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Die Jäger: Furuks Erbe Band 7
Die Jäger: Furuks Erbe Band 7
Die Jäger: Furuks Erbe Band 7
eBook444 Seiten6 Stunden

Die Jäger: Furuks Erbe Band 7

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Über dieses E-Book

Der 7. Band begleitet Mauros Jäger Yvo und Feren auf ihrem Entwicklungsweg. Feren begreift, was seine Ernennung zum Jäger bedeutet: er, der sich Zeit seines Lebens unterordnen musste, soll plötzlich den anderen vorangehen. Er sucht Rat bei seinem Großvater in Tolego, doch die Unterstützung des Clans hat ihren Preis. Feren soll in den Machtkampf um Torrens Nachfolge einsteigen. Gesundheitlich beeinträchtigt und obwohl ihm ein Sieg noch mehr Druck und Verantwortung brächte, stellt Feren sich einem Kampf, den er kaum gewinnen kann.
Yvo hingegen ist auf der Suche nach seiner verlorenen Identität. Noch wählt er Frauen, die ihn gefühlsmäßig nicht berühren, doch der Eispanzer zeigt Risse. Als sich die Chance zur Rache auftut, stellt er fest, dass der alte Schmerz keine Macht mehr über ihn hat. Befreit vom Ballast der Vergangenheit findet Yvo die verschollene Bibliothek. Endlich erfährt Mauro, was es mit dem Pakt auf sich hat.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum28. Nov. 2017
ISBN9783742763877
Die Jäger: Furuks Erbe Band 7

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    Buchvorschau

    Die Jäger - Solveig Kern

    Kapitel 1: Das Geschenk der Kojotim

    Am Tag nach Ferens Auszug aus dem Palast erlebte die Stadt Mandrilar ein Spektakel: das Eintreffen der Delegation aus dem Kojotenland. Der König der Kojotim liebte den Prunk. Die Leidenschaft für schöne, wertvolle Dinge teilte er mit Mauros Statthalter Pado. Kein Wunder, dass die beiden bestens mit einander auskamen. Sie unterstützten sich gegenseitig darin, ihren Reichtum zu mehren.

    Nun zogen die Kojotim durch die große Prachtstraße zum Palast. Ganz vorne gingen die Standartenträger. Als Mauros Untertanen trugen sie zu vorderst das Staatswappen der Furukim. Die Frauen wurden in prächtigen Sänften getragen. Der König der Kojotim saß auf einem feurigen Hengst, gehüllt in ein goldbesticktes Gewand, das bis zum Boden reichte. Pado mit seinen Kombat-Zauberern hatte sich in den bunten Zug eingereiht. Es folgten die Trommler und dahinter die Krieger. Sie hatten geschmückte Elefanten mitgebracht, auf deren Rücken Menschen ritten. Gaukler machten den Abschluss. Sie trugen Affen und andere seltsame Tiere.

    Die Mandrilanen säumten dicht an dicht den Weg und bestaunten den exotischen Prunk. Von ihren eigenen Königen bekamen sie derlei nicht zu sehen. Schon König Curon neigte nicht dazu, seinen Reichtum öffentlich zur Schau zu stellen. Mauro waren solche Aufzüge verhasst. Er kleidete sich schlicht und zweckmäßig, denn seine Bewegungsfreiheit ging ihm über alles. Seine Fürsten hüteten sich davor, ihn durch übermäßigen Prunk zu übertrumpfen.

    Dem Kojotim hatte man das offenbar nicht gesagt. Er repräsentierte sein Land auf die einzige Art und Weise, die er kannte: mit größtmöglichem Prunk.

    Im Palast angekommen machten die Kojotim Mauro wertvolle Geschenke. Sie brachten Gold, Schmuckgegenstände, wertvolle Teppiche und edle Früchte aus ihrer Heimat. Mauro nahm die Gaben mit unbewegter Miene entgegen. Es war der Tribut, den sie ihm ohnedies schuldeten. Den Aufwand, den sie damit trieben, hätten sie sich seiner Meinung nach sparen können. Die Getreidelieferungen interessierten ihn viel mehr als der andere Plunder.

    Zum Schluss machte der Herrscher der Kojotim Mauro ein ganz spezielles Geschenk. Er öffnete den Vorhang zu einer der Sänften. Eine komplett mit Schleiern verhüllte Frau kam zum Vorschein. Er reichte ihr die Hand und führte sie vor Mauro. Dort nahm er ihr den äußersten Schleier ab. Ein wunderschönes Mädchen kam zum Vorschein. Sie war blutjung, hatte dunkle Haut und riesige, schwarze Rehaugen. Yvo starrte sie mit offenem Munde an. Anmutig verneigte das Mädchen sich vor Mauro.

    Der Kojotim-Herrscher ließ seine Worte übersetzen. „Wie ich höre, hat der mächtige König der Furukim zur Zeit nur zwei Frauen, sagte er. „Man munkelt gar, eine davon wäre sehr krank. Ich bin besorgt um den Bestand Eures edlen Geschlechtes. Gewährt mir die Gnade, Euch meine Tochter als Konkubine anzudienen. Auf diese Weise möchte ich meinen Dank für Euren Großmut ausdrücken, dass Ihr meine Männer verschont habt. Möge das Bündnis zwischen unseren Völkern ebenso gedeihen wie die Kinder aus dieser Verbindung.

    Im kleinen Kreis machte Mauro seinem Unmut Luft. „Die eigene Tochter als Geschenk zu überreichen ist eine Unglaublichkeit, tobte er. „Warum habt Ihr ihn davon nicht abgehalten? Wie konntet Ihr zulassen, dass er mich in so eine Situation bringt – gerade jetzt? Reicht das bisschen Hirn in Eurem Kopf nicht aus, um drei Schritte weiterzudenken?

    Pado, der Adressat des Wutanfalls, zog den Kopf ein.

    Mauro tobte weiter: „Er schenkt mir etwas, das ihm nützt, aber für mich keinen Wert besitzt. Er lädt mir eine Verpflichtung auf, und ich muss ihm auch noch danken. Seine Tochter nistet sich in meiner Familie ein, und ich soll das widerspruchslos hinnehmen? Kennt Ihr mich so schlecht, dass Ihr glaubt, Ihr könnt das mit mir machen?"

    „Gefällt Euch das Mädchen denn nicht?" fragte Pado betroffen.

    „Sehe ich aus, als würde ich mich an Kindern vergreifen? Sie ist kaum fünfzehn! schrie Mauro Pado an. „Wenn ich das Gegacker halbwüchsiger Mädchen um mich haben will, dann sollten es bitte meine eigenen Töchter sein, nicht die von jemand anderen. Noch eine Frau, die sich wie ein Kind benimmt, brauche ich wahrlich nicht!

    Die anwesenden Höflinge schwiegen betreten. Zum ersten Male hatte Mauro öffentlich auf Sigruns Zustand Bezug genommen. Ihm dieses blutjunge Geschöpf zuzuführen musste dem König der Furukim wie blanker Hohn vorkommen.

    Pado interpretierte Mauros Unmutsäußerungen wieder einmal völlig falsch. „Ich habe auch eine seiner Töchter als Konkubine genommen, sagte er zu seiner Entschuldigung. „Sie ist ein liebreizendes, anschmiegsames Geschöpf…

    „Daher weht der Wind, knurrte Mauro. Er packte Pado am Kragen und sah ihn an, als würde er ihn gleich fressen. „Ihr habt selbst einen Nutzen von diesem Geschenk. Wenn ich es annehme, werde ich Euer Schwager!

    „Diesen Hintergedanken hatte ich nicht, versicherte Pado wenig überzeugend. „Ich meinte, die exotische Schönheit würde Euch entzücken…

    Mauro stieß Pado derb von sich: „Nichts da, Ihr bringt das in Ordnung. Findet einen diplomatischen Weg, ihm zu sagen, dass ich seine Tochter nicht haben will."

    Pado wurde blass: „Wenn das Mädchen Euer Missfallen erregt, wird er sie töten!"

    Damit musste er Mauro nicht kommen. „Und? Ist das mein Problem? Muss ich diesen Übergriff auf meine Privatsphäre dulden, um ihr Leben zu bewahren? Ich habe die Gesetze der Kojotim nicht gemacht, und ich bin nicht bereit, mich ihnen zu unterwerfen. Ist Euch vielleicht aufgefallen, dass er mein Vasall ist, und nicht ich der seine?"

    „Bitte, lasst nicht zu, dass sie stirbt, flehte nun auch Yvo. „Sie ist so zart, so schön wie eine Blume. Was sage ich da, wie eine kostbare Orchidee… schenkt sie mir, wenn Ihr sie nicht haben wollt!

    „Das ist das letzte, was ich tun werde! Mauro war völlig außer sich. „Das passt genau in Dein Denkmuster: Du rettest die Frau vor dem Tode und meinst, sie ist Dir zu ewigem Dank verpflichtet. Du bist Ihr Herr und sie muss tun, was Du sagst. Hast Du aus der Episode mit Iorghe nichts gelernt? Auf Menschen gibt es keinen Besitzanspruch. Du musst sie täglich neu überzeugen.

    „Das mit Iorghe war anders, rechtfertigte sich Yvo. „Ich hätte ihn als Lehrer betrachten und sein Wissen nutzen müssen, statt zu versuchen, ihm meinen Willen aufzuzwingen. Ich habe seine Sympathie verloren, doch ich habe daraus gelernt. Den gleichen Fehler mache ich gewiss nicht wieder.

    „Nichts hast Du gelernt, sagte Mauro grob. „Menschen sind kein Spielzeug, das man aus dem Käfig holt, wenn man seinen Spaß haben will. Das man beliebig quälen kann, ohne dass es jemals zurückschlägt. Die einzige Art von Beziehung, die Du kennst, basiert auf der Ausübung von Macht. Barren hat Dir nichts anderes beigebracht.

    Yvo stand wie versteinert. Dass Mauro so über ihn dachte, verletzte ihn zutiefst.

    „Es ist nicht Deine Schuld, lenkte Mauro ein. „Du kannst ja nichts dafür, dass Du nie Freundschaft oder Liebe erfahren hast. Du gibst nur weiter, was er Dir vorgelebt hat.

    „Das ist nicht wahr!" Yvo war entsetzt.

    „Sei nicht gekränkt, sagte Mauro und ging zu Yvo hinüber. Er wollte ihm die Hand auf die Schulter legen, wie er es bei Feren oder Shui tun würde, doch Yvo wich zur Seite. Mauro erinnerte sich, dass Yvo keine Berührungen ertrug. Er blieb vor ihm stehen und versuchte, ihn mit Worten zu erreichen: „Zu einer Beziehung gehört auch, Konflikte auszuhalten und Widerworte zu akzeptieren. Wenn Du das kannst, darfst Du jede Frau wählen, die Dein Herz begehrt. Doch davon bist Du weit entfernt.

    Yvo stand da, als hätte man ihm ein Brett auf den Kopf geschlagen. „Ich wusste nicht, dass Ihr so über mich denkt, sagte er. „Wie wollt Ihr da auf meine Loyalität bauen, wenn Ihr mir nicht zutraut, dass ich zu Bindungen – zur Treue gegenüber meinem Bruder – fähig bin?

    „Yvo, ich habe nicht Deine Treue mir gegenüber in Frage gestellt. Ich sagte nur, dass Du noch viel lernen musst, bis Du andere begeistern und zur Loyalität inspirieren kannst."

    Yvo blieb stur: „Gebt mir die Frau. Ich werde Euch beweisen, dass ich eine Beziehung zu ihr aufbauen kann. Als Mauro den Kopf schüttelte, wechselte Yvo den Tonfall: „Euch kann es doch egal sein. Ihr habt längst entschieden, dass Ihr sie nicht wollt. Als mein Spielzeug kann sie wenigsten noch ein bisschen leben.

    Mauro blies hörbar die Luft aus. Das war der falsche Weg. Er durfte nicht nachgeben. „Nein, Yvo. Du blockierst Deine künftige Entwicklung. Du nimmst Dir Chancen, wenn Du Dich an dieses Geschöpf bindest. Was würde Dein Lehrer Torren dazu sagen?"

    Das war eine Vorlage für Yvo: „Fürst Torren hat bereits vorgefühlt, wie ich zur Verehelichung mit einer Dame aus seinem Hause stehe. Er stellt mir zwei zur Auswahl. Nun wähle ich eben die Dritte."

    Nun gingen Mauro die Argumente aus. „Na schön, sagte er resigniert. „Regle das mit den Kojotim. Zu Deinem Besten ist es gewiss nicht. Ich hoffe, meine Nachgiebigkeit führt nicht direkt ins Desaster.

    „Das liegt in meiner Verantwortung, sagte Yvo barsch. „Ihr werdet gewiss keine Klagen hören.

    Bevor Mauro den Raum verließ, packte er Pado unsanft am Kragen und schüttelte ihn: „Ihr habt mir diese Situation eingebrockt. Glaubt nicht, dass ich das jemals vergesse."

    Mit dem König der Kojotim wurden Pado und Yvo rasch einig. Der war zufrieden, seine Tochter mit Mauros Bruder zu verbinden. Er verlangte jedoch, dass sie Yvos Hauptfrau werden solle. Den Status einer Konkubine akzeptierte er unter diesen Umständen nicht.

    Yvo willigte ein.

    Zum Schluss der Unterredung sprach der Kojotim ein ernstes Wort mit Pado. „Ihr seid ein gescheiter Mann, Pado, doch Ihr seid nicht klug."

    „Was stelle ich mir darunter vor?" fragte Pado pikiert.

    „Euer König ist von seinem Wesen her ein Krieger. Ein Krieger beurteilt die Dinge danach, ob sie ihm zur Erreichung seiner Ziele nützlich sind. Der äußerliche Prunk hat für ihn keinen Nutzen. Er braucht ihn nicht, um seine Untertanen zu beeindrucken. Gerade dass er darauf verzichten kann, zeigt, wie mächtig er ist. Alle anderen Fürsten wissen das, und verhalten sich entsprechend. Bloß Ihr ärgert ihn andauernd damit, dass Ihr ihn zu übertrumpfen versucht. Mich habt Ihr verleitet, es ebenfalls zu tun. Das ist dumm."

    Pado überlegte. „Ich fürchte, Eure Einschätzung trifft zu. Doch er sollte mehr…"

    Der Herrscher der Kojotim bedeutete Pado, dass er irrte. „Er ist der König, er setzt die Regeln. Und Ihr tut gut darin, in seinem Kopf zu denken, statt ihn in Eure Richtung verändern zu wollen. Da ist noch etwas, was Ihr überseht."

    „Was?" wollte Pado wissen.

    „Der König ist starrsinnig. Er hasst Veränderungen und hat gerne alles unter Kontrolle. Was er einmal besitzt, gibt er nicht wieder her. Deshalb wählt er sorgfältig aus, was er zu sich lässt. Ihr dürft ihm niemals ein Geschenk anbieten, das er sich nicht gewünscht hat. Wenn er sagt, >Eure Tochter gefällt mir, sie könnte mein Herz erfreuen<, dann dürft Ihr sie ihm geben. Bringt Ihr sie ungebeten in sein Haus, wirft er Euch hinaus, selbst wenn sie ihm gefällt."

    „Wie unsinnig. Er könnte viel mehr Frauen haben…."

    Der Kojotim schüttelte den Kopf: „Ihr begreift ihn immer noch nicht. Da steht Euch wohl die eigene Gier im Wege. Während er das Zuviel fürchtet, das seiner Kontrolle entgleiten könnte, ist es für Euch nie genug."

    Einige Tage später fand unter Anteilnahme der ganzen Stadt Yvos Hochzeit mit der Kojotim-Prinzessin statt. Als das festlich geschmückte Brautpaar vom Tempel zum Königspalast zog, war die Straße so voller Menschen, dass das stolze Sechser-Gespann kaum vorankam. Die Mandrilanen verrenkten sich die Hälse, um einen Blick auf die kaffeebraune Schönheit zu werfen, die von jenseits der Meerenge gekommen war. Sie jubelten auch Yvo zu, denn er war der einzige Mandrilane in Mauros Entourage.

    Am Abend gab Mauro zu Ehren seines Halbbruders im Palast ein großes Fest. Sigrun sollte ihn begleiten. Er wusste wohl, dass hinter seinem Rücken über ihren Zustand getuschelt wurde. Nun wollte er allen zeigen, dass es ihr gut ging und er nach wie vor zu ihr stand.

    Mauro saß bereits auf seinem steinernen Thronsessel, als Zeldis, Ortrud und die beiden Hofdamen Sigrun durch das Spalier der Gäste zu ihm geleiteten. Mauros Augen folgten jedem ihrer Schritte. Sie kam so leichtfüßig auf ihn zu wie in Moringart, als sie seine Tischdame gewesen war. Sigrun wirkte auf ihn nicht weniger schön und begehrenswert wie damals. Die Schwangerschaft hatte gerade erst begonnen, ihre Formen zu runden. Die Übelkeit war vorbei. Ihre Haut war rosig. Aus dem hochgesteckten Haar hatte sich, wie so oft, eine widerspenstige Strähne gelöst und fiel in ihr hübsches Gesicht. Vor Mauro angekommen machte Sigrun einen formvollendeten Knicks. Er ging ihr entgegen und führte sie zu ihrem Sitz. Die anderen Damen gruppierten sich rund um sie.

    Einen Augenblick lang gab Mauro sich der Illusion hin, dass alles beim Alten wäre. Dann hörte er, wie Sigrun halblaut zu Ortrud sagte: Huch ist das aufregend. So viele Menschen habe ich noch nie gesehen. Warum spielt hier keine Musik? Ich möchte tanzen! Dabei klatschte sie erwartungsfroh in die Hände.

    Ihr müsst Euch noch ein wenig gedulden, sagte Mauro von seinem Thronsessel herab. Wir erwarten den Einmarsch des Brautpaares.

    Sigrun sah ihn mit dem Blick eines schuldbewussten Schulmädchens an, das vom Lehrer gemaßregelt worden war, und schwieg.

    Wenig später schritten Yvo und seine Gemahlin durch das Spalier. Yvo und seine junge Gattin absolvierten ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen mit Eleganz und Würde. Streng nach Rangfolge gratulierten erst die Würdenträger. Es dauerte geraume Zeit, bis sie sich durch den ganzen Saal zum Thron vorgearbeitet hatten, wo Mauro und der Brautvater sie erwarteten.

    Sigrun saß unbeteiligt daneben und schaute sichtlich gelangweilt zu. Dann machte sie wieder unpassende Bemerkungen, oder kicherte mit Ortrud.

    Als der offizielle Teil vorüber war, feierte Sigrun so ausgelassen, als ob es kein Morgen gäbe. Hinter dem Rücken ihrer Hofdamen sprach sie dem Weine zu und warf kokette Blicke nach den Männern in ihrer Nähe. Ihr Vetter Wolfram gab sich redlich Mühe, Sigrun davon abzuhalten, einen Skandal zu verursachen.

    Ortrud war so fröhlich wie nie zuvor. Es machte ihr Spaß, Sigrun dabei zu beobachten, wie sie sich über die Konvention hinwegsetzte und die steifen Furukim brüskierte. Noch mehr genoss sie es, Mauro leiden zu sehen.

    Mauro musste einsehen, dass es keine gute Idee gewesen war, Sigrun zum Fest mitzunehmen. Statt den Gerüchten entgegenzutreten, hatte sie allen gezeigt, dass sie nicht bei klarem Verstande war. Nicht nur die Furukim, sondern auch die auswärtigen Gäste tuschelten nun hinter Mauros Rücken. Mauro absolvierte ein paar Pflichttänze mit Sigrun. Als ihr das nicht reichte, ging sie zu Shui hin und forderte ihn auf, mit ihr weiterzutanzen.

    Irgendwann wurde es Mauro zu bunt. Er ging zu ihr auf die Tanzfläche und schnappte Sigrun beim Arm: „Lass Shui in Ruhe. Willst Du Deine Hofdame Ana unglücklich machen? schnauzte er sie an und bedeutete dem erleichterten Shui, dass er gehen konnte. Schluss für heute!"

    Sigrun fing an zu zetern: „Ich mag noch nicht heim. Wer seid Ihr, dass Ihr es wagt, mir so gründlich den Spaß zu verderben?"

    Ich bin Euer Gatte und der Vater des Kindes, das Ihr unter dem Herzen tragt. Wenn Ihr schon auf mich keine Rücksicht nehmt, dann wenigstens auf die Kleine! schimpfte Mauro.

    Sigrun wurde ganz kleinlaut: Entschuldigung. Mir war nicht klar, dass Ihr mein Gatte seid.

    Oben in ihrer Kammer warf Sigrun sich auf ihr Bett und fing zu weinen an. Anklagend sagte sie zu Mauro: Was meint Ihr, wie es mir geht? Wolfram sagt, dass mir etliche Jahre an Erinnerung fehlen. Ich weiß nicht, wo ich hier bin und wer die Menschen sind, die mich umgeben. Ihr behauptet, Ihr seid mein Gatte - und doch seid Ihr ein Fremder für mich. Wahrscheinlich hatte ich auch so eine schöne Hochzeit - bloß weiß ich nichts mehr davon. Könnt Ihr Euch vorstellen, wie orientierungslos und ausgeliefert ich mich fühle?

    Mauro ging zu ihr hin und strich ihr begütigend über die Schulter: Verzeiht mir, wenn ich grob zu Euch war. In meiner Verzweiflung vergaß ich, wie schwer das alles für Euch ist. Lasst uns versuchen, diese Prüfung gemeinsam durchzustehen. Vielleicht kann ich helfen, Eure Erinnerung wiederzufinden. Was wisst Ihr über mich?

    Sigrun wischte sich die Tränen fort und setzte sich auf: „Ihr seid der Erain Maur, der dunkle Herrscher von Furukiya. Ihr seid nicht mehr jung - und Ihr seht grimmig aus. Kein Wunder, dass die halbe Welt vor Euch zittert. Nun trage ich also Euer Kind - und darf weder reiten noch ausgelassen tanzen", fügte sie trotzig hinzu.

    Wisst Ihr noch, wie Ihr hierher kamt? fragte Mauro weiter

    Ich wurde an Euch verheiratet, weil Ihr das Rigland erobert habt. Ich nehme an, mein Vater gab mich an Euch, als Preis für den Frieden. Wolfram sagt, es geht unserem Volke gut. Das lohnt die Qual, dass ich nun fern der Heimat leben muss, resümierte Sigrun.

    Ihr habt selbst entschieden, mir zu folgen - als freie, stolze Almanin, korrigierte Mauro sie. Euer Vater ist längst tot.

    Habt Ihr ihn umgebracht? wollte Sigrun wissen.

    Mauro schluckte. Nein, Sigrun, das habe ich nicht getan. Er wollte ihr erzählen, unter welchen Umständen sie einander kennen gelernt hatten. Dann entschied er, dass es besser für sie wäre, nicht alles zu wissen. Zu viele schlimme Erlebnisse, zu viele Bedrohungen würden auf sie einstürmen. Mit einem schmerzlichen Blick sagte er: „Wir haben einander geliebt. Es war eine ganz große Liebe. Eine, über die die Barden Lieder sangen. Mögen die Götter uns gnädig sein, dass wir eines Tages wieder zu einander finden!"

    Nach dem Gespräch mit Sigrun floh Mauro zu Hamon. Er ließ sich auf den Fellen nieder, die vor dem flackernden Kamin lagen und starrte wortlos in die Flammen. Hamon rückte für sich einen Stuhl zurecht und legte Mauro die Hand auf die Schulter. So saßen sie schweigend eine ganze Weile beisammen.

    Schließlich fragte Mauro: „Wie ist es Dir in letzter Zeit ergangen?" Das war keine ernsthafte Frage, denn die beiden Freunde sahen einander regelmäßig. Erst vor wenigen Wochen hatte Mauro auf der Heimreise von Tolego die Nacht auf Hamons Landgut verbracht und sich persönlich davon überzeugt, dass alles zum Besten stand. Wie es schien, wollte er bloß die beruhigende Stimme des Freundes hören.

    Hamon erzählte, dass er das Landgut, das Mauro ihm übereignet hatte, sehr genoss. Der Sommer an der frischen Luft hatte seiner Gesundheit gut getan. Das regelmäßige Hin- und Herreiten machte ihn beweglicher und fitter. Sein Leibesumfang war etwas abgeschmolzen, was seine drei Frauen zu schätzen wussten. Das Amt des Kämmerers, das Hamon für seinen Freund und König versah, machte ihm immer noch Freude. Hamon betonte, dass er sich Mauros Kritik zu Herzen genommen hatte, und seinen üppigen Lebensstil inzwischen ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzierte.

    Nach einer Weile hielt Hamon im Erzählen inne. Er merkte wohl, dass Mauro mit seinen Gedanken weit weg war. „Willst Du darüber reden?" fragte er den Freund.

    Mauro machte eine resignierte Geste.

    „Siehst Du eine Möglichkeit, Barrens Zauber zu durchbrechen?" fragte Hamon.

    „Barren kennt mich ziemlich gut. Er ließ mir keinen sanften Weg, um seinen Zauber auszuhebeln. Wenn ich die Gedächtnisblockade mit Gewalt durchbreche, wird Sigrun nicht überleben. Fast denke ich, ich könnte ihren Tod leichter ertragen als das Zusammenleben mit einem Kind, das aussieht wie meine geliebte Frau!"

    „Ich weiß nicht, was ich Dir empfehlen soll, sagte Hamon betrübt. „Du hast gewiss auch andere Zauberer gefragt…

    Mauro bejahte: „Ich habe mit Schlobart gesprochen, und mit Barad. Selbst Elfenkönigin Galbereth wusste mir keinen Rat."

    Hamon nickte: „Das hatte ich befürchtet. Du bist der mit Abstand mächtigste Zauberer hier. Wer sollte helfen, wenn Du nicht mehr weiter weißt?"

    Mauro presste die Lippen zusammen und schwieg. Seine Gedanken gingen zurück zu den guten Zeiten mit Sigrun: „Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir geheiratet. Ich war der glücklichste Mensch auf Erden, und mein Tagwerk ging mir leicht von der Hand. Nun ist es mit einem Mal vorbei. Nach einer Weile fügte er empört hinzu: „Ich nahm Barren in die Pflicht, Sigrun nicht anzurühren. Ich stellte sie unter den Schutz des großen Furuk – und dennoch habe ich sie verloren. Das ist unfassbar für mich!

    „Wie es scheint, hat Barren die Abmachung unterlaufen. Ihr das Gedächtnis zu rauben hat ihm sein Herr offenbar nicht verboten. In der Auslegung sind die höheren Wesen mitunter spitzfindig."

    „Erst kürzlich sprach ich mit Hohepriesterin Suza darüber, wie verwundbar wir Menschen doch sind. An wem immer mein Herz hängt, Barren kann ihn mir nehmen. Ich fühle selbst, wie jeder Verlust die Dunkelheit in mir nährt. Schon jetzt wage ich kaum mehr zu zeigen, welcher Mensch mir nahe steht. Irgendwann kommt auch für mich der Punkt, wo ich jede Hoffnung begrabe. Mauro grub den Kopf in die Hände und klagte: „Wie soll ich die bevorstehenden Prüfungen bestehen, ohne Sigruns sanfte Kraft an meiner Seite? Schon einmal wähnte ich sie auf immer verloren. Schon einmal war ich mutlos und verzweifelt ohne sie. Nun ist sie zwar da – und mir dennoch entzogen. Ist damit mein Schicksal besiegelt? Wollen die Götter mein Scheitern?

    „Noch ist nicht aller Tage Abend, versuchte Hamon ihn zu trösten. „Vielleicht findest Du einen Weg, den Zauber zu durchbrechen. Vielleicht sind die Götter Dir gnädig, und sie wird gesund.

    „Vielleicht… wiederholte Mauro niedergeschlagen. „Meine Mission steht wieder einmal auf Messers Schneide. Wo vor kurzem noch Licht und Zuversicht war, sehe ich nur noch dunkle Bedrohung. Nachts schlafe ich kaum. Die Alpträume sind schlimm wie lange nicht mehr. Die Geister des Labyrinths bedängen mich wieder. Hohepriesterin Suza hat Recht: ich brauche ein Wunder – einen Akt göttlicher Gnade – sonst laufe ich Gefahr, genau wie mein Vater zu scheitern.

    Kapitel 2: Der Kampf mit der Vergangenheit

    Kayla kam regelmäßig ins Gildehaus. Sie spürte, dass ihre Anwesenheit Feren wohl tat, auch wenn er das so deutlich nicht sagen würde. Langsam wuchs das gegenseitige Verständnis.

    Kayla machte von Anfang an klar, dass sie als freie Zauberin an Ferens Seite weilte. Sie würde kommen und gehen, wie es ihr beliebte. An erster Stelle kamen ihre Verpflichtungen gegenüber Malfar, dann ihre Aufgaben für die Gilde. Feren würde sich mit dem Rest ihrer Aufmerksamkeit begnügen müssen. Allen darüber hinausgehenden Ansprüchen erteilte sie von vorne herein eine unmissverständliche Absage.

    Feren akzeptierte widerspruchslos ihre Bedingungen. Da er nicht die Kraft aufbrachte, sie fortzuschicken, blieb ihm keine andere Wahl. Er wusste selbst, dass er im Rang nicht hoch genug war, um sie zu freien. In seiner Situation konnte er froh sein, dass sie überhaupt an seiner Seite war. So ließ er sie im Wesentlichen gewähren. Wenn er allerdings von etwas überzeugt war, dann stand er wie ein Fels. Kayla lernte, wann sie sein >nein< akzeptieren musste und wann noch Spielraum für Verhandlungen war. In ihm fand sie einen geduldigen Zuhörer, dem sie am Abend nach einem langen, harten Tag ihr Herz ausschütten konnte. Er gab ihr Rat oder nahm sie einfach in die Arme, wo Worte nichts nützten.

    So bereitwillig er sich in ihr Leben involvieren ließ, so wenig gewährte er ihr Zutritt zu dem seinen. Kayla spürte, dass Feren ihr nicht rückhaltlos vertraute. Wichtige Bereiche seines Lebens waren ihr verschlossen.

    Das stachelte ihren Ehrgeiz an. Wie davor ihr Bruder Beor kämpfte Kayla mit allen Mitteln um Zugang zu Ferens Welt. Es entsprach ihrem inneren Streben, den Mann, den sie gewählt hatte, mit Haut und Haaren zu besitzen. Allerdings wusste sie instinktiv, dass sie sich den Zutritt nicht erzwingen durfte. Vertrauen aufzubauen brauchte Zeit. Bei Feren brauchte es viel Zeit.

    Feren kam nicht auf die Beine. Kaylas Nähe und Zärtlichkeit gaben ihm Kraft, die Nacht zu bestehen – Kraft, die ihm der Tag wieder raubte. Obwohl seine Pflegerinnen genau darauf achteten, was er zu sich nahm, erholten sich seine Reserven nicht. Er konnte gar nicht so viel essen, wie er im Kampf gegen Ängste, quälende Erinnerungen und in der mühsamen Aufarbeitung der Vergangenheit verbrauchte. Zwei Wochen nach dem Angriff der Daughûi war er immer noch zu schwach, um sein Lager zu verlassen.

    Ida half ihm nach Kräften. Feren leugnete nicht, dass er zu Essen aufhörte, sobald er unter Druck geriet. Meist waren die Phasen kurz und er erholte sich rasch wieder, doch angesichts der Schwere seiner Verletzungen war seine derzeitige Appetitlosigkeit problematisch. Auf der Suche nach der Ursache für seine paradoxen Essgewohnheiten war Ida mit ihm den ganzen Weg zurückgegangen, bis nach Orod Ithryn, wo er sich vor den Augen der Lehrer beinahe zu Tode gehungert hatte. Das war seine Art, gegen die andauernde Überforderung zu protestieren. Ida machte ihm bewusst, welch destruktive Mechanismen er aufgebaut hatte, um dem für ihn unerträglichen Druck auszuweichen, und wie das trügerische Gefühl der Macht über Leben und Tod ihn immer wieder in den gleichen Abgrund trieb.

    Allmählich brach Ida seinen Eispanzer auf und brachte ihn mit den ursprünglichen Gefühlen in Kontakt, sodass er Wut wieder als Wut und Trauer als Trauer empfinden konnte. Die Konfrontation mit den eigenen Emotionen und mit dem alten, aufgestauten Schmerz brachte Feren an seine Grenzen. Seine Schutzmechanismen brachen unter dem Ansturm zusammen und es beutelte ihn arg.

    Ida versuchte, sorgsam zu dosieren, um Feren nicht zu viel abzuverlangen. Doch an irgendeinem Punkt geriet der Prozess außer Kontrolle. Feren begann, das Tempo selbst zu bestimmen. Was für ihn machbar war, tat er ohne Zögern – und ohne Rücksicht auf Verluste. Die Pausen, die Ida ihm verordnete, nutzte er, um weitere Türen aufzustoßen.

    Feren wusste, dass er nicht erst in Orod Ithryn mit der Nahrungsverweigerung begonnen hatte. Der Junge, der dort ankam, beherrschte das Spiel schon perfekt. Die Wurzeln lagen viel weiter zurück. Feren ließ die gewalttätigen Szenen seiner Kindheit an sich vorüberziehen. In dem mit ultimativer Härte ausgetragenen Geschlechterkampf seiner Eltern hatten die zahlreichen Kinder keinen Platz. Feren wurde überhaupt ignoriert, denn er war nicht seines Vaters Sohn. Er war ein Kind der Riten – was immer das bei einer Frau wie Mallen hieß, die sich jedem an den Hals warf, mit dem sie den verhassten Gatten und ihren unnachgiebigen Vater Torren ärgern konnte. Als er zum ersten Mal von daheim ausriss, war er kaum älter als sein Sohn Beor jetzt. Als das Ausreißen zur Gewohnheit wurde, verbannte Torren den widerspenstigen Enkel nach Orod Ithryn. Er war ein gutes Jahr jünger als alle anderen und sehr klein. Orod Ithryn war für ihn eine harte Schule, doch er war dort immer noch lieber als daheim. Als man ihm eines Tages die Nachricht vom gewaltsamen Tod seiner Mutter überbrachte, berührte ihn das kein bisschen.

    Mit den Techniken, die Ida ihn gelehrt hatte, ging Feren den Weg bis zum bitteren Anfang, bis zu seiner Geburt. Er fühlte den initialen Schrecken, als er das Licht der Welt erblickte und sich noch nicht zu orientieren wusste, sehnte sich nach dem gewohnten Herzschlag der Mutter. Er wartete darauf, dass sie ihn in die Arme nahm, fühlte die Sehnsucht nach Geborgenheit. Doch nichts dergleichen geschah. Eine Amme trug ihn fort und legte ihn einer fremden Frau in den Arm. Feren hörte nicht, was gesprochen wurde, doch er fühlte deutlich den Wahrnehmungszauber, den die Amme entfaltete: >Das hier ist Dein Sohn, Mallen. Du wirst von jetzt an für ihn sorgen.< Wie in Trance wiederholte Mallen, was ihr die Amme einsuggerierte. Dann bot sie dem Säugling die Brust. Feren wies sie zurück. Der säuerliche Geruch ihrer Haut ekelte ihn an. Er wollte zu seiner Mutter. Er stemmte sich mit beiden Fäusten gegen die Fremde, schrie wie am Spieß und verweigerte die dargebotene Nahrung.

    Vor Ferens Augen brachen die Eckpfeiler seiner Existenz in sich zusammen. Lauter Lügen. Alles, was sein Großvater jemals über ihn behauptet hatte, womit er seine Strenge gegenüber dem Enkel zu begründen pflegte, war falsch. Mallen, die Feren Zeit seines Lebens verabscheut hatte und deren Namen er trug, war nicht seine Mutter.

    Eine Kette von Erinnerungen spulte sich in Ferens Gedächtnis ab. Was immer er gesagt oder getan hatte, sein Großvater ergriff grundsätzlich gegen ihn Partei. Niemals ließ er zu, dass Feren auf irgendetwas stolz sein durfte. Er verhielt sich hart und ungerecht. Wann immer Feren dagegen aufbegehrte, erinnerte er ihn an seine zweifelhafte Herkunft, und dass Feren sich schämen müsse, überhaupt auf der Welt zu sein. So stellte er sicher, dass Feren niemals ohne Not erwähnte, dass er Torrens Enkel war.

    Warum hatte Torren ihm das angetan? Wusste er nicht, dass Mallen ein fremdes Kind aufziehen sollte? Der aufgestaute Hass gegen seinen Großvater brach sich Bahn. Er suchte nach einem Ventil, wollte alles kurz und klein schlagen, doch seine Kraft reichte nicht einmal dazu, aufzustehen. Die Wut drohte ihn zu ersticken. Er versuchte zu schreien, doch er brachte nur gurgelnde Laute hervor.

    Als Ida wenig später nach Feren sah, ging sein Atem schwer und er zitterte am ganzen Körper. „Feren, was hast Du gemacht? rief sie ihn erschrocken an. „Du hast Dich weiter vorgewagt, obwohl ich Dich bat, es nicht zu tun. Was hast Du gesehen? Was hat Dich so erschreckt?

    „Ich bin bis an den Ursprung zurückgegangen. Jetzt weiß ich, woher das Muster kommt. Es begann gleich nach der Geburt." Mehr wollte, mehr konnte er Ida nicht sagen.

    „Feren, bitte, Du darfst nicht alle Wunden gleichzeitig aufreißen. Ich komme nicht nach mit dem Verbinden!"

    Feren brauchte ziemlich lange, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte. Dann sagte er: „Seit meiner Kindheit begleitet mich das vage Gefühl, dass etwas grundlegend falsch ist. Jetzt weiß ich es. Bloß das >warum< kann ich nicht verstehen."

    Ferens Sohn

    Kayla hatte Segur Ferens Nachricht überbracht. Sie bat ihn in Ferens Namen um Vergebung und drängte ihn, Feren im Gildehaus aufzusuchen. Segur ließ nicht durchblicken, wie nahe er Feren stand und wie sehr der Streit ihn belastete. Er sagte nur: „Sobald meine Pflichten es zulassen, werde ich nach ihm sehen."

    Das tat er dann auch.

    Sie gingen hinaus ins Freie und suchten sich einen ruhigen, sonnenbeschienenen Platz an der Stallwand. Feren berichtete über seine Fortschritte. Seine Wunden waren abgetrocknet und das gesplitterte Schlüsselbein tadellos verheilt. Den Schwertarm konnte er allerdings immer noch nicht heben und seine Finger waren taub. Die Lagerstatt verließ er jetzt immer öfter. Im Freien war er heute zum ersten Mal. Alles in allem erweckte Feren einen optimistischen Eindruck.

    Segur erzählte vom Krönungsfest und von der feierlichen Lehensvergabe. Nôrden hatte für Tolego den Schlüssel von Burg Amrun in Empfang genommen und war kurz darauf abgereist. Leor wurde Fürst von Dares und Passar. Sein Schwager Bertram erhielt die reiche Provinz Neylar im Norden der Hauptstadt. Damit herrschte Bertram als erster Almane über eine Kernland-Provinz mit gemischt mandrilanisch-almanischer Bevölkerung. Segur verschwieg Feren, dass Fürst Leor mit Mauros Einverständnis Hanok zum Stadtvogt von Passar bestellt hatte. Eine weitere Überraschung hatte es gegeben: Fürst Val d’Ossar, der nie Forderungen an Mauro gestellt hatte, bekam die ehemalige Alicando-Burg Sevas. Damit waren die alteingesessenen Clans hoch zufrieden.

    In Anschluss an die Lehensvergabe war die Verleihung der Herzogswürde an Alagos von Aglar und Segurs Beförderung zum Togwed der königlichen Garde erfolgt. Segur erzählte ausführlich von seiner neuen Aufgabe.

    Später kam Segur auf das Leben im Stadthaus der Tolegos zu sprechen. Am Anfang mochten sie das riesige Haus überhaupt nicht und trauerten dem Torwächterhäuschen nach. Inzwischen hatte sich die Familie eingelebt. Die zahlreichen Tolego-Beamten, die in Mauros Verwaltung ihren unauffälligen Dienst versahen, merkten rasch, dass mit Mehan und Segur ein neuer Geist eingezogen war. Das Klima im Haus verbesserte sich. Segur respektierte die Leistung der Männer und Mehan drangsalierte die rangniedrigeren Frauen nicht. Schon nach kurzer Zeit wusste Segur, dass er sich nicht nur auf seine Männer, sondern auch auf die alteingesessenen Tolegos stützen konnte. Er war entschlossen, die ihm zustehende Position innerhalb des Clans auszufüllen.

    „Wirst Du zurückkommen?" fragte er Feren.

    Feren schüttelte den Kopf. „Nein, daran denke ich nicht. Doch ich respektiere Deine Entscheidung für den Clan. Es hat mich erstaunt, denn Du warst viel weiter weg als ich. Verzeih mir die harten Worte von neulich. Wenn Du Deine Zukunft im Clan siehst, musst Du den eingeschlagenen Weg zu Ende gehen."

    Segur nickte nur. Nach ihrem Streit hatte er lange mit Greven über Feren geredet. Greven war überzeugt, dass Feren zurückkehren würde und riet Segur, nicht zu drängen. Deshalb wechselte Segur das Thema. Er berichtete detailliert über die Sicherheitsvorkehrungen, die man im Haus der Tolegos für den kleinen Beor getroffen hatte. Zaydhan, eine alte Zauberin aus Torrens Sippe, hatte ein wachsames Auge auf den kostbaren Nachwuchs. Sie galt als mächtig genug, um Barren in seine Schranken zu weisen. „Willst Du Deinen Sohn nicht zu Dir kommen lassen? fragte Segur. „Er hat mitbekommen, dass Du verwundet bist und fragt nach Dir.

    „Nein, rief Feren entsetzt. Dann fügte er leise hinzu: „Je weniger Leute von Beors Existenz wissen, desto besser. Barren hat gedroht, dass er mir jederzeit nehmen kann, was ich am meisten liebe. Er tötete Stork. Meinen Sohn darf er nicht finden!

    „Ich habe von eurer Begegnung gehört, erwiderte Segur. „Trotzdem kannst Du Deinen Sohn nicht auf alle Zeit vor der Welt verstecken! Er wächst heran und hat ein Anrecht, den ihm gebührenden Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Den Weg dorthin musst Du ihm ebnen. Er braucht seinen Vater. Es wird Zeit, dass Du Dich dieser Verantwortung stellst.

    „Lass uns nicht schon wieder darüber streiten. Beor braucht vor allem einen Platz, wo er in Sicherheit ist. Das Stadthaus der Tolegos ist in Ordnung", beeilte sich Feren zu sagen. „Hier hingegen gehen zu viele Fremde ein

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