Rot war ihre Lieblingsfarbe: Ein Fall für Kommissar Hartig
Von Holger Rudolph
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Buchvorschau
Rot war ihre Lieblingsfarbe - Holger Rudolph
1. Ein grausiger Fund
Friedbert Hartig wollte nur noch vergessen. Die Frau, die ihn auf das Schlimmste gedemütigt hatte ebenso wie den Freund, dem er all die Jahre über vertraute. Doch es gelang ihm nicht, die stetig wiederkehrenden Gedanken aus seinem Hirn zu verdrängen.
Wenige Jahre bis zur Pensionierung. Dann hätte er es sich mit Cathy, die eigentlich Katharina hieß, gemütlich gemacht. Das Ferienhäuschen an der Ostsee hatten sie schon vor bald zwanzig Jahren gekauft. Es lag dicht am Strand. Früher genossen sie dort die gemeinsamen Urlaube. Inzwischen erschien ihm diese Zeit, als ob sie nicht zu seinem Leben, nicht einmal in dieses Universum gehörte.
Die Kollegen aus dem Kommissariat hatten lange auf ihn einreden müssen, ehe er schließlich doch noch für den Abend zusagte. Vielleicht würde es ihm gelingen abzuschalten, hoffte er schwach. Friedbert beschleunigte seinen Schritt, obwohl es nun etwas steiler bergan ging.
Es war kurz vor acht Uhr abends. Ab und an schaute er nach unten zurück, wo der weitgehend unzugängliche Nebenarm des einst für die Existenz der Stadt so bedeutenden Flusses lag. Ein paar Lichter, wohl von Taschenlampen, entdeckte er in der tiefen Ferne. Die dazugehörigen Menschen vermochte er nur zu erahnen. Ihre Stimmen klangen jung. Für ein paar Augenblicke erinnerte sich Hartig daran, dass auch er einmal so jung war. Vor mehr als vier Jahrzehnten hatte er selbst unten am Fluss Silvester gefeiert. Ein einziges Mal nur. Schon damals mochte er keine lauten Feste. Das Stimmengewirr hatte ihm nichts als Kopfschmerzen bereitet. Doch er wollte sich so normal wie möglich geben.
Ein sehr lautes Krachen holte den Kommissar zurück. Es musste wohl von den jungen Feiernden unten am Fluss gekommen sein. Wahrscheinlich ein Polen-Böller. Die Auftritte seiner Kollegen in Schulklassen brachten rein gar nichts. Sie konnten noch so sehr vor den gefährlichen Knallkörpern warnen. Wer jung ist, musste auf sich aufmerksam machen. Das war vor 40 Jahren schon so. Und es wird auch in nochmal 40 Jahren ebenso sein, dachte der grauhaarige großgewachsene Mann.
Bim, bam, bim, bam…
Weit oben begannen die Glocken des Domes zu läuten. Wie zum Ende jedes Jahres nahmen die Chöre im langen Schiff des wuchtigen romanischen Gemäuers Aufstellung zum Silvestersingen. Die Chöre reisten teils bald hundert Kilometer an, um die alte Tradition zu pflegen.
Nur noch ein kurzes Stück, dann würde sich der Wanderpfad verzweigen. Wer geradeaus weiterging, gelangte in Serpentinen zum Dom. Hartig würde nach rechts abbiegen, wo sich auf einem Felsplateau das Gasthaus „Zum alten Hanse-Wirt" befand. Ihm gelang es für einen Moment, sich ein ganz klein wenig auf die bevorstehende Feier zu freuen, als er plötzlich auf dem nur schwach beleuchteten Weg über etwas stolperte. Fast wäre er der Länge nach hingefallen. Er hatte zu taumeln begonnen, war dann aber gerade noch dazu in der Lage, seinen Körper abzufangen. Verdammt, was war das?
Er zog eine Taschenlampe aus der rechten Manteltasche und leuchtete auf das, was sich ihm zu Füßen befand. Sein Herz hämmerte. Vor seinen Füßen lag eine junge Frau. Mittellange hellblonde Haare. Sehr jung, fast noch ein Kind. Der Mund weit aufgerissen, die Pupillen starr. Eigentlich überflüssig, noch den Puls zu fühlen. Er tat es trotzdem. Vielleicht lebte sie ja doch noch. Vielleicht hatte er sich geirrt. Nein, nun gab es keinen Zweifel mehr. Die Frau war tot. Statt zu feiern, würde er sich nun mit einem Mord zu beschäftigen haben.
Nur zu gern hätte der Kommissar sofort per Handy seine Kollegen informiert. Doch das Netz war wie an so vielen Stellen seiner Heimatstadt derart schwach, dass er bis zum Gasthaus weiterging.