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Manchmal trägt der Teufel weiß
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eBook308 Seiten4 Stunden

Manchmal trägt der Teufel weiß

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Über dieses E-Book

Nach einem Arztbesuch gerät das Leben der jungen Sara völlig aus den Fugen. Sie tötet in Notwehr einen Mann und flieht, ohne zu wissen, dass sie bereits ins Fadenkreuz einer illegalen Organisation geraten ist, die Unglaubliches plant. Es beginnt ein verzweifelter Kampf ums Überleben, bei welchem Sara nur von einem Medizinstudenten unterstützt wird.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum10. Nov. 2013
ISBN9783847660866
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    Buchvorschau

    Manchmal trägt der Teufel weiß - Andreas Dürr

    Lesermeinungen

    * »Eine aktuelle, packende Story, ereignisreich und voll atemloser Spannung von der ersten bis zur letzten Zeile – ein idealer Filmstoff.« Dr. med. M.H.

    * »MANCHMAL TRÄGT DER TEUFEL WEISS ist in einigen Passagen sehr gewagt – fast am Rande eines Tabubruches. Aber gut! Sehr, sehr gut!« Markus F./Bauingenieur

    * »Absoluter Spitzenroman, den man nicht mehr aus der Hand legt, bevor nicht der letzte Satz gelesen ist.«

    Roland M./Arzt

    Manchmal trägt der Teufel Weiß ist ein fesselnder Roman, der den Leser in atemberaubendem Tempo von Ereignis zu Ereignis katapultiert.« Julia B./Reiseleiterin

    *»Temporeicher, dramatischer und unheimlich fesselnder Roman. Besser geht`s nicht.« Gerd R./Architekt

    Zitat des Lektors (Basis-Lektorat):

    »Insgesamt … finde ich, dass ihr Roman … einer der besten ist, den ich bisher überarbeitet habe.

    1

    Die Sonne stand senkrecht über den niedrigen Häusern, die am Rand einer schmalen Straße standen. Häuser, welche die Bewohner vor vielen Jahren mit roten Ziegeln gedeckt und deren Fassaden sie damals bunt gestrichen hatten.

    Nur einige Häuserblocks weiter erstreckte sich eine breite, vor Hitze flimmernde, verstaubte Straße in sehr schlechtem Zustand. Auf dem Gehweg standen in regelmäßigen Abständen die verwitterten Holzmasten der Stromleitungen. Die Gebäude in dieser Gegend waren lieblos und äußerst einfach. Teilweise sah es aus, als hätte man in Doppelgaragen Eingangstüren gebaut und darüber eine Hausnummer genagelt. Jedenfalls konnte man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass die Erbauer keine Architekten bemüht hatten. Nur die spärliche Bepflanzung einiger Vorgärten sorgte dafür, dass dieses Viertel nicht gänzlich in Trostlosigkeit verfiel.

    Der fünfjährige Ricardo hüpfte an einem Gartenzaun entlang. Er hielt einen kleinen knorrigen Stock in der Hand, den er im Vorbeigehen über die Latten streifte, sodass dabei ein knatterndes Geräusch entstand. Es sah so aus, als würde er gleich eine seiner Sandalen verlieren, die sich bei seinen Luftsprüngen etwas von den Fußsohlen lösten. Seine beige kurze Baumwollhose hätte, genauso wie das gelbe T-Shirt, jedes Waschwasser in eine schwarze undefinierbare Brühe verwandeln können. Er war ein Junge aus einfachen Verhältnissen, so wie die meisten Leute hier, die alle sehr arm waren. Viele hatten Mühe, den täglichen Unterhalt zu verdienen, und somit fanden einige den Weg in die Kriminalität. Hier in Juarez tobte seit einiger Zeit ein unbarmherziger Drogenkrieg, dem viele Menschen zum Opfer fielen.

    Ricardo bekam von alledem noch nichts mit. Seine Eltern liebten ihn über alles und vergangenes Jahr war es ihnen sogar möglich gewesen, die notwendig gewordene Polypen-Operation im hiesigen Krankenhaus zu bezahlen. Ricardos Vater konnte dies durch Überstunden, die er in einer Autowerkstatt leistete, erwirtschaften. Die Eltern hatten sich vorgenommen, ihm die beste Schulbildung zu ermöglichen, damit er später einen guten Beruf erlernen könne. Dafür verdiente die Mutter in einer Wäscherei etwas hinzu, was allerdings den Nachteil mit sich brachte, dass ihr Junge Zeit fand herumzustromern. Ricardo lebte in seiner verträumten Kinderwelt, er bekam nichts mit von Drogenkrieg, Mafia, Entführungen und Morden. So bemerkte er auch nicht, dass er seit geraumer Zeit von zwei zwielichtigen Typen verfolgt wurde, die ihn aus einem Jeep heraus beobachteten. Ricardo entfernte sich vom Gartenzaun und näherte sich der Straße. Er bewegte sich immer noch hüpfend vorwärts, wobei sich der eine Fuß auf der Fahrbahn, der andere auf dem Gehweg befand.

    Der Jeep brauste in hohem Tempo heran und stoppte abrupt neben dem Jungen. Dabei wirbelte das Fahrzeug eine dichte Staubwolke auf, durch die man nur schemenhaft erkennen konnte, wie ein Mann heraussprang, den kleinen Ricardo schnappte und ihn ins Fahrzeug stieß. Das Ganze hatte nur wenige Sekunden gedauert. Der Jeep raste davon und hinterließ am Ort des Verbrechens lediglich eine Staubwolke. Nur der kleine knorrige Stock, den Ricardo als Spielzeug benutzt hatte, blieb auf dem Bordstein zurück.

    Claire Bennett brachte ihren roten Chevy Spark direkt hinter Ryans Fahrzeug am Bordsteinrand zum Stehen. Sie löste ihren Sicherheitsgurt, blickte kurz in den Rückspiegel, öffnete die Tür und schälte sich aus ihrem Sitz. Sie ging rasch auf Ryans weißen Ford zu, aus dem er gerade ausstieg. Ihr schwarzes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und bildete einen deutlichen Kontrast zu ihrem blauen Halbarmshirt mit dem Aufdruck Pueblo Police Departement am Ärmel. Über ihren schlanken Hüften hatte sie, leicht nach hinten versetzt, ein Holster angebracht, in dem ein 38er Colt steckte.

    Ryan Mulroy war gerade am Heck seines Wagens angekommen, da war Claire schon bei ihm. Als sie sich so gegenüberstanden, hätte man denken können, sie seien Geschwister – gleiche Kleidung, beide gebräunte Haut, ebenmäßige Gesichtszüge und dunkles Haar. Ryan überragte Claire um gut einen halben Kopf und natürlich trug er auch keinen Pferdeschwanz, was ihm auch bei allergrößter Mühe nicht gelungen wäre – er hatte kurz geschnittenes Haar.

    Morgen, Ryan. Wartest du schon lange? Claire wartete die Antwort nicht ab und sah stattdessen auf seinen Wagen.

    Sag mal, wie lange dauert das eigentlich noch, bis wir endlich unseren Dienstwagen bekommen?, fragte sie.

    Noch mindestens eine Woche, meint der Captain. – Drehen wir eine Runde!

    Ryan ging Richtung Gehweg. Claire wollte ihm folgen, da fiel ihr plötzlich etwas ein – sie hielt abrupt an und rief: Warte!

    Sie ging geschwind zu ihrem Fahrzeug, öffnete es und griff nach einem Gegenstand, der auf dem Beifahrersitz lag. Sie stand augenblicklich wieder bei Ryan, der sie fragend ansah. Claire strahlte ihn an, als sie ihm ein kleines Etui überreichte.

    Hier, Ryan. Für Noel – er hat doch heute Geburtstag.

    Ryan lächelte, nahm die kleine Schachtel, hielt sie an sein Ohr und schüttelte sie ein wenig, so als könnte er dadurch erraten, was sich darin befand.

    Ryan, warum machst du? s nicht auf?

    Ryan sah ihr kurz in die Augen, dann öffnete er das Etui und holte einen kleinen Anhänger heraus.

    Claire sah ihn gespannt an. Du musst die Rückseite anschauen!

    Ryan drehte den Anhänger um und las: NM – Noel Mulroy. Er freute sich sichtlich, denn seine Augen schienen noch heller zu strahlen, als sie es sonst ohnehin schon taten.

    Du bist ein Schatz, Claire. Noel wird sich sehr darüber freuen. Ich geb’ ihn ihm gleich heute Abend.

    Dann legte er das Amulett vorsichtig ins Etui zurück, so als hätte er Angst, er könnte es mit seinen Fingern zerbrechen. Dann schien er für einen kurzen Augenblick abwesend zu sein. Claire, die mit Ryan seit drei Jahren Streife fuhr, entging sein nachdenkliches Gesicht keinesfalls. Sie hatten beruflich miteinander schon einiges erlebt. Auch privat war sie des Öfteren bei den Mulroys oder mit Ryan nach Dienstschluss noch auf ein Bier in einem der zahlreichen Lokale im Zentrum von Pueblo, deren Wirte auf ihre Gäste warteten.

    Ist es sehr schlimm? In Claires Stimme klang viel Mitgefühl.

    Ryan hob die Schultern. Er war niemand, der übermäßig viele Worte machte, schon gar nicht bei privaten Dingen. Er war bei seinen Kollegen beliebt, denn er hatte immer ein offenes Ohr, wenn es darum ging, jemandem zu helfen, der in Not geraten war, oder weil er bei einem Umzug einfach mit anpackte und auch bereit war, dafür ein halbes Wochenende zu opfern. Wenn es allerdings um seine eigenen Probleme ging, dann schwieg er.

    Dabei war Claire eine Ausnahme. Zu ihr hatte er ein ganz besonderes Verhältnis und uneingeschränktes Vertrauen, welches bereits durch mehrere Einsätze im Dienst gestärkt worden war. Die vielen Gespräche, die er mit Claire nach Dienstschluss geführt hatte, gingen weit über das hinaus, worüber sich ihre Kollegen üblicherweise untereinander unterhielten. Ryan schaute in Claires hübsches Gesicht.

    Der Scheidungstermin ist in ungefähr einer Woche.

    Wenn du jemanden zum Reden brauchst … Claire sah ihm dabei aufmunternd in die Augen.

    Danke, Claire. Es geht schon.

    Ryan packte das Etui für seinen Sohn in seine Hosentasche und startete mit Claire in den Arbeitstag. Kurz nachdem sie in eine Seitenstraße abgebogen waren, deutete Claire diagonal auf die andere Straßenseite und Ryan signalisierte ihr durch ein kurzes Nicken, dass er die Situation erkannt hatte. Claire überquerte die Straße, während Ryan ein Stück weiter geradeaus ging.

    Ein Mann hockte auf dem Boden des Gehweges. Er verschob flink drei Nussschalen. Dabei hob er eine Schale an, sodass man darunter eine Erbse sah. Er drehte die Nussschalen wieder um und verschob noch mehrfach deren Standort. Dies machte er allerdings so langsam, dass man genau verfolgen konnte, wo sich die Erbse befand. Um ihn herum standen mehrere Leute. Ein junger Mann setzte 200 Dollar als Einsatz. Dann hob er eine Nussschale, unter der sich dann tatsächlich die Erbse befand.

    Der Hütchenspieler nahm ein Bündel Geld aus der Tasche und zählte 200 Dollar ab, die er dem Gewinner übergab.

    Ein Passant, der das Spiel zuvor beobachtet hatte, glaubte, er könne sich auch auf leichte Art Geld verdienen und setzte hundert Dollar.

    Der Hütchenspieler erhob sich und zählte seinerseits 100 Dollar ab, ließ aber dabei einen Schein herunterfallen. Der Gewinner von vorher hob den Schein auf und trat kurz zwischen die beiden. Der Hütchenspieler nutzte die Situation und verschob mit seinem Fuß geschickt die Nussschalen. Der Passant, der dies nicht bemerkt hatte, beugte sich hinab und drehte die Nussschale um, unter der er die Erbse sicher vermutet hatte. Natürlich lag sie nicht darunter.

    Augenblicklich erkannte der Passant, dass man ihn soeben getäuscht hatte.

    Das ist doch Betrug!, schrie er. Der Gewinner von vorhin, der noch immer neben dem Verlierer stand, riss ihm den Hundertdollarschein aus der Hand. Der Betrogene versuchte, den Schein wieder zurückzuholen, doch dazu hatte er keinerlei Chance. Im Gegenteil. Es stellte sich heraus, dass der Hütchenspieler und der Gewinner von vorher gemeinsame Sache machten und ihn wegstießen. Mit weiteren Drohungen schlugen sie ihn in die Flucht und er suchte das Weite. Claire, die mittlerweile nur noch wenige Meter von den Betrügern entfernt war, lief ohne Umweg auf sie zu. Einer der beiden entdeckte sie und warnte seinen Kumpan. Die Spieler drehten sich sofort um und rannten vor ihr in die entgegengesetzte Richtung weg. Doch schon nach wenigen Metern trafen sie auf Ryan, der direkt auf sie zugelaufen kam. Sie stoppten augenblicklich und zögerten einen Moment. Als sie erkannten, dass sie wegen des dichten Verkehrs die Straße nicht überqueren konnten, rannten sie wieder zurück, preschten geradewegs auf Claire zu und wollten sie brutal umrennen.

    Als der erste auf ihrer Höhe war, wich sie geschickt aus und stellte dem Mann ihren Fuß in den Weg, sodass dieser der Länge nach auf den Asphalt knallte. Der zweite stoppte kurz vor ihr, holte mit der rechten Faust aus und schlug zu. Claire bückte sich und der Schlag ging ins Leere. Sie packte blitzschnell zu und drehte den Arm des Angreifers nach hinten. Der Angreifer schrie vor Schmerz laut auf.

    Claire legte ihm die Handschellen an. In der Zwischenzeit hatte Ryan den zweiten Mann erreicht, der sich wieder vom Boden hochgerappelt hatte, und legte auch diesem die Handfesseln an.

    Ryan packte ihn unsanft an und schob ihn zu seinem Kumpan. Ryans Ton war leicht genervt, als er wieder neben Claire stand.

    Was machen wir nun mit denen? … Ich hab’ heute noch nicht mal ‘nen Kaffee gehabt.

    Claire war offensichtlich auch nicht danach zumute, seitenlange Berichte zu schreiben. Wegen so was hab’ ich auch keine Lust auf Papierkram.

    Sie sahen sich kurz an und nicken sich zu. Ryan ging auf die zwei Ganoven zu, öffnete beiden die Handschellen und drehte sich zu Claire um.

    Wie viel?

    Hundert.

    Ryan hielt den zweien die offene Hand hin.

    Na los, macht schon!

    Einer der beiden zückte widerwillig einen Einhundertdollarschein. Ryan steckte ihn ein und trat beiseite.

    Wenn wir euch hier jemals wiedersehen, dann buchten wir euch für eine ganze Weile ein.

    Die zwei sahen zuerst auf Ryan, dann blickten sie sich gegenseitig kurz an, um sich dann schnellstens aus dem Staub zu machen. Für Claire hatten sie nur einen finsteren Blick übrig.

    Gehen wir einen Kaffee trinken!, sagte Claire.

    Auf dem Weg zu einem Straßencafé trafen sie den zuvor betrogenen Passanten, der die Geschehnisse der vergangenen Minuten aus sicherer Entfernung mit angesehen hatte. Er schaute mit betretener Miene den zwei Beamten entgegen.

    Ryan streckte ihm den Hundertdollarschein entgegen und

    sagte:

    Das vorhin war Ihnen hoffentlich eine Lehre für die Zukunft.

    Der Passant nickte und bedankte sich bei den Beamten.

    2

    Nina und Cloe, zwei junge Frauen, saßen auf der Veranda einer Eisdiele und tranken Kaffee. Sie unterhielten sich über all die banalen Dinge, über die sich viele Frauen im Alter von achtzehn oder neunzehn Jahren zu unterhalten pflegten, die da wären: Aktuelle Kinofilme, hippe Frisuren, der unmögliche Haarschnitt einer unbeliebten Bekannten, der Dauerkonflikt mit zumindest einem Elternteil oder wo man sich Abends treffen wolle, um Party zu machen. Ninas Gesicht erstarrte angewidert, als sie erkannte, dass eine junge Frau die Straße heraufgelaufen kam. Es war Sara, zwanzig Jahre alt, blonde schulterlange Haare, sportliche Figur. Sie bestellte sich ein Eis und wollte sich an den Nachbartisch von Nina und Cloe setzen.

    Da kommen nachher noch unsere Freunde, meinte Cloe.

    Sara sah kurz zu den beiden hin und ging dann wortlos zum nächstgelegenen Tisch. Da hörte sie Nina sagen:

    Da ist leider auch besetzt.

    Sara sah böse zu den beiden hinüber, nahm ihr Eis und ging bis ans Ende der Veranda, setzte sich hin und probierte ihr Bananeneis.

    Sara bemerkte, wie die beiden am Ende der Veranda ihre

    Köpfe zusammensteckten und miteinander tuschelten. Es war offensichtlich, dass es dabei um sie ging. Seit etwas mehr als drei Jahren war Sara für Nina ein rotes Tuch. Damals hatte Nina einen Freund aus der Oberstufe. Nicht, dass sie unsterblich in ihn verliebt gewesen wäre, doch ihr Ego war erheblich verletzt worden, als er sich von ihr abwendete und sein Interesse ausschließlich Sara galt, die dieses nicht erwiderte. Dennoch gab es für Nina eine Person, die sie hasste, und sie ließ sich einiges einfallen, um Sara bei anderen unbeliebt zu machen. Sara hingegen war es ziemlich egal, was andere über sie dachten. Sie löffelte weiterhin ihr Eis, während sie in die Weite blickte.

    Ab und zu kam jemand vorbei oder ein Auto fuhr vorüber.

    Nach zwanzig Minuten stand Sara auf, warf ihren Pappbecher in den Papierkorb und ging, ohne die beiden weiter zu beachten. Cloe sah ihr mit abschätziger Miene hinterher.

    Endlich ist sie weg!, sagte sie.

    Nina beugt sich über ihren Kaffee und sagte nur: Schlampe!

    Am Horizont türmte sich eine Staubwolke auf, die immer größer wurde und rasch heranwalzte. Nach kurzer Zeit erkannte man einen schwarzen Jeep, der vor dem Eingang einer Hazienda anhielt. Der Fahrer stieg aus, rückte seine Sonnenbrille zurecht und lehnte sich gelangweilt an das Fahrzeug. Die Beifahrertür öffnete sich. Ein braungebrannter, schlanker Mann mit ärmellosem T-Shirt trat ins Freie. Auf seinen Armen trug er den kleinen Ricardo, der offensichtlich bewusstlos war, und legte ihn auf der Veranda ab. Dann begab er sich zu einem eingetopften Kaktus, schob ihn ein wenig beiseite, holte eine Messingbüchse hervor, öffnete sie, griff hinein und nahm ein Bündel Dollarscheine heraus, das er in die Höhe hielt, sodass sein Kumpan sehen konnte, dass sich die Fahrt wieder einmal gelohnt hatte. Nachdem sie beide wieder ins Fahrzeug eingestiegen waren, rauschten sie davon. Wenig später öffnete sich die Haustür und der Junge wurde hineingetragen.

    Sara ging geradewegs auf ein mächtiges Backsteingebäude zu, über dessen Eingang in großen Buchstaben ST. JOSEPHS HOSPITAL zu lesen war. Sie betrat das Haus, welches sich im Inneren wesentlich von der Außenansicht unterschied. Die Wände im Eingangsbereich waren allesamt in sterilem Weiß gehalten, am Boden hatte man weiße Fliesen mit grauer Marmorierung angebracht, selbst die Anmeldungstheke aus Kunststoff, die fast im Zentrum dieser überdimensional großen Eingangshalle stand, strahlte in hochglänzendem Weiß.

    Sara schritt an der Theke vorüber und betrat eine breite Treppe aus massiven Marmorstufen, die am Ende des Foyers nach oben führte.

    Als sie die zweite Etage erreicht hatte, schritt sie einen Gang entlang. Mehre Türen führten dort in angrenzende Räume, der Gang war wie leergefegt, nur eine Krankenschwester kam ihr entgegen. Als sie am Ende angelangt war, hielt sie vor einer Tür, an welcher die Aufschrift Dr. Spack – Chefarzt zu lesen war. Sie holte nochmals tief Luft, dann klopfte sie an. Nachdem sie hereingebeten wurde, betrat sie das Sprechzimmer.

    Ein fast zwei Meter großer Mann kam aus einem Nebenraum, setzte sich an seinen Schreibtisch und kramte in einem Stapel Papier. An seinem weißen Kittel steckte ein kleines Schild mit der Aufschrift Dr. Spack. Seine Haare waren leicht angegraut, obwohl er erst Mitte vierzig war. Sara sah in stahlblaue Augen, über die eine Stirn von immenser Größe in die Höhe ragte. Sara, die sonst selten vor etwas Respekt hatte, bemerkte, wie ein seltsames Gefühl in ihr aufstieg, das sie einerseits dem Ausgang dieses Termins und andererseits der übermenschlichen, fast furchterregenden Intelligenz, die Dr. Spack ausstrahlte, zuordnete.

    Ah, ja. Logan. Sara Logan, sagte er mehr zu sich selbst, um dann freundlich, aber bestimmt fortzufahren: Bitte nehmen Sie doch Platz.

    Er bot ihr den Stuhl an, der auf der gegenüberliegenden Seite des Schreibtisches stand. Sie ließ sich dort wortlos nieder.

    Der Arzt hielt ein Stück Papier in seinen Händen und las. Dann räusperte er sich und sah ihr in die Augen.

    Die Untersuchung ist abgeschlossen. Frau Logan, es ist so …

    Während der Arzt zu Sara sprach, ertönte von draußen ein lauter Knall. Einige Zimmer weiter hatten ein Pfleger und eine Krankenschwester wegen eines Notfalls eilig einen Raum verlassen und dabei die Tür so heftig ins Schloss fallen lassen, dass es weithin zu hören war. Gleich darauf verließ auch eine Ärztin ihr Zimmer, um zum selben Patienten zu eilen. Danach herrschte im Gang vor Dr.

    Spacks Sprechzimmer absolute Leere und die übliche Stille

    war wieder eingekehrt.

    Dr. Spack, der mittlerweile, genau wie seine Patientin, aufgestanden war und jetzt neben Sara stand, überreichte ihr einen Umschlag mit den Worten:

    Warten Sie nicht zu lange mit ihrer Entscheidung.

    Sara nickte, als würde sie es sich überlegen, nahm den Umschlag entgegen und verließ den Raum.

    Dr. Spack sah ihr hinterher bevor er die Tür schloss, zum Telefon griff und eine Nummer eintippte.

    In einem Stationszimmer der ersten Etage des St. Josephs Hospital hatten sich Schwestern, Pfleger und einige Stationsärzte zu einer Kaffeepause eingefunden. Die in der vergangenen Nacht geglückte Reanimation einer Sechsundachtzigjährigen wurde zum Hauptthema auserkoren. Die meisten saßen an einem Tisch, auf dem in der Mitte eine Kanne dampfenden Kaffees thronte. Einige lehnten stehend an einer Schreibablage oder am Aktenschrank und schlürften ihren Coffein-Drink aus Pappbechern.

    Das Stationszimmer hatte breite Glasfronten zu den sich dort kreuzenden Fluren, sodass man das Stationsgeschehen gut überblicken konnte.

    Eine der Schwestern war gerade dabei, den anderen mitzuteilen, wie das Ganze wohl ausgegangen wäre, wenn nicht ihre Kollegin, die Nachtdienst hatte, den Herz-Kreislauf-Stillstand der alten Dame sofort entdeckt und den Defibrillator angeschlossen hätte. Da ertönte laut die Melodie Gangnam Style von Psy. Eine Hand nahm das

    Handy auf und führte es zum Ohr.

    Ja, hier Abteilung drei.

    Der Mann hörte gespannt zu, während er seinen rechten Fuß, der in einem braunen Cowboystiefel steckte, auf einen Hocker neben sich stellte. Der Stiefelschaft trug ein nicht identifizierbares, verschnörkeltes Muster. Dabei sah er, wie auf dem Flur gerade Sara vorüberging. Er sagte ins Telefon:

    Sie kommt gerade hier vorbei. Ja, ist gut, wir werden uns darum kümmern.

    Ist was?, fragte einer der Anwesenden und blickte ihm irritiert hinterher, denn er hatte das Stationszimmer schnell verlassen, nur um davor stehenzubleiben und eine Nummer von seinem Handy aus anzuwählen.

    Sara ging einen verlassenen Feldweg entlang, der beiderseits von Getreidefeldern gesäumt war. Sie schlenderte gedankenversunken und ohne jede Eile auf dem schmalen Weg. Plötzlich hielt sie an, sah sich um, teilte die Ähren und verschwand im Getreidefeld. Nach fünf, sechs Metern ging sie in die Hocke und verschaffte sich Erleichterung.

    Wenige Minuten später sprang sie mit einem Satz wieder auf den Weg, um ihren Heimweg fortzusetzen. Genau in diesem Moment musste ein Radfahrer seinen Lenker herumreißen und fuhr auf der anderen Seite ins Feld. Nach einigen Metern fiel er zur Seite und landete unsanft auf dem Boden, umgeben von goldenen Feldfrüchten.

    Sara erschrak, denn ihr war bewusst, dass sie alleine Schuld daran trug, daher wollte sie nachsehen, ob etwas Schlimmeres passiert war. Bevor sie bei dem jungen Mann ankam, hörte sie ihn brüllen: Auhh. So eine dumme Kuh. Ahh.

    Dann stand Sara vor ihm und sah zu ihm hinunter. Der Mann hatte die Jeans hochgeschoben und hielt sich seinen Knöchel. Das Fahrrad lag noch immer halb über ihm, sein Gesicht war schmerzverzerrt, seine kurzen, dunkelbraunen, leicht lockigen Haare waren durch den Sturz etwas zerzaust. Er blickte verärgert zu Sara hoch, fasste sich wieder an seinen verletzten Knöchel und versuchte, aufzustehen. Doch es gelang ihm nicht. Plötzlich wurde das Fahrrad, welches eben noch auf ihm gelegen hatte, wie von Geisterhand von ihm weggehoben. Nachdem Sara das Fahrrad beiseitegelegt hatte, beugte sie sich hinunter und betastete Ricks Knöchel.

    Er sah fassungslos in ihr wunderschönes Gesicht und atmete für einen Augenblick den Duft eines Parfums ein, welches Sara hin und wieder dezent hinter ihre Ohren tupfte. Es war sehr teuer,

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