Wer ist Archibald Meerrettich?: Der neue Schüler
Von Maya Khoury
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Buchvorschau
Wer ist Archibald Meerrettich? - Maya Khoury
Vom Erdboden verschluckt
Kurz vor acht Uhr war die Welt für die Klasse 7 b des Gymnasiums eines kleinen Ortes an der Nordsee noch in Ordnung. Doch mit einem Schlag sollte ihre heile Welt gehörig ins Wanken geraten. Vom heutigen Tag an würde nichts mehr so sein wie vorher.
Zunächst begann der Schultag an diesem Morgen wie jeder andere. Das mysteriöse Geschehen bahnte sich schleichend an und niemand, weder Schüler noch Lehrkräfte, konnten sich an eine solche Begebenheit erinnern. Weil es sie noch nie gegeben hatte.
Die Mädchen und Jungen hatten es zu Beginn des Wochenanfangs nicht besonders eilig in die Schule zu kommen. Wer sehnte sich schon nach der Schule? Oder ihren Lehrern? Im angrenzenden Gebäude stand der Schulhausmeister hinter dem offenen Küchenfenster und schaute hinaus. Er beobachtete das übliche Gerangel und Gedrängel auf dem Schulhof und hörte das gewohnte laute Kreischen und Lachen. Die Jüngeren unter ihnen rauften und stritten sich schon wieder. Warum und vor allem um was sie sich stritten wussten sie meistens selbst nicht einmal.
„Aua, pass doch auf, du hast mir auf den Fuß getreten,"
hörte er durch das geöffnete Fenster und sah, wie ein großer Junge einen jüngeren grob zur Seite schubste. Aber er würde sich nicht einmischen. Das war nicht seine Aufgabe. Der kleinere Junge begann erbost aufzuschreien, denn er war mit dem Arm gegen die Mauer geprallt. Der Mann hinter dem Fenster schüttelte den Kopf und schnappte sich schließlich einen Eimer mit weißer Farbe, um in den Keller zu gehen und die Wände zu streichen. Denn die hatten es bitter nötig.
.
Im Klassenzimmer der 7 b schleuderte man erst einmal in hohem Bogen die dicken Schultaschen auf die Tische, hockte sich einträchtig zusammen und erzählte sich haargenau und minutiös, wie das Wochenende verlaufen war. Die meisten der Mädchen plauderten ihre kleinen Geheimnisse aus, die nun keine mehr waren, weil sie jetzt jede kannte. Und natürlich tuschelten sie hinter vorgehaltener Hand über ihren jeweiligen Schwarm. Die meisten der Mädchen in diesem Alter schwärmten für irgendeinen Jungen.
„Der ist aber auch zu süß," wisperte Rike ihrer besten Freundin Sternchen zu und verdrehte verzückt die Augen. Es ging natürlich wieder um Sören aus der Oberstufe. Wie nervtötend das immer war.
„Gestern hat er mich endlich gefragt," fügte sie verschmitzt hinzu.
„Was ist an dem denn süß," gab Sternchen ein wenig unwirsch zurück.
„Und was hat er dich denn gefragt?" Neugierig war sie schon. Wollte er sie etwa heiraten?
„Ob ich mit ihm gehen will natürlich," antwortete Rike, erstaunt darüber, wie naiv ihre Freundin doch eigentlich war. Was sollte er denn sonst wohl fragen?
In Wahrheit aber war Sternchen auch ein kleines bisschen neidisch, dass der Blödmann sich nicht für sie interessierte. Aber Schwamm drüber, sie gönnte ihn ja ihrer Freundin. Dennoch dachte sie im Stillen: Hoffentlich fällt die mit dem ordentlich auf die Schnauze. Denn dann würde sie ihre Freundin wieder für sich alleine haben. Wer war der denn schon? dachte sie abfällig. Und Pickel hatte der auch. Da half sicher die beste Salbe nichts.
Sternchen hieß in Wahrheit Jette Stern. Aber jeder rief sie Sternchen. Außerdem reimte sich auf Jette „die Fette". Und irgendwie fand sie sich selbst ein wenig zu pummelig. Schon allein deshalb freute sie sich darüber, dass alle Sternchen zu ihr sagten. Manchmal aber rief man trotzdem Jette die Fette hinter ihr her. Dann konnte sie richtig wütend werden, was ja auch verständlich war. Denn wer mochte gern Jette die Fette gerufen werden? Wohl kaum jemand. Warum hieß sie eigentlich nicht Merle? Darauf reimte sich immerhin Perle. Hörte sich doch richtig gut an: Merle die Perle.
Die Jungen regten sich über Fußballtore auf, die nicht gefallen waren und warum der Torwart nicht ausgewechselt worden war. Palle konnte sich gar nicht wieder einkriegen.
„Dieser blöde Affe von Torwart sollte lieber auswandern."
Aber wohin wusste er auch nicht zu sagen. Wer wollte schon so einen dusseligen Torwart? dachte er geringschätzig. Das nächste Mal würde er sich das Spiel mit diesem Versager erst gar nicht angucken. Doch wusste er jetzt schon, dass er sich auch ein nächstes Mal das Spiel wieder anschauen würde, denn er war ein Fan dieses in seinen Augen schwachsinnigen Vereins.
Um Punkt acht – denn ihr Klassenlehrer war die Pünktlichkeit in Person - betrat Herr Kieling die Schulklasse. Gleichmütig und betont langsam gingen alle zu ihrem Platz zurück und setzten sich. Herr Kieling begrüßte seine Klasse kurz und nahm vor dem Schreibtisch Platz. Seiner großen schwarzen Aktentasche entnahm er ein Buch mit enormen Ausmaßen, einen Kugelschreiber, ein großes hölzernes Lineal, einen Bleistift und ein Notizbuch und legte alles säuberlich geordnet auf den Tisch. Herr Kieling liebte nichts so sehr wie Ordnung. Schließlich setzte er seine Lesebrille auf und begann sogleich, in dem dicken Wälzer zu blättern und sich Notizen zu machen. Das Fach Geschichte stand auf dem Stundenplan. Für die meisten in der Klasse ein furchtbar eintöniges Thema.
„Herr Kieling, darf ich mal zur Toilette?"
fragte Nick und stand auch schon auf. Herr Kieling schob seine Brille auf die Nase und schaute ihn missbilligend über den Rand seiner Goldrandbrille an. Warum immer während des Unterrichts? wollte er fragen, tat es aber nicht sondern sagte:
„Na geh schon."
Er schlug weitere Seiten in dem dicken Buch um. Die Klasse langweilte sich allmählich und wurde sichtlich unruhig, weil Herr Kieling gar nicht mehr aufhörte zu blättern. Was hatte der eigentlich vor? Sicher brütete er wieder so eine fiese Klassenarbeit aus. Dann kam Nick atemlos zurück in den Klassenraum und flüsterte seinem Tischnachbarn Fiete zu:
„Draußen auf dem Flur tobt vielleicht ein komischer Vogel herum."
Er wollte sich schlapp lachen und hörte gar nicht mehr auf zu kichern. Der Klassenlehrer sah ärgerlich zu ihm herüber, wandte sich jedoch wortlos wieder seiner Lektüre zu.
Fiete aber tat so, als habe er nichts gehört und ließ sich ebenso wie die anderen, die Nicks laute Flüstern auch vernommen hatten, nicht stören. Er starrte mit leerem Blick aus dem Fenster und grübelte darüber nach, wie er sich am besten an seine stille Liebe aus der Parallelklasse heranmachen konnte, ohne sich zu blamieren.
Aber Nick ärgerte sich über Fietes Gleichgültigkeit. Dann eben nicht, dachte er, hockte sich wieder auf seinen