Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Block 4.2
Block 4.2
Block 4.2
eBook335 Seiten4 Stunden

Block 4.2

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

De Betze spielt – und es geht um alles, wieder einmal. Doch Albin ist sicher: Alles wird gut, wenn sein Schwiegervater Anton dabei ist, denn mit ihm in Block 4.2 hat de Betze noch jedes wichtige Spiel gewonnen. In der Nacht vor dem Spiel werden Albin und seine Gefährten jedoch in einen Unfall verwickelt. An eine Weiterfahrt ist nicht zu denken, Transportalternativen gibt es nicht. Also versucht Albin das fast Unmögliche, um mit Anton zum Anpfiff uffem Betze zu sein: Einen Fußmarsch durch die Nacht, vierzig Kilometer durch tiefsten Wald, in dem ebenso echte wie eingebildete Gefahren lauern. Immerhin weiß Albin den Champ an seiner Seite, den treuesten aller Freunde. Leider aber heftet sich auch die Polizistin Lea an seine Fersen …
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum14. Nov. 2018
ISBN9783746780184
Block 4.2

Ähnlich wie Block 4.2

Ähnliche E-Books

Humor & Satire für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Block 4.2

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Block 4.2 - Eric Scherer

    Block 4.2

    Roman

    Eric Scherer

    ISBN: 978-3-00-061467-5

    Titel: Block 4.2

    Umschlaggestaltung: Karina Wilinski

    Korrektorat: Gabriele Koske

    © 2013 by Eric Scherer, Mainz

    Alle Rechte vorbehalten

    www.blogvierzwei.de

    „Unsere Legenden wollen wir bewahren. Sie sind für uns wahr geworden."

    Aus: „Der Mann, der Liberty Valance erschoss", Spielfilm, USA, 1962

    Inhalt

    Und es begab sich aber zu der Zeit, als de Betze in tiefer Vergessenheit zu versinken drohte

    Recht und Pizza

    Gíslason

    Barkero

    Hristov

    Dusek

    De Fritz

    Marcello

    Und es begab sich aber zu der Zeit, als de Betze in tiefer Vergessenheit versinken drohte …

    Eigentlich folgt Albin keinem klaren Gedanken. Die Scheinwerfer vor ihm schießen so schnell auf ihn zu, dass seine Hände das Lenkrad nur noch instinktiv nach links reißen können. Eine reelle Chance, den Libero auf der Fahrbahn zu halten, hat er nicht. Selbst wenn Albin reaktionsschnell genug für ein Ausweichmanöver wäre, wie es der berühmte Elchtest vorsieht – das Steuer also blitzschnell nach links und dann wieder nach rechts ziehen – der Libero könnte den Fliehkräften niemals widerstehen, er würde sofort umkippen. Denn an Fahrakrobatik dieser Art hatte der Japaner nicht gedacht, als er diesen rollenden Blechkasten baute.

    Was also bleibt Albin anderes übrig auf dieser schmalen Kreisstraße, wenn der entgegenkommende Fahrer sie für sich allein beansprucht? Er hat gar keine andere Wahl: Er sucht den Weg ins Feld, um einen frontalen Zusammenstoß zu vermeiden.

    Direkt neben der Fahrbahn führt eine Böschung ins Grüne hinab. Sie ist nicht sehr steil, ein niedrigeres Fahrzeug als ihres müsste in dem flachen Winkel, in dem Albin den Wagen den Hang entlang steuert, nicht unbedingt zur Seite kippen, der Libero aber, mit seiner Dachhöhe von fast zwei Metern bei nicht einmal anderthalb Metern Breite, kann gar nicht anders. Die beiden Räder auf der Beifahrerseite heben sich in die Höhe.

    Wenn der Crash sich nicht vermeiden lässt, einfach lockermachen, haben sie Albin mal beigebracht. Also macht er sich locker, obwohl er immer noch keinem klaren Gedanken folgt, auch das ist reiner Instinkt. Doch er macht das gut, ist jedenfalls sein Eindruck, vielleicht ist ja ein Actionheld an ihm verloren gegangen. So einer, der sich nach einer aufregenden Verfolgungsjagd drei Mal mit dem Auto überschlägt, dann aber unversehrt aus dem Wagen springt und noch im Flug ein halbes Dutzend seiner Verfolger abknallt.

    Der Libero schießt diagonal in die Böschung und gerät schon nach wenigen Metern so sehr in Schräglage, dass er zur Seite kippt, ohne dass Albin es verhindern kann. Nachdem er auf die Fahrerseite zum Liegen gekommen ist, rutscht er weiter, und in dem Maße, wie sein Vorwärtsdrang abebbt, beginnt er eine Kurve nach unten zu beschreiben. Unter ihm ist frisches, grünes, hohes Gras, das zudem feucht ist, da gleitet es sich gut. Zum Stillstand kommt der Wagen erst am Fuß der Böschung.

    Verdammte Scheiße.

    Albin muss sich erst einmal sammeln. In sich hineinhorchen. Sein Gurt hat ihn gehalten, er spürt keinen Schmerz, nichts ist gesplittert und hat ihn geschnitten, kein Blut. Nichts hat ihm Beine oder Brustkorb zusammengequetscht. Er kann sämtliche Gliedmaßen bewegen. Er ist unverletzt. Hat Albin gut gemacht, vor allem aber auch der Libero. Ist halt ein Profi.

    Wieso eigentlich hat sich der blöde Airbag nicht aufgeblasen? Vermutlich, weil der Wagen keinen Stoß von vorne bekam. Ist aber eigentlich auch egal. Eigentlich sogar besser so. So ist es doch viel leichter, sich aus dem Wagen zu zwängen.

    „Anton, ruft Albin. „Anton?

    Früher hat Albin Anton sogar mal Papa genannt. Obwohl Anton nur sein Schwiegervater ist. Aber es hatte sich irgendwie gut angefühlt, da Albins Papa doch schon lange nicht mehr da ist. Irgendwann aber hatte sich das mit dem Papa wieder erledigt, warum, weiß Albin auch nicht mehr so genau. Nach einer gewissen Zeit hörte sich Anton einfach wieder richtiger an.

    „Anton?, fragt er noch mal. „Alles in Ordnung?

    Albin versucht, über seine rechte Schulter zu schauen, erkennt aber nichts. Tiefschwarze Nacht da hintendrin. Immerhin ist ein verstörtes Grummeln zu hören. Hört sich aber nicht nach Schmerzen an, das ist doch schon mal gut.

    Albin tastet nach dem Arm seines Beifahrers.

    „Alles klar, Champ?"

    Noch mal lauter: „Champ? Alles klar?" Albin tastet sich vom Arm zum Brustkorb des Freundes.

    „Jo, antwortet der Champ endlich. Genau genommen ist nur der Vokal zu hören. Das J muss man sich dazudenken, um das „Jo zu verstehen. Typisch Champ halt. Was reden angeht, ist er Minimalist.

    „Kriegst du die Tür auf? Kommst du raus?"

    Denn andernfalls wird’s schwierig mit dem Aussteigen. Denn sie können ja nur auf der Beifahrerseite raus. Und die befindet sich jetzt über ihnen.

    Albin hört, wie der Champ die Tür entriegelt und sie aufstößt. Sie schwingt auf und schlägt wieder zu. Immerhin, sie funktioniert. Der Champ öffnet seinen Sicherheitsgurt, stößt die Tür ein zweites Mal auf, hält sie diesmal offen und zieht sich nach oben. Die Mittelkonsole benutzt er als Tritt. Das Klettern fällt ihm erstaunlich leicht, als sei er schon aus vielen Unfallwagen gekrochen ... Ist er vermutlich nicht, dafür aber immer noch gut in Form. Hat fast noch sein altes Kampfgewicht. Kein Gramm Fett.

    Albin hat da schon mehr Schwierigkeiten. Okay, er muss sich auch aus der tieferen Position in die Höhe schaffen. Aber einhundertzehn Kilo wollen erst einmal quer durch so einen Libero gewuchtet werden. Albin benutzt die Handbremse als Tritt, die sich dabei leicht verbiegt.

    Oben angekommen, holt Albin erst einmal tief Luft. Riecht das frische Grün der feuchten Wiese, auf der sie gelandet sind. Der Nachthimmel bedeckt die Szene wie der weite, dunkle Mantel eines Zauberers, auf dem kleine goldene Punkte leuchten. Keine zwanzig Meter von ihnen entfernt erhebt sich der tiefe schwarze Wald, verschlossen und stumm. Nicht einmal seine Wipfel rauschen.

    Auch von der Straße her ist nichts mehr zu hören.

    Der andere ist einfach verschwunden. Einfach weitergerast. Auf und davon. Als hätte er nicht einmal mitbekommen, dass Albin seinen Minibus von der Straße reißen musste, um nicht frontal in ihn zu krachen. Drecksack. Blöd und blind. Und besoffen vermutlich. Bestimmt einer von diesen jungen Burschen, die sich jeden Samstagabend die Kutte volllaufen lassen und dann gegen sich selbst Rennen fahren in ihrem scheiß Dreier-BMW oder was auch immer. Vielleicht ist der Kerl auch nicht allein gewesen. Hatte ’ne Büchs neben sich, vor der er den coolen Rennfahrer raushängen lassen, ihr zeigen wollte, dass Eiswasser statt Blut in seinen Adern fließt. Ich fahr nicht zur Seite, niemals, die anderen sollen Platz machen, sind doch alles Schisshasen … Dummes Arschloch.

    Oder er hatte ein paar Kumpels seines Schlages neben sich, die genauso voll waren wie er. Und während der Fahrt haben sie noch weitergesoffen und Heavy-Metal gehört und mitgegrölt, Hell’s Bells, Breaking the Law und den ganzen Scheiß. Oder war nicht gerade Kerb irgendwo in der Nähe? Wenn, dann sind sie von da gekommen, entsprechend abgefüllt. Bestimmt.

    Albin springt von seinem Wagen hinunter. Unten, am Boden, erwartet ihn bereits der  der Champ. Hat sich keinen Meter vom Fleck gerührt, seit er nach seinem Sprung dort gelandet ist. Typisch. Albin sieht sein Gesicht im Mondlicht. Er verzieht keine Miene ob der jüngsten Ereignisse. Den Champ kann gar nichts erschüttern. Er ist die Coolness selbst.

    Jetzt aber nach Anton sehen. Schnell. Nicht auszudenken, wenn dem Alten was passiert ist. Sie werden schließlich erwartet, morgen, im Block 4.2. Uffem Betze.

    Und, klar, natürlich: Davon abgesehen würde Heidrun ihn umbringen, wenn Anton unter seiner Obhut etwas geschähe.

    + + +

    Gemeinsam öffnen Albin und der Champ die Heckklappe des Libero. Anton sitzt nach wie vor korrekt vergurtet in seinem Rollstuhl, nun allerdings auf der Seite. Er grummelt immer noch vor sich hin, Albin versteht nur, dass er wiederholt Heidruns Namen nennt, die irgendeinen „Scheißdreck" gebaut habe. Albin und der Champ schnallen den Alten ab, zerren ihn vorsichtig aus dem Wagen und stellen ihn auf.

    „Tut dir was weh, Anton? Nix gebrochen? Alles in Ordnung?"

    „Jo, jo, grummelt Anton. Was bei ihm freilich nichts zu bedeuten hat. „Jo, jo sagt er immer, wenn er nicht länger mit Fragen gelöchert werden will, die er nicht beantworten kann oder will, also ständig. Vor allem, wenn Heidrun permanent an ihm herumzoppelt, ihm die Kleider oder die Haare richten und ihm Krümel aus dem Gesicht wischen will. Jo, jo.

    „Komm, Anton, geh mal ein paar Meter, damit wir sehen, dass du dir nix gebrochen hast."

    Der Alte blickt Albin genervt an, erkennt aber, dass, einfach nur zu parieren, ihm die größte Chance eröffnet, so schnell wie möglich wieder in Ruhe gelassen zu werden. Also trippelt er ein paar Schritte vorwärts. Einen Moment lang sieht es so aus, als würde er das Gleichgewicht verlieren, das ist aber nichts Ungewöhnliches, keine Nachwirkung des Unfalls, sondern hängt mit seinem Parkinson zusammen. Jedenfalls kann Anton sich auf den Beinen halten, und Schmerzen scheint er auch nicht zu haben, mehr muss Albin im Moment nicht wissen.

    Alla hopp.

    Als Nächstes friemeln Albin und der Champ Antons Rollstuhl aus dem Wagen. Auch der hat nichts abgekriegt. Schwein gehabt. Sogar die Räder drehen noch einwandfrei. Schon ein starkes, stabiles Teil, das Albin da angeschafft hat. Hat er bei Ebay geschossen. Auch quasi umsonst, auch eine geniale Aktion, und auch die hat Heidrun nie richtig gewürdigt, wie immer halt. Anton dagegen, der weiß schon, was er an seinem Turbo-Rolli hat, auch wenn er es nicht mehr so ausdrücken kann. Und Anton weiß natürlich auch, was er an Albin hat. Meistens jedenfalls. Wenn der Parkinson ihn grad mal in Ruhe lässt.

    Der umgestürzte Libero liegt im Gras wie ein illegal entsorgter Kühlschrank. Ab und zu knackt etwas in seinem Inneren. Aber er sieht erstaunlich unversehrt aus. Seit acht Jahren tut er nun schon seinen Dienst. Dabei hat er nicht viel gekostet. Und für das Geld ist er bislang prima gelaufen, vor allem viel, bald zweihunderttausend   Kilometer hat er nun auf dem Tacho. War auch schon fast acht Jahre alt, als Albin ihn anschaffte. Als abzusehen war, dass Anton mit der Zeit dauerhaft einen Rollstuhl brauchen würde. In einen Profi-Libero passen nämlich beide hinein, Rollstuhl mitsamt Anton, weil das Modell keine hinteren Sitzreihen hat, sondern einen Laderaum, der sogar ein bisschen was hermacht, denn er ist mit Buchenholz furniert. Da rollt man den Rollstuhl rückwärts rein und setzt anschließend den Anton hinein. Die Gurtvorrichtung, die Albin da angebracht hat, um die beiden zu fixieren, damit sie während der Fahrt nicht hin und her rollen, hat Albin sich wirklich fein ausgedacht, richtig pfiffig ist sie, das hätte ein professioneller Schrauber auch nicht besser hinbekommen.

    Aber so was sieht Heidrun ja nicht.

    Doch auch wenn sie Albin jetzt nicht gerade dafür gelobt hat, weder für die Anschaffung noch für die behindertengerechte Eigenkonstruktion, froh ist sie doch, dass ihr Vater dadurch ratzfatz transportbereit ist. Andernfalls müsste der Rollstuhl doch jedes Mal zusammen- und hinterher wieder aufgeklappt werden. So können sie wunderbar kurze Strecken fahren, längere eher nicht, denn der Polizei würde Albins Konstruktion kaum gefallen, wenn sie in eine Kontrolle gerieten, von wegen TÜV-Zulassung und so. Aber sie fahren ja nur kurze Strecken, mal zum Arzt, mal in den Wald zum Spazierengehen, oder uff de Betze natürlich, wen interessiert’s also. Anton ist bestimmt froh, dass er sich so ratzfatz verladen lässt. Wenn sie mit dem Champ unterwegs sind, sowieso. Denn dann muss Anton nicht mal aus dem Rollstuhl aufstehen, wenn Albin oder Heidrun ihn in den Libero hineinschaffen, denn mit dem Champ zusammen heben sie beide gleichzeitig hinten rein. Wenn’s uff de Betze geht, oder, wie heute Abend, zum Werner.

    Einen anderen Wagen, der so perfekt zum Behindertentransport taugt, ohne Spezialumbau, gibt’s in dieser Preisklasse jedenfalls nicht, beziehungsweise hat es nicht gegeben, denn ob sich das gute Stück von diesem Sturz jetzt erholt, ist noch längst nicht ausgemacht. Als Gebrauchter mit acht Jahren auf dem Buckel hatte er praktisch gar nichts mehr gekostet, denn über den Tisch ziehen ließ Albin sich auch nicht, er hatte sofort gesehen, dass der Verkäufer den Wagen auf jeden Fall loswerden wollte, weil er mit dem Rost nicht mehr klarkam. Im Februar hat er sogar noch mal TÜV gekriegt, weil Bernd, sein Schrauber, die porösen Stellen mit Blechplatten verstärkt hatte. So hatten sie zwei weitere Jahre gewonnen, und der Plan war eigentlich, bis dahin abzuwarten, wie es mit Anton weitergeht. Ob er dann überhaupt noch da ist.

    Und nun? Wie geht’s weiter? Albin blickt den Champ an.

    Doch der steht einfach nur da und sagt keinen Ton. Wie immer. Wartet einfach auf die nächste Ansage. Weil Albin derjenige ist, der die Ansagen macht. So ist das nun einmal geregelt zwischen ihnen. Nicht, dass Albin sich das so ausbedungen hat. Es hat sich einfach so eingespielt. Wenn überhaupt, ist es eher der Champ gewesen, der entschieden hat, Albin ist der Boss, und ich, der Champ, tue, was Albin sagt. Weil der Champ lieber Ansagen entgegennimmt als selber welche macht, wahrscheinlich konnte er nur so ein so guter Boxer werden. Weil er den richtigen Trainer hatte und immer auf ihn gehört hat.

    De Betze war schließlich auch immer nur gut, wenn er den richtigen Trainer hatte.

    Manchmal aber ist es ganz schön blöd, derjenige sein zu müssen, der die Ansagen machen muss. Jetzt zum Beispiel.

    Was, wenn sie ihn einfach wieder aufstellten? Und dann starten und losfahren würden, als wäre nichts geschehen? Wär den Versuch wert. Albin wiegt den Kopf: Ob er und der Champ das schaffen, allein? Sie könnten vielleicht auch noch ein paar Minuten warten, bis das nächste Auto des Weges kommt. Das könnten sie anhalten. Vielleicht sitzen da ja zwei kräftige Kerle drin, die ihnen helfen könnten.

    Albin nimmt noch einen weiteren tiefen Zug Luft. Riecht gut, die Wiese. Ist überhaupt eine schöne Nacht.

    Anton hustet. Hoffentlich erkältet sich der Alte jetzt nicht. Und holt sich so den Tod, nachdem er diesen Unfall unbeschadet überstanden hat. Dann schlägt Heidrun Albin erst recht tot. Tut sie wahrscheinlich sowieso. Dass Albin für diesen Unfall nichts kann, aber so was von, dass Albin ihrem Vater, dem Champ und sich selbst sogar das Leben gerettet hat, weil er phantastisch reagierte und den Libero von der Straße riss, ehe es zum Frontalcrash kam – das kapiert Heidrun doch nicht. Sie sieht immer nur den Schaden, der entstanden ist, für den ist immer Albin verantwortlich, egal, was passiert ist, und egal, wie es passiert ist.

    Ist doch immer dasselbe.

    Albin greift in seine Jackentasche. Sein iPhone steckt noch drin, erstaunlich eigentlich, dass es nicht rausgerutscht ist, als der Libero umkippte. Wär ’ne schöne Scheiße, wenn sie jetzt, im Dunkeln, auch noch sein Handy suchen müssten. Denn der Champ hat kein Mobiltelefon, und Antons Handy haben sie zu Hause vergessen. Auch dafür droht Albin ein Anschiss. Das heißt, mit ein wenig Glück entfällt der vielleicht, wegen Geringfügigkeit, angesichts dessen, was heute Abend sonst noch geschehen ist.

    Albin starrt auf sein iPhone.

    Und? Wen willst du nun anrufen?

    Als ließe sich die Antwort irgendwann auf dem Display ablesen.

    Doch da steht nichts. Da ist nichts zu sehen außer diesen vielen Logos, auf die sich drauftapsen lässt, damit sich die ganzen Programme öffnen, die auf dem Ding gespeichert sind. Apps nennt man die. Schon irre. Telefonieren ist nur noch eins von vielen Dingen, die diese Geräte beherrschen. Albin hat sich vor kurzem so ein iPhone zugelegt, das gerade neu auf den Markt gekommen. Heidrun fand’s natürlich blöd, unfassbar, dass du dein Geld für so einen Scheiß ausgibst, das Übliche halt. Heidrun besitzt natürlich noch so ein Mobiltelefon, das nur telefoniert und fertig. Okay, so ein paar Dinge zusätzlich kann es wahrscheinlich auch, wecken und so, aber die nutzt Heidrun nicht. Da aber kann Albin doch nichts für. Und für das iPhone hat er noch nicht einmal unnötig Geld ausgegeben, grad mal ein Euro hat er bezahlt, dafür musste er nur seinen Handy-Vertrag um zwei Jahre verlängern. Dadurch erhöht sich zwar die monatliche Grundgebühr um zehn oder zwanzig Euro, aber das muss Heidrun ja nicht wissen.

    Doch auch keine der vielen Apps auf seinem iPhone kann ihm verraten, wen er nun anrufen soll.

    Die Polizei?

    Mach dich doch nicht lächerlich.

    Albin hat fünf Weinschorle intus. Oder sind es sechs? Richtig, sechs. Die erste hat er noch zu Hause gepetzt. Anton hatte er auch eine eingeschenkt, aber nur eine ganz dünne, wegen der Medikamente, die der Alte nehmen muss. Anschließend bei Werner hat Albin insgesamt fünf Weinschorlen abgepumpt. Scheiß doch drauf, morgen spielt de Betze, und morgen geht’s um alles. Und sie sind dabei, in Block 4.2. Da muss man sich doch einstimmen. Und für Anton ist es vielleicht das letzte Mal, dass er ein Spiel miterlebt, wer weiß das schon. Vielleicht ist es auch das letzte Mal, wo er ein Spiel miterlebt, während dem er noch einigermaßen mitbekommt, was abgeht. Eines, an das er sich noch eine Weile ganz bewusst erinnern kann. Denn bald wird es ja so sein, dass der Parkinson aus seinem Hirn eine Wäschetrommel macht, in der sich die Erinnerungsbilder drehen und drehen, ohne dass er kontrollieren kann, welche hochkommen und welche nach unten abgedrängt werden.

    Und an das Spiel morgen soll sich Anton noch so lange erinnern können, wie es irgend geht. Sofern de Betze gewinnt, natürlich. Aber das muss er, egal wie.

    Wär ja sonst auch nicht zum Aushalten. Wenn de Betze sich morgen aus der großen Fußballwelt verabschiedet und zeitgleich auch Antons Geist in der Dunkelheit versinkt – unvorstellbar. Nach all den großen Zeiten, all den großen Spielen, die Anton uffem Betze erlebt hat.

    Seit Anfang neunzig sitzen sie gemeinsam in Block 4.2. Anton hatte schon zuvor dort gesessen, Albin dagegen stand in seinen ersten Jahren am Betze noch in der West, die ganz am Anfang noch eine Kurve, keine Tribüne war. So haben sie, noch ohne einander zu kennen, beide damals das Fünfnull gegen Real Madrid gesehen, doch, doch, de Betze hat die Königlichen mal fünfnull geschlagen, das glaubt dir von den Jungspunden heute keiner mehr. Zweiundachtzig war das. Der schlaue Funkel traf gleich zwei Mal, der feinfüßige Bongartz einmal, ebenso netzten der stets einen Tick zu hektische Eilenfeldt und der immer wohlfrisierte Geye. Albin stand mit seinen Kumpels in der West, es war die Zeit, in der sie ihre ersten Autos fuhren, die Karten hatten sie sich schon Wochen vorher in der Stadt besorgt.

    Anton war sogar schon beim Siebenvier gegen die Lederhosen dabei, dreiundsiebzig. Das hat Anton Albin gleich am ersten Abend erzählt, als sie sich kennenlernten, als Heidrun ihn, Albin, zum ersten Mal mit nach Hause brachte, in der Winterpause neunundachtzigneunzig. Heute behaupten Hunderttausende, beim Siebenvier gegen die Lederhosen dabei gewesen zu sein, aber Anton war tatsächlich dabei, und da hat sich Albin noch an diesem Abend gedacht, das wär doch ein Schwiegervater für mich, obwohl es mit Heidrun und ihm damals längst noch nicht so weit war. Und de Betze war damals Siebzehnter, es sah also gar nicht gut aus.

    Im Februar danach schmiss er dann aber den Trainer Roggensack endlich raus, nullvier hatte der auf dem Waldhof verloren, nullvier! Auf dem Waldhof! Und wen holte de Betze zurück? Kalli. Und alles wurde gut. Auch mit Heidrun und Albin war es in diesem Februar schon viel fester geworden und am siebzehnten März gingen Albin und Anton das erste Mal gemeinsam uff de Betze, saßen nebeneinander in Block 4.2, gegen Bochum, es war das dritte Spiel mit Kalli als Trainer, und wie ging’s aus? Zweieins für de Betze. Anschließend gewann Kalli noch drei Mal hintereinander, de Betze kletterte auf Rang elf und vorbei war’s mit der Abstiegsangst. Und im Mai fuhren Albin und Anton gemeinsam nach Berlin, im Fanbus, denn Kalli hatte de Betze auch noch ins Pokalfinale geführt – und gewann gegen Bremen, dreizwei, Labbadia und Kuntz machten die Tore, und nach jedem Treffer tanzten die beiden gemeinsam auf der Aschenbahn.

    Einundneunzig waren Albin und Anton gemeinsam in Köln, am letzten Spieltag, da ging es um nichts weniger als die Deutsche Meisterschaft, sechszwei de Betze die Geißböcke vom Platz gefegt, zwei Mal Haber, zwei Mal Winkler, Dooley und Schupp, und damit Kalli de Betze zum Meister gemacht, zum ersten Mal nach siebenunddreißig Jahren wieder. Albin rannte mit aufs Feld, als die Fans nach Schupps Sechszwei das Spielfeld stürmten, obwohl da eigentlich noch gar nicht abgepfiffen war, nicht auszudenken, wenn das Spiel daraufhin nicht gewertet worden wäre. Sechsundneunzig waren sie natürlich wieder in Berlin dabei, beim nächsten Pokalfinale, wieder Sieg, einsnull gegen Karlsruhe, Wagner hatte das Tor gemacht. Dumm nur, dass de Betze in der Saison zuvor abgestiegen war, ausgerechnet in dem Jahr, in dem Albin und Heidrun heirateten.

    Doch nur ein Jahr später kehrte de Betze zurück, diesmal von König Otto regiert, und auch beim finalen Siebensechs gegen Meppen waren Albin und Anton dabei. Was für ein Ergebnis: siebensechs! Doch das war nicht gegen das, was siebenundneunzig geschah. Schon zum Saisonauftakt gewann de Betze bei den Lederhosen einsnull, Schjönberg nach Freistoß vom überragenden Sforza, und in der Rückrunde schlug de Betze die Lederhosen zu Hause, einen Tag vor Nikolaus, zweinull, Eigentor Hamann und Hristov. Und im Februar, am Valentinstag, am Tag der Verliebten, Heidrun war stinksauer, weil Albin sie allein ließ, fuhren Albin und Anton nach Stuttgart, einsnull, wieder Hristov. Und natürlich saßen sie auch am dreiundreißigsten Spieltag in Block 4.2, als de Betze alles klar machte, gegen Wolfsburg, viernull, Wagner, Rische und zwei Mal Marschall, der Fußballgott.

    Auch die Jahre danach haben sie kein Spiel versäumt, auch wenn de Betze nie mehr so weit oben angreifen sollte. Bei Heimspielen saßen sie in Block 4.2, die Auswärtspartien verfolgten sie gemeinsam vor der Glotze. Meistens jedenfalls. Bei wirklich wichtigen Partien waren sie auch in der Fremde immer dabei.

    Nur nicht am dreizehnten Mai zweitausendsechs. In Wolfsburg. Als es wieder mal um alles ging.

    Albin war dabei, aber Anton nicht. Das Spiel endete zweizwei. Das reichte nicht. De Betze stieg in die Zweite Liga ab.

    Und nun, nur zwei Jahre später, droht der nächste Sturz. Das kann, das darf nicht sein. Aus der Dritten Liga käme de Betze niemals mehr zurück. Darum darf Anton morgen in Block 4.2 auf keinen Fall fehlen. 

    Doch wenn Albin nun die Bullen ruft, hat er keine Chance, dabei

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1