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Wenn man alt wird
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Wenn man alt wird
eBook89 Seiten1 Stunde

Wenn man alt wird

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Über dieses E-Book

Eine Novelle, vielleicht am ehesten nach der Art von James Ellroy (Black Dahlia), angesiedelt im Hamburg von heute. Aber auch wenn das Genre wohl "hard-boiled" ist, kann man "Wenn man alt wird" nicht als klassischen Krimi bezeichnen, das soll auch schon im Titel deutlich werden. Die Hauptfiguren - ein Elitepolizist, ein Lehrer, eine Prostituierte - sind typische Nobodies, die in der reichsten Stadt Deutschlands niemand kennt und niemand sieht, die aber doch viel ausdrücken darüber, was es heißt, hier in den mittleren Jahren dem eigenen Untergang entgegenzusehen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum5. März 2014
ISBN9783847673255
Wenn man alt wird
Autor

Bernd Meier

Ein Rocker und Schocker aus Hamburg, der es massiv drauf hat.

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    Buchvorschau

    Wenn man alt wird - Bernd Meier

    Daniel Schelling

    Er mochte den Geruch von Waffenöl solange er denken konnte. Schon als Kind hatte es eine magisch-beruhigende Wirkung auf ihn gehabt: Wenn sein Vater am Küchentisch gesessen hatte und sich mit drei dunkel verfärbten Pfeiffenreinigern und einem Fläschchen Ballistol mit ritueller Langsamkeit seine Dienstpistole vorgenommen hatte, hatte er immer den Hals ganz lang gemacht, um mit der Nase dem alten, schwarzgefleckten, blauen Filzlappen ganz nah zu sein, der als Unterlage diente.

    Sicher, die Pistole sah eindrucksvoll aus. Der schwarze, glatte Stahl, die nüchternen Winkel und Linien, die sagten: Nicht von dieser Welt.

    Aber der eigentliche Charakter der Waffe schien in ihrem Geruch zu liegen. Der stumpfe, metallische Duft des Waffenöls verbarg und enthüllte zugleich das Geheimnis der Pistole: Ein sauber durchgezogener Abzug mischte im Bruchteil einer Sekunde alle Karten neu, beendete Schicksale, gab Lebenswegen neue Richtungen.

    Die Väter seiner Klassenkameraden waren alles Mögliche gewesen – Kranfahrer im Hafen, Architekt, Verkäufer im Lampengeschäft, Apotheker, Versicherungsangestellter, einer war sogar Kunstprofessor. Für ihn mochten sie sein, was sie wollten, die Geschichten der anderen Jungs hatten ihn nie beeindruckt, ihn nicht. Der Kunstprofessor hatte ein Bild aus bunten Kronkorken auf einer Leinwand aus Klopapier geklebt und es bei einer Ausstellung in Den Haag für 5000 DM verkauft?

    In China war ein Sack Reis umgefallen.

    Denn sein eigener Vater war beim LKA und hatte eine Pistole. Und auch wenn der nie darüber sprach – die Art und Weise, wie er beim Reinigen mit der Waffe umging, hatte Daniel Schelling schon als Kind intuitiv begreifen lassen, dass sie für seinen Vater mehr gewesen war, als für den Maurer die Kelle.

    Er hatte mit seiner Pistole das Schicksal gemacht, und nicht nur einmal, sein eigenes und das von anderen, daran konnte es keinen Zweifel geben.

    Schelling schloß die Augen und sog den Geruch des Waffenöls langsam und genüßlich durch die Nase ein.

    Es war immer noch dasselbe Aroma, wie damals vor bald 30 Jahren, als sein Vater zuhause am Küchentisch seine Dienstpistole gereinigt hatte.

    Das Problem war nur: So schlecht geschossen wie an diesem Morgen hatte er noch nie. Dabei war es nicht die Waffe, die ihm Schwierigkeiten gemacht hatte. Er schoß die Glock schon seit zwei Jahren, sie lag ihm so vertraut in der Hand wie sein Rasierer.

    Das Problem waren seine Augen, oder besser: Sein rechtes Auge. Irgendwie klappte die Feineinstellung nicht mehr so richtig. Er sah die Umrisse der Scheibe und auch das angedeutete Gesicht und die eingezeichnete Waffe des Angreifers. Aber dann fing auf einmal alles an zu flimmern, ehe in der Mitte seines Blickfeldes die Dinge verschwammen.

    Er hatte trotzdem geschossen, eher auf gut Glück.

    Wenn es keine Übung auf dem Schießstand gewesen wäre, sondern ein echter Einsatz während einer Geiselnahme in einer Grundschule hätte er vermutlich ein bis zwei Erstklässler per Kopfschuss erledigt – ohne dem Geiselnehmer ein Haar zu krümmen.

    Was war da los? War irgendetwas mit dem Sehnerv nicht in Ordnung? Er hatte noch nie irgendeine Schwierigkeit mit seinen Augen gehabt. Geschweige denn mit irgendeinem anderen Teil seines Körpers. Tatsächlich war er gesund wie ein Brauereigaul, die einzige medizinische Behandlung der vergangenen zehn Jahre war ein Weisheitszahn unten links gewesen: zack raus - Klappe zu, Affe tot.

    „Es gibt einen Grund, warum die Altersgrenze beim Mobilen Einsatzkommando bei 35 Jahren liegt", sagte der Alte eine halbe Stunde später.

    Schelling betrachtete all die Wappen befreundeter Spezialeinheiten an der Wand hinter dem Schreibtisch des Chefs. Er erkannte auf Anhieb sechs, bei deren Übergabe nach Ende der gemeinsamen Übung er dabei gewesen war.

    „Leute werden alt. Die Reaktionszeiten verlängern sich, weil die Reflexe nachlassen. Die Schnellkraft lässt nach. Und psychisch betrachtet mischen sich selbst bei den Stumpfen in die reine Aggression plötzlich Anflüge von Zweifel, von Zögern, von Nachdenklichkeit. Die Knochen werden brüchiger – „ der Alte machte eine kurze Pause „-- und bei anderen werden eben die Augen schlechter."

    Schelling wußte nicht, was er sagen sollte.

    Es war eine Hinrichtung erster Klasse. Aber er konnte dem Chef noch nicht einmal böse sein. Was, wenn sie rausgingen, er wieder dieses komische Flimmern im rechten Auge hätte und zack lag irgendein Zivilist tot am Boden, während die Zielperson ihr komplettes Magazin auf die anderen leer schoß?

    Er hatte es doch selber über die Jahre in Dutzenden von Einsätzen erlebt – die ganze Nummer rollte überhaupt nur deshalb, weil man sich darauf verlassen konnte, dass die Jungs um einen herum 100 Prozent in Form waren.

    Der Chef blätterte in der Personalakte, ohne wirklich bei der Sache zu sein. Es war natürlich vollkommener Quatsch, dachte Schelling: Der Alte wußte genau, wie die Dinge standen, bei jedem einzelnen der Männer und an jedem Tag. Er brauchte keine Akten, für gar nichts. Wenn er nun in dem häßlichen, leicht vergilbt wirkenden Recycling-Behördenpapier herumblätterte, dann war das reine Requisite und vielleicht noch ein bisschen der Versuch, Schelling daran zu erinnern, dass es nichts Persönliches war: Die Dienstvorschriften waren nun einmal die Dienstvorschriften, die Aktenlage war klar. Höflichkeit unter Kollegen.

    „Sie können natürlich auf meine volle Unterstützung zählen bei der Suche nach einer neuen Verwendung", sagte der Chef.

    Eine neue Verwendung? Wenn es schlecht lief wieder Schutzpolizei, Dienst in Uniform auf irgendeinem Polizeikommissariat. Schelling sah sich auf einmal im ebenso sinnlosen wie langwierigen Gespräch mit einem 63jährigen frühpensionierten Studienrat, der die Rechtmäßigkeit eines soeben erhaltenen Strafzettels in Zweifel zog, mit der ganzen langatmigen Klugscheißerei wie sie typisch war für Leute, die nie irgendetwas erlebt hatten.

    ‚Oh je‘, dachte er.

    „Wie lange habe ich denn noch?", fragte er.

    Der Chef kritzelte etwas in die Personalakte. Dann las er laut vor:

    „Wechsel der Dienststelle angestrebt zum 1. Januar."

    Es hatte sich angefühlt, als sei der Luftstrom unter seinen Tragflächen abgerissen. Also hatte er erst einmal Urlaub genommen, davon hatte er sowieso noch viel zu viel.

    Nicht,

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