel in die USA, nach Österreich oder Ungarn. Der Autor präsentiert dem Leser naturnahe, spannende, häufig auch sehr selbstkritische, Jagdgeschichten, was wohl auch einen Nichtjäger ansprechen mag.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum23. Aug. 2022
ISBN9783756823604
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    Buchvorschau

    Geschichten aus dem Jagdtagebuch - Klaus Frischkorn

    1. Vorwort

    Als ich die Weihen des Jungjägers erhielt und meine ersten Stücke Wild erlegt hatte, machte ich mir ernsthaft Gedanken darüber, wie ich das bei der Jagd Erlebte festhalten sollte, um auch später darauf zurückgreifen zu können. Ich begann damit, auf die Patronenhülsen, die ich bei der Jagd benutzt hatte, mit einem Filzstift zu schreiben, was ich wann, wo, wie erlegen konnte. Die Hülsen sammelte ich in einer alten Zigarrenkiste.

    Schon bald merkte ich, dass dieses System für mich keine Zukunft haben würde, und begann damit, handschriftliche Notizen zu fertigen. Dazu hatte ich immer einen Stift und einen Notizblock in meinem Rucksack.

    Bald entstand ein kleines DIN-A6-Blatt mit dem gezeichneten Körper eines Rehbocks, dem das Gehörn fehlte. Hier skizzierte ich dann für den Jagdherrn oder Mitjäger einen Trophäenträger, den ich in Anblick bekommen, aber nicht erlegt hatte.

    Für den Fall, dass ich ein Stück strecken konnte, entwickelte ich ein Format, das alle wesentlichen Fakten eines jagdlichen Erlebnisses beinhaltet.

    Dazu hier zwei Beispiele:

    Danach folgte das jagdliche Erlebnis in freier Beschreibung. Dann stand irgendwann in den Neunzigerjahren mein erster Laptop auf meinem Schreibtisch und ich schrieb alles in einem Schreibprogramm.

    Eine sehr große Erleichterung war dann der Erwerb eines Spracherkennungsprogramms, das in der Lage war, meine in das Mikrofon gesprochenen Worte entsprechend niederzuschreiben.

    Ich habe mich sehr ernsthaft darum bemüht, die Wahrheit zu schreiben und kein Jägerlatein zu Papier zu bringen. Auch wenn ich dabei selbst häufiger nicht gut ausgesehen habe.

    Im Laufe der Zeit sammelte sich so eine große Anzahl loser Blätter in einem dafür vorgesehenen Sammelordner und die fast logische Folge daraus war, dass ich das Buchbinden erlernte. So stehen heute 21 in grünes Leinen gebundene, mit einem kleinen wildledernen Eichenbruch verzierte Bände der Jagdtagebücher griffbereit bei mir in einem Regal. Ich nehme sie sehr gern und häufig zur Hand, um zu sehen und zu lesen, was jagdlich bei mir in den letzten Jahrzehnten geschehen ist. Drei weitere Bände sind fertig geschrieben und gedruckt, warten aber noch darauf, gebunden zu werden.

    Gar nicht so selten geschah und geschieht es noch, dass einer meiner vielen Jagdfreunde beispielsweise persönlich fragt oder bei mir mit der Bitte anruft, ihm doch zu sagen, wie denn bei dem kleinen »Drückerle« am 3. Dezember 1994 in Hohenstadt die Strecke aussah und ob der Waidkamerad Herrmann auch dabei war. Gerne ziehe ich dann den entsprechenden Band aus dem Regal und gebe darüber Auskunft.

    Natürlich bin ich vom Führen eines Jagdtagebuchs auch derart überzeugt, dass ich heute jedem Jungjäger nur aus vollem Herzen raten kann, auf ähnliche Art und Weise Geschehnisse um die Jagd, die er selbst oder aber mit anderen Waidkameraden erlebt hat, schriftlich festzuhalten.

    2. Erinnerung und neues Glück

    Nun sitze ich schon weit über eine Stunde bei schönstem Spätherbstwetter auf der oberen Kanzel an der Fachwiese. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages tauchen das Land in ein angenehmes, warmes Licht. Ruhig beobachte ich meine Umgebung, lasse meinen Gedanken freien Lauf und dabei steigt so manches interessante Bild aus meinen Erinnerungen in mir auf.

    Von hier oben kann man den Hang hinab bis zur kleinen Ortschaft Fach schauen, die auf der hiesigen südlichen Seite des Flusses Kocher liegt. Dahinter auf der nördlichen Seite verläuft die Bundesstraße zwischen den Ortschaften Abtsgmünd im Osten und Untergröningen im Westen.

    Ja, auf dieser Straße der Schwäbischen Ostalb fuhr ich vor etwas mehr als sechs Jahren zur Blattzeit mit meinem Freund und auch jetzigem Gastgeber Nikolaus Graf Adelmann in Richtung Reichertshofen-Abtsgmünd. Wir waren auf der Rückfahrt von unserem Büchsenmacher, bei dem wir unsere Waffen angeschossen hatten. Als Beifahrer hatte ich die sehr schöne Möglichkeit, mir während der Fahrt die großartige Landschaft der Ostalb links und rechts des Flusses Kocher eingehend zu betrachten, und machte davon auch gern und ausgiebig Gebrauch.

    Dabei ging mein Blick auch über die Ortschaft Fach hinweg auf die große Wiese, die sich hinter ihr erhob und die auch schon zum Jagdrevier meines Freundes Nikolaus gehörte. An deren oberen Ende, an dem ich jetzt, in diesem Moment, gerade auf der Kanzel ansitze, sah ich dabei zwei Stücke Rehwild. Natürlich machte ich Niko – wie Nikolaus kurz von Freunden genannt wird – sofort auf meine Entdeckung aufmerksam. Er stoppte daraufhin sein Fahrzeug und stellte mit seinem Fernglas fest, dass dort oben ein Bock eine Geiß trieb. Das veranlasste ihn, sofort nach rechts auf die wunderschöne hölzerne überdachte Kocherbrücke abzubiegen, auf der wir dann den Fluss überquerten. Es folgte nur noch eine kurze Fahrt durch den kleinen Ort und dann ließen wir den Wagen an dessen südlichem Rand stehen. Wir entnahmen ihm unsere Waffen und pirschten sehr vorsichtig am linken Wiesenrand hangaufwärts bis zu einer Kanzel, von der Niko als dem Ameisensitz sprach.

    Sehr vorsichtig erklommen wir diese Ansitzeinrichtung und beobachteten von dort das Treiben, das sich etwa 120 Meter oberhalb von uns auf der Wiese abspielte. Rasch stellten wir auch fest, dass ein zweiter Bock, ein Jährling, immer wieder in die Nähe der beiden zunächst beobachteten Stücke kam.

    Hier bot mir Niko zu meiner großen Freude an, den älteren braven Sechser, wenn ich denn möchte, zu schießen. Natürlich mochte ich. Der Sechser trieb ständig die Geiß und musste dann auch immer wieder den starken und ebenso dreisten Jährling abschlagen, der ihm wohl sein Vorhaben streitig machen wollte.

    Dann hatte Niko die Idee, es einfach mal mit dem Blatter zu versuchen. Mit seinen kunstvoll vorgetragenen Fieptönen hatte er dann auch sofort vollen Erfolg. Leider jedoch nicht den, welchen wir uns so sehr erhofft hatten. Denn kaum waren die ersten zärtlichen Töne dort oben angekommen, da kam der Jährling buchstäblich wie eine Rakete den Hang hinab und nahm mit unverminderter Geschwindigkeit direkt links neben unserer Kanzel den Hochwald hinter uns an.

    Aus nachvollziehbaren Gründen nahm der alte Bock bei der Geiß von Nikos Blattkünsten leider keinerlei Notiz.

    Mir gelang es dann auch erst nach etwa zwanzig Minuten, als der alte Bock endlich für einen Moment einmal kurz verhoffte und dabei auch breit stand, zu schießen. Dieser quittierte die Kugel, indem er mit den Hinterläufen auskeilte, kurz einen krummen Rücken machte und in wilder Flucht mit tiefem Haupt in der angrenzenden jungen Fichtenkultur verschwand.

    An Nikos Verhalten und seinem nicht sehr positiv klingenden »Waidmannsheil« merkte ich, dass er wohl mit meinem Schuss aufgrund des Zeichnens nicht ganz zufrieden war, was ich in diesem Augenblick auch sehr gut nachvollziehen konnte. Nach einer kleinen Wartepause verließen wir die Kanzel. Niko ging aber zunächst zurück zu seinem Wagen und holte von dort Jagdterrierin Maja, die wir dort zurückgelassen hatten.

    Zusammen gingen wir hinauf zum Anschuss, der relativ problemlos von uns gefunden wurde, weil dort reichlich Schweiß auf den niedrigen Pflanzen vorhanden war. Während Nikolaus mit dem Hund, der die Wundfährte eifrig und mit viel Temperament anfiel, nachsuchte, legte ich mich nicht am Anschuss ab, sondern folgte dem Nachsuchengespann kurze Zeit später mit langsamen, ruhigen Schritten. Dabei achtete ich auf einen guten Abstand zu dem Gespann vor mir und ging dabei die Fährte mit den Augen aus.

    Als ich vorsichtig die etwa zwölfjährige Fichtenkultur betrat, in der Niko mit dem Hund verschwunden war, konnte ich zunächst feststellten, dass wenige feine Schweißspritzer und ein Wischer an einer Fichte bereits direkt hinter der zweiten Kulturreihe rechts zu sehen waren. Dann entdeckte ich nach wenigen Metern weitere, sehr feine Spritzer, die den Jungwuchs in Richtung Wiese wieder verließen.

    Ja, und dann sah ich nur wenige Sekunden später den verendeten Bock fünf Meter vor mir in einer grabenähnlichen Vertiefung im hier goldgelben kräftigen Gras am Rande der Kultur liegen.

    Mit freudigem Ruf »Bock tot« rief ich meinen Freund mit seinem Hund heran. Schnell stellten wir zu meiner Freude fest, dass ich den Bock doch mit einem sauberen Blattschuss gestreckt hatte. Als Niko mir dann zu meiner großen Freude den Erlegerbruch von einer Fichte für meinen allerersten Bock überreichte, klang sein »Waidmannsheil« dann doch ganz anders als beim ersten Mal unmittelbar nach dem Schuss unten auf dem Ameisensitz.

    Ein Mäusebussard, der von hinten kommend mit ärgerlich klingendem »Hiääh« in die vor mir liegende Wiese einschwebt, lässt diese schönen Bilder der Vergangenheit verschwinden und bringt mich zurück in die Wirklichkeit. Der Greif segelt hinunter, etwa bis dorthin, wo von hier aus gesehen rechts der Ameisensitz immer noch an der Waldecke steht. Dort hat die Wiese einen kleinen Absatz, und an diesem macht sich der kräftige Vogel als »Infanterist« auf die Mäusejagd. Mein Blick geht nun noch ein kleines Stückchen weiter die Wiese hinab und dort stehen in diesem Augenblick für mich völlig überraschend zwei Stücke Rehwild am Waldrand. Ich spreche sie auf den ersten schnellen Blick als schwache Geiß mit Kitz an.

    Erst ein zweiter Blick, diesmal aber mithilfe meines Fernglases, verrät mir, dass ich mit meinem ersten Ansprechen falschlag. Ich habe einen schwachen Jährlingsbock und ein Schmalreh vor mir. Der Jährling trägt bleistiftdünne Spießchen, etwa so lang, wie meine Hand breit ist. Mein Entschluss ist sofort gefasst. Das Böckchen will ich nach Möglichkeit schießen.

    Noch aber ziehen die beiden Stücke, dabei immer mal wieder vom Grün der Wiese naschend, langsam am Waldrand bergauf, halb spitz auf mich zu. Das gibt mir aber auch die Möglichkeit, mich ruhig auf den Schuss vorzubereiten.

    Inzwischen haben die beiden Stücke längst den Ameisensitz am rechten Waldrand passiert und halb rechts von mir in einer Entfernung von etwa hundert Metern eine Stelle in der Wiese erreicht, an der das Rehwild gern verweilt und äst. Als der Bock breit steht und mein Schuss das Schmalreh nicht gefährden kann, lasse ich fliegen. Die Kugel bannt ihn an den Anschuss. Kurzes Schlägeln mit den Hinterläufen, dann liegt er still.

    Und was ist mit dem Schmalreh? Nach ein paar lockeren Fluchten direkt auf mich zu verhofft es und äugt neugierig und wohl auch erschrocken zum Böckchen zurück. Es springt aber nicht ab. Wenn es jetzt nicht sehr bald den Wald annimmt, habe ich ja vielleicht die Möglichkeit, auch noch dieses schwache weibliche Stück zu strecken.

    Schnell, aber ohne jede Hektik lade ich die Bockbüchsflinte nach. Das feine Kreuz des Absehens 4 findet das Blatt und ein zweites Mal innerhalb von nur drei Minuten liegt ein Stück im Feuer.

    Hubertus sei Dank kommt erst in diesem Augenblick so etwas wie leichtes Jagdfieber in mir auf. Einige Male muss ich tief bis in die Lungenspitzen durchatmen und dann habe ich das Gefühl, dass es mir wieder etwas besser geht. Noch einmal schaue ich in die Wiese und sehe dort unten in etwa neunzig und siebzig Metern Entfernung die beiden Stücke liegen.

    Nicht mehr lange verweile ich auf der Kanzel, denn nun will ich die beiden erlegten Stücke aus der Nähe betrachten.

    Am Schmalreh, das ich zunächst erreiche, habe ich nichts auszusetzen. Es ist sauber geschossen und auch richtig eher als schwächeres Stück zu bezeichnen.

    Etwas gespannter bin ich dann, als ich mich dem Jährlingsbock nähere. Natürlich interessiert mich zunächst einmal sein Gehörn. Die beiden bleistiftdünnen Spießchen sind gerade einmal sieben und acht Zentimeter lang. Da er auch sichtbar noch schwächer als das Schmalreh ist, habe ich auch hier sicherlich nichts falsch gemacht.

    Nachdem ich beide Stücke an den Waldrand gebracht habe, bekommen sie den letzten Bissen und ich meinen Erlegerbruch. Dann halte ich eine Totenwacht, bevor ich sie versorge.

    Da ich weiß, dass Nikolaus »nebenan« im Gääsburra angesessen hat, hoffe ich natürlich sehr, dass er nach den beiden Schüssen nicht den Heimweg über die Straße genommen hat, sondern diesen hier durch den Wald an der oberen Kante der Fachwiese benutzen wird. Ich warte jedoch vergeblich.

    Der Heimweg mit zwei Stücken und den Aufbrüchen im Rucksack, den optischen Teil der Ausrüstung vor der Brust und den anderen auf der Schulter, gestaltet sich dann doch zu einer leichten Schinderei. Da es inzwischen völlig dunkel geworden ist, quäle ich mich im Schein meiner Taschenlampe schwitzend durch den Wald, immer bergan bis hinauf zum Schloss.

    Endlich dort angekommen, hänge ich die beiden Stücke sofort in die Wildkammer. Da ich aber hier niemanden antreffe, gehe ich hinüber in das dem Schloss gegenüberliegende Café.

    Welch ein Hallo, als ich mit dem frischen Bruch am Hut die Räumlichkeiten betrete, in dem Niko gemeinsam mit Ehefrau Brigitte nach selbst erfolglosem Ansitz bei einem Viertele Roten schon auf mich wartet.

    Dann muss ich von meinem Waidmannsheil berichten, wobei natürlich noch ein Gläschen mit der linken Hand getrunken wird.

    Auf meine Frage, ob er im Gääsburra nicht meine beiden Schüsse gehört hat, versichert er mir glaubhaft, dass dies nicht der Fall gewesen sei, weil der Wind zu ungünstig wehte, was ich zumindest von der Windrichtung her bestätigen kann.

    Die Fachwiese und der Ort Fach, am Kocher gelegen, von der Oberen Kanzel aus gesehen.

    Das Gehörn des Jährlings.

    Wallfahrtskirche und Schloss Hohenstadt, Familiensitz meines Freundes Nikolaus.

    3. Im letzten Moment

    Brigitte, die Frau meines gastgebenden Freundes Nikolaus auf Schloss Hohenstadt (Ostalb), hatte bei einem Abendansitz zu dritt an einem lauen Juniabend auf ein Jährlingsböckchen geschossen und es aller Wahrscheinlichkeit nach gefehlt.

    Was war geschehen? Während ich auf meiner kleinen Kanzel drunten am Sulzbach lediglich den Anblick eines Dompfaffenpaares hatte, das sich zu meiner großen Freude emsig um die sperrenden Jungvögel in einem Nest etwa fünfzehn Meter vor mir in der Fichtenkultur bemühte, hörte ich im Abstand von etwa zehn Minuten zwei Schüsse. Nikolaus, der gut 400 Meter Luftlinie von mir entfernt unweit seiner Frau auf einer Leiter im Hochwald ansaß, hatte, wie ich später erfuhr, ein schwaches Schmalreh mit gutem Blattschuss erlegt.

    Biggi, wie Brigitte von ihrem Mann und Freunden gerufen wird, nur unweit davon auf der Hornissenleiter ansitzend, hat bei noch relativ gutem Büchsenlicht das Böckchen vom gegenüberliegenden Hochwaldrand äsend auf die große Wiese ziehen sehen und sprach es richtig als schwachen Jährling an, der, wir hatten den 16. Juni, das linke Spießchen noch nicht ganz verfegt hatte. Als der Bock auf fünfzig Metern breit stand, schoss sie. Obwohl sie der Überzeugung war, gut abgekommen zu sein, sprang der Beschossene ohne zu zeichnen ab.

    Ich sitze derweil drunten am Bach auf meiner Kanzel, ohne auch nur ein Wildhaar zu sehen, höre beide Schüsse und denke darüber nach, was dort oben wohl geschehen sein mag.

    Nach einiger Zeit beginnt die Neugierde, heftig in mir zu bohren, und noch bevor das Büchsenlicht endgültig geschwunden ist, gebe ich meinem inneren Drängen nach und baume ab. Mit ruhigen, raumgreifenden Schritten ist der kurze Aufstieg auf dem schmalen, aber gut zu begehenden Waldweg schnell geschafft, und als ich vorsichtig aus dem Hochwald trete, um die große Wiese einsehen zu können, entdecke ich, dass Biggi und Nikolaus unterhalb des Hornissensitzes damit beschäftigt sind, den Boden der Wiese und die Gräser abzusuchen.

    Als ich bei den beiden ankomme, wird mir rasch das Wesentliche der Geschehnisse geschildert. Dann suchen wir gemeinsam nach irgendwelchen Pürschzeichen. Obwohl uns die Jägerin vom Sitz noch einmal so genau wie möglich auf den vermeintlichen Anschuss einweist, ist alles Suchen und Forschen vergeblich. Inzwischen ist es auch so dunkel geworden, dass es uns nicht mehr möglich ist, feines Schnitthaar oder einen kleinen Schweißspritzer zu entdecken, geschweige denn eine Kontrollsuche mit dem Hund durchzuführen. Diese soll frühestens am nächsten Morgen erfolgen.

    Vorher aber, darum bittet Biggi mich, soll ich hier einen Morgenansitz machen, um das Böckchen, sollte ich es denn in Anblick bekommen, zu strecken oder wenigstens zu bestätigen. Besondere Kennzeichen: schwach im Wildbret, so um die zehn Kilogramm, relativ dunkle Decke, ungefähr acht Zentimeter kurze Spießchen, das linke noch nicht ganz verfegt. Um 7 Uhr wollten wir uns auf jeden Fall hier treffen, um den Anschuss bei Tageslicht zu suchen oder aber eine Kontrollsuche vorzunehmen.

    Bei noch völliger Dunkelheit steige ich am nächsten Morgen auf den Hornissensitz, der seinen Namen jenem Insekt verdankt, vor dem mein Freund Nikolaus einen sehr ausgeprägten Respekt hat. Auf dieser damals noch namenlosen Leiter wurde er einmal während des Ansitzes auf den Bock so aggressiv von einem Mitglied der Familie der sozialen Faltenwespen belästigt, dass er den Sitz fluchtartig verließ und dieser dann spontan nach diesem Insekt benannt wurde.

    Ich erlebe einen wunderschönen Morgen mit einem nicht zu überbietenden Vogelkonzert in der blauen halben Stunde der Dämmerung und aufs Neue bin ich überwältigt von der Ehrfurcht einflößenden Schönheit eines erwachenden Tages. Lange Zeit kommt außer einem Hasen, der direkt vor meinem Sitz von den saftigen, tauglänzenden Blättern und leuchtend gelben Blüten des Löwenzahns nascht, kein Wild in Anblick. Man sieht dem Mümmelmann an, dass er genau wie auch ich die ersten wärmenden Strahlen der Morgensonne genießt. So jedenfalls deute ich das minutenlange Schließen seiner Seher und das häufige wohlige Strecken seines ganzen Körpers.

    Kurz darauf beobachte ich einen offensichtlich jungen Sechserbock, der von links entlang des Hochwaldsaumes langsam auf mich zuäst. Er ist stark im Wildbret, hat gut handbreit über lauscherhoch auf und ist genau das, was man unter einem Zukunftsbock versteht. Es macht Spaß, diesem jungen, vor Kraft strotzenden etwa dreijährigen Bock zuzuschauen, wie er sich hungrig, immer wieder einmal aufwerfend durch die bunte Wiese äst. Dabei bemerke ich auch gar nicht, wie die Zeit vergeht.

    Es ist wohl nur wenige Minuten vor dem verabredeten Zeitpunkt, als genau gegenüber von mir ein weiteres Stück Rehwild aus den blühenden Holunderbüschen tritt, die hier den Rand des Hochwalds säumen. Ein kurzer Blick durch das Glas gibt mir schnelle Gewissheit. Ich spreche den Bock als den relativ schwachen Jährlingsspießer mit Bastresten an der linken Stange an. Ich bin mir sehr sicher, es muss sich um den Gesuchten handeln. Er zieht spitz auf mich zu und gesellt sich zu dem jungen Sechser, der aber keine Notiz von ihm nimmt. Beide Böcke äsen einträchtig dicht nebeneinander. Mehrmals gehe ich in Anschlag, lasse meine Bockbüchsflinte aber immer wieder sinken, weil ein Schießen ohne die Gefährdung des älteren Bockes nicht möglich ist. Fast immer wird der schwache von dem anderen, starken Bock verdeckt. Da ich aber damit rechne, dass einer der beiden doch einmal ein Stück weiterziehen wird, behalte ich die Böcke so lange durchs Zielfernrohr im Blickfeld, bis mir vor Anstrengung das rechte Auge nervös zu zucken und dann auch noch zu tränen beginnt.

    Zu allem Unglück macht sich bei mir jetzt auch noch verstärkt heftiges Jagdfieber bemerkbar. Mein Puls beginnt wie ein Hammer zu pochen, ich spüre ihn im Hals und, was noch viel schlimmer ist, meine Hände zittern jetzt wie Aspenblätter im Wind.

    Es ist wie verhext. Jedes Mal, wenn ich glaube, dass es passen könnte, weil einer der Böcke einen Schritt zurückbleibt oder weiterzieht, stehen sie im nächsten Moment wieder hintereinander. Stets befindet sich jetzt dabei aus meiner Sicht der Jährling vor dem Sechser.

    Im gleichen Augenblick, in dem es mir gelingt, mein Jagdfieber durch kontrollierte, tiefe Atemzüge in den Griff zu bekommen, durchfährt mich ein heißer Schreck. Ich höre die Uhr der nahen Schlosskirche von Hohenstadt die siebte Stunde des Tages schlagen und zu allem Überfluss auf dem Weg hinter mir Schritte sowie Hundehecheln. Es sind wie verabredet Biggi und Niko mit den Hunden. »Hätten sie nicht ein wenig unpünktlicher sein können?«, frage ich mich nervöser werdend und blicke wieder zu den Böcken, um festzustellen, ob diese in der Zwischenzeit bereits abgesprungen sind.

    Aber nein, sie sind noch da. Der Jährling wirft mehrmals beunruhigt auf und sichert in meine Richtung. Mehr im Unterbewusstsein registriere ich dabei, dass er dabei in diesem Moment völlig freisteht, weil der noch immer äsende Sechser inzwischen ein paar Schritte weitergezogen ist. Blitzschnell bringe ich die Waffe in Anschlag und den Zielstachel des Absehens auf das Blatt. Hart zerreißt der Schuss die Stille des Morgens. Das Böckchen wirft es auf der Stelle in das noch immer taunasse Gras und der junge Sechser verschwindet, ohne einmal zu verhoffen, in hohen und weiten Fluchten im nahen Hochwald.

    Wie versteinert sitze ich für einen Moment auf meiner Leiter und kann das eben Erlebte, vor allem jedoch den überraschend glücklichen Ausgang dieses Ansitzes, noch gar nicht recht fassen. Erst als das gemeinsame »Waidmannsheil« von Biggi und Niko, die inzwischen direkt unter mir auf dem Weg stehen, zu mir heraufschallt, reißt es mich aus meinen Gedanken. Ich antworte ihnen mit einem freudigen und sicher erlöst klingenden »Waidmannsdank«.

    Glücklicherweise haben Biggi und Nikolaus beim vorsichtigen Näherkommen erkannt, dass ich die Büchse im Anschlag auf der Gewehrauflage liegen hatte, und den richtigen Schluss daraus gezogen. Es war für meine Freunde Grund genug, sofort stehen zu bleiben und sich wie auch die beiden vierbeinigen Helfer augenblicklich mucksmäuschenstill zu verhalten. Das verhalf mir letztlich doch noch zu meinem Waidmannsheil in wahrhaft letzter Sekunde. Besonders gern nehme ich heute den Bruch entgegen, nicht zuletzt deswegen, weil Biggi ihn mir mit einem Küsschen auf die Wange versüßt. Ich bin sicher, dass sie neben ehrlicher Mitfreude Erleichterung darüber empfindet, dass sich damit auch ihr Schuss vom Vorabend aufgeklärt hat.

    Nikolaus und seine Frau Brigitte mit den Hunden Sepp und dem jungen Pöldi.

    Die Trophäe des Jährlingsspießers mit dem Bastrest an der linken Stange.

    Ein Blick vom Schlosshof des Schlosses Hohenstadt ins Kochertal.

    4. Ein Schaf

    Weil wir für das bevorstehende weihnachtliche Jagdgenossenessen unbedingt noch Wildbret benötigen, will ich zum Abendansitz hinüber nach dem Nachbarort Börrat fahren, denn ich glaube, dort am ehesten etwas zum Gelingen dieses Vorhabens beitragen zu können.

    Bevor ich mich gemeinsam mit Pöldi, dem kleinen Rauhaarteckelrüden, aufmache, erzählt mir mein gastgebender Freund Nikolaus, dass in dem Bereich, in dem auch unser Jagdbezirk liegt, seit Tagen ein herrenloses Schaf herumirren soll. Da es auf den Straßen in der Umgebung fast schon zu einigen Zusammenstößen mit Kraftfahrzeugen gekommen war, hat die Jagdbehörde das Schaf zum Abschuss freigegeben.

    Ich habe mir für den abendlichen Ansitz den Ahornsitz ausgesucht, der mitten in einem alten, starken, buschigen Feldahornbaum steht. Hier genieße ich zusammen mit Rauhaardackel und Jagdgefährte Pöldi, der nun, wie er es gewohnt ist, rechts neben mir auf dem Sitzbrett liegt, den sonnigen Spätnachmittag und die herrliche Aussicht, den dieser Punkt am südlichen Rande der Frickenhofer Höhe auf der Ostalb bietet.

    Im Südwesten, also halb rechts von mir, präsentiert mir die Sonne gerade einen spektakulären, unvergleichlichen Sonnenuntergang mit rotgoldener gleißender Glut. Die hohen Federwolken (Cirrus), die jetzt das Sonnenlicht so farbenprächtig leuchtend zur Schau stellen, sind aber auch ein mögliches Zeichen für eine Wetterverschlechterung, denn sie werden dichter und später sicherlich in milchige Schleier übergehen.

    Auf den Talwiesen Richtung Sulzbach, direkt vor mir, sind an schattigen Plätzen, die der Waldrand bietet, noch einige wenige Schneeflächen vorhanden. Die klare Winterluft riecht aber schon wieder nach neuem Schnee.

    Es ist genau 6:20 Uhr, als ich halb rechts talwärts hinter mich durch die kahlen Zweige des Ahorns blicke und unter den niedrigen Zweigen der Randfichten einer Kultur in 150 Metern Entfernung ein dickes braunes Etwas sehe. »Das Schaf!«, schießt es mir wie ein Blitz durch den Kopf. Existierte es bisher in meiner Vorstellung nur als rundes weißes Wolltier, so hat es soeben braune Farbe angenommen.

    Rasch ist das neben mir auf der Sitzbank abgelegte Fernglas zur Hand und mit dem Mitteltrieb scharf gestellt. Das, was ich für ein Schaf halte, steht dort drüben immer noch an der gleichen Stelle.

    Und nun, hätte ich etwas sagen wollen, würde es mir die Sprache verschlagen haben. Ich sehe dort unten ein zweites, ein drittes und ein viertes Tier. Kein Zweifel, ich habe kein Schaf oder gar mehrere Schafe, sondern eine Rotte Sauen in Anblick! Für hiesige Verhältnisse ein eher seltener Anblick.

    Und nun ist es leider urplötzlich wieder da, das Jagdfieber. Ich spüre meinen Herzschlag im Hals, die Hände zittern leicht und die Knie fühlen sich an, als wollten sie das Gewicht meines Körpers nur mehr ungern tragen. Gott sei Dank bleibt der Kopf relativ klar!

    Ein nochmaliger kurzer Blick ohne Glas in Richtung der Schwarzkittel bestätigt mir,

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