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Abuso: Der zweite Fall für Sparacio
Abuso: Der zweite Fall für Sparacio
Abuso: Der zweite Fall für Sparacio
eBook409 Seiten5 Stunden

Abuso: Der zweite Fall für Sparacio

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Über dieses E-Book

Abuso ist der italienische Ausdruck für Missbrauch. Nach einem verheerenden Hochwasser in Rom zieht sich der Tiber wieder zurück in sein Bett, einen grausam zugerichteten Toten in einer Baumkrone hinterlassend. Commissario Marcello Sparacio steht vor einem großen Rätsel. Weitere Tote tauchen auf und Sparacio begreift, dass dieser Fall größere Dimensionen zu haben scheint als bisher angenommen. Als schließlich noch ein kleiner Junge vermisst wird und Commissario Sparacio beginnt, die mysteriösen Zeichen zu deuten, führen alle Spuren in den Vatikan - Vom Autor des Thrillers Nahtlos !
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum22. Mai 2019
ISBN9783748594635
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    Buchvorschau

    Abuso - Hans J Muth

    Impressum

    Texte: © Copyright by Hans Muth

    Umschlagfoto I-Stock

    Umschlag © Copyright by Hans Muth

    Verlag: Hans Muth

    Kapellenstr. 6

    54316 Lampaden hans.muth@icloud.com

    Druck:

    epubli, ein Service der

    neopubli GmbH, Berlin

    Printed in Germany

    Nach dem Roman „Tränen der Rache", mit freundlicher Genehmigung des Verlags Stephan Moll, Burg Ramstein 2014

    Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um einen Roman. Personen, die darin vorkommen, existieren in der Wirklichkeit nicht. Dennoch ist es nicht immer möglich, jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen zu vermeiden.

    Keiner sieht meine Qualen,

    niemand kennt meinen Schmerz.

    Gott im Himmel repariert mein gequältes Herz

    Merrlyn

    Wenn der Geist bereit ist zur Rache, wird er nicht eher ruhen, bis sein Körper als Handlanger der Sinne das vollendet hat, das seinem Leben wieder einen Sinn gibt oder er selbst Zuflucht im Tode gefunden hat. (hjm)

    Prolog

    Teil 1

    Irgendwo in San Lorenzo, Rom

    Der schwere Schmiede-Hammer federte mit einem durchdringend hellen Klang zurück, als er die spiegelglatte Fläche des Ambosses traf, um gleich darauf wieder nach unten auf das glühende, zum Kreis gebogene Metallteil zu prallen, wobei die Frequenz des Schlages um einiges an Tiefe gewann. Funken stoben und nach ein paar Schlägen hielt die Faust des Mannes inne, nicht ohne den Hammer erneut einige Male auf der blanken Amboss-Fläche nachfedern zu lassen.

    Der schlanke, sehnige Arm hob das bearbeitete kreisrunde Werkstück in die Höhe, dicht vor sein Gesicht, wo er es mit engen Augen eine Zeitlang nachdenklich betrachtete. Dabei wiegte er den Kopf von einer Seite zur anderen und ein höhnisches Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Er nickte zufrieden, ehe er mit einer entschlossenen Bewegung das Metall in einen Eimer mit kaltem Wasser stieß, gleich einem Schwert in die Brust eines wehrlos Daliegenden. Gleichzeitig mit dem Zischen des abgeschreckten Werkstücks stieg eine weiße Dunstwolke empor und eisenhaltiger Wasserdampf verteilte sich nebulös im Raum.

    Der Mann streifte sich bedächtig die ledernen Arbeitshandschuhe ab und wischte mit einer flüchtigen Bewegung beider Hände über seine blaue Arbeitshose. Er durchquerte gebeugt den fensterlosen Raum, der mit seinen Mauern aus Quadersteinen einem kahlen Kerker glich und in dem außer einer kleinen Esse und dem Amboss lediglich noch eine Arbeitsbank und ein Azetylen-Schweißgerät standen. Er legte die hitzebeständigen Handschuhe auf die metallene Werkbank vor sich und stützte sich mit gestreckten Armen und gesenkten Kopf, einige Male tief durchatmend, darauf ab. Sein Blick starrte auf die Innenseiten seiner Hände und der Ausdruck seines Gesichts hatte etwas Befremdliches, Undurchdringliches.

    Langsam erhob er seinen Blick, dorthin, wo in jeder anderen Werkstatt Werkzeuge oder ein Arbeitsschrank ihren Platz gehabt hätten. Doch an dieser Wand gab es keine Werkzeuge. Es gab weder Hammer, Zange noch eine Säge, es gab nicht einmal einen Schrank. An dieser Wand gab es nur Fotos. Zahlreiche Fotos in allen Größen, in Farbe und in Schwarz-Weiß. Sie zeigten nur einen Menschen, einen Jungen, vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt. Der Junge lachte. Auf fast allen Bildern lachte er. Ein Junge mit großen tiefbraunen Augen und lockigem schwarzen Haar. Die Fotos zeigten nur das Gesicht, keine Umgebung, keinen Raum. Nur das Gesicht war jeweils aus dem Gesamtmotiv herausgeschnitten worden, bei jedem der unzähligen Bilder.

    Die Backenknochen des Mannes mahlten in seinem schmalen Gesicht, während er mit feucht schimmernden Augen auf die Fotos starrte und leise den Namen Matteo vor sich hin sprach. Dann sah er wieder auf seine Handflächen und anschließend auf die Fotos.

    Ich muss es tun. Wir müssen beide unsere Ruhe finden.

    Dann drehte der Mann sich jäh herum, griff in den Eimer mit dem Löschwasser und zog das erkaltete geschmiedete Eisen mit einem energischen Ruck heraus, ein kreisrundes Etwas, kaum größer als seine Handfläche und warf einen entschlossenen Blick darauf.

    Er ging zurück zur Werkbank und legte das Teil darauf ab. Dann öffnete er die Ventile der Azetylen- und der Sauerstoffflasche und hielt ein brennendes Streichholz vor die zischende Öffnung des Schweißbrenners. Mit einem hellen Knall entzündete sich eine weiß-blaue Flamme, die der Mann über die beiden Regler an der Armatur hochfuhr, bis ihm das beißende Geräusch sagte, dass die Arbeitstemperatur erreicht war.

    Er näherte sich dem Werkstück mit der Flamme und als das Metall zu glühen begann, griff er nach einem bereitliegenden Draht, schweißte den Anfang an dem kreisrunden Teil fest und formte jene Applikationen, die dem Kunstwerk den Erkennungswert gab, den zu schaffen er beabsichtigte.

    Was ich tue, das tue ich für dich.

    Die Augen des Mannes verengten sich und schienen die Bilder an der Wand mit ihren Blicken aufzusaugen. Für dich und all die anderen, denen ein Leid zugefügt wurde. Sie werden ihr Leben mit diesem Zeichen teilen müssen. Mit dem Zeichen der Schmach, das unauslöschlich bis ans Ende ihrer Tage mit ihnen verbunden sein wird.

    Wie zur Bestätigung seiner Worte erklang das diffuse Geläut von Kirchenglocken, irgendwo außerhalb der fensterlosen Gemäuer.

    Prolog

    Teil 2

    An einem anderen Ort in San Lorenzo, Rom

    Die großgewachsene dürre Gestalt eilte gebeugt und mit staksigen Schritten über die Piazza di San Lorenzo in Lucina, einem südlichen Stadtteil Roms, den langen Schatten ihres Körpers mit der wehenden Kutte und der seinen Kopf verdeckenden Kapuze in der untergehenden Abendsonne vor sich herschiebend. Ihre Schritte waren nahezu lautlos, als sie an der Längsseite der Basilika entlangeilte und schließlich an einer stählernen, mannshohen Tür verharrte.

    Die vermummte Gestalt schaute sich nach allen Seiten um und griff nach dem metallenen Türknopf. Das Portal gab dem Druck ihrer Hand nach und schwenkte mit einem leisen Quietschen nach innen. Dann sah sie sich noch einmal nach allen Seiten um und verschwand schließlich hinter der Tür, die sie mit einer bedächtigen Bewegung hinter sich schloss.

    Die Gestalt eilte über drei bis vier steinerne Stufen abwärts, um sich anschließend in der Sakristei des Gotteshauses wiederzufinden. Dort öffnete sie die Tür zum Kirchenschiff, sah sich nach allen Seiten um und nickte zufrieden. Die Bänke waren leer, weder Gläubige, noch Touristen hielten sich dort auf. Sie lauschte noch einen kurzen Moment in die Leere der heiligen Halle und schloss die Tür. Dann begab sie sich zur der Stirnwand der Sakristei, an der ein offensichtlich ausgesonderter Hochaltar stand, der den Priestern dazu diente, die zur Messe gebräuchlichen Utensilien darin aufzubewahren, wobei auf das Aufstellen eines eher weltlich wirkenden Schrankes verzichtet werden konnte.

    Die Gestalt beugte sich an der linken Seite des Altars zum Boden und tastete mit der linken Hand an der Rückseite des Altars entlang. Dann schien sie gefunden zu haben, was sie suchte, denn wiederum nickte sie zufrieden und sofort ertönte ein leises „Klack", als ihre Hand einen Mechanismus betätigte. Sie erhob sich aus ihrer gebeugten Haltung und gleichzeitig schwenkte der Altar an der linken Seite etwa einen halben Meter nach vorne, gerade weit genug, dass sich die Gestalt hindurchzwängen konnte. Ein weiterer Griff und eine schmale unscheinbare Tür öffnete sich. Ehe sie sich durch sie hindurchzwängte, betätigte sie noch einmal den Schließmechanismus. Der Altar schwenkte hinter ihr langsam in seine ursprüngliche Stellung zurück.

    *

    Die Gruppe der fünf in dunkle Kutten gehüllten Männer verharrte schweigend mit gesenkten Köpfen in dem kleinen Raum, tief unter dem Kirchenschiff der Basilika San Lorenzo in Lucina. Außer einem runden Tisch aus schwerem alten Eichenholz und den darum angeordneten Stühlen sowie einigen Pechfackeln in ihren Halterungen an den Wänden befand sich keinerlei Mobiliar in dem Raum, dessen kalte und erdrückende Atmosphäre an die Folterkammern und Kerker einer vergangenen Epoche erinnerte.

    Die Männer hatten diesen Raum nacheinander unerkannt durch die Sakristei und den beweglichen Altar erreicht. Nun verharrten sie wortlos, mit gesenkten Köpfen unter ihren Kapuzen, die Arme an den Körper gezogen, in dem Versuch, die Kühle des Raumes von sich fernzuhalten. Keiner schaute den anderen an, niemand eröffnete ein Gespräch, es schien, als lauschten sie in das Innere ihrer Körper, ihrer Seelen, in einer Erwartung, die sich sogleich zu bestätigten schien.

    Denn, plötzlich, wie auf Kommando, erhoben sich die Köpfe der Männer. Sie lauschten den leisen Schritten, die ihnen über die Treppe entgegenkamen, über die steinernen Stufen, über die auch sie nach unten in den geheimen Raum gelangt waren.

    Die einzige Tür des Raumes wurde von außen geöffnet und gab den Blick frei auf die schmalen Steinstufen der nach oben führenden Wendeltreppe, die in diesem Moment teilweise durch einen in der Türöffnung stehenden schlanken Mitbruder mit Kutte und Kapuze verdeckt wurde.

    Die Gruppe am Tisch erhob sich ehrfurchtsvoll von ihren Plätzen und grüßte den Neuankömmling mit einem leichten demütigen Kopfnicken. Der jedoch blieb noch einige Augenblicke auf der untersten Stufe stehen und besah sich die Männer am Tisch. Ein zufriedenes Gefühl beschlich ihn, als er die ausnahmslos demütige und devote Haltung der anderen zur Kenntnis nahm.

    „Nehmt wieder Platz und lasst uns für einen Moment die Förmlichkeiten vergessen", forderte er schließlich die Männer auf, schloss die Tür hinter sich und nahm auf dem letzten freien Stuhl Platz.

    „Ist Euch auch niemand gefolgt? Er sah in die Runde der Anwesenden, sah auf ihre Kapuzen, denn sie hielten die Köpfe immer noch gesenkt. „Seid Ihr euch dessen sicher?, fragte er weiter. „Ist euer Geheimnis auch weiterhin gehütet?"

    Die Männer nickten stumm zur Bestätigung und langsam erhoben sie ihre Häupter und sahen den Neuankömmling erwartungsvoll an.

    „Wir werden uns sputen müssen, drängte dieser. „Die Luftzufuhr unter der Krypta, wie ihr wisst. Wenn die Fackeln zu flackern beginnen, werden wir unser Treffen beenden. Deshalb komme ich gleich zur Sache.

    Er verharrte kurz und blickte die Dreinschauenden erneut der Reihe nach an. Doch dieses Mal senkten sie nicht ihre Köpfe. Erwartung stand in ihren Mienen geschrieben.

    „Unser Treffen heute und hier, es musste sein. Man trachtet euch nach dem Leben, sagte der Mann, der ihr aller Herr zu sein schien, schließlich so leise, dass sich die Köpfe der Anwesenden wie auf ein Kommando in Richtung des Wortführers bewegten. „Einer eurer Brüder … man hat ihn gefunden, brutal ermordet. Aber keine Sorge, die Schändung an seinem Körper wurde ausgelöscht, euer Geheimnis wird also gewahrt bleiben …

    „Wer hat die Zeichen entfernt, Herr?, kam die zögerlich fragende Stimme aus der Reihe der Anwesenden, ohne dass der Fragende den Kopf erhob. „Wer hat ihn ermordet? War es des Zeichens wegen, oder ...?

    Der Neuankömmling erhob sich von seinem Stuhl und stützte seine Arme auf dem Tisch ab. Sein Atem ging schwer, als er in die Runde schaute und sah, wie einer nach dem anderen unterwürfig den Kopf senkte.

    „Jemand ist hinter sein Geheimnis gekommen, zischte er und sah erneut in die Runde. „Entweder, wir haben einen Verräter unter uns oder jemand führt einen Rachefeldzug gegen euch.

    „Aber …" versuchte einer der in Kutten gehüllten Gestalten einen Einwand, doch die schroffe Handbewegung des Wortführers schnitt seinen begonnenen Satz im Ansatz ab.

    „Wir werden von heute an mehr als vorsichtig sein. Nein, mehr noch. Wir müssen demjenigen, der uns das antut, zuvorkommen. Wir müssen ihn ausfindig machen. Die Stimme des Wortführers wurde lauter und fordernder. „Und wir werden dafür sorgen, dass es keine weiteren Opfer gibt. Ich habe Vorkehrungen getroffen. Euch wird ein Leibwächter zugewiesen, jedem Einzelnen. Ihr werdet ihn nicht sehen, nicht hören. Doch er wird in eurer Nähe sein. Es ist für alles gesorgt. Von euch erwarte ich Schweigen und absolute Loyalität. Niemand wird von eurem Geheimnis erfahren. Niemand! Und leise, fast flüsternd, fügte er hinzu: „Wir werden uns in nächster Zeit immer an diesem Werktag und zur selben Uhrzeit hier unten treffen. Legt nun das Schweigegelübde ab. Wer es bricht, wird den Zorn Gottes erfahren."

    1.Kapitel

    Bei einer Wasserleiche handelt es sich um die sterblichen Überreste eines Menschen, die logischerweise in einem Gewässer gefunden wurden. Durch den Aufenthalt im Wasser, beispielsweise in Seen, Flüssen oder im Meer ist der Prozess der Verwesung je nach Liegezeit, Temperatur und diverser anderer Umstände, wie auch durch das Vorkommen von Bakterien, die sich im Wasser befinden, meist in hohem Maße fortgeschritten.

    Gefunden werden Wasserleichen üblicherweise in Flusskehren oder an Stränden im Gewässer treibend, mit dem Gesicht und den Extremitäten nach unten zeigend, den Rudern von Booten gleich.

    In den seltensten Fällen aber werden Wasserleichen an Land vorgefunden und nahezu unwahrscheinlich ist ihr Vorkommen in den Ästen von Bäumen, auch wenn sich diese an Uferböschungen befinden. Dennoch gibt es diese äußerst seltenen Fälle, wie der frühe Montagmorgen des 11. Juli an einem Pfad entlang des Tibers im römischen Stadtteil von San Lorenzo bewies.

    Ein heißer und wolkenloser Sommertag begann sich über Rom zu legen, so wie es seit einer Woche täglich der Fall war. Die Freude darüber war den Bürgern der Stadt anzumerken, denn die anhaltende Regenperiode hatte insbesondere den Anwohnern im Stadtteil San Lorenzo in der Nähe des Tiber-Verlaufs gezeigt, dass auch die Ewige Stadt von Naturkatastrophen nicht verschont blieb. Der schier endlos herabfallende Regen hatte das Wasser des Flusses bis über die Begrenzungen seines Bettes angehoben, hatte die Uferwege im Wasser verschwinden lassen und sogar die Bäume an den Uferhängen nahezu bis an die Kronen in der schmutzigen Brühe ertränkt.

    Seit 40 Jahren war der Tiber nicht mehr so hoch angestiegen wie in diesem Jahr. Über 12 Meter zeigten die Skalen der Wasserstands-Anzeiger; die Schäden, die das Hochwasser angerichtet hatte, waren hoch. 150 Millionen Euro schätzten die Behörden die Wasserschäden alleine in der Heiligen Stadt.

    Dann hatte sich das Wasser langsam wieder zurückgezogen, die Wolken waren aufgebrochen und seit über einer Woche prallte die Sonne auf das ehemals überschwemmte Gebiet und trocknete auch den letzten Tropfen des Tiberwassers dort, wo es nicht hingehörte. Die Uferwege boten den Radfahrern, Wanderern und Joggern wieder ihre Dienste an und dort, wo der Fluss den von ihm verteilten Unrat liegengelassen hatte, waren die Kräfte der Polizia Stradale bemüht, mit Besen und Schaufeln den Urzustand wiederherzustellen.

    Um acht Uhr in der Früh an diesem Sommertag, einem Montag-, folgten zwei junge Männer ihrer Gewohnheit, sportliche Aktivitäten auf dem Pfad entlang des Tiber-Ufers auszuleben, wie sie es seit Jahren taten. Heute war es das erste Mal seit dem Regen und der Überschwemmung, dass sie die Stadt für ihr Fitnesstraining mieden und die Nähe des Flusses bevorzugten.

    Luigi Ferraro und Georgio Fellini verrichteten gemeinsam ihren Dienst bei der städtischen Feuerwehr und hatten ihre Nachtschicht ohne größere Einsätze hinter sich gebracht. Stumm liefen sie nebeneinander her und ihre einzige Abwechslung bestand darin, ab und zu den noch nicht gänzlich ausgetrockneten Pfützen auf dem unbefestigten Uferweg auszuweichen.

    Sie hatten die verschiedensten Straßen des Stadtteils San Lorenzo durchlaufen und folgten der Via Luigi Petroselli, um schließlich in die Via della misericordia abzubiegen. Damit verließen sie die verkehrsträchtigen Straßen und eilten zur Ponte Palatino, wo sie einem Fußweg auf die Uferpromenade folgten. Nebeneinander joggten sie nun auf dem Pfad entlang des Tibers unterhalb der Häuser von San Lorenzo.

    Beide waren bekleidet mit hellblauen T-Shirts und kurzen dunklen Sporthosen und ihre muskulösen Beine glichen inzwischen landkartenähnlichen Gebilden, geschaffen vom schlammigen Schmutz des Weges.

    Luigi verlangsamte seinen Lauf und riss die kräftigen Arme in die Höhe, um sogleich in die Beuge zu gehen und mit den Fingerspitzen den Boden zu berühren. Es war eine von den zahlreichen Lockerungsübungen, für die sie ab und zu ihren Lauf unterbrachen. Seine schulterlangen schwarzen Haare, die er zu einem Zopf zusammengebunden hatte, fielen ihm dabei nach vorne über die Schulter. Laut ausatmend wiederholte er die Dehnung und Georgio tat es ihm gleich.

    „So liebe ich die Stadt, keuchte Luigi zwischen den Übungen und drehte mit angewinkelten Ellbogen den Oberkörper von einer Seite zur anderen. „Regen passt nicht hierher. Nur das sonnige Rom ist das echte Rom.

    „Dann hoffen wir einmal, dass es so bleiben wird", keuchte Georgio und schwang kraftvoll den Oberkörper mit den gestreckten Armen nach hinten, mal nach rechts, mal nach links, jede federnde Bewegung mit einem zischenden Atemgeräusch begleitend.

    „Benedetto, il Tedesco, wird's schon richten!, rief Luigi lachend mit einem Blick in Richtung des Vatikans, von dem man gerade einmal das obere Ende der Kuppel des Petersdoms erkennen konnte. „Sieh, die rote Sonne dort drüben. Man könnte meinen, Nero würde Flammen über die Stadt werfen. Sieh dir dieses Rot an! Sieh doch nur! Sieh … was ist das?

    Luigis Tirade erstickte mitten im Satz und sein Blick erstarrte in der Richtung des blutroten Sonnenaufgangs.

    „Was ist was?" Georgio war dabei, die Sehnen seiner Oberschenkel zu dehnen. Er hatte das rechte Bein gestreckt nach hinten abgesetzt und presste den Oberkörper auf das angewinkelte linke Bein. Dann hielt er inne und sah zu Luigi hinüber.

    „Dort … im Geäst der Bäume, gleich dort. Siehst du es nicht?" Luigis rechter Arm zeigte in die Richtung der am Uferhang befindlichen Bäume, -bei den meisten handelte es sich um wilden Ahorn-, wobei Georgio das Zittern seiner Hand kaum übersehen konnte.

    Georgios Blick folgte dem ausgestreckten Arm und als er in die blutrote Sonne sehen musste, zog es ihm für einen Moment die Pupillen zusammen.

    „Siehst du auch, was ich sehe? stotterte Luigi und kniff die Augen zusammen, um das, was er zu sehen glaubte, im Gegenlicht erkennen zu können. „Verdammt, was ist das?, flüsterte er, als sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Auch sein Blick schien sich nicht von dem lösen zu können, was auch Georgios Blick wie hypnotisiert anzog.

    „Das … das sieht ja aus, wie …"

    „Wie ein Mensch, beendete Luigi stotternd und mit weitaufgerissenen Augen den begonnenen Satz. „Oder das, was von einem Menschen übriggeblieben ist.

    2.Kapitel

    Commissario Marecello Sparacio faltete murrend die Tageszeitung zusammen und legte sie neben sich auf dem Kaffeetisch ab. Er war heute sehr früh aufgestanden und verhielt sich bewusst leise, damit Sophia, seine Frau, nichts davon mitbekam und friedlich weiterschlummern konnte. Er hatte für sich Kaffee und für Sophia Cappuccino, den sie so liebte, vorbereitet und war schnell zwei Straßen weiter zur Bäckerei gelaufen, um Cornettos und Olivenbrot einzukaufen. Dann hatte er so leise wie möglich den Tisch gedeckt. Er hätte lieber auf Sophia gewartet, doch heute wollte er zeitig auf seiner Dienststelle erscheinen, auf seiner neuen Dienststelle, deren Leiter er war.

    Während er eine Scheibe des noch lauwarmen Brotes mit Marmelade bestrich, hatte er gleichzeitig die Tageszeitung im Blick. La Repubblica berichtete wieder einmal, wie es jeden Tag in den vergangenen beiden Wochen der Fall gewesen war, über das Hochwasser des Tibers und seine Auswirkungen, obwohl der Wasserpegel inzwischen wieder seinen normalen Pegelstand erreicht hatte und das Leben an seinem Ufer schon fast zur Normalität zurückgefunden hatte. Es gab auch heute für Rom kaum Neues und Interessantes zu berichten und schon gar nicht für den Stadtteil San Lorenzo, in den es ihn vor einer Woche ohne eine Vorwarnung verschlagen hatte.

    Im Polizia-Commissariato in der Via Portuense war die Position des Commissario-Capo seit mehr als zwei Monaten vakant gewesen. Leonardo Balestra, der bis zu diesem Zeitpunkt die Dienststelle geleitet und sich selbst als brutaler Verbrecher entpuppt hatte, hatte in den unterirdischen Irrungen des Tempelberges in Jerusalem, geprägt von Habgier und Mordlust, den Tod gefunden. Ausgerechnet Sparacio hatte die mörderische Spur eines erst unbekannten Verbrechers verfolgt und schließlich seinen Vorgesetzten Balestra als Verbrecher entlarvt und im Heiligen Land zu Fall gebracht.

    Während dieser vergangenen beiden Monate hatte Sparacio die Dienststelle in der Via Portuense kommissarisch geleitet und insgeheim gehofft, irgendwann in nächster Zeit die Leitung als Commissario Capo offiziell übernehmen zu können. Doch es war anders gekommen, anders, als er es sich vorgestellt hatte.

    Sparacio ließ die Kaffeetasse sinken und stöhnte auf, gerade in dem Moment, als Sophia, ein Lied summend, früher als erwartet, fröhlich die Küche betrat. Sein aufkommender Ärger verebbte und er stand auf, um sie mit einem Kuss auf die Wange zu begrüßen. Sophia roch gut und genau in dem Moment, als er ihr Parfum einatmete, wusste er bereits, dass sie heute nicht gemeinsam das Frühstück einnehmen würden.

    „Ich muss los, Carino, ich werde im Büro eine Tasse Kaffee zu mir nehmen", flüsterte sie ihm ins Ohr und Sparacio trat einen Schritt zurück. Dabei hielt er ihre Oberarme mit gestreckten Händen, als wolle er sie einerseits aufgrund des gerade Gehörten von sich stoßen, sie aber andererseits mit seinem starken Griff zum Bleiben veranlassen.

    Er sah in ihr schönes, leicht gebräuntes Gesicht, an dessen beiden Seiten die leicht gelockten schwarzen Haare bis auf die Schultern fielen, er sah auf ihre dezent geschminkten vollen Lippen und stellte wieder einmal fest, dass sie für ihr Alter, -immerhin hatte sie vor einem Monat ihren 45-jährigen Geburtstag gefeiert- noch sehr jugendlich aussah. Ihre großen dunklen Augen über den leicht hervorstehenden Backenknochen mit dem zart aufgelegten Rouge wurden bei dem um Verständnis bittenden Lächeln noch um einen Glanz heller.

    „In einer Viertelstunde erwartet mich ein Kunde, um sich ein Projekt anzusehen. Du musst mir die Daumen drücken, Carino. Es wird ein gutes Geschäft, wenn ich ihn überzeugen kann."

    „Du wirst ihn überzeugen, Liebes, antwortete Sparacio leise, darauf bedacht, ihr seine Enttäuschung über den allzu schnellen Abschied nicht zu zeigen. „Wenn das Projekt hier in San Lorenzo liegt, wünsche ich ihm viel Glück, bemerkte er vielsagend lächelnd.

    „Mir gefällt es in diesem Stadtteil", rief Sophia im Hinausgehen und winkte Sparacio noch einmal zu, ehe sie aus der Wohnung verschwand. Er hörte noch das Klappern ihrer Pumps, dann fiel die Tür ins Schloss.

    Sparacio seufzte. Dass Sophia einmal mit Immobilien makeln würde, daran hätte er noch vor einigen Wochen nicht im Traum gedacht. Claudio Lulli, ein Freund der Familie, hatte Sophia gefragt, ob sie nicht Interesse an einer Tätigkeit in seiner Firma hätte. Nicht, dass er in dem Glauben handelte, für Sophia oder gar für sie und Marcello wäre ein Zubrot finanziell vonnöten. Beileibe nicht. Claudio wollte Sophia damit lediglich einen Gefallen tun, ihr die Möglichkeit bieten, tagsüber, wenn ihr Mann im Dienst war, in einem Arbeitsverhältnis Kontakt zu anderen Menschen zu haben.

    Sparacio sah es einerseits mit einem Hauch von Eifersucht, andererseits gönnte er Sophia ihre Eigenständigkeit oder das, was sie darunter verstand. Und sie hatte Freude an dem, was sie tat. „Ich bin wieder unter Menschen, Carino", hatte sie zu ihm gesagt und in ihren Augen las er das Verlangen nach Verständnis, bevor sie ging.

    Sparacio versuchte es zu verstehen. Er sah auf die Uhr. Es war kurz vor halb acht Uhr. Zeit genug, seinen Kaffee gemütlich auszutrinken. Außerdem war er der Chef. Er war der Commissario Capo, der Leiter der Dienstelle, seiner neuen Dienststelle. Allerdings nicht mehr im Polizia-Commissariato in der Via Portuense. Sparacio seufzte erneut. Er schenkte sich frischen Kaffee ein und schob den Frühstücksteller von sich. Der Hunger war ihm vergangen.

    Sparacio wohnte mit Sophia in der Via della Pilotta mit Blick auf einen kleinen grünen Park, der nur durch die verkehrsreiche Fahrbahn geteilt wurde. Immer, wenn er aus dem Fenster sah, war er erfreut darüber, in der dritten Etage und nicht im Erdgeschoss zu wohnen. Die Aussicht hier war, trotzt aller städtischen Begebenheiten, nicht derart eingeengt, wie es in den dichten Straßen Roms der Fall war. Es bedeutete ihm ein Stück Freiheit, wenn er über die Bäume und Sträucher dies- und jenseits der Via Maggio sah, und er empfand es als große Erleichterung, dass die Geräuschkulisse des Straßenverkehrs bis zu seiner Wohnung hin fast verebbte.

    Seit einer Woche war Sparacio nun Commissario Capo des Polizei-Kommissariats in San Lorenzo. Questore Giovanni Recchia hatte ihn zu sich in die Questura geladen und nicht nur ihn. Erstaunlicherweise sah sich Sparacio einem weiteren, ihm bislang unbekannten Kollegen, gegenüber.

    „Sie werden sich nicht kennen, begann der Questore. „Commissario Sparacio - Commissario Bretone, stellte er die beiden vor und Bretone neigte leicht den Kopf in Sparacios Richtung, ohne eine Miene zu verziehen.

    „Signore Bretone hat sich auf die vakante Dienststelle in der Via Portuense als Leiter beworben, hörte Sparacio seinen Vorgesetzten wie aus weiter Ferne. „Wir haben dem entsprochen. Nein, lassen Sie mich ausreden. Der Questore hob beschwichtigend die Hand, als er sah, dass Sparacio tief einatmete. „Ihnen, lieber Commissario, haben wir eine andere Aufgabe zugedacht und Sie werden sich dabei nicht verschlechtern. Sie werden die neue Dienststelle in der Via Urbana im Stadtteil San Lorenzo übernehmen."

    Er winkte erneut mit der Hand ab, als er das Vorhaben Sparacios, einen Kommentar zu geben, bemerkte. „Sie beide, meine Herren, werden zum Commissario Capo befördert, wie es Ihrer Position zusteht. Ich weiß, Sie werden Ihre Sache hervorragend machen. Meine Herren."

    Der Questore erhob sich und geleitete die beiden Kollegen zur Tür und gab ihnen damit nicht die Möglichkeit, Fragen zu stellen oder gar eine Diskussion zu beginnen. Es war ein einseitiges Gespräch gewesen und als Sparacio wenige Minuten später auf dem Gehweg vor dem Präsidium stand, überlegte er, ob man ihm die Entscheidung nicht hätte schriftlich mitteilen können, denn eine Gelegenheit, seine Meinung einzubringen, hatte man ihm so oder so nicht eingeräumt.

    Es brauchte seine Zeit, bis Sparacio sich mit der Entscheidung des Questore abgefunden hatte, doch dann sah er es an der Zeit, die Gestaltung seiner neuen Dienststelle selbst in die Hand zu nehmen. Und so trug er seine Wünsche dem Questore telefonisch an und war erstaunt, dass er seinen Anträgen stattgab. Kurz darauf informierte er Enzo Sciutto, einen Beamten der Carabinieri, der immer zur Stelle war, wenn Sparacio einen zuverlässigen Mitarbeiter benötigte, per Telefon.

    „Sie kommen mit nach San Lorenzo, zu unserer neuen Dienststelle, hatte er ihm gesagt und Sciutto war schier aus dem Häuschen. „Da wird sich Maria aber freuen, war das Erste, was er sagte. „Und ich habe nur noch den halben Weg zur Arbeit. Wann soll es denn losgehen, Commissario?"

    „Sofort, Sergente, sofort. Drei Ihrer Kollegen haben schon vor einer Woche ihren Dienst dort begonnen. Er dachte kurz nach. Dann war die Dienststelle ja vollständig eingerichtet, eine Belastung weniger für ihn. „Sie, Sciutto, endete Sparacio, „Sie werden bis auf Weiteres zu meiner persönlichen Verfügung stehen."

    Sparacio schmunzelte, als er Sciutto förmlich am anderen Ende der Leitung über das ganze Gesicht grinsen sah.

    „Danke, Commissario, danke. Wenn ich das Maria erzähle."

    Sparacio beendete sein Frühstück, kaum, dass er einen Bissen zu sich genommen hatte. Er räumte die verderblichen Dinge in den Kühlschrank und stellte das benutzte Geschirr auf der Spüle der Anrichte ab. Dann überlegte er, ob er sich noch um den Abwasch kümmern sollte, doch ehe er die Entscheidung herbeiführen konnte, läutete das Telefon.

    „Commissario, es tut mir leid, dass ich Sie störe. Es war Sciutto, der Sergente, den er zu seiner rechten Hand auf der neuen Dienststelle im Stadtteil San Lorenzo gemacht hatte. „Vermutlich sitzen Sie mit Ihrer Frau gemütlich beim Frühstück, draußen auf der Terrasse. Die Sonne … es wird ein so schöner Tag in Rom…

    „Sciutto, was ist los? Sie rufen mich doch nicht an, um mir einen guten Appetit zu wünschen. Haben Sie Probleme auf der Dienststelle?"

    „Na, ja, kam es gedehnt aus der Leitung. „Probleme kann man das schon nennen. Wir … wir haben einen Toten, unten an der Biegung des Tibers, etwa 200 Meter unterhalb der Ponte Palatino. Können Sie gleich kommen? Es klang irgendwie zaghaft.

    „Eine Wasserleiche?", fragte Sparacio zurück, während er mit dem Hörer am Ohr ins Wohnzimmer eilte und nach seinem Sakko Ausschau hielt.

    „Ja und nein, Commissario, kam es nun gequält aus der Hörmuschel. „Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll …

    „Dann lassen Sie es, sagte Sparacio unwirsch. „Ich bin gleich bei Ihnen. Er ließ den Hörer auf die Ladestation fallen und warf sich das Sakko über. „Ja und nein, äffte er Sciutto im Hinauseilen nach. „Er wird doch wohl noch eine Wasserleiche von einer üblichen Leiche unterscheiden können.

    3. Kapitel

    An diesem Montag, dem 11. Juli, war der Verkehr dichter als sonst und Sparacio sah keinen Sinn darin, einen anderen Weg als den direkten zum Tiber zu nehmen. Als

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