Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Drachenkinder: Fantastischer Roman
Drachenkinder: Fantastischer Roman
Drachenkinder: Fantastischer Roman
eBook325 Seiten4 Stunden

Drachenkinder: Fantastischer Roman

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Schwerpunkt dieses fantastischen Romans liegt trotz der vielen Abenteuer in dem gefühlsbetonten Erleben des Helden, der alles andere als ein Held im klassischen Sinn ist. Immer stärker entstehen in ihm Zweifel an den Worten der Alten, und er will nicht mehr blindlings glauben, sondern den Sinn des Überlieferten verstehen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. Okt. 2015
ISBN9783738043358
Drachenkinder: Fantastischer Roman

Mehr von Wulf Köhn lesen

Ähnlich wie Drachenkinder

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Drachenkinder

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Drachenkinder - Wulf Köhn

    Der Heuler

    Und der Drache trat vor das Weib, das gebären sollte,

    auf dass, wenn sie geboren hätte, er ihr Kind fräße.

    Offenbarung des Johannes, 12:3

    Trent erwachte und öffnete die Augen. Die Dunkelheit in der Hütte war fast voll­kommen. Durch einige Ritzen der geflochtenen Wände schimmerte das fahle Licht des Silbernen Wächters. Trent wusste zunächst nicht, was ihn geweckt hatte, doch er war unruhig. Es musste etwas Wichtiges sein. Langsam schweifte sein Blick durch das Dun­kel seiner Umgebung. In den Ecken der Hütte knackte es leise, und wenn er sich bewegte, knarrten die Zweige seiner Schlafstatt. Der schwere Pelz, der ihm Wärme während des Schlafes gegeben hatte, raschelte leise bei jeder Bewegung, als würde der Wulp noch leben. Es waren alles bekannte Geräusche, die ihm ebenso vertraut waren, wie das leichte Pfeifen des Windes, der sich in den Winkeln und Ecken der Hütte brach. Doch irgendetwas war anders.

    Trent setzte sich auf und versuchte, sein Gefühl der Unruhe zu analysieren. Es war keine Angst, die er verspürte. Es schien keine Gefahr vor der Hütte zu lauern. Es war eher eine instinktive Wahrnehmung, etwas, das in sein Unterbewusstsein eindrang und dort den Wunsch erzeugte, aufzustehen und ins Freie zu treten.

    Er schlang den Schlafpelz um seine Schultern und stand auf. Trotz der Dunkelheit erkannte er alle Einzelheiten seiner Umgebung.

    Sein Lager stand in einer Ecke der Hütte, die aus einem einzigen Raum bestand. Es war aus elastischen Ruten geflochten und mit Fellsäcken gepolstert, die mit Pflanzenfa­sern gefüllt waren. Ein bequemeres Lager ließ sich kaum vorstellen. Er ging hinüber zur Feuerstelle und rückte den schweren Stein zur Seite, der über die Glut gelegt war. So wurde gleichzeitig die Hütte vor einem nächtlichen Feuer bewahrt und die Glut für den nächsten Morgen geschützt.

    Mit einem Federbüschel wischte er die Asche beiseite und fächelte der Glut etwas Luft zu. Sofort glühte sie hell auf und bildete kleine Flammen, an denen er einen Kien­span entzündete. Dieser beleuchtete die Hütte jetzt in einem rötlichen Licht. Trent steckte den Kienspan in eine Ritze über der Feuerstelle und schaute sich um.

    Es war nichts Besonderes zu entdecken. Auf dem Tisch standen noch die Reste der Mahlzeit vom Abend: derbes selbstgebackenes Brot, ein Krug mit vergorenem Beeren­saft und ein Streifen luftgetrocknetes Fleisch. Trent fasste sich stöhnend an den Kopf, als er den Krug sah. Ein säuerlicher Geschmack im Mund erinnerte ihn an den süßen Wein, der ihm gestern so schnell zum Schlaf verholfen hatte.

    Doch jetzt brauchte er etwas Frisches. Er griff zu dem Krug neben dem Feuer und trank einige Züge von dem klaren Wasser. Den Rest goss er sich über den Kopf. Das tat gut! Aber die Unruhe wollte nicht weichen. Etwas ging dort draußen vor. Er löschte das Feuer des Kienspans, indem er es zwischen Daumen und Finger zerdrückte. Es würde ihm vor der Hütte ohnehin nichts nützen.

    Trent öffnete die Tür und trat hinaus. Einen Augenblick lang schaute er zum Silber­nen Wächter empor, der das Dorf in ein fahles Licht tauchte. Der Silberne Wächter blickte zur Nachtzeit über das Land, wenn der Goldene Drache hinter den Bergen ver­schwunden war. Er war zugleich unheimlich und beruhigend, denn ohne sein Licht wäre das Volk während der Nachtzeit hilflos den Raubtieren ausgeliefert, wenn sie die schützenden Zäune des Dorfes verließen. Unheimlich war er den Sapien, weil sie nicht wussten, warum er nur erschien, wenn die Große Mutter, der Goldene Drache, abwe­send war. Manchmal war von ihm auch nur ein schmaler Streifen zu sehen, und manchmal war er völlig verschwunden.

    Welchen Auftrag hatte er von der Großen Mutter bekommen? Sollte er die Welt nur beleuchten oder auch berichten, was in ihrer Abwesenheit geschah. Die Männer bezogen ihn deshalb in ihre Gebete ein, die eigentlich nur der Großen Mutter gewid­met waren.

    Das Dorf war völlig ruhig. Die anderen Sapien, die es bewohnten, schliefen. Im Lichte des Silbernen Wächters konnte Trent die Hütten erkennen, die um den runden Dorfplatz herum standen. Nur wenige waren jeweils von einem einzigen Mann bewohnt. In den meisten lebte ein Vater mit seinem Sohn.

    Aus dem Schatten einer der Hütten löste sich eine Gestalt, in der Trent beim Näherkommen den Dorfältesten Kaan erkannte.

    „Ich wusste, dass du ihn hören würdest", sagte Kaan.

    „Ich bin aufgewacht, doch ich habe nichts gehört", erwiderte Trent und lauschte in die Nacht hinein. Er hörte nur die wohlbekannten Geräusche der Nacht, das Rauschen des Windes in den Blättern der Bäume und das leise Pfeifen, wenn er durch die Ritzen der geflochtenen Wände strich. Manchmal waren in der Ferne Tiere zu hören, die in der Dunkelheit auf die Jagd gingen. Es waren unheimliche Geräusche darunter, deren Verursacher nur zu ahnen waren. Oft ging ein Klagen und Jammern durch den Wald, doch das waren die Geister der Nacht, welche die Sapien warnen wollten, wenn gefährliche Tiere unterwegs waren. Heute hörte sich der Wald nicht gefährlich an.

    „Du musst in dein Inneres hineinhören!", forderte Kaan ihn auf, und Trent erin­nerte sich an das Gefühl, das er bereits in der Hütte gehabt hatte. Da war ein merkwür­diges Ziehen, voller Sehnsucht und Verlangen, das ihn ins Freie getrieben hatte.

    Jetzt spürte er es wieder mit größerer Stärke. Ganz langsam erfüllte es seinen Kopf, bis er bemerkte, dass es sich um ein leises Heulen handelte, das ganz aus der Ferne zu ihm hergetragen wurde. Er lächelte verstehend, und Kaan schaute ihn ebenfalls lächelnd an.

    „Hast du ihn jetzt gehört? Er braucht deine Hilfe! Er ist wehrlos dort draußen. Du musst dich beeilen!"

    „Wie kann ich ihn finden?", fragte Trent unsicher.

    „Du wirst ihn finden, denn er ruft dich – nur dich allein – seinen Vater, zerstreute Kaan beruhigend Trents Bedenken. „Bisher wurde jeder Heuler gefunden! Achte auf das Heulen und die Geräusche des Waldes. Die Geister werden dir helfen!

    „Ist es nicht gefährlich, in der Dunkelheit das Dorf zu verlassen?", wollte Trent wis­sen.

    „Natürlich ist es gefährlich!, bestätigte Kaan. „Deshalb schützen uns ja auch die Palisaden vor den wilden Tieren des Waldes, die nur zur Nachtzeit ihre Beute suchen. Doch du kannst dich wehren, aber der Heuler ist wehrlos. Du musst ihn finden, bevor ihn die Raubtiere wittern und bevor es Tag wird, denn dann sind die Drachen unter­wegs.

    Trent, der noch immer mit dem um die Schultern geschlungenen Schlaffell auf dem Dorfplatz stand, kehrte in seine Hütte zurück. Nachdenklich schaute ihm Kaan hinter­her.

    „Er wird es schaffen!", versicherte er sich selbst. Aus den Erfahrungen seines Alters wusste er allerdings, dass nicht jeder Mann von der Suche nach seinem Sohn zurückge­kommen war, doch das hatte er Trent verschwiegen. Es war besser, wenn keine Angst seine Wahrnehmungsfähigkeit trübte. Dass es im nächtlichen Wald vielfältige Gefahren gab, wusste Trent auch selbst. Er war von seinem Vater fürsorglich auf das Leben vor­bereitet worden. Leider hatte er seinen Sohn viel zu früh verlassen müssen.

    Trent bereitete sich schnell aber sorgfältig auf seine Mission vor. Er wählte den der­ben Umhang aus Wulpfell, schnallte den breiten Gürtel um die Taille, steckte das kräf­tige Messer hinein und hängte sich einen Beutel mit den Resten des Abendessens um die Schulter. Den Wein ließ er stehen. Unterwegs würde er genügend Wasser finden.

    Zum Schluss nahm er den langen Speer, den „Drachenwehrer", und wog ihn prü­fend in der Hand. Er würde ihn kaum brauchen, denn nachts war er vor den Drachen sicher, doch er gab ein zusätzliches Gefühl der Sicherheit. Es war nicht auszuschließen, dass er auf einen Wulp stieß. Auch wenn diese den Kontakt mit Sapien mieden, waren sie nachts auf Beutefang und deshalb unberechenbar. Wenn sie aufgeschreckt wurden, konnten sie gefährlich werden.

    Trent verließ die Hütte, blieb aber nach ein paar Schritten stehen und eilte zurück. Er nahm ein kleines weiches Fell von der Wand, sah es liebevoll an und verstaute es in dem Beutel, bevor er sich nun endgültig auf den Weg machte.

    Er verließ die schlafenden Hütten und schritt schnell voran. Der Silberne Wächter war ihm wohlgesonnen und erhellte die vor ihm liegende Lichtung, in deren Mitte das Dorf lag. Es war durch hohe Palisaden geschützt, die jeden Eindringling abwehren konnten. Nachts waren sie in ihrem Dorf sicher, denn die Tiere des Waldes wagten es nicht, sich den Palisaden zu nähern. Sie mieden die Sapien, doch sie wurden von den Männern gejagt, denn sie trugen die begehrten Felle, ohne deren Schutz die Sapien nicht auskommen konnten. Besonders begehrt war das zottige Fell des mehr als manns­großen Wulps, das nicht nur groß genug für einen Umhang ausfiel, sondern auch noch sehr strapazierfähig war.

    Trent zog seinen Umhang fröstelnd zusammen und lauschte einen Augenblick in die Nacht. Dann überstieg er entschlossen auf den angestellten Leitern die Palisade.

    Hier, außerhalb des Dorfes, hörte er den Heuler deutlicher. Es war kaum wahr­nehmbar, schien aber den ganzen Kopf auszufüllen. Trent wunderte sich, dass er es nicht sofort beim Aufwachen bemerkt hatte.

    Er änderte die Richtung etwas nach links und schritt in den Wald hinein. Hier war es dunkler, denn der Silberne Wächter konnte kaum durch die dichten Baumkronen schauen. Würde er ihn trotzdem beschützen? Trent vertraute auf die Geister der Nacht.

    Das Heulen war so leise, dass er alle anderen Geräusche um sich herum trotzdem wahrnehmen konnte. Es wies ihm den Weg durch den unwegsamen Wald.

    Am Anfang konnte Trent einen bekannten Pfad benutzen. Er war ihm oft am Tage gefolgt und durch den Wald zu den Weiten der Steppe gelangt, wo er bis an das Ende der Welt schauen konnte. Er hatte schon mehrmals versucht, das Ende zu erreichen. Er konnte es sehen, doch je weiter er ging, desto mehr entfernte es sich von ihm. Nie­mandem aus dem Dorf war es bisher gelungen. Viele waren ohne Erfolg zurückgekom­men, einige für immer draußen geblieben.

    Es gab in der Steppe auch keinerlei Deckung vor den Drachen, den einzigen wirkli­chen Feinden der Männer, riesige Ungeheuer mit kurzen Stummelflügeln und einem breiten gezackten Schwanz. Mit beiden zusammen konnten sie sich in die Luft erheben und von oben angreifen. Mit ihren dolchartigen Krallen konnten sie ganze Wulps erfas­sen und sie mit dem harten krummen Schnabel zerfetzen.

    Trotz der Bedrohlichkeit der Nacht war Trent froh darüber, dass jetzt der Silberne Wächter seinen Weg beschützte. Wenn die Große Mutter den Tag erleuchtete, war man vor den Drachen nicht sicher. Unwillkürlich fasste Trent den Drachenwehrer fes­ter und folgte dem Heulen.

    Doch bald musste er den Weg verlassen, denn er hätte ihn in eine falsche Rich­tung geführt. Zögernd schlug er sich in das Unterholz zur rechten Seite. Der Wulppelz gab ihm einen guten Schutz gegen die spitzen Zweige und Dornen, die ihn sonst arg zerkratzt hätten. Trotzdem ließ es sich nicht immer vermeiden. Trent spürte die Schmarren kaum, die bald seine weniger geschützten Beine bedeckten. Er hörte nur das Heulen, das ihn nun unwiderstehlich anzog. Er fiel in einen leichten Trab, hörte aber gleich wie­der auf, als er mehrmals über Wurzeln stolperte.

    Dicht neben ihm setzte plötzlich ein langgezogenes Klagen ein, das er bisher nur aus der Entfernung kannte. Es klang nicht bedrohlich, jedoch ängstlich und übertrug diese Angst auch auf ihn. Trent blieb stehen und lauschte dem Geist der Nacht. Er schien ihn vor einer Gefahr warnen zu wollen. Die Bäume und Sträucher warfen unheimliche Schatten auf den silbern glänzenden Waldboden. Noch nie war Trent allein in der Nacht unterwegs gewesen. Welche Schatten waren ihm wohlgesonnen? Wie sahen die guten Geister der Nacht aus, von denen man sich an den Feuern erzählte, und die bösen Geister, vor denen sie mit ihren Klagelauten warnen wollten?

    Das Klagen brach plötzlich ab, und ein dunkles Tier rannte an ihm vorbei. Es hätte ihn fast umgerannt und war mit ein paar Sätzen in der Dunkelheit verschwunden. Gleich darauf sprang ein anderes viel größeres Tier aus dem Schatten hinterher. Trent hörte ein wildes Grunzen, einen angstvollen Schrei und ganz plötzlich atemlose Stille.

    Der ganze Wald schien die Luft anzuhalten. Aber das leise Heulen blieb weiterhin in seinem Kopf. Es zog ihn unerbittlich weiter in den Wald hinein. Trent hörte nur noch seine eigenen Schritte auf dem Waldboden und das Rascheln im Unterholz, das er beim Laufen selbst verursachte.

    Das Dickicht wurde immer dichter, und Trent hatte Mühe, sich durch die Zweige hindurchzuarbeiten. Er bereute es, sein breites Schwert nicht mitgenommen zu haben. Es hätte ihm jetzt gute Dienste geleistet, denn der Drachenwehrer nutzte ihm hier nicht viel.

    Ab und zu blieb er stehen und lauschte in die Dunkelheit. Er versuchte, die Geräu­sche des Waldes zu deuten. Auf den Heuler brauchte er nicht zu lauschen – ihn hörte er die ganze Zeit und von Minute zu Minute eindringlicher. Trent wunderte sich, wie das möglich war. Das Heulen wurde nicht lauter und kam auch nicht durch die Ohren. Es überlagerte auch nicht die anderen Geräusche. Es war einfach in seinem Kopf. Ein innerer Drang trieb ihn weiter. Auch wenn er es gewollt hätte, wäre es ihm jetzt unmöglich gewesen, umzukehren.

    Trent stolperte wieder und verlor den Boden unter den Füßen. Noch bevor er nach rettenden Zweigen greifen konnte, kollerte er einen schrägen Abhang hinab. Stöhnend richtete er sich unten in einer kleinen Schlucht auf. Die Dunkelheit war stärker gewor­den, denn die silbernen Strahlen des Wächters erreichten den Boden nicht mehr. Er betastete seinen Körper, ob er den Sturz unverletzt überstanden hatte. Die Schmerzen ignorierte er, und alles andere schien noch in Ordnung zu sein. Sein kräftiges Messer steckte im Gürtel, doch seinen Drachenwehrer hatte er verloren. Er musste irgendwo in der Dunkelheit des Abhanges liegen. Suchend tastete er umher, denn ohne ihn wollte er sich nicht weiterwagen, auch wenn der Heuler noch so eindringlich lockte.

    Auf allen Vieren krabbelte er langsam den Hang hinauf, ständig nach allen Seiten tastend. Er musste schon großes Glück haben, den glatten Schaft des Speeres zwischen dem morschen Altholz und den glitschigen Blättern auf dem Boden zu erwischen.

    Ein drohendes Knurren ließ ihn in der Bewegung erstarren. Er musste auf einen Wulp gestoßen sein, der ihn jetzt eindringlich warnte. Am Tage und mit der richtigen Bewaffnung, war ein Wulp kein Problem für ihn, auch wenn dieser einen erwachsenen Mann um mehr als Kopfgröße überragte, wenn er aufgerichtet war. Und bei Gefahr richtete sich ein Wulp immer auf, um sich mit seinen kräftigen Pranken, den langen messerscharfen Krallen und dem gewaltigen Gebiss zu verteidigen. Das war häufig auch sein Verderben, wenn er auf einen Sapien traf. Der lange Drachenwehrer machte auch mit einem Wulp kurzen Prozess. Meist gelang es ihm nicht, an den Sapien dicht genug heranzukommen, bevor sein Herz von dem Speer durchbohrt wurde.

    Doch hier befand sich der Wulp in der besseren Position. Trent konnte nichts sehen und hatte seinen Speer verloren. Er war dem Wulp praktisch hilflos ausgeliefert. Er blieb weiterhin bewegungslos erstarrt, in der Hoffnung, dass der Wulp ihn gar nicht angreifen wollte. Vielleicht fühlte er sich nur in seiner Nachtruhe gestört.

    Trent hörte den erregten Atem des Tieres an seiner rechten Seite. Behutsam ver­suchte er sein Messer zu ertasten. Ein erneutes Knurren war die Antwort. Also blieb er bewegungslos liegen.

    Doch er konnte nicht ewig so liegenbleiben. Er musste weiter, den Heuler retten, der vielleicht ebenso gefährdet und noch hilfloser war. Langsam zog sich Trent von dem Wulp zurück, der jede seiner Bewegungen mit drohendem Knurren begleitete. Er schien gar nicht an einem Kampf interessiert zu sein. Wenn er das beabsichtigte, hätte er ihn längst mit einem Prankenschlag erledigen können. Diese Erkenntnis gab Trent wieder einigen Mut zurück. Trotz des Knurrens schob er sich immer weiter aus der Reichweite des Wulps zurück. Seinen kostbaren Speer musste er allerdings zurücklas­sen. Vielleicht konnte er ihn später einmal bei Tageslicht suchen gehen.

    Mit zunehmender Entfernung gab der Wulp das Knurren auf. Trent schien seinen Aggressionskreis verlassen zu haben. Vorsichtig richtete er sich auf und ging einige Schritte rückwärts, immer noch in Verteidigungsbereitschaft. Doch schon wieder stol­perte er über ein Hindernis und fiel zu Boden. Sofort grollte der Wulp wieder, kam aber nicht näher. Als Trent fühlen wollte, über was er gestolpert war, ertastete er den wohlbekannten glatten Schaft seines Speeres, der bei dem Absturz offensichtlich nach vorne geschleudert worden war. Trent fühlte sich sofort wieder sicherer und überlegte einen Augenblick, ob er nun seinerseits den Wulp angreifen sollte. Doch er verwarf den Gedanken sofort wieder, denn erstens war er dem Wulp dankbar dafür, dass er ihn in Ruhe gelassen hatte und zweitens rief der Heuler noch eindringlicher als zuvor.

    Er wandte sich ab und folgte weiterhin dem Lockruf. Das war zunächst nicht so ein­fach, denn erst jetzt nahm er das Rauschen eines Wasserlaufs wahr, der sich in der Schlucht befand. Trent benutzte seinen Speer, um sich vorsichtig über den Boden zu tasten. Er wollte nicht noch einmal unversehens zu Fall kommen oder irgendwo herab­stürzen. Ein breiter Bach tauchte plötzlich vor ihm in der Dunkelheit auf. Er leuchte wie ein silbriges breites Band, das sich durch die Schlucht schlängelte. Die Bäume am Ufer ließen zwischen sich genügend Platz, damit der Silberne Wächter seine Blicke hindurch ­schicken konnte.

    Trent näherte sich dem reißenden Wasser, das er nun durchqueren musste. Der Heuler lockte unerbittlich von der anderen Seite. Trent versuchte an einigen Stellen über glitschige Steine zu balancieren, rutschte jedoch immer wieder ab. Als er bei einem weiteren Versuch völlig in das eiskalte Wasser fiel, watete er einfach weiter. Nun war er ohnehin nass bis auf die Haut. Die Strömung riss ihm mehrmals die Beine weg, bis er den Boden völlig verlor und vom Wasser mitgerissen wurde. Verzweifelt ver­suchte er zu schwimmen, ohne den Speer loszulassen. Er stieß sich an Steinen und angeschwemmten Baumstämmen, bis er schließlich das andere Ufer erreichte.

    Erschöpft zog er sich an Land und blieb zunächst schweratmend liegen. Die Strö­mung hatte ihn ein ganzes Stück von seiner ursprünglichen Richtung abgetrieben. Doch der Heuler wies ihm den Weg und trieb ihn unerbittlich weiter.

    Trent lief am Ufer entlang, bis er einen ausgetretenen Pfad fand, der in seine Rich­tung führte. Hier erreichte der Silberschein auch wieder den Boden, so dass Trent gut vorankam, ohne durch Unterholz behindert zu werden.

    Nach kurzer Zeit wurde der Wald plötzlich lichter, und er erreichte die Steppe, die sich weit vor ihm öffnete. Wie auf ein geheimes Kommando begann das silberne Licht, das auf der Weite lag, sich langsam rötlich zu verfärben und einen goldenen Schimmer anzunehmen. Ganz weit am Ende der Welt erhob sich majestätisch der Goldene Dra­che, die Große Mutter, und überflutete die Ebene mit ihrem rötlichen Schein.

    Fröstelnd, mit nassem Umhang, stand Trent am Waldrand und betrachtete das Wun­der, das sich jeden Morgen wiederholte, jedoch vom Dorf aus nicht in dieser Schönheit gesehen werden konnte. Wie ein blutiger Ball erhob sich die Große Mutter, zunächst kreisrund, bekam dann vereint mit den Wolken Flügel und einen bizarren Schwanz, der sich ständig in der Form veränderte, bis sie auf ihnen weiter steigen konnte, um ihre lebenspendenden Strahlen über das Land auszubreiten.

    Bald konnte Trent sie nicht mehr anschauen, da ihm die Augen zu verbrennen drohten. Er schaute auf den Boden und auf die Grashalme zu seinen Füßen, die noch voller Tautropfen hingen. Er fühlte aber auch die Wärme, die seinen Umhang trock­nete. Auch der mitgeführte Beutel war nass geworden. Behutsam nahm Trent das kleine Fell heraus und legte es über einen Stein, auf dem es die Strahlen der Großen Mutter erreichen konnten. Das Brot war aufgeweicht und nicht mehr zu gebrauchen. Das Fleisch war zwar auch feucht geworden, hatte aber keinen Schaden genommen. Trent schnitt mit dem Messer ein paar dünne Stücke ab und schob sie sich in den Mund. Nach den Strapazen der Nacht benötigte er eine Stärkung.

    Er hatte aufgehört zu frieren und genoss die warmen goldenen Strahlen. Aber er ließ sich nicht viel Zeit. Die Mutter hatte den Heuler abgelegt und wartete nun auf ihn. Er musste ihn erreichen, bevor die Drachen auf ihn aufmerksam wurden.

    Die innere Stimme war leiser geworden, aber immer noch unüberhörbar. Trent schien nicht mehr weit entfernt zu sein. Entschlossen stand er auf, stopfte das Fleisch zurück in den Beutel und befestigte das kleine Fell an seinem Speer, damit es besser trocknen konnte. Mit lang ausgreifenden Schritten, den Drachenwehrer wie einen Wanderstab benutzend, schritt er in die Steppe hinaus. Alle Schmerzen, alle Gefahren waren vorbei – Trent verspürte nur noch ein ungeheures Glücksgefühl.

    Ein entferntes Flattern ließ ihn erschreckt zum Himmel schauen. Ein Drache hatte sich vom Wald her genähert und beobachtete ihn interessiert von oben. Das war der einzige wirkliche Feind der Männer, besonders hier in der Steppe, in welcher der Dra­che ungehindert aus der Luft angreifen konnte. Trent hatte zwar gelernt, sich mit dem Drachenwehrer vor einem solchen Angriff zu schützen, doch nicht immer blieben die Männer Sieger. Auch sein Vater war nach einem Drachenkampf nicht mehr in seine Hütte zurückgekehrt. Die Überlieferungen sagten, es sei das natürliche Schicksal eines jeden Mannes, eines Tages von einem Drachen zerrissen zu werden. Sein Vater war also ehrenhaft gestorben, ebenso wie alle anderen Männer, die Trent gekannt hatte.

    Die Sorge um den Heuler verlieh ihm ungeahnte Kräfte. Er stürmte vorwärts, nur ab und zu nach oben schauend, wo der Drache noch immer seine Kreise zog.

    Ein Geräusch ließ ihn plötzlich stocken. Direkt vor ihm erhob sich ein Jelly aus dem tiefen Gras und flüchtete. Das ekelhafte Schleimwesen konnte erstaunlich schnell sein, auch wenn es sich sonst nur sehr langsam durch die Steppe bewegte. Die Männer mie­den jede Begegnung, denn es sonderte eine übelriechende Flüssigkeit ab, die sich bei Berührung nur schwer wieder entfernen ließ. Da auch das Fleisch ungenießbar war, gab es keinen Grund, das Tier zu jagen. Ansonsten war es aber harmlos und hatte noch nie einen Sapien angegriffen. Es schien sich von den Gräsern der Steppe zu ernähren und fiel tagsüber in eine merkwürdige Erstarrung, aus der es erst wieder erwachte, wenn es dunkel wurde.

    Trent schaute dem Jelly nachdenklich hinterher. Schon öfter hatte man eines dieser Tiere in der Nähe der Heuler aufgescheucht und in die Flucht getrieben.

    Und plötzlich war er am Ziel seiner Wanderung angekommen. Er näherte sich einer flachen Mulde, die von hohem Gras umwachsen war. In der Mulde war das Gras platt­gedrückt, als hätte sich ein schweres Tier darin herumgewälzt. Deutlich hing der üble Geruch des Jellys noch in der Luft, und Trent bemerkte den klebrigen Schleim an den Gräsern. Eine plötzliche Sorge überkam ihn. Sollte der Jelly dem Heuler ...?

    Doch seine Befürchtungen waren unbegründet. Vor ihm, mitten in dem niederge­tretenen Gras, sah er den Heuler. Er lag in einer weichen, lederartigen Kapsel, die ihn einhüllte und schützte.

    Das Heulen in Trents Kopf hörte in dem Moment auf, in dem er ihn sah. Er nahm ihn auf, löste ihn vorsichtig aus der Hülle und betrachtete voller Glück das kleine Gesicht, aus dem ihm zwei helle Augen entgegenblickten. Beruhigend redete er auf den kleinen Kerl ein, der aufmerksam lauschte.

    „Ich werde dich Muth nennen, denn mutig sollst du werden und unerschrocken den Drachen gegenübertreten, wenn du ein Mann bist. Bis dahin werde ich für dich sorgen und dir alles beibringen, wie es mein Vater auch für mich getan hat."

    Die Verbindung war hergestellt. Trent war glücklich – er hatte jetzt einen Sohn, und dieser Sohn sollte groß

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1