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Bis an dein Lebensende: Thriller
Bis an dein Lebensende: Thriller
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eBook242 Seiten2 Stunden

Bis an dein Lebensende: Thriller

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Über dieses E-Book

Was ist Traum und was Wirklichkeit?

Für Klenz und Schlosser, Arbeitskollegen am Großklinikum für Psychiatrie, wird diese Frage immer wichtiger und immer schwerer zu beantworten.

Wer ist der Fremde, der Klenz in seinen Albträumen verfolgt? Und wo kann Schlosser die schöne Unbekannte finden, die ihm in seinen Träumen erscheint?

Beide Männer merken nicht, dass sie immer tiefer in einen Strudel geraten, der sie in die Vergangenheit hinabreißt – eine Vergangenheit, die sie ihre Zukunft kosten könnte.

SpracheDeutsch
HerausgeberZeilenfluss
Erscheinungsdatum20. Dez. 2023
ISBN9783967140194
Bis an dein Lebensende: Thriller

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    Buchvorschau

    Bis an dein Lebensende - Michael Prasch

    Bis an dein

    Lebensende

    Thriller

    Michael Prasch

    Juni 2011

    _________________________

    Röchelnd zuckte die alte Frau am Boden. Die weit aufgerissenen Augen spiegelten das Ende wider, während ihre Hände immer wieder verzweifelt nach dem Herzen griffen, aber nur das Nachthemd zu fassen bekamen. In den letzten Momenten ihres Lebens schaute die Frau dem Mann, der den Herzinfarkt ausgelöst hatte, fassungslos ins Gesicht. Ohne jede Regung stand dieser an der Schlafzimmertüre und sah dem Todeskampf zu.

    1

    Oktober 2018

    _________________________

    »Ich schlafe jeden Abend mit Angst ein. Angst vor diesem einen Traum.«

    Franz Klenz blickte in die übersichtliche Runde. Man sah ihm seine knapp zwei Meter Körpergröße auch im Sitzen an. Er hatte wieder einmal das Gefühl, dass er zu viel von sich preisgab, verwischte den Gedanken aber schnell und nippte stattdessen unsicher an seinem Bier.

    Anton Schlosser und Erol Selters saßen ihm schweigend in der Mieze gegenüber und hoben nicht einmal die Köpfe. Seine sanfte Stimme hatte sich im Wortgewirr der Gaststube verloren. Vielleicht besser so, ging es ihm durch den Kopf, und sein Blick schweifte gedankenverloren umher.

    Der Schuppen war nach der raumfüllenden Pächterin Renate »Mieze« Tappeiner benannt, die wie immer hinter dem Tresen stand und sich lautstark mit ihrem Barpublikum unterhielt. Fünfunddreißig Jahre in der Gastronomie hatten Spuren an Haut, Haar und Stimme hinterlassen. Erol Selters hatte schon einige Male die Frage in den Raum geworfen, ob der nicht ganz durchtrainierte, aber keinesfalls übergewichtige Klenz mit seinen ein Meter fünfundneunzig oder die drei Köpfe kleinere, speckige Mieze mehr auf die Waage brachte. Man einigte sich meistens auf unentschieden.

    Die Gaststube versteckte sich wie unzählige andere in der Stadt hinter einer unscheinbaren Türe, über der ein verrostetes Brauereilogo angebracht war, und roch auch heute nach kaltem Zigarettenqualm, obwohl seit Jahren Rauchverbot galt. Die Lautstärke hatte sich im Laufe des Tages mit jedem Bier ein klein wenig gesteigert und verschluckte mittlerweile ganze Sätze, selbst dann, wenn man am Tresen nebeneinandersaß. Für die wenigsten ein Grund nachzufragen.

    Das Jahr war bereits weit fortgeschritten, und der erste Herbststurm kündigte sich mit kurzen, aber ergiebigen Schauern an. Nasse Jacken und Schirme trugen das regnerische Wetter in die Stube, in der die Zeit seit Jahrzehnten stehen geblieben zu sein schien. Lediglich die Zapfanlage hinter der altbackenen Bar aus Marmor wurde in unregelmäßigen Abständen ausgetauscht.

    »Die Leute kommen sicher nicht wegen einer neuen Keramik-Toilette«, erklärte Mieze Tappeiner ihre Sparsamkeit.

    Die fünf Barhocker aus dunklem Holz waren zumeist von denselben Gästen besetzt, die ihren begehrten Stuhl wie einen Staffelstab weitergaben. Die Leute aus der Frühschicht wurden von den immer gleichen Mittagsgästen abgelöst, bis auch die genug hatten und nach einer Stehhalben den Posten für einen Wartenden aus dem Abendpublikum aufgaben. Man kannte sich. Und wenn nicht, musste man an einem der sieben abgenutzten Holztische Platz nehmen, die in der Mitte des niedrigen Raumes eine schmale Gasse bildeten.

    Niemand störte sich an der feuchten, stickigen Luft, welche die Fenster beschlagen ließ. Auch Klenz, Schlosser und Selters nicht. Seit mehreren Jahren traf sich das ungleiche Trio regelmäßig in dem alten Bierstadel, der neben verschiedenen Biersorten niemals Speisen anbot. Für einen Platz an der Bar hatte es dennoch nicht gereicht. In der Regel hatten sich die drei nicht viel zu sagen. Es genügte ihnen, wenn sie gemeinsam tranken und ihre Gespräche sich um Nichtigkeiten drehten. Heute aber war das anders. Franz Klenz wollte seine Ängste nicht mehr mit sich alleine ausmachen. Freunde waren ihm im Laufe seines Lebens verloren gegangen, also entschied er sich, nachdem auch vom dritten Bier nur noch der Schaum übriggeblieben war, aus einem Impuls heraus, den beiden Anwesenden von seinem wiederkehrenden Albtraum zu erzählen.

    »Jeden Abend die Angst, dass ich davon träume«, offenbarte sich Franz Klenz nun etwas lauter, aber immer noch mit zaghafter Stimme, die in keiner Weise zu seinem riesigen Wesen passte.

    Dabei saß er unruhig auf einem Holzstuhl, der nur bei ihm winzig wirkte. An dessen Lehne hing eine schwarze Lederjacke, deren Ärmel bis zum Boden reichten. Sie erschien auch nicht angezogen zu jugendlich für seine mittlerweile dreiundvierzig Jahre. Schlosser blickte zum ersten Mal auf, während Selters weiter abwesend das Emblem des Glases streichelte und anfing routiniert den Bierdeckel in gleich große Fitzelchen zu zerkleinern.

    »Erzähl!«, forderte Schlosser unerwartet aufmerksam auf. »Wovor hast du Angst?«

    Klenz schaute ihn an und bereute es schon, davon angefangen zu haben. Anton Schlosser war normalerweise reserviert und konsequent desinteressiert, wenn es um das eigene Seelenleben oder das anderer ging. Eigentlich konnte er sich an keine einzige Unterhaltung mit ihm erinnern, die intime Themen beinhaltete. Noch bevor Klenz ansetzen konnte, unterbrach Mieze mit dem Klicken ihres Kugelschreibers den Versuch. Sie ergänzte die Bierdeckel jeweils um einen Strich und setzte die nicht bestellten, aber gern gesehenen frischen Bier darauf ab. Selters bestrafte sie hingegen mit einem bösen Blick und setzte sein Glas übertrieben fest auf der abgenutzten Tischplatte ab.

    »Immer das Gleiche. Irgendwann stelle ich dir die Dinger in Rechnung«, nörgelte sie mit heiserer Stimme.

    »Und ich lasse mein Bier das nächste Mal zurückgehen«, erwiderte Selters eingeschnappt, für dessen Geschmack wie immer einen Fingerbreit zu tief eingeschenkt war.

    »Ist schon recht, ihr Süßen«, machte Mieze einen Punkt unter die Nettigkeiten und schlurfte zurück hinter ihre Bar.

    Das ›Süß‹ passte weder auf Klenz, der von den dreien einem Frauentyp trotz oder wegen seiner Größe noch am nächsten kam, noch auf Schlosser und Selters. Schlosser war seit der Schulzeit Außenseiter und optisch immer noch der hagere, blasse Junge, während Selters weder gut noch schlecht aussah und in der Runde normalerweise durch seine Schweigsamkeit auffiel. Wenigstens verlieh ihm ein leicht nach oben gebogener Schnauzbart, den er neuerdings stehen ließ, einen sympathischen Anstrich. Noch vor zehn Jahren wäre er als sportlich agiler Typ durchgegangen. Heute nicht mehr. Im letzten Gespräch mit seiner Ex-Freundin waren die Worte ›Durchschnittstyp‹, ›Bierbauch‹ und ›ich muss mal wieder was erleben‹ gefallen.

    »Was ist jetzt, Klenz. Du hast etwas von Angst gesagt«, erinnerte Schlosser, der eine auffällige grellgelbe Schirmmütze trug, auf der vorne das Logo einer Bergbahn und seitlich Werbung für Tiefkühlkost gestickt war, sein Gegenüber und schaute ihn an, als könnte er die Geschichte nicht erwarten.

    Sichtlich unwohl begann dieser zu erzählen. »Wie soll ich mich ausdrücken? … Ich habe wiederkehrende Albträume. Schlimme Träume, die immer gleich ablaufen und seit Jahren nicht verschwinden.« Er machte eine ungewollte Pause, da er sich selbst reden hörte und ihm schwindelig wurde.

    Schlosser schien das zu bemerken und nickte ihm aufmunternd zu, also schloss Klenz für einen Moment die Augen und fuhr danach mit leiser Stimme fort. »Der Traum fühlt sich so unumstößlich echt an, dass ich danach eine Ewigkeit wie betäubt im Bett liege. Er krallt sich minutenlang an mir fest und folgt mir. Je öfter ich diesen furchtbaren Traum habe, desto schlimmer ist der Kampf zwischen ihm und der Realität. Das Geschehen spielt sich bis auf Kleinigkeiten immer gleich ab und kehrt in regelmäßigen Abständen zurück. Ich hatte gehofft, dass es mit der Zeit aufhört, aber es wird immer schlimmer.«

    Der Ruhigste in der Runde, Erol Selters, warf Klenz einen Blick zu, der ›Was zum Teufel redest du da!‹ besagte, und stand demonstrativ auf. Er ging in Richtung Toilette, die hinter einem schweren Filzvorhang neben der Bar versteckt war und sowohl Männern als auch Frauen Platz bot. Das Lokal war mittlerweile so gut besucht, dass er immer wieder auf sich aufmerksam machen musste, um von den im Gang stehenden Leuten vorbeigelassen zu werden.

    Zurück blieben Klenz und Schlosser, die dem Italo-Deutschen hinterhersahen.

    »Ich habe das auch«, sagte Schlosser schließlich nach einer bedeutungsschweren Pause. »Fast jeden Tag.«

    2

    Der einen Kopf größere Klenz starrte Schlosser an. Er war so mit sich beschäftigt gewesen, dass er mit keiner Erwiderung gerechnet hatte. Schon gar nicht mit dieser. Das Interesse seines Arbeitskollegen an dem Gespräch war erstaunlich genug gewesen. Viel mehr überraschte ihn aber, dass Anton Schlosser einen Spalt in die eigene Privatsphäre geöffnet hatte. Weder sein Vorstoß noch die Reaktion darauf passte zur Oberflächlichkeit ihrer Beziehung.

    »Interessant«, meinte Klenz schließlich, um irgendwas zu sagen. »Und was träumst du?«

    Schon mitten im Satz war ihm seine Frage unangenehm. Es hörte sich so absurd deplatziert an, dass er sich zu schämen begann. Wann hatte er zuletzt so etwas Intimes angesprochen? Ein Blick auf Schlosser verstärkte das Unbehagen noch weiter. Dieser saß unbeweglich mit seiner auffälligen Kopfbedeckung und dem albernen Aufdruck vor ihm und versuchte sich an einem Lächeln. Der spärliche Bartwuchs und die roten Flecken am Kinn ließen ihn um einige Jahre jünger aussehen, als er war. Die Igel-Frisur passte genauso wenig zu dem Alter von neununddreißig Jahren wie sein nicht vorhandener Kleidungsstil, auf den er im Gegensatz zu Klenz keinen Wert legte. Schlosser war ein Mensch, den man ohne schlechtes Gewissen als Sonderling bezeichnen konnte.

    Die Unterhaltung verlief nach wie vor komplett konträr zu ihren bisherigen. Klenz war absolut ungeübt in tiefgründigen Gesprächen und wäre am liebsten einfach aufgestanden.

    »Zuerst du, dann ich«, schlug Schlosser vor.

    Es schien, als hätte der nur darauf gewartet, mit jemandem über das Thema zu reden. Er wirkte wie ausgewechselt. In der Zwischenzeit war auch Selters zurück und fuhr fort das Emblem des Bierglases zu streicheln. Die Fenster waren nach wie vor verschlossen, und Tropfen bahnten sich den Weg durch das Kondenswasser. Der nasse Hund vom Nebentisch schaute gelangweilt in Richtung Bar.

    »Also gut. Ich versuche es«, willigte Klenz nach kurzem Zögern ein. Sein Drang, die Geschichte loszuwerden, war größer als die eigene Verlegenheit.

    »Es beginnt immer gleich. Ich stehe im Schlafanzug in meinem Wohnzimmer und blicke nach draußen. Es dämmert bereits. Eine Straßenlaterne erhellt den Garten. Nicht stark, aber stark genug, um einen Mann zu erkennen, der einige Meter entfernt von der Terrasse regungslos in meine Richtung stiert. Das ist der Zeitpunkt, an dem Panik in mir aufsteigt. Panik vor dem Eindringling. Ich fühle mich hilflos. Starre den unkenntlichen Mann wie gelähmt an. Beginne zu schreien. Der Fremde soll verschwinden. Einfach nur verschwinden. Meist bekomme ich nur ein gequältes Gebrüll zustande. Manchmal ein undeutliches ›Hau ab!‹ oder ›Hilfe!‹. Das Schreien kostet mich unendlich viel Kraft. Der Unbekannte rührt sich keinen Schritt. Ich trete vor zur Terrassentüre und öffne sie. Im gleichen Moment verschwindet der Mann aus meinem Blickfeld in Richtung Haustür, die um die Ecke liegt, und lässt mich alleine auf der Terrasse zurück.

    Die Haustüre öffnet sich und fällt sofort wieder ins Schloss. Ich beobachte, wie der Mann, dessen Gesicht durch eine Kapuze verdeckt ist, keine drei Meter entfernt ohne Eile ins erste Obergeschoss steigt und wieder aus meinem Sichtfeld verschwindet. Die schweren Schritte hallen nach unten, bis eine weitere Türe geöffnet und wieder geschlossen wird. Ich folge dem Eindringling trotz panischer Angst in den ersten Stock. Links das Bad. Rechts das Schlafzimmer. Beide Türen sind zu.

    Ich öffne wie fremdgesteuert die Badtüre. Immer diese zuerst. Nicht die andere. Niemand zu sehen. Die Schlafzimmertüre liegt bedrohlich am anderen Ende des Flures. Am liebsten würde ich weglaufen, aber eine unsichtbare Kraft lässt mich nicht gehen. Ich stehe vor der geschlossenen Türe und öffne sie. Langsam. Vorsichtig. Mein Blick wandert durch das Zimmer, während ich gleichzeitig die Türe immer weiter aufschiebe. Die Klinke hat die Wand schon fast erreicht, bis ich einen Widerstand spüre. Ich brauche einige Sekunden, um zu bemerken, dass die Türe gegen den Körper des fremden Mannes drückt, der gleichzeitig nach vorne tritt. Das ist der Moment, in dem ich es nicht mehr aushalte. In dem ich schreie, so laut ich kann, und panisch aufwache.«

    Klenz hatte die ganze Zeit auf den Salzstreuer in der Mitte des Tisches geschaut und unruhig die eigenen Hände geknetet. Sein Mund fühlte sich trocken an, und er hatte zu schwitzen begonnen. Über den Traum zu sprechen war einfacher, als ihn zu erleben. Dennoch hatte er sich verkrampft, und sein Nacken schmerzte. Während der letzten Minuten hatte er, als wäre er in die Untiefen eines Ozeans getaucht, um sich herum nichts wahrgenommen. Nur langsam setzte der Lärmpegel der Bierstube auch bei ihm wieder ein.

    Klenz zuckte unmerklich zusammen, als sich ein Gast an ihm vorbeischob und ihn am Rücken berührte. Der Hund vom Nachbartisch hob kurz seine Schnauze, als der Mann auch ihm gefährlich nahe kam.

    »Prost.«

    Erol Selters war der Erste, der etwas sagte. Bis jetzt hatte er dem Schauspiel nur ungläubig gelauscht. An seinem Schnauzer hing noch Schaum, als er das Glas hob und seine zwei Bekannten auffordernd anschaute. Diese taten es ihm nach kurzem Zögern gleich.

    »Ja. Prost.«

    3

    Schlosser hatte Klenz, den Mann, der sich ihnen soeben anvertraut hatte, bei der Arbeit im Bezirkskrankenhaus Breitenfeld kennengelernt, einer Einrichtung für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin. Die ›Klapsi‹, wie sie in der Region nur auf den ersten Blick liebevoll genannt wurde, warb mit psychiatrischer Vollversorgung und war spezialisiert auf Psychosomatik, Sucht, Geronto- und Forensische Psychiatrie. Mit tausendfünfhundert Betten durfte sich das Krankenhaus die größte psychiatrische Einrichtung Deutschlands nennen und erstreckte sich auf einem riesigen Gelände vor den Toren der Großstadt, die trotz der Nähe unendlich weit weg erschien.

    Im Laufe der über hundertjährigen Geschichte waren auf den einst weitläufigen Krautäckern an die hundertzwanzig Häuser, Krankenstationen und Dienstwohnungen entstanden, die architektonisch nahezu jedes Jahrzehnt abbildeten. Geprägt war das Gelände allerdings von Gebäuden aus den Zwanzigerjahren. Wie in einer Filmkulisse reihten sich prunkvolle, aber größtenteils heruntergekommene Villen im Jugendstil inmitten einer riesigen Parkanlage aneinander. Ein Geflecht aus Straßen, Forstwegen und Trampelpfaden verband die einzelnen Häuser wie ein unsymmetrisches Spinnennetz. Das Herz des Klinikums war im Gegensatz dazu ein schmuckloser Siebzigerjahre-Betonklotz, der wie alle anderen Gebäude eine Nummer trug. Haus 1. Hier wurden alle neuen Patienten aufgenommen, erstversorgt und später bei Bedarf in die anderen Häuser verteilt.

    Obwohl das Areal seit einigen Jahren für die Bevölkerung viel zugänglicher geworden war, strahlte es etwas Unheimliches aus. Jedes Kind in der Gegend kannte wahre oder erfundene Geschichten von aus den Einrichtungen Geflüchteten, die in der Gemeinde umherirrten oder sich wochenlang in den nahegelegenen Wäldern versteckten. Erst bei einem Spaziergang fielen die vielen Gitterstäbe an den Fenstern auf. Einige der Häuser waren zudem mit Zäunen und Stacheldraht abgesichert. Nachts begann im hintersten Winkel wie in einem schlechten Horrorfilm ›Die Burg‹ zu leuchten. Die Haftanstalt wurde von hohen Flutlichtmasten bestrahlt und sah aus wie die kindliche Vorstellung eines Gefängnisses, mit hohen Mauern, viel Drahtverhau und je einem Überwachungsturm an jeder der vier Ecken. Menschen, die hier einsaßen, waren psychisch krank und hatten eine schwere Straftat begangen.

    Anton Schlosser arbeitete nun seit sieben Jahren als Krankenpfleger in Haus 11. Ein verspieltes Gebäude mit einem ausladenden Balkon, der sich auf sechs Säulen stützte und unter sich eine Veranda beherbergte, die bei Sonne Schatten spendete und bei Regen Schutz bot. Auch wenn der Putz an den Mauern blätterte, strahlte es mit den

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