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In Clanthons Auftrag: Fantasy-Erzählungen um Ghazir en Dnormest
In Clanthons Auftrag: Fantasy-Erzählungen um Ghazir en Dnormest
In Clanthons Auftrag: Fantasy-Erzählungen um Ghazir en Dnormest
eBook337 Seiten4 Stunden

In Clanthons Auftrag: Fantasy-Erzählungen um Ghazir en Dnormest

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Über dieses E-Book

ZWISCHEN MAGIERN, KRIEGERN UND HEXEN

Sein Name ist Ghazir en Dnormest, und er entstammt einem fernen Kontinent. In Clanthon, einem Reich voller Magie und uralter Geheimnisse, reist er im Auftrag des Königs durch das Land: ein Fremder in einem fantastischen Land.
Er kämpft für die »einfachen Leute« und gegen Gefahren, die jenseits seiner Wirklichkeit liegen. Und er sucht nach all der Zeit immer noch seine wahre Bestimmung …

Die »Ghazir«-Geschichten wurden im Verlauf vieler Jahre in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht. Für diese Sammlung wurden sie von Klaus N. Frick noch einmal bearbeitet.
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum18. März 2023
ISBN9783957657909
In Clanthons Auftrag: Fantasy-Erzählungen um Ghazir en Dnormest

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    Buchvorschau

    In Clanthons Auftrag - Klaus N. Frick

    Fantasy-Erzählungen um Ghazir en Dnormest

    Außer der Reihe 76 | Hornsignale 369. Verkündung

    Klaus N. Frick

    IN CLANTHONS AUFTRAG

    Fantasy-Erzählungen um Ghazir en Dnormest

    Außer der Reihe 76

    Dieses Buch erscheint auch als 369. Verkündung der Hornsignale des EinhornClan, einer Arbeitsgruppe FOLLOWs im Fantasy Club e.V. Informationen zum EinhornClan hat Hermann Ritter, hermann.ritter@homomagi.de. Das Einhorn-Logo schuf Christian Seipp.

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © dieser Ausgabe: März 2023

    p.machinery Michael Haitel

    Titelbild: Andreas Schwietzke

    Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

    Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel

    Herstellung: global:epropaganda

    Verlag: p.machinery Michael Haitel

    Norderweg 31, 25887 Winnert

    www.pmachinery.de

    ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 314 7

    ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 760 9

    Einleitung

    Einige Worte zu Ghazir en Dnormest

    Die Welt Magira ist eines der geheimnisvollsten Gebilde in den Weiten des Multiversums: Sie hat keine vier Himmelsrichtungen, sondern sechs, sie besteht gewissermaßen aus einem riesigen Sechseck, dessen Bewohner sich in einem unaufhörlichen Ringen befinden. Reiche kommen und gehen, seltsame Invasoren erscheinen aus dem Nichts und landen an fremden Gestaden, Schwert und Magie führen unaufhörliche Kämpfe.

    Zu den vielen seltsamen Menschen, die Magira bewohnen, zählt Ghazir en Dnormest. Viele Bewohner des Landes Clanthon, in dem er seit langer Zeit lebt, halten ihn für eine Legende, die hinter vorgehaltener Hand erzählt wird: Der schlanke und groß gewachsene Mann fällt vor allem durch seine schwarze Haut auf, durch die er stets zum Außenseiter wird. Er gilt als alterslos, weil er – obwohl er schon seit vielen Jahrzehnten im Land herumreist – immer noch kein Greis ist.

    Zahlreiche Mysterien ranken sich um Ghazir en Dnormest. Geboren wurde er im tiefen Süden von Magira, in einem Land, das sich die meisten Bewohner Clanthons nicht vorstellen können. Esran wird von einem heißen Klima geprägt, von ausgedehnten Wüsten und einer unbarmherzigen Sonne, von einer Religion, in der ein Gott namens Alamut und viele mystische Themen eine wichtige Rolle spielen.

    Dort wuchs Ghazir auf, als Sohn von höchst durchschnittlichen Eltern, in einem Stamm, dessen Angehörige als Nomaden durch die Kieswüsten und steinernen Hochflächen einer Region ziehen, die man als Bekassan bezeichnet. Ghazir selbst zählt zum Volk der Bekassiden, die eine eigenständige Sprache benutzen und nur wenige feste Siedlungen errichtet haben.

    In jungen Jahren errang er recht schnell größeren Einfluss. Ob das damalige Oberhaupt der Bekassiden, der Khad, seine Hand über ihn hielt, wurde nie so richtig klar. Gerüchte, er sei der uneheliche Sohn des Khad, wurden nie bestätigt. Ghazir en Dnormest wurde schnell der Sheik eines kleinen Stammes, später auch der Anführer von vier Stämmen.

    In einem blutigen Konflikt mit ligurischen Stämmen aus der nördlichen Kleinstadt Tarcy – gegen den sogenannten Fliegengott – konnten sich die Bekassiden unter Ghazir en Dnormest halten; weitere Stämme schlossen sich dem Bündnis an. Und nachdem der Khad von Bekassan an der Spitze seiner Panzerreiter in einer Schlacht in der Steppe von Hondanan gefallen war, wurde Ghazir en Dnormest zum Regenten von Bekassan ernannt.

    Damit kam der immer noch junge Mann nicht zurecht. In den politischen Wirren verlor er schnell die Lust; persönliche Entscheidungen und eine Reihe von bis heute ungeklärten Ereignissen kamen dazu. Während Esran in der Bedeutungslosigkeit verschwand, stieg im Norden von Magira das lange Zeit unwichtige Clanthon zur Regionalmacht auf.

    Und es geschah, dass auf einmal ein schwarzhäutiger Mann an der Küste von Clanthon auftauchte, sich sofort mit dem geheimnisvollen Kämmerer des neuen Staatswesens gut verstand und zu einem Mitglied in Clanthons Adel wurde. Er erlebte zahlreiche Abenteuer, hielt sich fern von Intrigen und Regierungsgeschäften und zog ziellos durchs Land.

    Von einigen dieser Abenteuer soll die Zusammenstellung dieser Texte erzählen …

    Die Hexe vom Sumpfwald

    Ich trieb im Wasser, fühlte mich wie losgelöst von aller Mühsal, schwebend und sorgenlos in der Wärme eines Sommertages, und dachte ständig an den Tod. Flammen loderten, Häuser zerbarsten in der Glut, Männer fielen, von Schwertern getroffen, Not und Verzweiflung blieb den Überlebenden. Ich bekam die Gedanken nicht aus dem Kopf, sie trieben durch meinen Geist wie Wellen, die eine schwache Brandung durch den unendlichen Ozean schiebt.

    »Herr!« Die helle Stimme drang nur langsam in mein Gehör. »Herr, was ist mit Euch?«

    Ich öffnete die Augen und musste sofort blinzeln, weil mich die Sonne blendete. Im Wasser drehte ich mich, tauchte kurz unter, um prustend wieder aufzutauchen. Erst da bemerkte ich, wer mich angesprochen hatte.

    Am Ufer stand ein junger Mann, den ich erst seit einigen Tagen kannte. Vor allem seine Schwester, dachte ich und verkniff mir ein Lächeln. Er trug einfache Sommerkleidung, eine dünne Hose und ein schlichtes Wams. Seine nackten Füße waren mit Schlamm bedeckt, also hatte er den kurzen Weg genommen, der am nassen Ufer entlangführte, an der Stelle, wo die Frauen die Wäsche reinigten.

    »Es ist alles in Ordnung, Raimund!«, rief ich zurück. »Ich habe nur nachgedacht.«

    Er verzog das Gesicht, sagte aber nichts. Was ich an Raimund Riemenschneider schätzte, war unter anderem, dass er eine eigene Meinung hatte. Noch mehr aber schätzte ich, dass er mir diese Meinung nicht immer unter die Nase reiben musste. Mir war bewusst, dass er mit meiner Aussage nicht viel anfangen konnte; wer jeden Tag als Bauer und Handwerker hart arbeiten musste, empfand es als seltsam, wenn man sich bewusst auf gelassenes Nachdenken konzentrierte.

    »Ihr habt ausgesehen, als ginge es Euch nicht gut.« Er suchte nach Worten. »Als ob Ihr tot wärt oder bald sterben könntet.«

    Ich grinste und schwamm auf ihn zu. »Keine Sorge!«, rief ich zurück. »So schnell sterbe ich nicht. Auch wenn ich’s manchmal schon selbst geglaubt habe.«

    »Herr?«, fragte er zurück, alle Anzeichen von Verwirrung im Gesicht. Weil ich nicht darauf reagierte, kratzte er sich unschlüssig über die Wangen und über das Kinn, wo er sich versuchsweise einen dünnen Bart stehen ließ.

    Ich hielt weiter auf das Ufer zu, genoss die Sonne und die warme Luft und bewunderte die grüne Wand, die sich vor mir erhob. Der Bach, der das Dorf durchquerte und von einem schroffen Bergzug gespeist wurde, bildete an dieser Stelle einen See, der gut hundert Schritte durchmaß, tief und kühl, ein wunderbarer Ort, sich zu erfrischen.

    Die Leute hier wissen nicht, in welcher Umgebung sie leben dürfen, dachte ich. Wer wie ich jahrelang auf Wüsten aus Stein und Kies, aus Sand und Dreck geblickt hatte, ließ sich immer noch von hohen Bäumen, wuchernden Büschen, überall wachsendem Gras und samtigem Moos begeistern.

    Ich kletterte ans Ufer und richtete mich auf, das Wasser lief an mir hinunter. Damit ich schneller trocknete, stellte ich mich in die Sonne, sprang dort auf und ab und lief auf der Stelle. Bei solchen Gelegenheiten genoss ich es, meine Muskeln zu spüren, den schnellen Atem und die harten Schläge meines Herzens in der Brust. Das alles gab mir das Gefühl, zu leben und dieses Leben verdient zu haben.

    Erst nach einiger Zeit drehte ich mich zu meinem Besucher um. Raimund Riemenschneider stand neben mir, offenbar sprachlos vor Staunen, und starrte mich an, ließ seinen Blick von meinem Kraushaar bis zu den Zehen und zurück wandern.

    »Was ist?«, rief ich und lachte ihn an. »Du siehst aus, als hättest du noch nie einen nackten Mann gesehen!«

    »Noch nie einen, der so …« Er stockte. »Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der komplett mit einer so dunklen Haut bedeckt ist.«

    Ich winkte ab. »Glaub mir, Raimund, unter der Haut fließt das gleiche rote Blut wie bei dir.«

    »Das weiß ich ja, Herr, aber …« Er überlegte offenbar, wie er es ausdrücken sollte. »Ihr seht einfach anders aus als wir, und ich habe Euch noch nicht in kompletter Größe gesehen.«

    »Dann wird’s wohl Zeit, dass ich mich anziehe«, sagte ich lachend. Auf meiner Haut perlten die Wassertropfen, und bis ich in der Sonne trocknete, würde noch einige Zeit vergehen. Aber bevor ich den jungen Mann weiter in Verlegenheit brachte, wollte ich lieber meine Blöße bedecken.

    Mit einem Tuch trocknete ich mich kurz ab, dann zog ich mir eine leichte Leinenhose und ein dünnes Wams über. Um den Hals hängte ich mir das Band mit der silbern glitzernden Scheibe, die ich seit meinem überstürzten Aufbruch aus der alten Heimat mit mir trug. Auch den Waffengürtel band ich um. Nicht weil ich Angreifer befürchtete, sondern weil mir diese Handlung in Fleisch und Blut übergegangen war. Aber ich trug kein Schwert mit mir, sondern nur einen Dolch und ein Messer sowie einen Beutel mit getrocknetem Fleisch.

    Als ich fertig war, nickte ich Raimund Riemenschneider zu. »Du bist aber sicher nicht gekommen, weil du mir dabei zusehen wolltest, wie ich mich anziehe.«

    »Nein. Ich bin hier, weil …« Er suchte erneut nach Worten. »Ihr dürft mich nicht auslachen.«

    »Das werde ich nie tun!«

    »Es geht um eine alte Frau. Wir betrachten sie als Hexe. Sie hat große Macht über den Sumpfwald, und ich glaube, es ist zu viel Macht. Ich glaube …«

    »Du denkst, sie verhext die Leute?«

    Er schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht. Das müssen Hexen ja tun, sonst wären sie keine. Aber ich glaube, dass sie mehr tut. Es sind schon junge Frauen verschwunden, die im Wald nach Beeren gesucht haben, in der Richtung, wo die Hexe ihr Haus hat. Nicht nur aus unserem Dorf, sondern auch in anderen Dörfern im Wald. Und nun habe ich Angst um meine Schwester. Ich glaube, der einzige Mensch, der ihr helfen kann, seid Ihr, Herr.«

    »Woher dieser Zeitdruck?«, fragte ich Raimund, während wir zum Dorf zurückgingen. »Warum kommst du an den See und sagst es mir? Warum kannst du damit nicht warten, bis wir …« Ich hielt inne. »Du willst nicht, dass es deine Schwester erfährt?«

    »Ja.« Er nickte verlegen. »Ich weiß, dass Ihr und sie, und …«

    »Ist es dir nicht recht?«

    Seit gut zehn Tagen hielt ich mich in dem Dorf am Rande des sumpfigen Geländes auf, das sich bis an die Berge erstreckte, die die Grenze zu Tir Thuatha bildeten. Man nannte die Ansiedlung, in der vielleicht dreihundert Menschen lebten, allgemein nur »Sumpfwald«. Ich hatte mich mit einigen der einfachen Leute angefreundet und es geschafft, dass sie ihr Misstrauen mir gegenüber ablegten. Und ich war eine Beziehung mit Jolana Riemenschneider eingegangen.

    Jolana war sogar für eine Clanthonierin groß, sie überragte ihren Bruder um einen halben Kopf. Flachsblondes Haar fiel ihr, oft in Zöpfen geflochten, bis weit über die Schultern hinunter. Sie trug ein schlichtes Kleid aus dünner Wolle, das um ihre Rundungen floss. Im Gegensatz zu anderen Frauen ihres Volkes war sie ein wenig gerundet und nicht so schlank wie viele andere. Das mochte ich, und ich fand sie umwerfend.

    Wenn wir miteinander schliefen, bildeten meine dunkle und ihre sehr helle Haut einen Kontrast, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Fackeln oder Kerzen warfen in dem Gasthaus des Dorfes, in dem ich ein Zimmer bewohnte, ihre zitternden Schatten auf unsere Körper, zeichneten die Linien aus Schweiß nach und ließen mich noch mehr in meiner Lust erschauern. Jolana war schön, und ich liebte es, mit ihr die Nächte zu verbringen. Ob ich sie liebte, das hätte ich nicht zu sagen vermocht.

    »Ich weiß, dass Ihr anders seid, als die Menschen hier bei uns«, sagte Raimund. »Damit meine ich nicht nur, dass Ihr anders ausseht. Ihr verhaltet Euch anders, und man merkt Euch an, dass Ihr viele Erfahrungen gesammelt habt, die wir nicht teilen können.« Er hielt inne. »Ihr habt das Königsheil, damit seid Ihr einer der Herren, die unser Land in eine neue Zukunft führen können.«

    Woher ich dieses Heil hatte, wusste ich nicht. In meinem früheren Leben in Esran, in einem Land voll Hitze und inbrünstig gepflegter Religion, wäre ich nicht einmal auf die Idee gekommen, dass es so etwas gab. Doch in Clanthon galten andere Regeln. Ich gehörte zur Oberschicht eines Landes, von dem ich in den ersten fünfundzwanzig Jahren meines Lebens nicht einmal gewusst hatte, dass es das gab.

    Aber ich hatte gelernt, mir über viele Dinge auf dieser Welt keine weiteren Gedanken mehr zu machen. Manchmal waren die Dinge eben so, wie sie waren, und dem Schicksal, das die Götter oder der Eine Gott für einen bereithielten, konnte man als einfacher Mensch kaum entrinnen.

    »Worauf willst du hinaus, Raimund?« Ich blieb stehen. Rings um uns leuchtete das Meer aus grünen Blättern in allen Schattierungen, so grell und bunt, als hätte ich Rauchkraut zu mir genommen. »Rede bitte direkt und ohne Umschweife!«

    »Meine Schwester … Sie verhielt sich vorhin seltsam, nachdem sie von einem Aufenthalt bei Euch zurückgekommen ist. Zuerst dachte ich, es läge an Euch.« Er unterbrach sich und sah mich verlegen an. »Ich will Euch nichts vorwerfen, Herr, aber ich dachte … Aber ihr Verhalten war wirklich seltsam.«

    »Sprich schon!«

    »Nachdem sie von Euch zurückgekommen war, zeigte sie die üblichen Anzeichen von Fröhlichkeit, die sie immer hat, nachdem sie Euch besucht hat. Sie pfeift dann immer, sie singt Lieder, sie nimmt in bester Laune einen Kräuterextrakt zu sich, und …«

    »Augenblick!«, unterbrach ich. »Welchen Kräuterextrakt denn eigentlich?«

    »Das wisst Ihr nicht?« Raimund starrte mich an. »Den hat sie sich brauen lassen. Damit sie schneller schwanger wird. Sie möchte ein Kind von Euch.«

    Ich staunte. »Aber … es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass ich in diesem Dorf bleibe und mit deiner Schwester die Hausweih feiere.« Ich verschwieg, dass ich darauf wartete, einen Auftrag des Königs zu erhalten, und gerade nichts Besonderes zu tun hatte.

    »Das macht ihr nichts.« Raimund strahlte. »Sie schätzt Euch richtig ein. Aber … bei uns ist es nicht schlimm, wenn eine junge Frau ohne Mann aufwächst und ihr Kind selbst aufzieht. Sie findet trotzdem eine wichtige Rolle in der Gemeinschaft unseres Dorfes, und zu tun haben wir immer genug.«

    »Das glaube ich«, brummte ich. »Aber erzähl mir endlich, wie sich deine Schwester verändert hat!«

    Nun verdüsterte sich sein Gesicht. »Zuerst hörte sie mit dem Pfeifen auf, dann blieb sie mitten in der Stube stehen, steif und starr, als sei sie von einem Blitz getroffen worden. Sie blickte ins Leere, auf einen Punkt irgendwo in der Ecke des Zimmers. Und …« Er fuchtelte hilflos mit den Händen herum. »Dann ging sie los, in genau diese Ecke, aber so, als ob es diese nicht gäbe.«

    »Das klingt nicht nach ernsthaften Schwierigkeiten.«

    »Herr, ich bitte Euch! Wenn das alles wäre, würde ich es Euch auch nicht erzählen. Aber meine Schwester steht immer noch in dieser Ecke, zumindest tat sie das vorhin, als ich bei ihr war. Sie steht da, und sie starrt vor sich hin, sie fühlt sich an, als sei sie innerlich versteift, ihr Gesicht ist wie … ach, seht Euch das alles doch einfach selbst an.«

    Raimund ging schneller, und ich fragte nicht weiter. Manchmal hatte er seltsame Anwandlungen, sprach geradezu träumerisch und vor allem viel zu schnell, als habe er nicht genügend Zeit in seinem Leben. Dann aber wieder war er praktisch veranlagt, konnte jederzeit einen Unterstand im Wald bauen oder ein Tier erjagen, wenn es nötig war. Manchmal wirkte er auf mich, als sei er ein wenig dümmlich, dann wiederum überraschte er mich durch kluge Aussagen, die ich am Hof des Königs von keinem der Höflinge und hohen Offiziere hätte vernehmen können.

    Und nun erkannte ich in ihm und seinen Worten die Sorge um Jolana. Das war kein schlechter Scherz, das war keine Übertreibung, Raimund steckt voll Sorgen und Nöten, und da wollte ich ihm gern helfen. Wahrscheinlich würde sich alles als ganz harmlos erweisen, da war ich mir ganz sicher.

    Das Haus, in dem Raimund und seine Schwester wohnten, erhob sich am Rand des Dorfes, das ich in den vergangenen Tagen gut kennengelernt hatte. Sumpfwald schmiegte sich an einen Hang, öffnete sich zum Tal hin, lag wie ein Haufen von kleinen Häusern und Stallungen entlang der kleinen Bäche, die an dieser Stelle zusammenströmten, gespeist durch Seen in den Hügeln oder Quellen, aus denen ununterbrochen ein kristallklares Wasser sprudelte. Dieses allgegenwärtige Wasser empfand ich immer noch als ein Wunder, und ich konnte nicht genug davon bekommen.

    Sumpfwald war friedlich und in gewisser Weise sehr gemütlich. Die Leute siedelten noch nicht lange hier, die Landnahme war erst vor drei Generationen erfolgt, höchstens. Man traf sich an Markttagen mit den Bewohnern anderer Dörfer, man arbeitete hart im Wald. Manche fischten, manche jagten im Auftrag des Grafen, andere legten schmale Äcker an oder sammelten Waldfrüchte. Die Leute waren nicht wohlhabend, aber sie hatten genug zu essen und zu trinken, und niemand musste Hunger leiden. Ich fand ohnehin, dass die Leute vom Sumpfwald ein gutes Leben führten, ohne die Entbehrungen, wie ich sie in der Wüste kennengelernt hatte.

    Raimund und Jolana hatten das Haus ihrer Eltern übernommen, nachdem diese vor zwei Jahren bei einem Unglück ums Leben gekommen waren. Beide waren jung, aber fleißig, und so hatten sie es verstanden, zusammenzuleben und den kleinen Hof der Eltern weiterzuführen, ohne jeglichen Plan für die Zukunft, aber voll Zuversicht. Raimund wohnte im Untergeschoss, wo er Zugang zu einer kleinen Werkstatt und den Tieren hatte. Jolana verwaltete das Obergeschoss. Dort stand ihr unter anderem ein kleiner Webstuhl zur Verfügung, mit dem sie Kleidungsstücke sowie Decken für die anderen Dorfbewohner und die Märkte herstellen konnte.

    In ihrem Webraum trafen wir sie an. Jolana trug das lange Kleid, das sie meist anhatte, wenn sie durch das Dorf ging. Dann streifte der Saum des Kleides über das Gras, wehte im Wind und bei jeder ihrer Bewegungen, während es am Oberteil eng um ihre Brust geschnürt war und diese so mal verbarg und mal betonte, je nach der Art und Weise, wie sich bewegte. Doch als ich den Raum betrat, stand Jolana vor der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt und den Blick starr in die Ecke gerichtet.

    Ich trat zu ihr. »Jolana, was ist?« Vorsichtig legte ich ihr die Hand auf die rechte Schulter.

    Sie reagierte nicht. Starr blickte sie geradeaus, den Blick in eine unbekannte Weite gerichtet. Ihre Lippen bewegten sich sanft, aber kein Ton war zu hören.

    »So ist sie schon die ganze Zeit«, sagte Raimund leise. Ich hatte nicht einmal mitbekommen, wie er sich neben mich gestellt hatte. Seine Hände waren ineinander verkrallt, als wollte er sich selbst aus Verzweiflung die Finger brechen. »Was können wir da machen, Herr?«

    »Wenn ich das wüsste«, gab ich ebenso leise zurück. Ich beugte mich nach vorne, bis meine Augen nur eine Handbreit von Jolanas Mund entfernt waren. Sie atmete, sie blinzelte, ihre Nase bewegte sich ebenso wie ihr Mund. Wie oft hatte ich sie gestreichelt, wie oft hatte ich sie geküsst, wie oft … Ich verdrängte den Gedanken an die gemeinsamen Nächte. Mit Jolana war etwas geschehen, das ich nicht verstand, was sie aber auf unheilvolle Weise verändert hatte.

    Ich wandte mich zu Raimund um. »Kannst du von Lippen lesen?«

    »Herr?« Er sah mich an, als stünde ich zum ersten Mal in seinem Leben neben ihm.

    »Vergiss es.« Ich winkte ab. Von einem jungen Mann, der in einem Dorf am Sumpfwald lebte, konnte ich nicht erwarten, dass er Kenntnisse besaß, die man an Akademien in Magramor oder in Schulen in Peutin lernte. »Ich kann eure Sprache noch nicht gut genug, und deshalb ist mir unklar, was sie sagt.«

    »Sie sagt doch nichts, Herr.«

    Am liebsten hätte ich die Augen verdreht und verzweifelt zur Decke gestarrt. Aber ich ließ es sein. Raimund hatte nie gelernt, über den Augenblick hinaus zu denken.

    »Doch, sie spricht. Wir hören es nur nicht. Sie bewegt ihre Lippen, als würde sie ununterbrochen das Gleiche sagen. Aber ich kann es nicht erkennen. Bitte …« Ich nickte ihm zu. »Schau du sie dir genau an. Versuche herauszufinden, was sie sagt oder was sie sagen will. Vielleicht wissen wir dann mehr.«

    Ich sah Raimund an, dass ihm unwohl war, aber er folgte meinem Befehl. Vorsichtig neigte er sich zum Gesicht seiner Schwester und betrachtete sie angespannt. Es dauerte einige Zeit, ich wurde langsam ungeduldig. Dann drehte er sich zu mir um.

    »Was ist?«, fragte ich. Am liebsten hätte ich ihn geschüttelt, damit er schneller antwortete.

    »Es ist …« Er unterbrach sich. »Jolana ist eine starke Frau, das merke ich wieder. Sie flüstert die ganze Zeit Euren Namen, und sie erwähnt die Hexe im Sumpf. Sie sei eine Gefahr, und sie bestehle sie, sie zerreiße ihre Seele.«

    »Das hast du so verstanden?«

    »Nicht Wort für Wort. Aber wenn ich alle einzelnen Wörter zusammennehme, dann …« Erneut verknotete er seine Hände. »Wir müssen schnell in den Sumpfwald, Herr.«

    »Wieso diese Eile?«

    »Jolana ist schwanger, zumindest glaubt sie das.« Er lächelte. »Von Euch, Herr. Und sie macht sich große Sorgen um das Kind, sie hat Angst, dass die Hexe auch dem Kind die Seele stiehlt.«

    Ein Kind? Ich musste mich zusammenreißen, um keinen Schrei auszustoßen. »Wir brechen sofort auf, Raimund.«

    Der Weg war beschwerlicher, als ich gedacht hatte. Wir konnten nicht reiten, weil nur schmale Pfade zum Haus der Hexe führten. Also stapften wir hintereinander einen schmalen Fußpfad durch einen Wald, entlang eines Baches, der nie breiter als zwei Schritte war. Raimund ging voran, denn er kannte den Weg einigermaßen.

    »Ich habe die Hexe nie besucht«, sagte er, »aber einige im Dorf machen das immer wieder. Sie versorgen sie mit Nahrung und mit Kleidung, dafür gibt es Kräutertränke und Amulette. Es ist ein reger Handel, der hier im Sumpf betrieben wird.«

    Die Luft wurde feuchter, je weiter wir in den Wald eindrangen. Es war kein Sumpf, wie ich ihn aus den Niederungen entlang der Küste von Tanelorn und Tarcy kannte. Meist handelte es sich um uralte Erde und Blätter, vermengt seit Jahrhunderten, immer wieder vom Regen gesättigt und dabei zu einer dicken Masse aus feuchtem Boden und Wasser angewachsen. Wer einen Fehltritt beging, konnte leicht straucheln.

    Rechts und links des Pfades erstreckte sich ein Dickicht, das bis zu den umliegenden Hügeln reichte und immer dichter wurde. Einzelne Bäume waren von parasitären Pflanzen überwuchert, sodass ich an manchen Stellen nicht mehr unterscheiden konnte, was der eigentliche Baum war und was die Pflanze, die sich über ihn gestülpt hatte.

    Und überall in der Luft lag ein Wispern und ein Flüstern, ein Knacken und ein Knirschen. Es kam mir vor, als bewegten sich nicht nur Raimund und ich durch den Wald, sondern als seien rechts und links von uns Dutzende von Menschen und Tieren unterwegs, eine riesige Karawane von Lebewesen, die sich durch das Unterholz kämpfen, die keuchten und schwer atmeten, die feuchte Blätter aus dem Gesicht schlugen und dabei unterdrückt fluchten.

    »Erzähl mir doch mal, warum ihr eine Hexe in eurer Nähe duldet«, sagte ich zu Raimund Riemenschneider. »Sie macht euch offenbar Ärger, und es sind schon Frauen verschwunden. Da müsstet ihr doch losziehen und sie ausräuchern. Oder ihr gebt eurem Markgrafen einen Hinweis, damit der einige Soldaten schickt. Die lösen diese Schwierigkeit sicher schnell genug.«

    Er hielt an und drehte sich um. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß, die Haare hingen tief in die Stirn. »Es ist nicht so einfach, wie Ihr denkt. Die Hexe ist alt, und die Leute sagen, dass sie schon in der Gegend gewohnt hat, als die ersten Siedler eintrafen. Wir …« Er brach ab. »Ihr werdet sicher sagen, das sei Unsinn, und Ihr habt wahrscheinlich recht. Niemand kann so alt sein, wie wir glauben, dass sie es ist. Aber wenn man alle Geschichten glaubt, ist die Hexe schon über hundert Jahre alt, sie sitzt in ihrem Haus im Sumpfwald und kommt nur selten heraus.«

    »Sie muss doch von etwas leben.« Ich wies auf das Gestrüpp links und rechts. »Wenn sie so eine alte Frau ist, wird sie wohl kaum auf die Jagd gehen.«

    »Es ist so …« Er klang unschlüssig. »Sie wird versorgt. Immer wieder wohnen Helfer und vor allem Helferinnen auf ihrem Gelände, die sie unterstützen. Und wer von ihr einen Trunk braucht – das kommt öfter vor, als Ihr denkt –, damit er oder sie gesund wird oder damit die Schwangerschaft einer jungen Frau gut verläuft, der geht dann eben zu ihr, kauft etwas oder bestellt etwas, und er muss bezahlen.« Raimund hob die Schultern. »Manchmal sieht die Bezahlung eben so aus, dass dieser Jemand sich verpflichtet, der Hexe ein Jahr lang jeden zweiten Tag ein Brot zu bringen oder geräuchertes Fleisch.«

    »Das klingt nicht so, als ob sie reich wäre.«

    »Ihr werdet es sehen, Herr. Sie legt kein Geld auf Gold und Silber, wenn Ihr das meint. Das scheint nicht in ihrem Sinn zu sein. Das Leben im Sumpfwald ist selbst für eine Hexe nicht einfach, vor allem in der kalten Jahreszeit.« Er wies in die Richtung, in der das Gebirge aufragte. Sehen konnten wir es von unserer Lage aus nicht. »Wenn die Stürme von den Bergen herunterkommen, ist auch sie in Gefahr, eingeschneit zu werden oder zu erfrieren.«

    »Du kannst mir viel erzählen, Raimund.« Etwas an der Geschichte gefiel mir nicht. »Wenn diese Hexe nur Kräuter braut und sich für die kleinen Beschwerden der Dörfler hier in der Gegend einsetzt, kann sie nicht gefährlich sein. Schaue ich mir aber Jolana

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