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Möglichkeiten, Zeit zu verbringen
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eBook172 Seiten2 Stunden

Möglichkeiten, Zeit zu verbringen

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Über dieses E-Book

Eine Erzählung über drei Generationen einer Familie in einer Stadt am Meer und deren Verbindungen und Möglichkeiten mit eben ihrem Umfeld und schließlich das Scheitern der Tochter an Austauschbarkeit und Schnellebigkeit im Massentourismus.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum12. Juni 2013
ISBN9783847640974
Möglichkeiten, Zeit zu verbringen

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    Buchvorschau

    Möglichkeiten, Zeit zu verbringen - Philine Speicher

    ...

    Ich will mir ein Mädchen schreiben. Ein Mädchen von hohem Wuchs und schlanken Fesseln. Will sehen wie es läuft und läuft und läuft und springt und springt und fällt und bricht. Das geht nicht gegen es, das geht nicht ohne es.

    Vorwegnahme

    Die Alte lag bereits eine Weile auf dem Küchentisch und ihr feistes Fleisch klebte in faltiger Haut an der Wachstuchdecke. Es gab eine Fliege in der Küche, die sich von Zeit zu Zeit auf die Alte setzte.

    Die Zivis, oder Teilnehmer am freiwilligen sozialen Jahr, wie sie sich heute nennen, hatten sich beeilt, die Wohnung wieder zu verlassen. Es war ihnen schon fast zu viel gewesen, die Alte die vier Etagen hin aufzuschleppen, aber es wäre unpassend gewesen, sie auf ihrer Liege im zugigen Treppenhaus zu lassen. Die Wohnung quoll über vor Sachen und da sie kein Bett oder Sofa sahen, wuchteten sie die Alte auf den Küchentisch. Diese versicherte hier, dass ihre Tochter sicher bald käme und daraufhin verließen sie die Wohnung. Es roch auch schlecht.

    Die Alte langweilte sich auf dem Küchentisch. Sie konnte sich sowieso altersbedingt nicht mehr gut bewegen und jetzt, nach ihrer Op fühlte sie sich noch matter. Ihren Kopf konnte sie schon seit Jahren nur noch schwer drehen und so war ihr Blick auf die Decke gerichtet. Die Kücheneinrichtung hatte sie nie gemocht und beim hereingetragen werden hatte sie aus den Augenwinkeln die Unmengen Geschirr gesehen, die ihre Tochter auf der Küchenanrichte gestapelt hatte. Das Fenster zur Straße war geschlossen.

    Allein mit der Fliege in der Küche merkte die Alte, wie die Narkose langsam immer mehr aufhörte zu wirken. Hatte sie anfangs noch einen leichten Nebel im Kopf gehabt, der auch ihren Körper wunderbar leicht und ertragbar gemacht hatte, kehrte nun wieder ihr tägliches Bewusstsein für ihren Körper zurück. In ihrer Jugend und in den Jahren, die hierauf folgten, hatte sie das Glück gehabt, sich nie ernsthaft verletzt zu haben oder ernsthaft krank gewesen zu sein. Erst jetzt mit den Jahren trat ihr ihr Körper in den Vordergrund. Zuerst waren es nur kleinere Wehwehchen, die ihr zeigten, dass sie einen Körper hatte, aber mit der Zeit waren die Schmerzen dauerhafter geworden und zeigten ihr schon morgens sehr früh, dass sie einen Rücken hatte. Sie hatte Größe verloren, Augen und Ohren hatten nachgelassen und alles strengte viel mehr an als in jüngeren Jahren. Trotz Müdigkeit und körperlicher Erschöpfung schlief sie nachts nur leicht und erwachte früh.

    Auch ihre Gedanken und ihr Charakter hatten sich verändert. Sie konnte Sachen nicht mehr so leicht wie früher nehmen, sie reagierte auf Sachen, die sie sich anders wünschte, sehr unwillig und vieles strengte sie sehr an.

    Anfangs hatte sie es darauf zurückgeführt, dass sie unzufrieden mit der Situation war, dass sie nicht mehr so mühelos ihre Wohnung alleine verlassen konnte und ihr die täglichen Verrichtungen wie ankleiden, Essen machen oder einkaufen immer schwerer fielen, aber es war eher so, dass mit ihrer körperlichen Beschränkung, auch ihrem Denken eine solche auferlegt wurde.

    Als sie die Wohnung gar nicht mehr verlassen konnte, bekamen die Abläufe und Sachen in ihrem Umfeld eine ungemeine, fast alles andere ausschließende Bedeutung für sie. Früher hatte sie kaum einen Gedanken daran verschwendet, wie sie genau ihre Hausarbeit verrichtete oder gar ob sie sie erledigte, aber heute geriet sie in unsagbare Wut, wenn sie Sachen nicht an den Plätzen fand, die sie für sie vorgesehen hatte.

    Auch fühlte sie sich von ihrer Tochter verraten, da diese die Arbeiten im Haushalt nicht exakt so erledigte, wie sie es wollte. Oft stritten sie darüber und die Alte keifte noch weiter, während die Tochter schon das Treppenhaus hinunterlief. Sie schrieb der Tochter Listen mit ihren Gichthänden, was es in der Welt draußen zu erledigen gab und saß mit wechselnden Gefühlen am Fenster, ohne noch genaue Einzelheiten auf der Straße erkennen zu können.

    Und das war ihr Leben.

    Sie merkte, dass ihr Speichel aus dem Mund lief. Ihr alter Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig und der linke Fuß nässelte in seinen Verband. Der Arzt hatte gesagt, in ihrem Alter könne die Heilung eine sehr lange Zeit in Anspruch nehmen.

    Dieser Arzt!

    Die Alte lächelte bei dem Gedanken an diesen Mann. Im Gegensatz zu anderen Sachen in der näheren Vergangenheit, würde sie ihn nicht so schnell vergessen.

    Sie hatte den Arzt vor einigen Wochen das erste Mal gesehen. Die Tochter hatte sie in die Praxis gezwungen, nachdem sie einige Wochen Probleme gehabt hatte, sich auf ihren Füßen halbwegs aufrecht zu halten. Ganz am Anfang war es nur ein leichter Schmerz, ein leichtes Pochen in der Nacht gewesen, aber später konnte sie die Schmerzen kaum mehr verstecken, die ihre Füße in ihren Schuhen verursachten. Sie lief nur noch die kürzesten Strecken innerhalb der sowieso kleinen Wohnung und vermied Ortswechsel, wo sie nur konnte. Sie kam sich sehr eingeengt vor und ihre Laune richtete sich gegen die Tochter, weil sie nun Angst vor dieser hatte. Sie wollte die Wohnung nicht verlassen. Sie wollte in kein Krankenhaus und erst recht in kein Heim. Sie wollte weiter in ihrer Wohnung bleiben, sich täglich ins Bad schleppen, aus dem Fenster starren und zu den sich selbst auferlegten Uhrzeiten essen. Auch wenn die Tochter sich ihrer Meinung nach zu wenig kümmerte und die Wohnung in punkto Sauberkeit, Ordnung und Einrichtung nicht ihren Ansprüchen genügte, wollte sie diese unter keinen Umständen verlassen. Die Vorstellung, Tage mit einer Gruppe alter Menschen, die gebrechlich, vergesslich und unter Umständen auch noch garstig oder gar krank waren, verbringen zu müssen, verursachte ihr körperliches Unbehagen. Sie hatten im Fernsehen alte Menschen im Stuhlkreis sitzen sehen, die sich einen Ball zuwarfen und hierbei Fragen zum Gedächtnistraining beantworteten. Ihrer Tochter hatte sie noch wochenlang erklärt für was für eine Anmaßung sie es hielt, dass Kinder ihre Eltern in solche Einrichtungen geben.

    Die Tochter hatte ihr, eben weil sie hinterhältig war, nichts von dem Arzttermin erzählt, den sie für sie gemacht hatte. Eines Tages zog die Tochter ihr nach dem Waschen ihr Sonntagskleid an, obwohl es Montag war. Sie trug das Kleid also den zweiten Tag in Folge. Sie wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Die Tochter sah ihr über die Fingernägel und legte ihr ihr verbliebenes Haar an den Kopf. Auf der Treppe stützte die Tochter ihren krummen Körper und am Fuß der Treppe wartete ein Rollstuhl auf sie. Die Alte hatte nie zuvor in einem Rollstuhl gesessen und sie empfand es als sehr demütigend. Oben, in ihrer eigenen Wohnung, war ihr selten bewusst, wie gebrechlich sie tatsächlich war und jetzt saß sie in diesem Gefährt, das von einer zweiten Person bewegt werden musste. Sie holperten über das Kopfsteinpflaster und der Körper der Alten wurde geschüttelt. Sie hielt den Kopf gesenkt und war sich sicher, dass vorbeiziehende Passanten sie anstarrten und dachten: was will die Alte noch?- die braucht doch wirklich niemand mehr. Sie hatte Angst.

    In der geriatrischen Praxis füllte die Tochter für die Mutter den Anmeldebogen aus, was diese derart in Wut versetzte, dass sie der Tochter schon in aller Öffentlichkeit über den Mund fahren wollte. Woher sollte sie wissen, was die Tochter dort eintrug? Und woher sollte die Tochter überhaupt wissen, was es dort einzutragen galt? Im Wartezimmer blätterte die Tochter in einigen Illustrierten. Als die Alte aufgerufen wurde, erklärte sie der Tochter, dass diese nicht mit ins Behandlungszimmer dürfe, es ginge sie nichts an, was sie mit dem Arzt zu besprechen habe. Die Tochter zuckte mit den Schultern, stand auf und löste die Bremsen des Rollstuhls. Sie fuhr die Alte ins Behandlungszimmer und verließ es wieder.

    Die Alte saß zusammengesunken in ihrem Stuhl und betrachtete ihre Elefantenfüße. Die Tochter hatte sie auf dem Trittbrett des Rollstuhls abgestellt. Die Schuhe waren offen, weil sich ihre Form nicht mit der unnatürlichen Form der Füße der Alten vertrug.

    Als nächstes kam der Arzt. Was für ein herrlicher Mann! dachte die Alte sofort.

    Er trug weiß und weiß stand ihm sehr gut. Er hatte dunkles Haar und ordentliche Zähne. Sein Händedruck zur Begrüßung war fest und bestimmt. Ihre Hand lag kraftlos in der seinen; zudrücken konnte sie schon lange nicht mehr aufgrund der Beschaffenheit ihrer klauenhaften Hände. Während er ihr Krankenblatt durchblätterte, hob er von Zeit zu Zeit den Blick und fixierte sie durchaus nicht unfreundlich. Die Alte war mädchenhaft verunsichert und ihre Wangen zeigten eine für sie sonst untypische Röte. Sie wusste, dass er sie mochte. Es war etwas in seinem aufmerksamen Blick, mit dem er ihren nicht mehr ansehnlichen Körper maß.

    Er hob die Alte aus dem Rollstuhl auf die Behandlungsliege und zog gut erzogen das Sonntagskleid über den Knien der Alten glatt. Sie ärgerte sich, dass die Tochter das Kleid nicht gewaschen und frisch gestärkt hatte, bevor sie losgegangen waren. Er untersuchte ihre Hände, ihre Füße und strich an ihrer Wirbelsäule entlang. Die Alte starrte auf sein vergleichsweise jugendliches Gesicht und zuckte bei jedem Blickkontakt innerlich zusammen. Die Welt hier draußen war doch noch schön und mit der Zeit glaubte sie so was wie unterdrückte Lüsternheit in seinem Blick zu erkennen. Immer wieder maß er ihren Körper mit seinen dunklen Augen. Lange hatte sie schon keinen Mann mehr außerhalb ihres Fernsehers gesehen und ebenso lange keiner sie. Er sagte, sie habe Durchblutungsstörungen. Ihre Extremitäten würden schlecht versorgt und einige ihrer Zehen faulten schon fast. Sie würde sich trennen müssen.

    Wieder im Rollstuhl fuhr er sie eigenhändig zur Tochter ins Wartezimmer zurück. Er erörterte kurz der Tochter die Situation und wies sie an, einen Op-Termin für ihre Mutter abzumachen. Er wollte sie also wiedersehen, zuckte es der Alten durch den Kopf. Sie wartete im Rollstuhl auf ihre Tochter und spürte den Blick des Arztes auf ihrem Körper. Bevor sie die Praxis verließen, verabschiedete sich der Arzt mit einem erneuten Händedruck von ihr und sah ihr dabei tief in die Augen. Dieser herrliche Mann!

    Und wie hatte er sie tatsächlich später gepflückt! Der Alten stockte der Atem auf dem Küchentisch beim Gedanken daran.

    In den Tagen vor der Op war die Alte sichtbar nervös und unruhig. Sie hatte jeden Tag an den Arzt gedacht und sich sich mit ihm in verschiedenen Situationen vorgestellt: sie beide beim Frühstück, im Urlaub auf Madera, einfach nur auf dem Sofa, ihre verkrüppelte Hand in der seinen. Die Nachbarn würden tuscheln, aber ihr war das egal.

    Am Tag der Op musste die Tochter ihr eine frische Wasserwelle legen und den Dreck unter den Fingernägeln entfernen. Sie trug ein neues Kleid und hatte sogar etwas Parfüm der Tochter aufgelegt. Vor dem Arzt war sie zu nervös um zu sprechen und nachdem der wundervolle Mann ihr zur Begrüßung seine starke Hand gereicht hatte, schob eine garstige Schwester ihren Rollstuhl samt ihr selbst in ein Nebenzimmer. Die unmögliche Person legte ihren Arm frei und stach ihr eine Nadel in den Handrücken. Ab da verließ die Alte jegliche Erinnerung, aber ihr geschundener Körper sagte ihr immer mehr, je mehr die Narkose ihre Wirkung verlor, dass der Arzt ganze Arbeit geleistet hatte.

    Die Alte lag mittlerweile schon eine beträchtliche Weile auf dem Küchentisch. Sie fröstelte, selbst die Fliege hatte kein Interesse mehr an ihr. Die Wachstuchdecke fühlte sich klebrig und kalt an. Sie stammte noch aus Zeiten, da sie Möbel besessen hatte, die zu schonen es sich lohnte. Das war sehr lange her. Für den heutigen Tag war sie trotzdem froh über die Schondecke, ihre Schließmuskulatur war nicht mehr das, was sie mal gewesen war. Sie lag unbeweglich und starrte an die Decke.

    Der erste Spielplatz

    Die Stadt war eigentlich eher ein Dorf und trug die Bezeichnung Stadt nur um nach mehr zu scheinen als sie tatsächlich war.

    Ursprünglich gab es an der Bucht am Meer nur eine geringe Anzahl an kleinen Häusern. Die Menschen, die hier wohnten, waren arm und ungebildet. Die nächste Schule lag in einer Stadt, die recht weit entfernt war. Die Menschen lebten vom Fischfang. Die Fische brachten sie in eben die Stadt. Am Meer gab es nichts. Geschäfte und Ärzte fanden sich erst wieder in der Stadt.

    Nun waren die wenigen Häuser in der Bucht aber sehr gut gelegen. Das Land ringsum lag höher und unten in der Kuhle, in der die Häuser standen, war es stets etwas wärmer als anderswo. Auch waren die Menschen, die hier lebten, stets glücklich und stets freundlich.

    Es kam eine Zeit, da wurde es unter den Menschen aus der Stadt Mode, ihre Sommer am Meer zu verbringen. Man glaubte, dass die Meeresluft gut für die Gesundheit sei. Die Städter reisten in ihren Kutschen in das Dorf und ließen sich opulente Häuser bauen. In die Mitte des Dorfes wurde eine Kirche gebaut und die Einheimischen wurden herzlich eingeladen, sonntags mit den Städtern zu knien.

    Eine Art Handel hielt Einzug in das Dorf. Die Einheimischen gingen jetzt nicht nur fischen, sondern putzten und kochten im Sommer für die Städter und im Winter hielten sie ein Auge auf deren Besitz, dass auch alles in Ordnung sei. Die Städter bauten eine Eisenbahnlinie in das Dorf und es kam, dass einige Städter nun das ganze Jahr über im Dorf lebten. Geschäfte wurden eröffnet und im Winter sahen nun die Städter nach den Häusern der

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