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Dorfland: Sommerwald
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eBook281 Seiten3 Stunden

Dorfland: Sommerwald

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Über dieses E-Book

Dorfland
-Sommerwald-

Das Abenteuerleben der Büchernärrin Runa setzt sich fort.

In Dorfland ist der Alltag wieder eingekehrt, und die Bewohner sind dabei, ihre vergangene Schreckensherrschaft zu überwinden. Ihre Stadt erstrahlt allmählich im neuen Glanz, was sie auf eine gute Zukunft hinblicken lässt. Auch Runa, ihre Familie und ihre Freunde haben in ihr altes Leben zurückgefunden. Doch der Kontakt zu ihren kleinen Freunden, den Hutlingen und dem Igel Bronto, ist seit dem Sieg über Zeron abgebrochen. Das Buch Die Waldgeschichten verwehrt der Büchernärrin seitdem seine Öffnung.

Die Waldgeschichten führen hinter verschlossenen Seiten weit weg von Dorfland ihr Eigenleben weiter. Eine ungeahnte böse Macht bedroht die Bewohner aller Waldländer und versucht mit aller Kraft, ihr friedliches Leben zu zerstören. Alle Hoffnung liegt nun bei Runa. Als sich das Buch völlig unerwartet erneut öffnet und den Waldkauz Danurys verschlingt, begibt sich das Mädchen auf eine Reise in den Sommerwald. Die Füchse, Familie Reineke, und die Dachse, Familie Grimbart, begleiten sie auf ihrer Suche nach ihren Freunden.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum28. Sept. 2019
ISBN9783748563402
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    Buchvorschau

    Dorfland - Rebecca Hünicke

    Neubeginn

    Inzwischen ist ein Jahr vergangen, seitdem Dorfland und alle anderen Städte des Landes wieder belebt sind. Es war harte Arbeit für die Bewohner, ihre Städte noch einmal aufzubauen. Sie schufteten lieber den ganzen Tag zu Hause anstatt als Sklaven für einen grausamen Herrscher, wie Zeron es war. Die vielen Aufgaben lenkten die Menschen vom vergangenen Leid ab, und sie schöpften neue Hoffnung für einen Neubeginn.

    Dorfland erstrahlte in einem neuen Glanz. Die Veränderungen waren bis in die kleinsten Ecken deutlich sichtbar. Einige Städter hatten schon eine Weile vor dem Überfall von Zerons Männern einen Umbau ihrer Häuser und Läden geplant. Sie fanden jedoch nie richtig Zeit dafür. Nach ihrer Rückkehr aus der Gefangenschaft waren ein Neubau oder Ausbesserungsarbeiten erforderlich. Dorfland war fast völlig zerstört worden.

    Die Dorfländer hätten sich nie vorstellen können, dass ihrer Stadt noch einmal so ein fürchterlicher Überfall widerfahren könnte, so wie jener vor einem Jahr. Das gemeinsam erlittene Leid aller Menschen aus den verschiedensten Ländern und Städten hatte sie wieder zu stärkeren Verbündeten gemacht.

    Mit der Zeit erholten sich alle von ihrem bösen Schicksalsschlag. Die Menschen waren wachsamer geworden, um den Frieden zu wahren. Man trieb erneut Handel und war großzügiger geworden, ebenso tauschten sie schneller Neuigkeiten aus der Heimat aus. Die Menschen empfanden größeren Respekt voreinander. Sie zeigten sich interessierter an den Sitten und Gebräuchen der anderen, um sie besser verstehen zu können. Die Zeiten der großen Kriege und Schlachten gehörten für alle längst der Vergangenheit an. Niemand wollte sein Leben oder das ihrer Familien und Freunde sinnlos verlieren. Ruhe, Frieden und Zusammenhalt, das lag allen am Herzen.

    Niemand ahnte, dass Zeron die alte Festung in Flussland für sich beanspruchte und die Herrschaft über alle Menschen anstrebte. Er wollte die größte und sicherste Festung haben, für die er viele helfende Hände benötigte. Er nutzte die Ahnungslosigkeit der Menschen aus. Er ließ seine Soldaten nacheinander die Städte überfallen und deren Bewohner gefangen nehmen. Als Sklaven mussten sie sich in seinem Steinbruch den ganzen Tag quälen oder als Haussklaven in seiner Burg arbeiten.

    Nachdem die letzte Stadt, Dorfland, überfallen wurde, hätte es eigentlich keine freien Menschen mehr im Land geben dürfen. Aber es gab da noch den einen oder anderen, der Zerons Häschern zunächst entgangen war. Es war das Mädchen Runa, die Büchernärrin aus Dorfland, die mit zwei jungen Frauen und einem Greis die Gefangenen befreite. Sie führten eine Armee an, die wie von Geisterhand erschien und Zeron und seine Soldaten entmachtete. So plötzlich wie sie auftauchte, war sie auch schon wieder verschwunden und mit ihr der grausame Herrscher.

    Natürlich wollten die meisten Befreiten wissen, woher diese Krieger kamen und wie sie es schafften, den Befreiungsschlag durchzuführen. Doch die kleine Gruppe hielt es nicht für ratsam, über die magischen Bücher zu sprechen, die ihnen zu Hilfe kamen. Sie wollten sie und die Bewohner in Die Waldgeschichten schützen. Sie entschieden sich deshalb für eine Notlüge, die niemandem schadete.

    Runa und ihre Freundinnen seien auf der Suche nach den Dorfländern im Wald auf eine Gruppe von Soldaten getroffen, die bereit waren, ihnen zu helfen. Esa, die mit ihren Brüdern aus Zerons Steinbruch fliehen konnte, sei eine große Hilfe gewesen, denn sie kannte die Eingänge zur Festung. Die drei ließen sich von einer Waldpatrouille Zerons absichtlich gefangen nehmen, um vor Ort Vorbereitungen für die Armee zu treffen. Amo, der Weise, ebenfalls ein Gefangener in der Burg, sei schnell zu einem Verbündeten der drei geworden, und somit war die Befreiung der Menschen möglich. Einigen reichte diese Geschichte völlig als Erklärung, andere blieben jedoch nach wie vor skeptisch. Sie hielten die Befreiungsarmee für eine Geisterarmee, und Geister bedeuteten für sie nichts Gutes.

    Viele Menschen in Dorfland machten sich oft lustig über Runa, weil sie Bücher liebte und viel Zeit mit ihnen verbrachte. Ihr ungewöhnlicher Drang, sich täglich zu waschen, hielten sie für eine Art Krankheit. Das störte aber inzwischen niemanden mehr. Runa rettete ihnen ihr Leben, und dafür waren sie dankbar. Die Städter wollten sogar ein Denkmal für sie auf dem Marktplatz bauen, doch das lehnte sie ab. Der Neubeginn in Dorfland war ihr Dank genug. Sie freute sich jeden Tag aufs Neue, wenn sie die Menschen gemeinsam bei der Arbeit sah und die Stadt neu erwachte. Egal, wo sie gerade entlangging, sie bot immer ihre Hilfe an und packte da an, wo sie helfen konnte.

    Runa und ihre Familie blieben von einer Zerstörung ihres Heimes verschont. Es war das letzte Haus, zu dem die Soldaten während des Überfalls auf Dorfland kamen. Sie verwüsteten lediglich die Küche und nahmen Tante Fera und Onkel Aron gefangen, während Runa den Überfall verschlief. Sie hatte Glück, dass Zerons Männer von einer Hausdurchsuchung abließen.

    Den Freunden des Mädchens, dem Buchhändler Olef und den Nachbarn Enna und Jacob Birka, erging es gegenteilig. Ihre Häuser wurden heimtückisch niedergebrannt. Den größten Verlust hatte Olef zu verkraften. Sein Haus beherbergte im unteren Teil seinen Buchladen. Alle seine Bücher, die er über Jahrzehnte angesammelt hatte, waren nur noch ein Häufchen Asche. Runa konnte lediglich die kleine Messingglocke aus der Ruine bergen. Sie war ein Geschenk von ihr. Beim Betreten des Ladens läutete sie und kündete dem Buchhändler einen Besucher an.

    Runa hieß ihre Freunde bei ihrer Rückkehr in ihrem Zuhause herzlich willkommen. Es war Platz genug für alle, und sie freute sich darüber, ihnen etwas Gutes tun zu können. Lora, deren Eltern bei dem Überfall verstarben, weil sie sich zur Wehr gesetzt hatten, war inzwischen eine sehr gute Freundin für Runa geworden. Lora traute es sich nicht zu, so wie ihre Eltern ein neues Gasthaus zu führen. Die Arbeit als Magd war ihr durch die Gefangenschaft bei Zeron verhasst. Sie wollte etwas Neues wagen. Runa versicherte ihr, ihr Haus wäre für immer ihr neues Zuhause, wenn sie es wolle.

    Das Leben in dieser Hausgemeinschaft verband sich für die Büchernärrin mit einem neuen Lebensgefühl. Sie hatten alle zusammen viel zu tun, sodass Runa es eher selten schaffte, mal eine Seite zu lesen. Auch Olef war diese Zeit nicht vergönnt. Er bat seine Freundin, ihn in der Bibliothek wohnen zu lassen, bis er wieder ein eigenes Haus habe. Sie ließ ihn gewähren, denn sie wusste, es würde ihn glücklich machen.

    Die neue Hausgemeinschaft kümmerte sich um den Neubau des Hauses von Jacob und Enna und anschließend um den Aufbau eines neuen Buchladens für Olef in der Leysegasse. Diese Zeit führte dazu, dass Runas Freunde nicht einfach nur ihre Freunde waren, sondern Familienmitglieder wurden. Das, was sie alle gemeinsam erlebt hatten, schweißte sie eng zusammen. Sie waren alle glücklich, sich aufeinander verlassen und vertrauen zu können.

    Lora nahm Runas Angebot an, was diese sehr freute. Jetzt hatte sie eine große Schwester und Fera und Aron eine zweite Nichte. Runa brachte Lora das Lesen bei, was gar nicht so leicht war. Ihre neue Schwester wollte zwar unbedingt das Lesen und Schreiben erlernen, tat sich aber sehr schwer damit. Ihr fehlte die Liebe zu Büchern und der Wissensdrang nach den Geschichten darin. Manchmal verzweifelte Runa innerlich, doch sie erkannte Loras Willen, ihr Ziel zu erreichen. Sie überlegte sich eine neue Strategie, ihrer Schwester das Lernen zu vereinfachen.

    Sie war bei den alltäglichen Arbeiten sehr geschickt, und Runa konnte von ihr noch viel lernen. Daher verband sie Lernen und Arbeiten miteinander. Jedes Mal, wenn sie etwas gemeinsam taten, holte Runa Schreiberling und Papier dazu. Sie fasste ihr Handeln in geschriebene Worte, die Lora dann lesen und schreiben übte. Das machte für die Schülerin mehr Sinn, und so erlernte sie im Handumdrehen das Lesen und Schreiben. Es machte ihr sogar Spaß, aber eine Büchernärrin würde sie deshalb nicht werden.

    Lora verbesserte ihr Lernen, indem sie begann, bestimmte Dinge aufzuschreiben. Sie verfasste Rezepte wie das Einkochen von Marmelade und Gelee, das Brot- und Gebäckbacken oder das Herstellen von Käse. Sie wich Fera dann keinen Moment von der Seite, um alles genau beschreiben zu können.

    Mit der Zeit langweilte sie sich aber, denn zu viert waren die Haus- und Gartenarbeiten schnell erledigt. Während Runa wieder Zeit für ihre geliebten Bücher fand, machte Lora viele Streifzüge durch Dorfland, um sich selbst die Zeit zu vertreiben. Wenn sie über den Marktplatz ging, war sie immer ein bisschen traurig. Sie vermisste ihre Eltern, das Gasthaus und die vielen Gespräche mit den Menschen, die bei ihnen eingekehrt waren. Dieses Leben war vorbei. Nun hatte sie ein anderes, was auch schön war, aber es war kein Vergleich.

    Das Gasthaus ihrer Eltern war wieder aufgebaut und trug sogar den alten Namen Das bunte Gasthaus am Markt, zur Erinnerung an ihre Eltern. Ihr Vetter Alwyn hatte es mit Freunden neu aufgebaut. Er war sogar ins Rote Land gereist, um aus Lowas Glaserey die gleichen bunten Fensterscheiben für die neue Schänke zu bekommen. Alwyn liebte die bunten Farben, mit denen die Sonne so manches Farbspektakel veranstaltete. Er arbeitete früher schon als Schankwirt bei Loras Familie und wollte mit seiner Cousine einen Neuanfang wagen. Doch zu seinem Bedauern lehnte sie sein Angebot ab. Die Erinnerungen schmerzten sie noch zu sehr. Sollte Lora es sich irgendwann doch noch anders überlegen, gäbe es für sie immer einen Platz bei ihm. Schließlich sollte eine Familie doch immer zusammenhalten.

    Auf dem Heimweg kam Lora oft bei Jacob und Enna vorbei, die sie auf Tee und Gebäck zu sich einluden. Sie unterbrachen dann ihre Arbeit, um einen Moment Zeit für sie zu haben. Hin und wieder half sie Enna beim Seifensieden, was ihr großen Spaß machte. Das wollte sie auch gerne können. Sie liebte die herrlichen Düfte, die die getrockneten Pflanzen ausströmten. Besonders gerne roch sie die Rosendüfte, die die Nachbarin in ihren Seifen verarbeitete.

    Lora hatte einige Besorgungen in der Stadt für Fera erledigt und kam auf dem Rückweg bei Birkas vorbei. Jacob schlug mit einem langstieligen Hammer einen Pfosten in die Erde, und Enna sah ihm dabei zu. Als sie die neue Nachbarin bemerkte, begrüßte sie sie freundlich.

    „Hallo Lora. Warst du auf dem Markt einkaufen?", fragte sie in ihre Richtung.

    „Ja. Fera braucht neue Nüsse und Salz. Sie versucht ein neues Brotteigrezept herzustellen, aber so ganz klappt es noch nicht. Unsere Vorräte sind daher schnell aufgebraucht", erklärte Lora lächelnd.

    „Was für ein Brot möchte sie denn kreieren?", fragte die ältere Nachbarin.

    „Ein Waldfruchtbrot mit Nüssen. Es soll ein süßes Brot werden, was auch als Kuchen gegessen werden kann", erklärte die junge Nachbarin.

    Jacob schlug ein letztes Mal mit seinem Hammer zu, ließ ihn dann zu Boden sinken und wischte sich anschließend den Schweiß mit seinem Hemdsärmel von der Stirn. Nun begrüßte auch er die junge Frau.

    „Guten Tag, Lora", sagte er schnellatmig.

    „Hallo, Jacob, begrüßte Lora auch ihn und fragte nach seinem Vorhaben. „Was baust du denn da?

    „Das wird ein neuer Unterstand für unser Brennholz. Da wir eh einen neuen brauchen, baue ich sofort einen größeren", erklärte er seine angefangene Konstruktion.

    „Wenn du Hilfe brauchst, sag uns bitte Bescheid, dann helfen wir dir", bot Lora Hilfe an.

    „Beim Dach könnte ich schon helfende Hände gebrauchen. Ich melde mich dann bei euch. Vielen Dank, mein Kind", nahm der Nachbar das Angebot an und fuhr mit seiner Arbeit fort.

    Auf dem Heimweg war Lora eine Idee gekommen, womit sie ihre Tage weiterhin ausfüllen könnte.

    „Enna, ich mag deine Seifen so sehr. Ich würde gerne das Sieden von dir erlernen. Könntest du dabei Unterstützung gebrauchen?", fragte sie etwas schüchtern.

    „Es ist schön, dass du mich das fragst. Runa konnte ich dafür nie begeistern, obwohl sie meine Lavendelseife mag. Sie liebt ihre Bücher zu sehr, als dass sie ihre kostbare Zeit für uninteressante Dinge verschwenden möchte. Aber sie freut sich immer über ein neues Stück Seife, wenn sie ihres verbraucht hat. Komm morgen nach dem Frühstück, dann haben wir viel Zeit", freute sich Enna und lud Lora zu sich ein.

    Die beiden Frauen verabschiedeten sich mit einer Umarmung. Jacob und Lora nickten sich zum Abschied nur kurz zu, denn die lauten Hammerschläge hätten ihre Worte nur verschluckt. In Begleitung einer lauten Geräuschkulisse legte Lora den Rest des Weges nach Hause zurück. Sie war glücklich. Ab morgen wartete eine neue Aufgabe auf sie, die ihr bestimmt großen Spaß machen würde.

    Fera wartete schon sehnsüchtig auf Lora, denn das letzte Salz war ihr inzwischen ausgegangen.

    „Gut, dass du zurück bist, Lora. Du bist ein Schatz. Es ist schön, jemanden im Haus zu haben, der sich auch fürs Kochen und Backen begeistern kann. Ich habe mir nochmal andere Zutatenmengen überlegt, wie ich das Brot im Geschmack noch verfeinern kann. Würdest du es bitte für mich aufschreiben? Ich setze sofort einen neuen Teig an", bat Fera das neue Familienmitglied.

    „Aber ja, das mache ich doch gerne für dich", zeigte sich Lora weiterhin hilfsbereit und holte Papier und Schreiberling.

    Während Fera die Zutaten neu bemaß und sie Lora diktierte, schrieb diese alles mit. Hinterher berichtete sie ihrer neuen Tante von der zukünftigen Arbeit mit Enna. Fera freute sich für Lora, dass sie eine weitere Aufgabe hatte, wofür sie sich begeistern konnte. Auch sie mochte Ennas wundervollen Seifen, der Geruch von Zitronenmelisse sagte ihr besonders zu. Er hatte etwas Erfrischendes für sie, besonders nach einem harten Tag anstrengender Arbeit.

    Aron und Fera bemühten sich sehr, Lora über den Verlust der Eltern hinwegzuhelfen, wobei sie von den befreundeten Nachbarn große Unterstützung erhielten. Die Tante und der Onkel standen schon einmal vor so einer Aufgabe. Feras Schwester und ihr Mann, Runas Eltern, waren vor einigen Jahren von jetzt auf gleich verschwunden. Auch wenn sie keine liebevollen Eltern gewesen waren, die eine herzliche Beziehung zu ihrem Kind hatten, war es für ihre Tochter trotzdem nicht einfach, den Verlust zu verkraften. Die Ungewissheit über den Verbleib nagte hin und wieder noch an ihr.

    Einige Dorfländer leisteten Widerstand gegen Zerons Soldaten, doch diese hatten sie erbarmungslos erschlagen. Anschließend waren die Toten in einen Graben außerhalb der Stadt geworfen worden, der von Gefangenen zugeschüttet werden musste. Für die Hinterbliebenen hatte es keinen Moment des Abschieds gegeben. Ein würdiges Begräbnis für jedes Todesopfer des Überfalls gehörte deshalb mit zu den ersten Aufgaben, die die Dorfländer nach ihrer Rückkehr übernahmen.

    Lora besuchte ihre Eltern selten auf dem Friedhof. Sobald sie vor ihrem Grab stand, kamen die schrecklichen Bilder des Überfalls zurück, und die wollte sie aus ihrem Gedächtnis auslöschen. Das war jedoch leider nicht so einfach. Sie versuchte dann an die gute Zeit mit ihrer Familie zu denken, aber die hässlichen Bilder waren stärker und verdrängten die schönen. Das konnte sie schlecht ertragen.

    Lora war Runa jeden Tag dankbar, dass sie mit Esa und Jonora in der Festung erschien und sie aus der grauenhaften Gefangenschaft befreite. Durch die Freundschaft mit Runa hatte sie eine neue, wundervolle Familie bekommen. Aber nicht nur das, ihre neue kleine Schwester konnte ihren Verlust nachempfinden. Sie hatte auch keine Eltern mehr.

    Runa konnte sich gar nicht vom Anblick ihrer Bücher losreißen. Sie schaffte es endlich wieder, viel Zeit an dem Ort zu verbringen, an dem sie überglücklich war- ihre Bibliothek. Sie gönnte Olef die Zeit, die er hier nach ihrer Rückkehr verbrachte. Natürlich half er überall mit, aber es zeigte sich schnell, dass er für handwerkliche Tätigkeiten und als Erntehelfer nicht so recht geeignet war. Sie teilten ihm die Arbeiten zu, die ihm keine Mühen bereiteten, doch das waren nicht viele, für die er infrage kam.

    In der Arbeit mit Büchern war er ein Meister seines Faches, nur das nutzte der Allgemeinheit sehr wenig. Alle hatten Verständnis für ihn, er war halt ein Büchernarr und kein Handwerker. Aber eine nützliche Arbeit gab es doch, die er hervorragend leistete. Olef war sehr geschickt darin, den Kindern Dorflands, die nicht schreiben und lesen konnten, die Buchstaben und das Schreiben ihres Namens beizubringen. Er war sogar so gut im Unterrichten, dass der eine oder andere Erwachsene in aller Heimlichkeit ebenfalls mit ihm lernte. Ihnen war bereits der Gedanke, ihre Kinder könnten etwas besser als sie selbst, unangenehm. Runa fand das Ganze belustigend. Im Vertrauen erzählte ihr Olef von seinen älteren Schülern, die aus diesem Gedanken heraus zu ihm kamen und zu lernen begannen.

    Ein Buch hatte Runa im Haus stets in ihrer Nähe. Es war ein sehr besonderes Buch, denn es war außergewöhnlich faszinierend. Das Exemplar war uralt und wunderschön eingefasst, sein Alter sah man ihm nicht wirklich an. Es gab nur wenige Menschen, die das Glück hatten, es in ihrem Besitz zu wissen. Denn es war nicht jedem Leser gestattet, dieses Buch zu öffnen. Aber Runa gehörte zu dieser kleinen Gruppe Menschen, die dazu befähigt waren. Ihre unbändige Liebe zu Büchern machte es für sie möglich. Die Büchernärrin hätte sich bis vor einem Jahr nicht vorstellen können, dass es wirklich lebendige oder gar magische Bücher geben könnte.

    Nach dem Überfall erinnerte sie sich zufällig an dieses Buch, das ihr der Buchhändler mal zum Geschenk gemacht hatte. Sie hatte es ins Regal gestellt, und ihre Erinnerung an es war danach wie ausgelöscht. Und plötzlich kam der Gedanke an das Buch zurück. Die erneute Begegnung mit Olefs Geschenk war für Runa zunächst nicht schön. Es ließ sich nicht aufschlagen, und dann glaubte sie auch noch, es würde sie angreifen. Ihr fehlte noch die Erfahrung mit magischen Büchern. Außerdem war sie bis dahin eine Unwissende, was deren Existenz anging.

    Dieses Buch war deshalb ein außergewöhnliches Buch, weil es von kleinen Wesen und einem Igel bewohnt wurde. Olefs Geschenk war ein lebendiges Buch. In den Waldgeschichten lebte im Sommerwald das Hutlingpaar Heno und Henora, die zu Runas Freunden wurden. Ebenso der Igel Bronto, der bei der Öffnung des Buches seltsamerweise herauskatapultiert wurde. Die drei konnten das Mädchen mit gutem Zureden davon überzeugen, sich in ein Abenteuer zu begeben. Wären sie nicht gewesen, hätte die Büchernärrin ihre Familie und Freunde wohl nie wiedergesehen.

    Mit der Zeit lernte Runa noch weitere Bewohner des Buches kennen. Insgesamt gab es vier Wälder, die nach den Jahreszeiten benannt waren. Im Herbstwald lebten Teno und Tana. Der Winterwald war das Zuhause von Yuru und Yena. Und im Frühlingswald wohnte das Buntlingpaar Faryn und Fory, die vom Aussehen her den Hutlingen ähnelten. Diese beiden Waldvölker wurden daher oftmals verwechselt. Den Lebewesen des Buches war es leider nicht möglich, es zu verlassen, da ihnen nur ein Leben in ihrer Welt möglich war. Wie es allerdings zu Brontos Ausflug in Runas Welt kommen konnte, dafür hatten sie bisher keine verständliche Antwort gefunden. Es gab nur Vermutungen, denen sie versuchten im Sommerwald nachzugehen. Heno und Henora suchten dann in der Nähe der Baumstümpfe nach Auffälligkeiten wie einer verborgenen Tür oder einem Loch, aber bisher blieben sie erfolglos.

    Amo, der Weise, wusste mit Jonoras Buch, Das Buch der Verwandlung, umzugehen, und er schuf eine Verbindung zwischen ihm und Die Waldgeschichten. Dadurch war es den Buchbewohnern möglich, als Krieger ihre Welt zu verlassen und Zeron und seine Männer zu überwältigen. Das Buch der Verwandlung verwandelte sie nicht nur in Krieger, sondern ließ sie auch in Menschengröße heranwachsen.

    Die Wesen aus Die Waldgeschichten waren eher winzig, etwa so groß wie Pilze. Als Runa einen ersten Blick ins Buch hineingeworfen hatte, hielt sie das Hutlingpaar für Pilze, was Heno als große Beleidigung empfand. Seine erste Begegnung mit der jungen Dorfländerin war zu Beginn deshalb keine erfreuliche, zumal sie ihn und seine Frau versehentlich umstieß. Erst das Einlenken von Bronto und Henora führten schließlich zum Beginn einer Freundschaft.

    Die Magie, die die Verwandlung der Waldgeschichten herbeiführte, kostete die Waldbewohner viel Kraft. Nach Vollendung ihrer Aufgabe führte sie ihr Weg wieder direkt ins Buch. Somit war es dem Igel möglich, in seine Heimat zurückzukehren. Danurys, der Waldkauz, setzte Bronto im letzten Moment auf Henos Schulter, der ihn auf diesem Wege mit nach Hause nahm. Damit hatte der Vogel seinem Freund einen großen Gefallen getan.

    Als der Kauz auf Runa und Bronto getroffen war, waren die Tiere Feinde gewesen. Völlig unerwartet war das Mädchen von Esas Brüdern, Esor und Eson, entführt worden, und die beiden Tiere anschließend von Jorond, dem Händler. Ihnen war dann nichts anderes übrig geblieben, als sich zu verbünden, damit sie das Abenteuer

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