Das Urvieh
Von Margret Jacobs
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Buchvorschau
Das Urvieh - Margret Jacobs
Freestyle und danke, danke!
Nun, ich könnte schwören, als ich das Buch geschrieben habe, war nicht ein Fehler in Sachen Zeichensetzung, Grammatik und Rechtschreibung darin. Jetzt allerdings, zeigt der Text in diesen Angelegenheiten bisweilen Freestyle-Qualitäten. Vielleicht hat da das Urvieh seine Hände im Spiel gehabt. Nun, lieber Leser, ich hoffe, das stört dich nicht all zu sehr und du kannst damit leben.
Danke, danke an alle, die mir geholfen haben, dass dieses Buch das Licht der Welt erblickt hat. Die Liste der freundlichen Helfer ist lang und umfasst die sichtbare, wie auch die unsichtbare Welt. Zur Erklärung: Ich habe als Medium auch Kontakte zu Wesen aus nicht sichtbaren Welten.
Nun geht es los! Ich wünsche meinen Lesern viel Freude beim Text genießen!
Einige Absonderlichkeiten
Hatte er das schon ein mal beobachtet?
Abellus kratzte nachdenklich an seinem grau-schwarzen, haarlosen Schädel. Er wusste, dass die Menschen es bevorzugten, sauber zu sein. Gesäubert von Erde und anderen Dingen. Aber, dass sie jetzt ihr Waschwasser für die Hände parfümierten und mit einer öligen Schicht versahen, war ihm neu.
Eigentlich war das Wasser nicht für beide Hände bestimmt. Er hatte beobachtet, dass stets nur die rechte Hand in das Wasser getaucht wurde. Und das auch nicht vollständig. Nur die Fingerspitzen kamen damit in Berührung. Dann wurde die rechte Hand schnell wieder raus gezogen und der Mensch machte eine komische Bewegung mit seiner Hand.
Die Hand wurde nicht ausgeschüttelt, wie man das bei Tieren mit Fell sehen konnte, um das Wasser wieder los zu werden, sondern die Hand wurde zur Stirn geführt. Und dann ging sie weiter zur Brusthöhe und dann zur linken und zur rechten Schulter. Es sah so aus, als würden die Menschen ein unsichtbares Kreuz in der Luft nachzeichnen. Das war so eine Art Ritual. Aber was es zu bedeuten hatte, hatte Abellus bisher nicht raus gefunden. Es war einer der merkwürdigen Handlungsweisen, die die Menschen vollführten, ohne, dass sie einen Sinn ergaben. Zumindest für Abellus.
Neugierig beugte er sich ganz tief über den kleinen Wasserspiegel in der gräulichen Steinschüssel. Diese hatte einen schweren Steinfuß an der Unterseite, so dass sie weit nach oben ragte und konnte nicht bewegt werden. Schüssel und Fuß waren eins. Nicht mal eine kleine Erschütterung konnte man verursachen, wenn man mit aller Kraft dagegen stieß. Das Teil, was es auch immer war, blieb unverändert an seinem Platz stehen.
Abellus tauchte seine lange, fast lila-schwarze Zunge in das ölige Wasser und verzog das Gesicht. Es war nicht sauber, eindeutig. Das war ungewöhnlich für die Menschen, die hier her kamen. Er hatte sie genau beobachtet. Sie trugen sehr saubere Kleidung, in der nicht ein Fältchen war. Die Stoffe strahlten vor Weiß. Ihre Haare waren züchtig nach hinten gebunden oder adrett geschnitten. Und er hatte den Eindruck, dass diese Haare der Menschen nie mit Schmutz oder mit Wind in Berührung gekommen waren. Sie legten viel Wert auf Sauberkeit. Also, was sollte dann das hier?
Das Wasser, ja, es war eindeutig Süßwasser, schmeckte aromatisch und irgendwie ölig. Seine Augen hatten ihn also nicht getäuscht. Jemand hatte dem Wasser was zugesetzt. Ob sie es so lieber mochten? Riechend und ölig? Vermutlich.
Er nahm noch einen kleinen Schluck und musste husten. Es schmeckte ihm nicht wirklich, aber es war ihm wichtig, dass er es genau prüfte. Nur so konnte er diese Wesen besser verstehen. Zumindest hoffte er das. Das ölige Wasser in der Steinschüssel blieb ihm allerdings ein Rätsel.
Er mochte Rätsel und Geheimnisse. Deswegen war er ja aus seinem Erdloch hervor gekrochen gekommen, um seinen Geist mit Geheimnissen, die man vielleicht lösen konnte, zu beschäftigen. Er liebte es, in den Angelegenheiten der Menschen herumzuschnüffeln. Sie gaben ihm viele Denkaufgaben auf und das hier war eine davon.
Zufrieden reckte er seine langen, schwarz-grauen Arme in die Luft. Er hatte heute Nacht nicht so gut geschlafen. Ständig waren kleine Erdkrümmel auf seine empfindliche Nase gepurzelt. Davon war er wach geworden. Die ganze Erdhöhle hatte gewackelt. Zumindest kam ihm das so vor. Nun, der Bau war sicher und vor Einstürzen ängstigte er sich schon lange nicht mehr. Dachte er zumindest. Die Erde in dieser Gegend war recht Lehmhaltig und hielt einige Stöße aus.
Die Zeiten hatten sich geändert. Als er mit seiner Gefährtin vor unendlich vielen Jahren hier her gezogen war, gab es noch nicht diese lauten, brummigen Dinger, die die Erde zum erbeben brachten. Und die Tatsache, dass einige davon jetzt auch nachts ihr Unwesen trieben, schien keinen Menschen zu stören. Nur sie, die Erdbewohner, wurden davon in ihrer Nachtruhe empfindlich beeinträchtigt.
Sein dicker Finger kreiste in dem Wasser umher. Das Öl bildete kleine Bilder, die in mehreren Farben schimmerten. Es sah nett aus. Vielleicht war es ja auch nur ein Versehen gewesen, dass diese Substanz dort hineingekommen war. All die Wochen davor, hatte er das Wasser nämlich ganz klar vorgefunden. Wenn Abellus genug von seiner Gefährtin Holda hatte, kam er hier her und nahm sich einen Schluck von dem erfrischenden Nass. Er bildete sich ein, dass die Bewohner dieses Gebäudes, eigens für ihn, diese Schüssel mit Wasser immer neu füllten. Dazu nahmen sie Wasser aus einem anderen Behältnis. Dieses stand weiter hinten im Raum, mittig, so dass man es von allen Seiten gut sehen konnte. Es musste eine zentrale Rolle spielen. Nur welche?
Die Menschen schöpften aus dem großen Behältnis, was reich verziert war. Auch dieser riesige Kelch war fest im Boden verankert und sehr schwer, da er ebenfalls aus Stein war. Jemand hatte ihn rundherum mit Symbolen und Bildnissen versehen. Einige zeigten Menschen, aber auch Tiere waren zu sehen und Pflanzen gab es auch.
Abellus kannte sich mit den Symbolen dort nicht so gut aus. Aber es war ihm aufgefallen, dass ein Bildnis sich auch in einem Fenster wiederfand. Es war ein Bild, was eher abschreckend war. Und Abellus konnte sich keinen Reim daraus machen, warum es den Menschen gefiel, gleich zweimal in diesem Raum dieses Bildnis zu erschaffen.
Es zeigte einen fast nackten, männlichen Menschen, wie er irgendwie mit einem Holzding verbunden war. Komische Sache. Abellus konnte sich nicht erklären, was dieses Holzding für eine Funktion haben sollte. Offensichtlich gefiel es dem männlichen Menschen auch nicht, dass er dort war und irgendwie mit dem Holzding eine Einheit bildete. Abellus kannte sich – nach langem Studium der menschlichen Eigenarten – ein wenig mit deren Mimik aus. Und er hätte schwören können, dass dieser Mann an dem Ding, was aus zwei Holzstreben bestand, eins vertikal und das andere horizontal, sein Gesicht nicht aus Freude so verzog. Es war also keine Szene dargestellt, die Freude verbreiten sollte. War das hier ein Raum, der den Menschen nicht zur Freude diente?
Abellus schüttelte den Kopf. Das Öl in dem Wasser ließ einen pelzigen Geschmack auf seiner Zunge zurück. Er hatte einen robusten Magen. Das Wasser mit Öl würde ihm nichts ausmachen. Mehr quälte ihn der Gedanke, dass er so viele Rätsel in diesem Raum nicht entschlüsseln konnte.
Gedankenverloren strich er über den kalten Stein des kleinen Beckens und rührte noch mal in dem Wasser herum. Er überlegte noch mal. Die Menschen benutzten das kleine Becken, um eine Hand dort hinein zu tauchen. Die andere wurde trocken gelassen. Das war auch komisch, fand er. Vielleicht war ja so das Öl in das Wasser gelangt. Es befand sich zuerst an einer Menschenhand und wurde dann bei der Berührung mit dem Wasser dort abgewaschen.
Abellus hatte schon gesehen, dass Menschen es liebten, ihre Haut mit so einer weißen Paste einzuschmieren. Das erschien ihm logisch zu sein. Die Menschen, die er kannte – nur vom Sehen – hatten so merkwürdige helle Haut. Vermutlich war diese weiße Paste eine Art Schutz für die empfindliche Menschenhaut. Er dagegen hatte eine sehr dicke, robuste Haut, die keinen besonderen Schutz benötigte. Meistens rieb er etwas Erde auf seinen Körper, das aber nicht zum Schutz vor der Sonne, sondern er mochte den Erdgeruch sehr gerne und fand es schick, etwas braune Farbe auf seinem Körper zu haben. Die Erdkruste verhinderte auch, dass Erdflöhe ihn plagten.
Erneut betrachtete er das Öl in dem Wasser. Es war vermutlich weiße Paste, die die Menschen auch an ihren Händen hatten. Das Wasser war nun verdorben. Er würde warten müssen, bis sie es wieder ausgewechselt hatten, bevor er davon erneut trinken konnte. Enttäuscht wendete er sich von dem kleinen Becken ab.
Er konnte von Glück sagen, dass er so gut in der Dunkelheit sehen konnte, denn der Raum war sehr duster. Er konnte auch in Helligkeit alles erkennen. Seine Augen waren wahre Wunderwerke. Geeignet für die absolute Dunkelheit – was für sein Zuhause notwendig war – als auch für das Licht, was oftmals über der Erde schien.
Abellus blickte sich um. Die Menschen hatten, seit er zuletzt hier war, nichts verändert. Überhaupt schien dies ein Ort zu sein, wo wenig geändert wurde. Alles stand so da wie immer.
Manchmal brachten sie Pflanzen von draußen mit und steckten sie in so Behältnisse, die leicht kaputt gingen, wenn man nicht aufpasste. Abellus war das schon passiert. Nicht absichtlich. Er wollte sich das Gefäß mit den Pflanzen darin genauer ansehen, dabei war es ihm aus den Fingern geglitten. Er war sehr erschrocken gewesen, als er das scheppernde Geräusch hörte, das in seine Ohren drang, als das Gefäß in viele, kleine Teile auf dem Steinboden zerbrach. Er hatte die Luft angehalten. Aber es war niemand gekommen.
Seitdem hatte sich Abellus angewöhnt, möglichst nur dann in dem Raum zu sein, wenn er ganz sicher, aber auch absolut sicher war, dass kein Mensch in der Nähe war.
Als das Gefäß kaputt gegangen war, war er sich da nämlich nicht sicher gewesen.
Der Küster seufzte. Er war nicht Schuld daran, dass diese blöde Vase kaputt gegangen war und er fand es ungerecht, dass Pastor Krech ihm den Wert der Vase vom Gehalt abziehen wollte.
Überhaupt war Pastor Krech ein arroganter Schnösel. Das fand Thomas Baldun. Gut, er wusste, dass er so nicht über seinen Chef denken sollte und schon gar nicht in dieser Umgebung. Aber was sollte er machen? Die Ungerechtigkeiten gegen ihn häuften sich und er konnte damit nicht umgehen. Eigentlich konnte er schon damit umgehen, aber der Umstand, dass sein Dienstherr ein religiöser war, verhinderte, dass er sich angemessen wehrte.
Er schluckte den Ärger erneut runter und wendete sich dem Abendmahl Geschirr zu. Wütend polierte er das Silber, was immer wieder dreckig zu sein schien. Irgendein Scherzbold – bestimmt jemand aus der Jugendarbeit – hatte sich hier herein geschlichen und zum wiederholten Mal seine Lippen auf das Silber gedrückt. Fette Lippenabdrücke waren an dem Kelch zu sehen. Und das war nicht das erste Mal. Und es geschah immer dann, wenn er den Kelch und den Teller sauber poliert hatte. Und das Schlimmste war, dass Pastor Krech ein mal sonntags zum Abendmahl einen solchen verdreckten Kelch in der Hand gehalten hatte und es bemerkt hatte. Man konnte an seinem Gesicht sehen, dass er am liebsten den dreckigen Kelch in die nächste Ecke geworfen hätte. Aber wie immer hat er sich vor den Leuten aus der Gemeinde zusammen gerissen und so getan, als wäre nichts. Oder fast nichts.
Allerdings, als dann der Gottesdienst vorüber war, hatte es Thomas Baldun wieder abbekommen. Der Pastor hatte ihn schon seit längerem auf dem Kieker und war sowieso davon überzeugt, dass der Küster seine Arbeit schlampig machte. Das war der erneute Beweis dafür.
Umso mehr war nun der Küster darum bemüht, alles gründlich sauber zu halten. Aber es war umsonst. Die Lippenflecken tauchten regelmäßig auf. Gegenstände wurden von ihrem Platz bewegt und woanders hin gelegt oder verschwanden ganz. Neulich hing sogar das Kreuz im Ankleideraum des Pastors verkehrt herum. Ein Skandal! Zum Glück hatte es Thomas Baldun rechtzeitig bemerkt, bevor sein Chef den Raum betreten hatte. Manchmal hatte der Küster eben auch Glück. Aber eben auch nur manchmal. Wütend darauf, dass jemand das Abendmahlgeschirr verschandelte und so seine Arbeit zu Nichte machte, machte er sich auf den Weg zum Garten, um dort weiter zu arbeiten.
Abellus überlegte, was er noch unternehmen konnte. Was würde ihm Freude machen?
Er schnüffelte an den Pflanzen. Sie waren nicht mehr ganz frisch. Die Menschen ließen sie in den Gefäßen verdorren, bis sie ihre Blätter hängen ließen und manchmal schon modrig rochen.
Er fand, dass der ganze Raum etwas nach Schimmel roch. Nun, das machte ihm nichts aus. Aber er wusste, dass die Menschen recht reinlich waren und daher wunderte es ihn, dass sie sich ab und zu in einem Raum aufhielten, der nach vergammeltem Wasser roch. Diese Menschen waren sehr sonderbar.
Da fiel ihm ein, was er noch machen könnte. Er schlich auf Zehenspitzen durch den großen, weitläufigen Raum, an den kargen Bänken vorbei, in den hinteren Bereich des Gebäudes. Dort hielt er sich auch immer gerne auf. Dort gab es viele, kleine Gegenstände, die sich bewegen ließen und die man gut betrachten konnte. Auch setze er gerne seine anderen Sinne ein, wenn er die Rätsel der Menschheit untersuchte. Sein Tastsinn war sehr hilfreich, aber auch sein Mund und seine Zunge gaben ihm wertvolle Hinweise.
Wenn er mit der Zunge über das merkwürdig schimmernde Ding rieb, das man gut in den Händen halten konnte, schmeckte er einen sehr bitteren Stoff. Das glänzende Ding hatte einen Geschmack, der ihn an einen bitter schmeckenden Pilz erinnerte, der manchmal an Bäumen wuchs. Aber das glänzende Ding war kein Pilz. Eher ein Gefäß, was sich sehr kalt und glatt anfühlte. Drücke er seine Lippen an den Rand des Dings, ging Kälte durch ihn hindurch. Das mochte er besonders im Sommer.
Vielleicht war das ein Gegenstand, den die Menschen verwendeten, um sich bei Hitze zu kühlen. Er fand das spannend. Sicherlich gab es noch mehr Erklärungen für dieses Teil, was wie ein Spiegel wirkte. Allerdings konnte man seine Umgebung nur verzerrt wahrnehmen, wenn man hineinblickte. Abellus Augen schienen darin riesig und noch schwärzer zu sein, als sie eh schon waren. Sein Gesicht wirkte in dem spiegelglatten Ding ganz schmal und seine Wangen eingefallen. Vielleicht war dieses Ding ja auch ein Spielzeug. Auf jeden Fall konnte man damit allerlei anstellen.
Abellus legte den Becher auf den Steinboden und kickte ihn mit seinen Zehen an. Ein schepperndes Geräusch erklang und wirkte auf ihn wie Musik. Er versuchte es noch mal und der Becher hüpfte geräuschvoll über die Steine. Abellus kicherte. Die Menschen verstanden es, schöne Dinge zu erfinden. Sein Blick fiel erneut auf den Kelch auf dem Steinboden und er sah, dass ein kleine Beule das Behältnis schmückte. Die war neu. Die hatte er wohl mit seiner Spielerei hinein gemacht. Nun, warum auch nicht? Dinge blieben nie so, wie sie waren. Sie veränderten sich.
Erschrocken hielt er inne. Jemand hatte die schwere Tür bewegt, die zum Vorraum des großen Gebäudes führte. Er selber ging nie durch diese Öffnung, denn sie war verschlossen. Er hatte es schon mehrmals probiert, aber so sehr er auch an dem großen Holz, was in die Mauer eingelassen war, rüttelte, es war nicht zu bewegen. Zu schwer oder eben durch einen Mechanismus verschlossen.
Abellus hatte beobachtet, dass die Menschen es liebten, Dinge – kleine und große – zu verschließen und zu verstecken. Er fand es wunderbar, nach versteckten Dingen der Menschen zu suchen und sie dann schließlich zu finden. Aber meistens wusste er nicht, was mit dem Gegenstand anzufangen war. Das machte ihm aber nichts. Die Dinge der Menschen waren sehr interessant. Er kannte so viele Gegenstände gar nicht. Er selber besaß nur Weniges. Sein Heim unter der Erde war spartanisch eingerichtet und jeder Gegenstand hatte eine wichtige Funktion, die dem Überleben diente. Die Menschen dagegen schienen Gegenstände zu horten. Sie musste sehr erfinderisch sein – diese Spezies.
Um sicher zu gehen, dass er nicht entdeckt wurde, hockte er sich hinter den Vorhang in dem Raum mit den glänzenden, kleineren Dingen. Und dabei vergaß er, den nun zerbeulten Becher wieder an seinen Platz zu stellen. Er überlegte kurz, was zu machen sei und entschloss sich, einen kurzen Satz nach vorne zu machen – auf allen Vieren, darin war er sehr geschickt – und den Becher zu sich hinter den Vorhang zu nehmen. Keine Sekunde zu früh!
Pastor Roderich Krech steckte seinen Kopf in den Raum und sah sich um. Zog sich jedoch sofort wieder zurück.
Abellus kannte diesen Menschen nur vom Sehen. Er konnte ihn beobachten, wenn er ein mal die Woche vorne in dem großem Raum stand und abwechselnd seine Arme hob und wieder senkte. Er sprach auch viel. Hauptsächlich allein. Keiner schien sich zu trauen, ihn zu unterbrechen, denn wenn dieser Mensch vorne stand, schwiegen alle anderen Menschen, die vor ihm auf dem Holz saßen. Es schien den Leuten nicht zu gefallen, was er da sehr lange Zeit vortrug, denn keiner klatschte in die Hände, wenn er fertig war.
Abellus war ganz stolz auf diese Entdeckung. Er hatte beobachtet, dass Menschen ihre beiden Hände aufeinander schlugen, wenn ihnen etwas gefiel. Neulich hatte nämlich ein weibliches Junge von ihnen, Geräusche auf so einem langen Stab gemacht, der glänzte.
Abellus konnte beobachten, dass dieser Stock einige Löcher besaß, die das junge Weibchen mit ihren Fingern ab und zu zuhielt. Gleichzeitig spitzte sie über einem größeren Loch in dem Silberstab ihre Lippen und pustete Luft hinein. Das Ergebnis davon war, dass Geräusche aus dem Stock kamen.
Abellus konnte nicht sagen, ob diese angenehm waren oder nicht. Er konnte damit wenig anfangen. Aber den Menschen schien es zu gefallen, denn sie schlugen ihre Hände zusammen und stießen zudem jubelnde Rufe aus. Auch bewegten sie sich dabei viel. Bei dem Mann, der gerne vorne steht, bewegte sich niemand. Zumindest für eine längere Zeit nicht. Abellus war es ein Rätsel, warum diese Menschen ein mal die Wochen kamen und sich hinsetzen, um dem Mann da Vorne zu zuhören, wenn es ihnen doch gar nicht gefiel. Und warum ließen sie nicht statt dessen das junge Weibchen auf ihrem Stab spielen?
Abellus seufzte, er hätte zu gerne die Rätsel um diese Menschen gelöst, doch ihm blieb nichts anderes übrig, als Spekulationen anzustellen. Er blickte vorsichtig hinter dem Vorhang in den kleinen Raum. Der Mann von Vorne war verschwunden. Da hatte er Glück gehabt. Noch nie hatte er sich einem Menschen gezeigt und er hielt es auch für sicherer, dies nicht zu tun. Schnell stellte er den zerbeulten Becher wieder an seinen Platz.
Hannelore erschrak. Nervös rückte sie ihre Brille auf ihrem Nasenrücken zurecht. Sie hatte es schon wieder getan! Ihr passierte das ständig, dass sie Dinge tat, die sie eigentlich nicht tun wollte. Vielleicht war sie mit ihren über vierzig Jahren einfach zerstreut geworden. Anders konnte sie sich ihr merkwürdiges Verhalten nicht erklären. Sie hatte schon wieder das Wasser in der Schale verunreinigt. Warum musste sie sich auch immer die Hände eincremen, wenn sie in den Gottesdienstraum ging? Es war schon eine Marotte von ihr. Dabei wusste sie, wie wütend der Küster werden konnte, wenn er sah, dass das heilige Wasser zum bekreuzigen, einen Fettfilm hatte. Nun, sie konnte das verstehen, es war ja auch eklig, dass dieses verunreinigte Wasser bei dem Kreuzzeichen auf Gesicht und Oberkörper tröpfelte. Aber sie konnte ihr Fehlverhalten irgendwie nicht abschalten.
Pastor Krech hatte sie hierher beordert, damit sie die hinteren Räume durchfegte. Sie fand, das war als Sekretärin der Gemeinde gar nicht ihre Aufgabe. Dieser Roderich - was für ein lächerlicher Vorname! – hatte ihr die Putzarbeit als ehrenvolle, ehrenamtliche Arbeit verkauft. Sie war im Laufe der Jahre zu einem Mädchen für alles geworden – ohne Zusatzbezahlung versteht sich. Sie ärgerte sich schon lange darüber, hatte aber nie den Mut aufbringen können, sich dagegen zu wehren. Ihre Waffe war es, sich irgendwie vor der unbezahlten Zusatzarbeit zu drücken. Und so verschwand sie schnell wieder aus dem Kirchenraum, ohne die hinteren Räume gefegt zu haben. Sie war doch keine Putzfrau!
Wütend auf sich, dass sie nicht den Mut hatte, zu kündigen und irgendwo anders anzufangen, stieß sie die Tür zu ihrem Reich auf.