Tomasz oder: Über das Lernen, Arbeiten und Leben der Zukunft: Pädagogische Entwürfe und Erfahrungen auf einem Gehöft in Anhalt
Von Joachim Bröcher
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Über dieses E-Book
Joachim Bröcher
Joachim Bröcher erforscht den urbanen Raum Berlins sowie die weitere Entwicklung eines transformativen Community-Projekts, das er in einer ländlichen Region Ostdeutschlands, d. h. in Anhalt, gegründet hat. Weiterhin beschäftigt er sich mit emotionalen und sozialen Geografien in der polnischen Literatur. Umfangreiche pädagogische und beratende Tätigkeiten an Schulen, Universitäten und in internationalen Projekten sowie zahlreiche Veröffentlichungen in deutscher und englischer Sprache, vgl. https://bröcher.de/
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Buchvorschau
Tomasz oder - Joachim Bröcher
Joachim Bröcher erforscht den urbanen Raum Berlins sowie die weitere Entwicklung eines transformativen Community-Projekts in Anhalt, Ostdeutschland. Weiterhin beschäftigt er sich mit emotionalen und sozialen Geografien in der polnischen Literatur. Umfangreiche pädagogische und beratende Tätigkeiten an Schulen, Universitäten und in internationalen Projekten. Veröffentlichungen in deutscher und englischer Sprache, vgl. https://bröcher.de/
Projektleitung: Philipp Bröcher
Projektfinanzierung: Karin-Anna Jung-Bröcher und Joachim Bröcher
Sanierung, Um- und Ausbau der Gebäude: Uwe Kelling
Innenarchitektur, Design, Gartengestaltung: Karin-Anna Jung-Bröcher
Wissenschaftliche Begleitung und Dokumentation: Joachim Bröcher
Inhalt
Die Vorgeschichte: Krakau, Südostpolen und Andrzejs Vermächtnis
Pädagogische Erfahrungshintergründe und theoretische Bezüge
Ein Gehöft in Anhalt, aus der Zeit des deutschen Kaiserreichs
Das Wohnhaus
Die Wohnetage
Der Anbau aus der DDR-Zeit
Die Benjeshecke
Lokale, nationale und internationale Communities
Der Dachboden im Wohnhaus
Die Empore über dem Hühnerstall in der Scheune
Entsorgungsaktionen
Das nach Süden liegende Feld
Die ehemalige Futterküche im Stall
Die Garage aus der DDR-Zeit
Der Garten hinter der Scheune
Der Heuboden über den Ställen
Fundstücke, die auf Historisches verweisen
Die Holzterrasse vor dem Feld
Brennholzvorräte
Der ehemalige Hühnerstall in der Scheune
Der Innenhof
Die drei Kachelöfen im Wohnhaus
Der Keller des Wohnhauses
Abreißen von kleinen Ställen und Schuppen
Klettern und Turnen in der Scheune
Der frühere Kuhstall
Improvisiertes Leben auf dem Hof
Herstellen und Aufarbeiten von Möbeln
Die Obstbäume
Der frühere Pferdestall
Die Scheune
Fünf Schornsteine
Der frühere Schweinestall
Erste Seminare und Workshops
Reflexionen auf verschiedenen Ebenen
Polnisch und Deutsch lernen, und Literatur lesen
Das Stallgebäude
Transformative Community-Projekte
Wassersysteme
Die Weiden
Die Werkstatt
Pläne, weitere Entwicklung, Ausblick
Literatur
Bildnachweise
Zusammenfassung
Die Vorgeschichte: Krakau, Südostpolen und Andrzejs Vermächtnis
Ich hatte nicht vorhergesehen, dass es mein letztes Zusammentreffen mit Andrzej sein würde. Seit Jahren hatte ich ihn nicht besucht und auch er war nicht mehr nach Deutschland gereist, und nun lag er, mit gut neunzig Jahren, nahezu auf dem Sterbebett. Es war auch nicht absehbar, dass in jenen Wintertagen mit Andrzejs Tod, der sich schon abzeichnete, zugleich etwas Neues entstehen würde. Ich hatte in der alten Jagiellonen-Universität in Krakau ein Bild gesehen und lange davor gestanden, so als wollte das Gemälde mir etwas sagen, ohne dass ich es jedoch im Sinne einer klaren Botschaft hätte entschlüsseln können. Es lag eine Melancholie über der Stadt, es war ein Versinken in den Tiefen der Jahrhunderte. Piotr war aus Warschau gekommen, um mich zu begleiten. Auf verschlungenen Wegen fuhren wir schließlich nach Südosten, in die Beskiden, nach Ropki, wohin sich Andrzej, nach vielen Jahrzehnten in der Praxis, als Kinderarzt und Pädagoge, und dann an den Universitäten in Warschau und Krakau, zurückgezogen hatte. Das Dorf war eingeschneit, die Dächer der Holzhäuser weiß. Zu beiden Seiten des Weges Hunde, die uns den Berg hinauf, bis kurz vor Andrzejs Anwesen, begleiteten.
Es gab viel an Erfahrungen und Gedanken auszutauschen, wir aßen Forellen und tranken Weißwein, in dem Holzhaus, das von einem flackernden Feuer gewärmt wurde, als sich der Abend herabsenkte, war es draußen schneidend kalt. Wir debattierten politische und historische Themen, wobei wir bis in die 80er Jahre zurückgingen, und was wir an pädagogischen Austauschprojekten damals gemeinsam unternommen hatten, er als Professor, ich als Student, in der Zeit des Kalten Krieges.
Wir sprachen auch über die deutsche Besatzung in Polen und über Andrzejs Zeit im Warschauer Widerstand, gemeinsam mit seinem Vater. Dann sprachen wir über die aktuelle Situation in Polen und in Deutschland, und was das alles für die Pädagogik und unsere jeweiligen Gesellschaften bedeutet, natürlich kamen auch persönliche Lebensthemen zur Sprache.
Andrzej hatte für einen der Abende mehrere Personen aus seinem wissenschaftlichen Umfeld auf sein abgeschieden gelegenes Gehöft eingeladen. Zum einen waren die Zimmer durch Ikonen, Kommoden, Tische, Stühle und Betten aus St. Petersburg geprägt, die noch aus dem Besitz seines Großvaters stammten, der dort Professor gewesen war. Dieses gesamte Mobiliar erzeugte eine dunkle, suggestive Atmosphäre. Mitten darin, sich erhaben aus alldem hell hervorhebend, eine zwei Fuß hohe Nachbildung des David von Michelangelo.
Wer stets in Andrzejs Nähe war und ihm half, seinen Alltag zu bewältigen, war Tomasz, ein junger Mann von vielleicht sechzehn Jahren, der bei ihm wohnte, genauso wie dessen Onkel Paweł. Tomasz heizte den Ofen, kümmerte sich um den alten Schäferhund, um Andrzejs Korrespondenz, um das Geschirr, das Essen und die Getränke.
Andrzej, der selbst nie eine Familie gegründet hatte, hatte Tomasz schon vor Jahren aufgenommen wie einen Sohn oder Enkelsohn und sich um seine Bildung bemüht, durch Privatunterricht. Der Junge hatte nie eine Schule besucht. Er gehörte zu den Lemken, einem Hirtenvolk aus den Karpaten. Was genau dazu geführt hatte, dass der Junge mit den dunklen Locken nach Ropki in Andrzejs Obhut gekommen war und unter seinem Dach lebte, blieb bis zum Schluss unausgesprochen und ich fragte nicht danach. Tomek, wie ihn Andrzej gerne nannte, verstand bisher so gut wie gar kein Deutsch.
Andrzej schaute sorgenvoll, als es um die Frage von Tomeks Zukunft ging. Als ich ihm erzählte, dass ich einen alten Hof in Ostdeutschland gekauft hätte, um dort ein neuartiges pädagogisches Projekt ins Leben zu rufen, sprachen Paweł und Andrzej engagiert auf Polnisch miteinander. Am nächsten Tag, sie hatten sich sicher weitergehend zu dem Thema beraten, baten sie mich, den Jungen mit nach Anhalt zu nehmen und das von Andrzej begonnene pädagogische Werk weiterzuführen, in Form von Lehr- und Wanderjahren, wo er unter meiner Obhut Neues und Anderes lernen könne, sicher fühlte Andrzej den eigenen Tod näher kommen.
Auch mit Tomasz selbst hatten die beiden offenbar bereits gesprochen. Er saß schweigend am Tisch, hob schließlich den Blick und schaute mich sanft und freundlich aus seinen dunklen Augen an. Das Schicksal hatte mir eine neue Aufgabe zugewiesen. Paweł war überdies ein versierter Zimmermann und hatte auf Andrzejs Anwesen die Gebäude in Stand gehalten und teilweise auch erweitert, um genug Wohnraum für sich selbst und seinen Neffen Tomasz zu schaffen. Er sagte mir Unterstützung zu, was die praktische Arbeit auf dem Hof in Anhalt anging, wollte sich allerdings in den kommenden Monaten zunächst intensiv um Andrzej kümmern. Später würde er auf Reisen gehen, in die Alpen, teils um dort als Zimmermann und Dachdecker zu arbeiten, und in Abständen nach Anhalt kommen, zum einen, um nach Tomasz zu sehen, zum anderen, um mich beim Instandhalten der Gebäude zu unterstützen.
Ich sah, dass ich in Anbetracht der Situation nur ja sagen konnte. In Wahrheit hatte ich diesen stillen, zum einen geheimnisvollen, und zum anderen in sich ruhenden, Hirtenjungen schon in dem Moment adoptiert und in meine Verantwortung genommen, als ich ihn zum ersten Mal, beim Eintreten in Andrzejs Wohnhaus, erblickte. Wenn ich zugleich an den aktuellen Zustand der Gebäude, die ich in Ostdeutschland soeben erworben hatte, dachte, war die Aussicht auf tatkräftige praktische Unterstützung bei handwerklichen Arbeiten durch Paweł natürlich zugleich etwas sehr Wünschenswertes.
Die Gespräche mit Piotr, zum einen in unserem Quartier in Ropki, zum anderen in Krakau, in einem der berühmten Kellergewölbe, wo es Bars und Kneipen gibt, bevor sich unsere Wege dann trennten, er fuhr nach Warschau und ich nach Berlin, bestärkten mich in meiner gegebenen Zusage. Paweł würde Tomasz in etwa vier Wochen nach Berlin bringen. Von dort würden wir gemeinsam auf das Gehöft in Anhalt fahren. Andrzej schenkte mir zum Abschied ein kleines Fass Wodka, den er, nach alten, überlieferten Rezepten, mit Kräutern aus Ropki veredelt hatte. Er starb neun Monate nach Piotrs und meinem Besuch in Ropki, im Oktober.