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Der Weg des Vagabunden
Der Weg des Vagabunden
Der Weg des Vagabunden
eBook296 Seiten3 Stunden

Der Weg des Vagabunden

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Über dieses E-Book

Einen Vagabunden, der mit zweifelhaften Elixieren handelt, verschlägt es in die nördliche Wildnis, wo man - wie er hofft - seine Umtriebe noch nicht kennt. Dort wird er unversehens von einem Zauberer rekrutiert, als sich bedrohliche Entwicklungen abzeichnen und das Schicksal der Welt auf dem Spiel steht. Der Vagabund denkt aber gar nicht daran, sich in Gefahr zu begeben. Doch als er eine Elfe kennen lernt und sie zu seiner Geschäftspartnerin macht, entwickeln sich die Dinge anders als geplant ...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum26. Sept. 2016
ISBN9783738085686
Der Weg des Vagabunden

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    Buchvorschau

    Der Weg des Vagabunden - Manfred Lafrentz

    1

    Ein Erdklumpen kam geflogen, und ich duckte mich.

    „Das werdet ihr noch bereuen!", schrie ich.

    Weitere Geschosse der gleichen Art folgten, daneben Obst und Gemüse in verschiedenen Stadien des Zerfalls. Daher zog ich es vor, die Auseinandersetzung abzubrechen und mich davonzumachen.

    Undankbares Gesindel!, dachte ich verbittert.

    Nachdem ich wochenlang versucht hatte, diese Bauern auf den neuesten Stand medizinischer Kenntnisse zu bringen, indem ich meine unfehlbaren Elixiere und Tinkturen für einen Spottpreis geradezu verschenkt hatte, jagten mich diese Hinterwäldler mit empörender Grobheit aus ihrem hässlichen Dorf! Wenn der eine oder andere meiner Kunden sich in tumber Einfalt nicht an die Einnahmevorschriften hielt und dann mit Haarausfall oder Pusteln gestraft wurde – was konnte ich dafür?

    „Lass dich nie wieder in dieser Gegend blicken, du Halunke!, hatte der Dorfbüttel gesagt und tatenlos zugesehen, als der Mob auf gemeinste Weise das Gastrecht mit Füßen trat. „Such dir woanders ein paar Dummköpfe, denen du dein Giftzeug verkaufen kannst.

    Ein Rat, den ich gerne befolgt hätte, nur leider wurden die Dörfer, in denen ich nicht schon auf ähnliche Weise verabschiedet worden war, allmählich knapp. In den größeren Städten des Südens konnte ich mich schon gar nicht mehr sehen lassen, nachdem Missverständnisse und infame Verleumdungen dazu geführt hatten, dass ich an nahezu jeder Straßenecke einen Aushang fand, auf dem sich unfreundliche Worte zu einem unvorteilhaften Porträt von mir gesellten.

    Immer weiter nach Norden hatte mich daher der Drang, den Menschen meine Wohltaten zu erweisen, getrieben, und jetzt befand ich mich schon am Rand von dem, was man gemeinhin für die zivilisierte Welt hielt.

    „Ach was!, sagte ich mir. „Alles Vorurteile! Auch außerhalb der belebten Regionen gibt es sicherlich freundliche Leute, die meiner Hilfe bedürfen, und wenn sie ein bisschen argloser und vertrauensvoller sind als dieses abgebrühte Pack im Süden, dann umso besser!

    Also beschloss ich, mich weiter nach Norden zu wenden, zum großen Grenzwald, in dessen Nähe ich mich ohnehin schon befand. Ich hatte eine vage Idee, dass sich hinter dem Wald eine große Ebene erstreckte, aber Genaueres war mir nicht bekannt. Visionen von endlosem Grasland waren nicht sehr verlockend, aber wenn man keine Wahl hat, leuchtet auch der einzige Weg, der einem offen steht, recht hell.

    Ein Bauer, den ich noch nie gesehen hatte, nahm mich ein Stück auf seinem Pferdekarren mit. Ein Angebot, ihm mein bewährtes, alle Arten von Gicht, Hexenschuss und ähnlichen Beschwerden vertreibendes Generalelixir zu verkaufen – denn seine gebeugte Haltung und seine mühsam wirkenden Bewegungen hatte ich sachkundig zur Kenntnis genommen –, verlief allerdings ergebnislos. Also war anscheinend zumindest ich ihm nicht völlig unbekannt. Ein engstirniger Menschenschlag, wie schon erwähnt, daher genoss ich einfach den Sonnenschein und den sommerlichen Duft nach Heu in diesen letzten Tagen des siebten Mondes und ließ mich in der warmen Luft zwischen Feldern und Obstbäumen in meine ungewisse Zukunft fahren, bis ich absteigen und ihr von da an zu Fuß entgegentreten musste.

    Den Wald hatte ich bald erreicht, doch trat ich etwas zögerlich zwischen die Baumstämme seines äußeren Randes. Ein bisschen arg düster und undurchdringlich kam er mir vor, aber schon bald hatte ich mich an die Umgebung gewöhnt und schritt beherzt zwischen bemoosten Stämmen dahin, ließ mich von Farnen streicheln und lauschte entzückt dem Gezwitscher und Geschnatter der Fauna.

    So sehr genoss ich meine Wanderung durch diese kühlen grünen Hallen, dass mich regelrecht Verachtung ergriff für das verweichlichte und verdorbene Geschmeiß in den Städten, mit dem ich mich so lange hatte abplagen müssen und von dem meine empfindliche und leicht verletzliche Seele so viele schändliche Grausamkeiten zu erdulden gehabt hatte. Nein, dies hier, diese unverstellte Präsenz der natürlichen Ordnung des Lebens war es, der man sich stellen musste, und nur hier konnte man eins sein mit ihr, wie es das Ziel alles menschlichen Daseins sein sollte, dachte ich aufgewühlt und den Tränen nahe.

    Trotzdem war ich froh, als ich die dunkelsten Stellen hinter mir gelassen hatte und sich die Baumreihen allmählich wieder lichteten. Hier und da war mir die Präsenz der natürlichen Ordnung etwas aufdringlich erschienen, vor allem, wenn sie mit einem bedrohlichen Knurren oder verstohlenem Geraschel verbunden gewesen war. Ich hatte nicht vor, mein Streben nach Einssein mit der Natur so weit zu treiben, dass ich es im Wanst eines Untieres verwirklichen wollte.

    So begrüßte ich die sonnendurchfluteten Ausläufer des Waldes, die schon in die Grasebene übergingen, mit der entspannten Freudigkeit, die mit der Verlangsamung vormals rasenden Herzklopfens und dem Trocknen von Angstschweiß auf der Stirn einhergehen.

    Neben einem Baum sah ich einen Mann stehen, mit einem langen Hut auf dem Kopf und einem Stab, auf den er sich stützte. Ich hatte solche Männer früher schon gesehen und nahm an, dass es sich um einen Zauberer handelte. Sie waren leicht zu erkennen, da sie immer wichtigtuerisch mit ihren Stäben herumfuchtelten und ihre Augenbrauen grotesk in die Höhe bürsteten. Dieser hier schien völlig in eine Beschwörung versunken, denn er regte sich nicht. Es empfiehlt sich nicht, einen Zauberer bei der Arbeit zu stören. Das mögen sie nicht, und sie haben auch keine Skrupel, dem Störer entstellende und demütigende Verwandlungen anzuhexen, sodass man womöglich als Frosch mit Vogelbeinen oder als Eichhörnchen mit Krötenkopf durchs weitere Leben watscheln muss. Also trat ich sehr behutsam an ihn heran. Immerhin war ich neugierig, was er in dieser verlassenen Gegend trieb.

    Als ich mich ihm näherte, merkte ich, dass er einfach nur schlief. Der Wind bewegte sacht seinen grauen Kittel und seine ebenso grauen Haare, die aus dem nicht mehr so spitzen Spitzhut herabhingen. Leise und friedlich schnarchte er vor sich hin. Die Regeln für das Wecken von Zauberern waren mir nicht bekannt, also räusperte ich mich vorsichtig. Als nichts geschah, räusperte ich mich etwas heftiger. Der Zauberer zuckte zusammen und öffnete blinzelnd die Augen.

    „Hm …? Was gibt´s?"

    „Seid gegrüßt, Meister!, sagte ich respektvoll und zog meinen Hut. „Ich sah Euch hier so einsam stehen und wollte nicht unhöflicherweise an Euch vorübergehen, ohne Euch meiner Ehrerbietung zu versichern.

    Der Zauberer kratzte sich unter seinem langen Bart. „Das ist sehr freundlich von Euch. Ihr scheint ein wohlerzogener Wandersmann zu sein. Er sah sich um und streckte sich. „Ich wollte eigentlich nur einen Augenblick ausruhen, aber in meinem Alter schläft man leicht ein, wenn man erst mal steht.

    Während er ausgiebig gähnte, wies ich auf meine Schultertasche.

    „Ich habe Eure gebeugte Haltung bemerkt. Ihr habt nicht zufällig Verwendung für ein äußerst wirksames Rückenbalsam, das ich Euch gegen ein geringes Entgelt überlassen könnte?"

    „Nein, nein, mein Freund. Sehr zuvorkommend von Euch, aber nicht notwendig."

    „So ein Zaubermeister wie Ihr, sagte ich verdrossen, „hat sicher viele Möglichkeiten, mit allerlei Zipperlein fertig zu werden …

    Er packte seinen Holzstab fester und hielt ihn hoch. „Ganz recht, ganz recht, Freund! Mit der Kunst, die ich beherrsche, ist man allen anderen immer einen Schritt voraus."

    Was für ein Angeber, dachte ich, nickte aber beifällig und fragte ihn, wohin sein Weg wohl führen mochte.

    „Nun, sagte er, „ich bin unterwegs zum Haus von Lord Sylvan. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich gern begleiten. Allzu weit kann es nicht mehr sein.

    Ich fragte mich, wo in dieser Einöde das Haus eines Lords sein sollte, aber ich hatte sowieso kein rechtes Ziel, und vielleicht erwies sich die Bekanntschaft mit einem hohen Herrn als gewinnbringend. Also folgte ich dem Zauberer.

    Bald hatten wir den Wald endgültig verlassen, und nur noch einzelne kleine Baumgruppen unterbrachen die Eintönigkeit der Grasebene, die sich bis zum Horizont erstreckte.

    „Ihr seid wohl ein guter Bekannter des Lords, wie hieß er gleich?", fragte ich neugierig.

    „Keineswegs. Der Zauberer runzelte die Stirn. „Ich kenne Lord Sylvan gar nicht. Aber es gibt Gerüchte, die von seltsamen Dingen berichten, die in seinem Haus vorgehen sollen, deshalb will ich dort nach dem Rechten sehen.

    „Seltsame Dinge?, fragte ich beunruhigt. „Welcher Art?

    Der Zauberer zupfte an seinem Hut. „Nun, diejenigen, die dorthin gehen, kommen nicht mehr zurück."

    Ich blieb stehen. „Sie kommen nicht mehr zurück? Dann geh ich gar nicht erst dahin." Ich drehte mich um und stapfte davon, aber der Zauberer hielt mich fest.

    „Nun wartet mal, Freund!, rief er beschwichtigend. „Kein Grund, davonzulaufen. Schließlich habt Ihr in mir einen Begleiter, der Eure Sicherheit garantiert. Ein Meister der Magie, wie ich es bin, wird spielend leicht mit jeder Situation fertig, in die wir dort hineingeraten könnten.

    Ich war nicht überzeugt, wollte andererseits aber auch nicht die Gunst eines Meisters verlieren, die ich vielleicht noch zu meinen Vorteil ausnutzen konnte.

    „Ihr seid sicher, dass Ihr gegen alles gewappnet seid?"

    „Natürlich, Freund, vertraut mir!", sagte er, und sein Lächeln war in der Tat beruhigend und Vertrauen erweckend.

    Wir gingen weiter in die Richtung, in der das Haus von Lord Sylvan liegen sollte. Ich war immer noch verunsichert. Schließlich wusste ich nicht mit Bestimmtheit, ob es sich bei dem Burschen wirklich um einen Zauberer handelte oder ob er nur so tat.

    „Vielleicht könntet Ihr mir eine kleine Probe Eurer Kunst vorführen? Nur damit ich weiß, dass Ihr wirklich ein Zauberer seid. Versteht mich nicht falsch, ich glaube Euch natürlich alles, was Ihr sagt. Ich machte ein bekümmertes Gesicht, in dessen Ausdruck ich allen Schmerz legte, den ich durch die Gemeinheit der Welt erfahren hatte. „Aber das Leben hat mich misstrauisch gemacht, versteht Ihr?

    Er sah mich fragend an. „An was denkt Ihr?"

    Ich überlegte und wies dann auf einen niedrigen Busch. „Verwandelt doch einen dieser Zweige in eine blühende Blume. So ein kleines Kunststückchen dürfte Euch nicht schwerfallen, oder?"

    Der Zauberer wirkte nicht erfreut. „So was ist schwieriger als Ihr denkt. Es erfordert höchste Konzentration, und ich will meine Kräfte nicht vergeuden. Wer weiß, was wir …"

    „Nun macht schon!, rief ich ungeduldig dazwischen. „So eine kleine Sache kann doch nicht so schwer sein. Und ich wäre ruhiger, wenn Ihr mir Eure Fähigkeiten beweisen könntet.

    Er kniff ärgerlich die Augen zusammen. „Also gut, also gut!"

    Er hob seinen Holzstab, hielt ihn mit ausgestrecktem Arm in die Richtung des Busches und murmelte unverständliches Zeug. Die Luft schien ein wenig zu flimmern, und als ich danach auf den Busch sah, trug dieser tatsächlich anstelle eines Zweiges einen Stängel mit leuchtend roten Blüten. Es sah auf komische Weise unpassend aus.

    „Alle Wetter!, rief ich lachend. „Das ist ja großartig!

    Der Zauberer strahlte. „Seht Ihr? Seht Ihr?, rief er triumphierend. „Es hat funktioniert! Ich hielt den Stab hoch, so, und sagte einen Zauberspruch, und schon geschah´s. Na also, haha!

    „Ihr scheint ein wenig überrascht, sagte ich verwundert. „Als würdet Ihr das Gelingen Eurer Zauberei eher selten erleben.

    „Was soll das heißen?, fragte er grimmig und hob den Stab gegen mich. „Wollt Ihr meine Meisterschaft bezweifeln?

    „Keineswegs, keineswegs, versicherte ich eilig. „Ihr habt sie eindeutig bewiesen, und ich gehe jetzt zuversichtlicher mit Euch mit.

    Wir gingen weiter, er etwas mürrisch, ich eher verwirrt. Eine Weile sagten wir beide kein Wort, sodass ich begann, mich unbehaglich zu fühlen. So wie es aussah, konnte ich allerdings keinen Rückzieher mehr machen. Er wäre vermutlich beleidigt gewesen, wenn er es nicht schon war, und mit beleidigten Zauberern ist nicht zu spaßen. Ein Eichhörnchen mit Froschbeinen ist keine schöne Existenz.

    Schließlich brach ich zaghaft das Schweigen. „Woher wisst Ihr eigentlich, in welche Richtung Ihr gehen müsst?" Ich konnte auf der Grasebene nichts erkennen, was als Orientierungspunkt hätte dienen können.

    „Gute Zauberer wissen das", knurrte er unwirsch. Aber dann wurde seine Miene etwas freundlicher. Er holte einen Gegenstand aus einer Tasche seines ausgebeulten Gewandes.

    „Seht Ihr? Das ist ein Richtungsstein", sagte er und zeigte mir ein flaches rundes Ding aus grauem Stein, in dessen Mitte sich eine Vertiefung befand, worin ein zitterndes Stäbchen aus Metall immer in die gleiche Richtung wies.

    „Das Stäbchen zeigt nach Norden, sagte der Zauberer und drehte den Stein bis das Zeichen für Norden am Rand des Steins in die selbe Richtung wie das Stäbchen wies. „Von der Stelle aus gesehen, wo wir uns trafen, liegt das Haus von Lord Sylvan nordwestlich, so viel weiß ich. Unsere Richtung stimmt also, und wir müssten bald da sein.

    „Wenn Ihr das sagt. Eigentlich hatte ich es nicht so eilig, diesen verrufenen Ort zu erreichen. Stattdessen hatte ich Hunger. „Ihr habt nicht zufällig etwas Nahrhaftes dabei, das uns erquicken und für den Rest des Weges stärken könnte?, fragte ich hoffnungsvoll.

    Er seufzte. „Also gut, lasst uns kurz rasten und etwas essen."

    Während wir uns aufs Gras setzten, holte er aus einer weiteren verborgenen Tasche seines interessanten Gewandes einen Beutel hervor und reichte mir etwas von seinem Inhalt. Bröckelige Teigfladen und getrocknete Früchte, wie ich verdrossen feststellte.

    „Ihr habt wohl exquisitere Leckereien erwartet?, fragte er, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte. „Wenn Ihr etwas Schmackhafteres zum Mahl beisteuern könnt, dann nur heraus damit!

    „Es ist äußerst wohlschmeckend, versicherte ich eilig. „Und es ist sehr großzügig von Euch, dies mit mir zu teilen. Ich kaute begeistert, um meine Worte zu unterstreichen, und schluckte das trockene Zeug herunter. Viel zu kauen gab es aber nicht, daher brachen wir bald wieder auf.

    Wir waren noch nicht lange unterwegs, als mich der Zauberer am Arm packte und mit der anderen Hand zum Horizont wies.

    „Ich glaube, das ist es", sagte er.

    Ich konnte nur eine Bauminsel erkennen, nicht anders als andere, die immer mal wieder die Grasebene unterbrachen. Aber nachdem wir eine Weile weitermarschiert waren, sah ich, dass mein Begleiter recht hatte. Umstanden von einigen hohen Laubbäumen, befand sich mitten in der Ebene ein Haus, dessen weiße Wände unter dem Grün der Blätter hervorleuchteten.

    2

    An der Vorderfront des Hauses führte eine Treppe zum Eingangstor hinauf. Darüber erhoben sich unregelmäßig rechteckige Aufbauten und Türme, deren höchster weit über das Dach hinausragte. An den Seiten des trotz seiner seltsamen Form geräumig wirkenden Hauses befanden sich niedrigere Anbauten, die nach hinten hinaus lagen und die ich für Stallungen hielt. Das ganze Gebäude wirkte verlassen und still und auf beunruhigende Weise – so empfand ich es jedenfalls – lauernd.

    „Also, sagte ich, als wir im Schatten der Bäume vor dem Tor stehen geblieben waren, „Ihr wollt sicher hineingehen und nach dem Rechten sehen. Ich werde hier auf Euch warten, und wenn etwas ist, macht Euch bemerkbar, damit ich davonlaufen kann.

    „Aber, aber!, Der Zauberer schmunzelte. „Ihr seid doch nicht wirklich so ein Hasenfuß, oder?

    „Ich will einfach keinen Ärger, und wenn ich ihn vermeiden kann, ist es ein Zeichen von großem Verstand, es auch zu tun", sagte ich und wählte beiläufig am Horizont die Richtung aus, in die ich verschwinden wollte.

    „Jetzt lasst uns erst mal hineingehen, oder seht Ihr vielleicht irgendeine Gefahr, die uns droht?" Damit schob der Zauberer mich auf den Eingang zu.

    „Gefahren kann man nicht immer auf den ersten Blick erkennen, und ich habe den Eindruck, sagte ich, während ich mich gegen seine Drängelei zu wehren versuchte, „dass Ihr einfach Angst habt, allein dort hineinzugehen!

    „Ach was!, keuchte er. „Stellt Euch nicht so an! Dabei schob er mich weiter, und während wir so miteinander rangen, stolperten wir über die ersten Treppenstufen. Als wir beide auf unserem Hintern landeten, öffnete sich plötzlich über uns die Eingangstür.

    Der Zauberer schrie, und ich schrie auch – aber nicht so laut wie er –, wir klammerten uns aneinander – er klammerte fester als ich – und starrten gebannt zum Eingang hinauf. Dort war niemand zu sehen.

    „Lasst mich los!, schrie ich. „Ich will hier weg!

    „Nein, nein, Ihr seht doch, da ist nichts!" Er hielt mich fest.

    „Aber drinnen ist etwas! Ich versuchte mich loszureißen. „Warum wäre sonst die Tür aufgegangen?

    „Das war nur der Wind, der durch das Haus pfeift!"

    „Hier weht kein Wind. Da pfeift was anderes!"

    „Jetzt reißt Euch endlich zusammen, oder muss ich Euch mit Magie wieder auf den Pfad der Vernunft führen?" Dabei hob er drohend seinen Holzstab gegen mich.

    Die Drohung wirkte. Ich hatte keine Ahnung, was er mit mir anstellen konnte, und wollte es auch nicht herausfinden. Ich verfluchte voll Selbstmitleid meine Höflichkeit, die es mir nicht gestattet hatte, an dem Zauberer vorbeizugehen, als ich ihn schlafend unter dem Baum hatte stehen sehen – nicht einmal meine Salbe hatte er kaufen wollen! –, und stieg in dem sicheren Gefühl, einem schrecklichen Unheil entgegenzutreten, neben, nein eigentlich vor meinem tyrannischen Weggefährten die restlichen Stufen zur Tür hinauf und trat ein.

    Zitternd und angestrengt ins Ungewisse spähend, durchquerte ich einen Gang, der mich in einen großen, lichtdurchfluteten Raum führte. Das Licht strömte durch breite Fenster in der hinteren Wand des Raumes herein, die Ausblick auf einen entzückenden Garten gewährten. Ganz bezaubert von der Idylle vergaß ich augenblicklich meine Befürchtungen und betrachtete bewundernd die mit kostbaren Stoffen überzogenen Stühle und Liegen, die Tische, einige aus Marmor, andere aus Holz, mit kunstvoll geschnitzten Verzierungen. An den Wänden standen Schränke voller Vasen, Figuren und ähnlich schöner Dinge, die auch überall im Raum verteilt standen, ohne dass dieser überladen gewirkt hätte. Zwischen den Schränken hingen Musikinstrumente und breite Wandteppiche mit szenischen Darstellungen. Ihre Farben leuchteten hell, wo das Sonnenlicht auf sie traf, und glühten geheimnisvoll dort, wo Schatten auf sie fiel. Auch ein Gemälde hing dort. Es zeigte eine ausnehmende schöne und bezaubernden Frau mit einem verklärten, von langen Locken umgebenen Gesicht. Kurz gesagt, die Behausung gefiel mir außerordentlich, und ich war gerade dabei, mir träumerisch auszumalen, wie behaglich und angenehm es sich hier leben ließe, als ich weit hinter mir die Stimme des Zauberers vernahm.

    „Ist da was?", rief er mit zittriger Stimme.

    „Wie man´s nimmt", antwortete ich versonnen.

    Der alte Magier trat mit einem Grunzen ein und riss mich in die Wirklichkeit zurück.

    „Hier ist Unheil geschehen", sagte er.

    Ich hatte keine Ahnung, wie er in dieser Umgebung so eine Behauptung aufstellen konnte, und wollte gerade auf die ästhetischen Vorzüge der Einrichtung hinweisen, als es mich plötzlich eiskalt anwehte, mehrmals und aus verschiedenen Richtungen. Dabei war ein Seufzen und Wimmern zu vernehmen, das mich womöglich noch mehr erschauern ließ.

    „Geister", sagte der Zauberer und packte mich am Arm, denn dieses eine Wort hatte genügt, um mir die Notwendigkeit augenblicklicher, würdevoller, aber zügiger Flucht vor Augen zu führen.

    „Wartet! Wir müssen mit ihnen reden."

    „Wie bitte?, japste ich. „Wir sollen mit Geistern reden? Seid Ihr von allen guten … Ich brach ab, denn die Redewendung schien plötzlich unangebracht.

    Der Alte hob seinen Holzstab. „Sie können uns sagen, was hier passiert ist. Ihre Anwesenheit ist unnatürlich und dürfte nicht sein."

    Das fand ich allerdings auch, aber trotz seines Alters hatte der Mann einen eisenharten Griff, und da ich mich nicht losreißen konnte, musste ich mit ansehen, wie er anfing Beschwörungen zu murmeln und dabei mehrmals seinen Stab auf den Boden zu stoßen. Die Luft vor uns begann zu flimmern, an einigen Stellen des Raumes wurde das Licht der Nachmittagssonne dunstig, bis ich schließlich vermeinte, dort menschliche Umrisse erkennen zu können.

    „Geister dieses Hauses!, rief der Zauberer mit tiefer Stimme. „Erzählt uns, wodurch ihr gebannt worden seid!

    Die flackernden Umrisse – es mögen acht oder neun gewesen sein, durch die Überlagerungen war es schwer erkennbar – wanden sich unruhig hin und her und gaben murmelnde Laute von sich, von denen sich allmählich eine deutliche Stimme abhob.

    „Ihr Herren, hört unser Unglück!", sagte sie. „Dieses Haus gehört Lord Sylvan, ein guter und gerechter Mensch, der den Süden mit seinem geliebten Weib verließ, als dieses sehr krank wurde, und die Einsamkeit suchte, um sich in Studien zu vergraben, von denen er sich die Heilung seiner Gattin erhoffte. Wir waren seine Diener und versorgten dieses Haus, aber wir bekamen ihn immer seltener zu Gesicht. Wir sorgten uns, doch blieb er unzugänglich. Manchmal öffnete er tagelang die Tür seines Studierzimmers nicht. Dann aber starb seine Gemahlin. Lord Sylvan war untröstlich, klagte sich selbst an, weil er versagt hätte, und zog sich wie rasend in sein Studierzimmer zurück.

    Am nächsten Morgen – es mag einen Mond her sein – sprang die Tür auf, und ein Ungeheuer kam heraus, wütete unter uns und fraß uns alle auf. Unsere Seelen aber spie es wieder aus, und seitdem sind wir an dieses Haus gebunden und können die Welt nicht verlassen

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