Schock am Walpurgisfeuer: Ein Rheinsberg-Krimi
Von Holger Rudolph
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Buchvorschau
Schock am Walpurgisfeuer - Holger Rudolph
13 Hexen und eine Tote
Wo bleibt sie nur? Diana hatte eben mal kurz im Gebüsch verschwinden wollen. Toiletten gibt es hier draußen keine. Auf den Stühlen am klobigen Tisch sitzen zwölf Frauen und erwarten ihre Anführerin. Doch auch nach bald zehn Minuten kehrt sie nicht zurück.
Plötzlich ein Schrei. Es kann nur Diana Krell sein, die derart kreischt, dass die anderen Frauen annehmen, nicht weniger als das Leben der Freundin ist in Gefahr. Die fratzenhaften Hexenmasken vor den Gesichtern verbergen ihre Angst. Was tun? Die Runde ist erstarrt vor Schreck.
So plötzlich wie das Schreien begonnen hatte, so abrupt endete es auch.
Ruhe. Lediglich die Wellen des nahen Sees plätschern ein wenig und das lodernde Lagerfeuer knistert. Sonst nichts. Für surrende Insekten ist es in dieser letzten Aprilnacht noch zu früh im Jahr.
Die Frauen haben sich noch immer nicht vom Fleck gerührt. Wo ist Diana?
Endlich beginnt es im Gebüsch zu rascheln. Dann hastige Schritte und das Knacken bewegter Zweige. Die Freundin steht vor ihnen. Ohne Maske, mit verstörtem Gesichtsausdruck, das Haar zerzaust. Ihr Blick flattert ziellos von hier nach dort. Sie sieht aus, als hätte sie vor wenigen Sekunden etwas Furchtbares gesehen.
Eine der Freundinnen geht ihr entgegen und fragt nach, was sie derart verängstigt hat. Diana steckt der Schreck so tief in den Gliedern, dass sie ihre Umgebung nur schemenhaft wahrnimmt. Sie setzt sich, wobei sie noch immer zittert und greift zur großen Flasche mit dem transparent-hellbraunen Gesöff. Sie nimmt einen großen Schluck vom Kräuterschnaps, noch einen, einen dritten.
Jetzt wirkt sie einigermaßen gefasst: „Wir müssen die Polizei rufen. Im Gebüsch liegt eine Tote. Ich hatte sie zuerst gar nicht bemerkt. Doch dann wurde es plötzlich heller. Es hatte wohl eine Wolke dem Mond den Weg freigemacht. Jedenfalls konnte ich nun sehen, dass es nicht nur ein alter Sack mit Lumpen war, den irgendwer illegal im Wald entsorgt hatte. Nein, leider liegt dort eine Frau. Ihre Kleidung ist vollkommen zerfetzt."
Ein heftiger Zitterkrampf durchfährt Diana: „Es kommt leider noch schlimmer. Sie hat am ganzen Körper klaffende Wunden, die ihr erst vor ein paar Stunden zugefügt worden sein können, denn das Blut ist noch nicht vollständig getrocknet. Der bemooste Waldboden um die Tote ist voller Blut. Sie muss große Mengen davon verloren haben. Für mich sieht es ganz danach aus, dass sie verblutet ist. Noch einmal krümmt sich Dianas Körper unter heftigem Schütteln: „So etwas habe ich bisher nur in Horrorfilmen gesehen. Es scheint, als ob sie von einem wilden Tier, einem Monster, überfallen wurde.
Die Freundin nimmt Diana in den Arm und bringt sie die wenigen Meter bis zu den anderen Frauen.
Der furchtbare Fund hat die 13 Hobby-Hexen vom Club der Zauberinnen aus Harzgerode verängstigt, die eigentlich nur ohne ihre Männer ausgelassen die Walpurgisnacht feiern wollten. Eine solche Kurzreise leisten sie sich jedes Jahr. Dabei besuchen sie stets ein anderes Hotel, immer in den schönsten Gegenden Deutschlands. Diesmal haben sie Rheinsberg ausgewählt. Eine von ihnen hatte die Kleinstadt in Nordbrandenburg vorgeschlagen. Sie hatte bei Fontane und Tucholsky etwas über den Ort gelesen und war fasziniert davon.
Diana Krell tippt auf ihrem Handy den Notruf der Polizei. Sie schildert in aller Kürze den grausigen Fund. Der Diensthabende im Präsidium fragt sicherheitshalber nach: „Sie machen auch ganz bestimmt keinen Scherz? Immerhin ist Walpurgisnacht. Wir haben da leider schon allerhand erlebt! Ich sehe übrigens Ihre Handynummer hier auf meinem Display. Also, falls das doch nur ein dummer Witz sein sollte, legen Sie einfach auf. Ich würde dann vergessen, dass Sie fast den Notruf missbraucht hätten. „Nein, das ist ganz bestimmt kein Scherz
, versichert Diana Krell. Die Kriminalkommissarin werde schnellstmöglich vor Ort sein, sagt der Mann im Präsidium.
Diana kann noch immer kaum glauben, was sie vor wenigen Minuten gesehen hat. Dabei ist sie von Hause aus einiges gewohnt. Die dunkelhaarige Mittdreißigerin arbeitet als OP-Schwester. Sie hat schon viel gesehen. Opfer von Verkehrsunfällen sind noch immer so ziemlich das Schlimmste. Sie wird sich wohl nie ganz daran gewöhnen, dass immer wieder Schwerverletzte im Krankenhaus sterben. Doch das hier ist so furchtbar, wie noch keine Verletzung zuvor. Die Tote ist mit Wunden förmlich übersät. Das kann nicht nur ein Raubtier gewesen sein. Ein Rudel also? In Brandenburg soll es wieder Wölfe geben, fällt ihr ein. Würden die so etwas tun? Von gerissenen Schafen hatte sie schon gelesen. Und von Landwirten, die alles andere als zufrieden damit sind, dass wieder Wölfe in märkischen Wäldern leben.
Es ist kurz nach Mitternacht. Feiern kann unter diesen Umständen keine der Frauen mehr. Ein paar von ihnen rufen zu Hause an. Sie sitzen und frösteln. Auch die Flasche hochprozentiger Likör, ein Geschenk des Hafen-Hotels „Marina Wolfsbruch", hilft kaum. Das Gesöff geht zwar nach und nach zur Neige. Vielleicht beruhigt es ein wenig. Die gute Stimmung aber ist dahin.
Gut eine Stunde ist vergangen, als Kriminalhauptkommissarin Anna Klettner ihr Ziel erreicht. Die Enddreißigerin hatte geflucht, als der Anruf der Zentrale sie kurz nach Mitternacht zu Hause in Neuruppin erreichte. Normale Menschen schlafen zu dieser Zeit, sagte ihre innere Stimme. Doch sie fasste sich schnell, nachdem sie erfahren hatte, worum es geht. Sie würde so rasch wie irgend möglich bei der Toten sein müssen, um den unveränderten Tatort zu sehen, denn dort draußen gibt es jede Menge Wild.
Adamswalde, wo liegt das überhaupt? Sie gähnt. Irgendwo am Ende der Welt. Nach einer Dreiviertelstunde Fahrzeit bestätigt sich diese Vermutung. Die letzten drei Kilometer waren die reinste Zumutung. Sandweg, eigentlich nur etwas für Geländewagen. Auch das ist also Rheinsberg. Statt prallem Touristenleben die reine Ruhe. Die Natur soll hier wunderschön sein. Doch davon bemerkt sie jetzt, in der Nacht, nichts.
Praktikant Dennis Müller erreicht den Rastplatz im Südosten des Großen Pälitzsees kurz nach seiner Chefin. Sie begrüßt ihn mit einem Schultertätscheln: „Schön, dass du es so schnell geschafft hast. Die kurzen, blond gefärbten Haare des Assistenten wirken noch strubbeliger als sonst. Ein Gähnen kann Dennis nicht unterdrücken, ehe er grinsend antwortet: „Ach Chefin, für Sie tue ich doch alles, was nur irgendwie in meiner Macht steht! Glauben Sie nicht? Warten Sie es ab!
Er siezt sie noch immer, obwohl sie nun