Hinter dem Fluss - Fünf Geschichten bauen Brücken
Von Benno Batterewitz und Bertram Batterewitz
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Über dieses E-Book
George Gunnarson wiederum, ein norwegischer Broker in New York, folgt beim Versuch, Chaos und Verzweiflung abzuschütteln, dem Pfad des Elchs, der ihn bis ans Ufer des Flusses führt, an dem vor vielen Jahren die große Liebe mit Leah begann. Hier trifft er auf die schwarze Gestalt, von Angesicht zu Angesicht, und muss erkennen, dass er in einen Spiegel schaut.
Tom und Bertil erleben auf ihrer West-Ost-Passage im kastilischen Hochland etwas, das stärker als die Zeit erscheint. Während sich die Zeiger der Turm-Uhr am Dorfplatz unentwegt drehen und die Stunden-Glocke nicht aufhört zu schlagen, schaltet das Telefonkabel nach draußen auf stumm.
Eine Frau mit grün-violetten Augen gibt Juan durch eine unerwartete Geste Mut, sich in einer Welt hinter dem Abgrund wieder aufzurichten und an die Menschen und an die Menschlichkeit zu glauben. Über die Grenzen des Flammenmeers entfacht eine Flasche Wasser das Feuer der Liebe.
Für Peter und Simon gibt es kein Entrinnen, dazu sind die Klostermauern zu hoch. Doch die Kinder erschaffen sich im Korsett der unbarmherzigen Regeln einen neuen Kosmos, in dem Phantasie und ein wenig Irrsinn verschmelzen zum Widerstand gegen Übermächtiges.
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Buchvorschau
Hinter dem Fluss - Fünf Geschichten bauen Brücken - Benno Batterewitz
I. Nächtliches Jagen
Da war er wieder. Dieser Ekel erregende Geruch nach Verwesung, Fäulnis und Aas. Fred Johnson zog schnell die Tür zu seiner Hütte zu.
Schon zum zweiten Mal hatte er den Gestank in die Nase bekommen, hier draußen in der fast unberührten Natur, auf die die Skandinavier so stolz sind. „Was kann hier nur derart übel riechen?", richtete der Mann aus New York eine ihn irgendwie beklemmende Frage an sich selbst, als er auf seinem etwas wackeligen Holzstuhl im Ikea-Design Platz genommen hatte und durchs Fenster bis weit hinunter zum Fluss blickte. Vielleicht ist es ein Bär, von denen so einige durchs Land steifen sollen. Oder ein Wolf.
Beinahe unwillkürlich fiel sein Blick auf den Revolver, den er – als echter amerikanischer Jäger – nebst der Flinte ins Land seiner Vorfahren mitgenommen hatte, um wenigstens einmal im Leben wie die Altvorderen den großen Waldhühnern nachzustellen. Ganz ohne den modernen Schnickschnack wie Internet, Handy und Satelliten-Navigation. Einen prächtigen Auerhahn als Trophäe im heimatlichen Wohnzimmer, das hatte sich der Ingenieur vorgenommen. Und jetzt war er froh, dass er auch den Revolver dabei hatte.
Mit Bedacht legte der Waldbewohner auf Zeit zwei Birkenscheite nach, damit das Feuer im offenen Holzofen die Hütte auf Wohlfühl-Temperatur halte. Vor der Tür senkte sich mit der Dunkelheit eine nebelig-feuchte Kälte aufs Land, die bald den Gefrierpunkt erreichen würde.
„Hier im Haus bin ich sicher, beruhigte sich Fred Johnson, denn die Sache mit dem nach Aas riechenden Bären ließ ihm keine Ruhe. „Wenn ich nach draußen muss zum Pinkeln, nehme ich den Plüster mit
, schmunzelte er. „Mit sechs Schuss geladen. Soll der nur kommen."
Wieder einigermaßen beruhigt, suchte der Jäger aus der Neuen Welt nach einem der Romane, die er sich für die langen Abende eingepackt hatte. Gerade griff er nach dem erotischen Exkurs ins 19. Jahrhundert, als ihm der Atem stockte. Denn seine Nase erfasste wiederum der ekelhafte Geruch nach Verwesung und Verderbnis. „Es muss hier sein, in der Hütte, analysierte das Gehirn. „Trolle, die großen Trolle stinken erbärmlich.
Was ihm Oma Inge an Geschichten und Märchen aus der nordischen Sagenwelt erzählt hatte, als er noch ein kleiner Junge war, was er später als Jugendlicher aus den Büchern in sich aufgesogen hatte, war nicht vergessen; es gab ihm nun die Gewissheit, in etwas hinein geraten zu sein, mit dem er nie und niemals gerechnet hatte. Wobei selbst sein 44er Magnum nichts ausrichten konnte.
Ein großer Troll kann nicht hier drinnen sein. Das dem Menschen nicht gerade wohl gesonnene Wesen aus der Halbwelt des Hohen Nordens würde schlicht nicht in diese bescheidene Behausung aus Holz passen. Also wird er draußen stehen. Sich über meine Unterkunft beugen oder das Häuschen zwischen die Beine nehmen.
Ist doch alles Blödsinn. Trolle, Trolle, die existieren doch überhaupt nicht. Phantasien aus alten Zeiten. Auch den Teufel gibt es nicht. Dann müsste es nach Schwefel riechen. Verfluchter Gestank, scheiß verfluchte Trolle! Wir leben nicht mehr im Mittelalter.
Fred Johnson schenkte sich einen Bourbon ein, um den Geruch zu verjagen und seine Gedanken zu ordnen. Seine Gefühle wollte er ergründen und gegebenenfalls rational gegensteuern. Zu den fünf bereits brennenden Kerzen zündete er drei weitere an, denn elektrischen Strom gab es in der einsam im lichten Mischwald über dem Fluss gelegenen Hütte nicht. Der bedrohliche Geruch schien verflogen, jedenfalls konnte der New Yorker seinen vertrauten Whiskey erkennen, als er am gut eingeschenkten Glas schnupperte. Die Stille hingegen ließ seine Gedanken weiter kreisen.
Trolle soll man nicht verfluchen. So werden sie noch aggressiver. Das ist ähnlich wie mit Gott. Selbst wenn man nicht an seine Existenz glaubt, sollte man nicht über ihn fluchen. Vielleicht gibt es ihn ja doch. Dann wirst du seine Strafe zu spüren bekommen, nicht unbedingt sofort, aber irgendwann einmal.
Gerade hatte Johnson seinen Entschluss in die Tat umgesetzt und in die antike Vase gepinkelt, als ein mächtiger Ruck, verbunden mit einem Mark erschütternden Knacken, die Hütte schüttelte. Jetzt macht der Bär Ernst. Oder der Riesen-Troll hat das Haus gepackt. Besser, ich hätte nicht geflucht. Oder wäre gleich zu Hause in den Staaten geblieben.
Der Jäger zog seine Kurzwaffe aus dem Halfter, horchte angespannt nach Geräuschen, auf die er den Lauf richten konnte. War da nicht ein Brüllen? Oder kam das Knurren aus Magen und Gedärm?
Nein, es blieb still. Die Flasche mit dem geistigen Getränk leerte sich allmählich, während sich die Vase füllte.
Ein alarmierender Ton schreckte den Ingenieur aus seiner Schlafposition am Tisch. Es hat an der Tür geklopft. Wer hämmert hier nachts gegen die Hütte? Johnson war soeben mitsamt seinem Haus von einem 40 Meter großen Troll in Stücke gerissen worden. Der fürchterliche Bär hatte seine gelben Reißzähne gebleckt, so nah, dass ihm übel wurde vom aasartigen Gestank, der aus dem Maul wehte. Und der Teufel hatte ihn unaufhaltsam in die Hölle gezogen, ein ewiges Meer von Feuer und Glut.
Die Kerzen waren ausgebrannt, ein neuer Morgen durchflutete die Hütte mit gleißendem Licht; 8.30 Uhr zeigte die Armbanduhr.
Räuber? Räuber klopfen nicht an. „Wer ist da?, rief der Besucher aus den USA. „Ich bin’s, Rolf
, kam die Antwort prompt. Das kann nur Rolf Andresen sein, der Hüttenbesitzer und Verpächter des Jagdreviers. Johnson öffnete die Tür, und der Landlord begrüßte seinen Jagdgast. „Ich komme vorbei, um Dir zu berichten, dass gestern