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Ihre Wahrheit
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eBook423 Seiten5 Stunden

Ihre Wahrheit

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Über dieses E-Book

Ihre Wahrheit zerstört Leben

 

Seit einundzwanzig Jahren steht Alex am Abgrund. Er leidet unter Schlafstörungen und einer panischen Angst vor Vögeln. Dass er sich auch noch um seine alkoholkranke Mutter kümmern muss, macht seine Zukunft nicht heller.

 

Sicherheit gibt ihm seine Schwester Melanie. Als sie sich in Sascha verliebt und dieser ihre Liebe nicht erwidert, fühlt sie sich verraten. Ihre krankhafte Vorstellung einer Liebe, die nicht existiert, fördert immer mehr die bösen Seiten ihres wahnhaften Charakters zu Tage.

 

Alex weiß nicht, ob er zu seiner Schwester halten oder sie von ihrem falschen Weg abbringen soll. Durch sein Zögern droht Melanies perfider Rachefeldzug zu eskalieren. Er muss sie aufhalten, denn jetzt sind Menschenleben in Gefahr. Kann er seine Ängste besiegen, um diejenigen zu retten, die er liebt?

 

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum2. Feb. 2021
ISBN9783748773702
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    Buchvorschau

    Ihre Wahrheit - Claudia Overbeck

    Ihre Wahrheit

    Psychothriller

    Claudia Overbeck

    Hinweis zu sensiblen Inhalten und Triggern

    Informationsbedürftige finden im Anhang eine Auflistung zu Gewaltdarstellungen in diesem Buch.

    Mittwoch, 1. Juli

    Sie ballten sich zusammen, bildeten einen wachsenden Knäuel, der ihn langsam zu ersticken drohte. Sein Körper bäumte sich auf bei dem Versuch, die verklumpten Federn herauszuwürgen, sie loszuwerden, auszuspucken. Panisch stocherte Alex mit den Fingern in seiner Mundhöhle, aber der Federball ließ sich nicht fassen, versperrte zunehmend die Luftröhre und vergrößerte sich noch. Die spitzen Federkiele stachen in seine Wangen, die Zunge, das Zahnfleisch. Er schmeckte Blut, wollte schreien, aber außer einem Röcheln war nichts zu hören.

    Nach Luft ringend presste er die Hände an den Hals und ließ sich aus dem Bett fallen. Er rappelte sich auf und taumelte zum Badezimmer.

    In dem kurzen Flur wirbelten Daunen wie Ascheregen durch die Luft und legten sich auf seine Haut. Er schlug um sich, stolperte zum Waschbecken und drehte den Wasserhahn auf. Im Vorbeugen fiel sein Blick in den Spiegel: Aufgerissene Augen voller Panik starrten ihn an, starrten auf seinen weit geöffneten leeren Mund.

    Plötzlich das Geräusch fließenden Wassers. Sein Blick fiel auf seine Hände, die er mit ineinander verschlungenen Fingern unter den Wasserhahn hielt. Viel zu lange schon, sie waren inzwischen eiskalt. Langsam zog Alex sie zurück und drehte den Hahn zu. Während er die Hände trocknete, ließ er den Blick gesenkt. Wie viel Zeit war vergangen, seit ihn der Traum geweckt hatte?

    Sein Hals fühlte sich rau an, als hätten die Federn die letzte Feuchtigkeit aufgesogen und nur staubtrockene Haut zurückgelassen. Die Federn … Natürlich war ihm klar, dass sie nie da gewesen waren, aber es hatte sich so real angefühlt, so, wie es sich jedes Mal anfühlte, wenn er diesen Traum hatte.

    Mit einer trägen Bewegung hängte Alex das Handtuch an den Haken und wandte sich zur Tür.

    Das Wasser aus dem Hahn in der Küche schmeckte abgestanden, er schüttete es in den Ausguss und holte sich frisches im Badezimmer. Gierig trank er zwei Gläser und wagte es erneut, in den Spiegel zu schauen. Ihn fröstelte. Verdammt, er sah aus, als hätte er eine Woche durchgefeiert. Alex beugte sich vor und schaufelte sich mehrere Handvoll Wasser ins Gesicht.

    Auch nicht besser, stellte er nach einem weiteren Blick in den Spiegel fest. Es hatte keinen Sinn, an seinem Aussehen herumzubasteln, er wusste, was ihm fehlte: Schlaf. Aber das war nichts Neues, der fehlte ihm immer. Und mittlerweile war es offensichtlich, dass er nie genug bekommen würde.

    Alex schlich zum Zimmer seiner Mutter und lauschte an der Tür, die einen Spalt offenstand. Er klopfte – viel zu zaghaft, falls sie schlafen sollte – und drückte die Tür auf, nachdem er keine Antwort erhalten hatte. Der Lichtschein vom Flur fiel auf die rote Überdecke.

    Wo war sie? Warum war sie wieder ohne eine Nachricht gegangen, obwohl das anders vereinbart war? Wie sollte er auf seine Mutter aufpassen, wenn sie sich nie an Absprachen hielt?

    Alex durchsuchte jeden Raum nach einer Notiz, aber nichts – Helena war vermutlich noch einmal losgegangen und hatte ihn nicht wecken wollen. Vielleicht war sie auch der Meinung gewesen, dass sie wieder da sein würde, bevor er aufwachte.

    Wie lange hatte er überhaupt geschlafen? Ein Blick zur Küchenuhr bestätigte seine Vermutung: Viel mehr als zwei Stunden waren es nicht gewesen. Jetzt hatte es keinen Sinn mehr, sich wieder hinzulegen. Selbst wenn es ihm gelingen sollte, die Angst vor dem Ersticken zu verdrängen, so lauerte im Schlaf einfach zu viel Unwägbares. Es gab etwas unter der Oberfläche, das ihn bedrohte und ihm Schmerzen zufügen, wenn nicht sogar ihn töten wollte.

    Alex strich durch die Wohnung, ließ in jedem Zimmer das Licht brennen. Es gab nichts zu tun für ihn. Die Küche war aufgeräumt und sauber, das Wohnzimmer in perfektem Zustand. Er setzte sich auf sein Bett und starrte auf den Teppichboden. Abwechselnd krümmte er die Zehen seiner nackten Füße und streckte sie wieder. Krümmen, strecken. Schwer senkten sich seine Augenlider, aber er zwang sie auf. Nichts wäre schlimmer, als schlafend von seiner Mutter überrascht zu werden. Doch, von ihr und einem Mann geweckt zu werden, von zwei wankenden kichernden Gestalten, die sich mit vereinten Kräften am Türrahmen festhielten und zusammenhangloses Zeug redeten.

    Endlich hörte er ein Geräusch an der Wohnungstür, ein Kratzen am Schloss. Jemand rüttelte am Türgriff.

    Er stand sofort auf. Besser, er öffnete ihr, bevor sie anfing, im Hausflur herumzuschreien. Die Hand schon nach der Klinke ausgestreckt, zuckte Alex heftig zusammen, als die Klingel schrillte. Sein Herz schlug wie das eines aufgescheuchten Rehs und wollte sich nicht mehr beruhigen. Hastig riss er die Tür auf.

    »Ich kann meinen Schlüssel nicht finden, Schatz. Habe ich dich geweckt?« Helena schob sich an ihm vorbei und er roch deutlich, dass sie in der Kneipe gewesen war. Rauch und Alkohol, darüber viel zu viel ihres billigen Parfüms. Immerhin war sie allein. »Ich weiß, dass es spät geworden ist. Du musst nicht gleich wieder meckern.«

    Seufzend schloss er die Tür. »Warum hast du mir keinen Zettel hingelegt, Mama?«

    Helena war inzwischen in die Küche gerauscht und Alex folgte ihr. »Bababa … Ach Gott, ich war doch nur ganz kurz weg. Nun sei doch nicht immer so mütterlich.« Sie stand mit dem Rücken zu ihm vor der geöffneten Kühlschranktür und hantierte herum. Schließlich drehte sie sich um, in der Hand ein Glas Cola, sicher mit Schuss. Während sie in großen Schlucken trank, musterten ihre braunen Augen eingehend ihren Sohn. Sie senkte das Glas und lächelte. »Weißt du, dass du verdammt hübsch bist, mein Schatz? Du bist genauso niedlich wie dein Vater.«

    Das hörte er nicht zum ersten Mal. Zu beweisen war die Behauptung nicht, da er seinen Vater nicht kannte. Niemand kannte ihn. Alex wusste nichts weiter, als dass er schön und jung und einsam gewesen war. Wo und wie Helena ihn kennengelernt hatte – die Geschichten variierten, nur sein fabelhaftes Aussehen blieb. Ein Märchenprinz, der einmal von seinem fliegenden Teppich gestiegen war und eine liebeshungrige Frau geschwängert hatte.

    Helena stellte ihr Glas auf den Tisch und war mit wenigen Schritten bei ihm. Sie streckte sich, schlang die Arme um Alex’ Hals und sah begeistert zu ihm auf. »Du hast seine Augen, seinen wunderbaren schlanken Körper, sein welliges Haar.«

    Sanft schob er sie zurück. »Ich weiß, Mama.«

    »Sicher wird man noch etwas finden, das ihr gemeinsam habt.« Sie zwinkerte ihm zu, löste sich von ihm und legte den Kopf schief. »Ach, wenn ich nur an Juan denke, werde ich ganz kribbelig. Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh er war, hier in diesem kalten Land jemanden gefunden zu haben, der ihm Wärme gab. Wenn auch nur für kurze Zeit. Er musste ja zurück in seine Heimat. Du weißt ja, er war Student und …« Sie betrachtete ihr leeres Glas auf dem Küchentisch. »Javez war so schön«, murmelte sie. Gedankenverloren schob sie die gespreizten Finger in ihr Haar und massierte ihre Kopfhaut. »Ich würde schrecklich gerne ein Bad nehmen. Und eine Kleinigkeit essen. Lässt du mir Wasser ein?«

    Alex schaute zur Uhr. Helena darauf hinzuweisen, dass es bereits nach Mitternacht war, würde sie sicher nicht von ihrem Wunsch abbringen. »Aber danach musst du schlafen gehen, okay?«

    Während Helena in der Küche herumkramte, ließ Alex Badewasser ein. Er griff nach der Flasche mit Pflegeschaum und schaute zu, wie aus den rosafarbenen Schlieren, die sich träge im Wasser verteilten, üppiger weißer Schaum entstand.

    »Alex, Liebling, ich mache mir nur ganz kurz den Fernseher an. Bin gleich soweit.«

    Das Rauschen des einfließenden Wassers wirkte hypnotisch auf ihn. Alex’ Hand fuhr durchs Wasser, zog gerade und leicht gebogene Linien durch den Schaum. Verträumt beobachtete er, wie sich die Einschnitte wieder schlossen und die glitzernden Hügel unversehrt dalagen wie frisch gefallener Schnee.

    Er hob den Kopf. Hatte Helena schon wieder vergessen, dass sie noch baden wollte?

    Im Wohnzimmer lief der Fernseher, aber seine Mutter war nicht zu sehen.

    Als Alex die Küche betrat, musste er sich im ersten Moment am Türrahmen festhalten, da ihm die Beine zu versagen drohten. Überall war Blut! Sein Blick flitzte panisch durch die Küche. »Mama, ist was passiert?«

    Mit wild klopfendem Herzen trat er vor. Hatte Helena sich geschnitten? Aber dann hätte sie doch geschrien? Nein, die Spritzer an den Wänden und auf dem Fußboden mussten etwas anderes sein. »Mama?« Vorsichtig berührte er einen der Flecken und roch am Finger.

    »Ach herrje, das tut mir leid. Ich habe einen Granatapfel gegessen.« Helena erschien an der Tür. »Die sollen doch so gesund sein, aber keiner erzählt einem, dass es ein Kunststück ist, diese Massen an Kernen aus der Hülle zu pulen.« Sie steuerte in nicht ganz gerader Linie auf die Handtücher zu, die neben der Heizung an einem Haken hingen und zerrte daran.

    »Nein, lass. Geh in die Wanne, ich mach das eben sauber.«

    Sie nahm sein Gesicht zwischen ihre heißen Hände, klebrig vom Granatapfelsaft, und drückte seine Wangen. »Du bist so ein Süßer. Danke.«

    »Und sei vorsichtig, wenn du ins Wasser steigst. Nicht ausrutschen.«

    »Natürlich.« Sie tätschelte seine Wange und verließ dann schnell die Küche.

    Alex hörte eine Tür schlagen. Er ließ Wasser in die Spüle laufen, griff nach einem frischen Schwammtuch und wischte die Fliesen ab. Wie gut, dass er das Desaster noch rechtzeitig gesehen hatte. Die weißen Fugen zwischen den Kacheln hätten die rote Farbe sonst aufgesaugt und nie wieder hergegeben.

    Nach einer halben Stunde war er mit seiner Arbeit zufrieden. Er wischte das Spülbecken trocken und hängte das Tuch über den Wasserhahn.

    Ob Helena schon fertig war? Leise klopfte er an die Badezimmertür. »Mama?«

    Schweigen. Auch auf lauteres Klopfen und weitere Nachfragen erhielt er keine Antwort. Er knabberte an der Unterlippe. Ob sie eingeschlafen war? Auch wenn es peinlich werden könnte, er musste einfach nachsehen. Besser sich blamieren, als sie ertrunken zu finden. Immerhin war sie nicht mehr nüchtern gewesen. Entschlossen öffnete er die Tür.

    Die Wanne war leer.

    »Mama?«

    In ihrem Bett lag sie auch nicht, der Fernseher war aus, das Sofa frei.

    »Nein!« Schnell ging er zu seinem Zimmer und riss die Tür auf. Nicht das erste Mal lag Helena voll bekleidet und laut schnarchend auf seinem Bett. »Mama, nein.« Er ließ den Kopf hängen und schloss leise die Tür.

    Der Schaum war zusammengefallen und obwohl niemand gebadet hatte, wirkte das Wasser schmutzig. Alex zog den Stöpsel und beobachtete, wie es langsam durch den Abfluss verschwand. Er wischte die Wanne trocken und legte das Handtuch zurück in das kleine Regal.

    Okay, dann würde er sich eben heute Nacht auf das Sofa legen. War sowieso egal, er konnte eh nicht schlafen. Den Fernseher wollte er nicht anschalten, auf ein Buch konnte er sich schon lange nicht mehr konzentrieren. Und die Wohnung verlassen, um in den Straßen herumzulaufen, traute er sich nicht, wenn seine Mutter betrunken allein zu Hause war.

    Er legte sich auf das schmale Sofa, suchte lange nach einer einigermaßen bequemen Position. Schließlich lag er mit angezogenen Beinen auf der Seite, den Kopf auf die Lehne gelegt, in eine dünne Decke gehüllt, und schaute zum Fenster.

    In sechs Nächten war endlich wieder Vollmond. Konstant nahm der Mond zu, streute sein beruhigendes Licht in die unbarmherzige Finsternis. Wie oft hatte Alex schon wach gelegen und ihn nicht aus den Augen gelassen? Unendlich viele schlaflose Nächte, in denen er Trost aus dem kühlen blauen Schimmer, dem kalten Licht gezogen hatte, das er so liebte. Und dann wurde der Mond Nacht für Nacht wieder schmaler, zog sich zurück, bis er nicht mehr zu sehen war und die Dunkelheit siegte. Sie eroberte ihr verloren gegangenes Gebiet zurück, verbündete sich mit der Angst und ließ Alex oftmals zitternd und weinend auf der Decke liegen.

    Angestrengt lauschte er nach dem Kratzen spitzer Krallen auf dem Teppich oder den Möbeln, konnte aber außer dem Ticken der Wanduhr und dem Rauschen in seinen Ohren nichts hören.

    Alles war gut. Er war allein im Raum. Helena schlief tief und fest, sie war in Sicherheit. Es drohte keine Gefahr.

    Donnerstag, 2. Juli

    Vogelgezwitscher drang an sein Ohr. So früh schon? Warum konnten die Tiere mit ihrem Lärm nicht noch ein wenig warten?

    Alex ließ die Augen geschlossen und drehte dem hellen Viereck des Fensters den Rücken zu. Jetzt vernahm er auch andere Geräusche: Vereinzelt anfahrende oder vorbeiziehende Autos, das Klingeln eines Fahrrads und beinahe im gleichen Moment eine wütende Stimme, der eine ebenso empörte antwortete.

    Draußen erwachte der Tag.

    Als hätte ihn ein Stromschlag getroffen, warf er die Decke von sich und rappelte sich auf. Wie spät war es? Warum hatte der Wecker nicht geklingelt? Sein gehetzter Blick fiel auf die Wanduhr: bereits Viertel vor sechs! In einer halben Stunde fuhr der Bus. Helena musste den Wecker in seinem Zimmer überhört haben, sie hätte ihn doch sonst sicher nicht so lange schlafen lassen.

    Stolpernd erreichte Alex die Tür. Mit Abscheu befreite er sich von der Decke, die sich um seine Füße gewickelt hatte wie ein vielarmiger Krake, der ihn in die Untiefen der See ziehen wollte.

    Zum Essen fehlte ihm der Appetit, aber wenn er nichts für seine Mutter herrichtete, würde ihr Frühstück nur aus irgendeinem alkoholischen Getränk bestehen. Sie sorgte einfach schlecht für sich. Alex öffnete den Kühlschrank, nahm Butter und Aufschnitt heraus und stellte beides auf den Tisch. Frühstücksbrett, Messer, Brot. Er setzte Kaffee auf und eilte dann zu seinem Zimmer. Vorsichtig öffnete er die Tür, hörte erleichtert das tiefe Atmen Helenas und schlich zu seinem Schrank. Wenige Minuten später stand er schon in der Wanne und zog den Duschvorhang zu.

    Das Wasser rieselte über seinen müden Körper. Er wusch sein Haar, während seine Gedanken unaufhörlich um die Frage kreisten, ob er die Kaffeemaschine überhaupt angestellt hatte.

    Schwungvoll wurde die Badezimmertür geöffnet. Alex drehte sich um, verlor beinahe den Halt und kehrte seiner Mutter den Rücken zu. Sein Herz hämmerte in der Brust.

    »Guten Morgen!«, trällerte Helena.

    Sie anzufauchen, dass sie sofort das Bad verlassen solle, unterließ er. Endlos würde sie diskutieren. Da ist nichts, was ich nicht schon hundertmal gesehen habe. Das kenne ich alles. Du siehst auch nicht anders aus als jeder andere Mann. Als ob es darum ginge.

    »Mama«, rief er, »du musst heute allein frühstücken, ich bin spät dran.« Alex spülte das Haar aus und während er noch an ihre neugierigen Blicke in seinem Rücken dachte, fiel ihm ein, dass er das Handtuch nicht über die Halterung gehängt hatte. Er wagte nicht, sich umzudrehen. Sicher war sie auf Toilette. Erst als er die Tür zuschlagen hörte, drehte er das Wasser aus und schaute sich um. Sie war weg.

    Er stieg aus der Wanne und griff hastig nach dem Handtuch. In Rekordgeschwindigkeit war er abgetrocknet.

    Fertig angezogen, das lange Haar noch feucht, ging er in die Küche. Helena stand rauchend am geöffneten Fenster, einen Becher Kaffee in der Hand. Ihre schwarz gefärbten Haare standen in alle Richtungen, sie schien eine unruhige Nacht gehabt zu haben. Langsam drehte sie sich um. Müde Augen, von verwischter Maskara umrahmt, musterten ihn träge. Helena hatte ihren Bademantel nur nachlässig geschlossen, eine Seite hing tiefer als die andere.

    Warm stieg Zärtlichkeit für sie in ihm auf. Er liebte es, wenn sie morgens im ersten Licht des Tages stand und aussah wie eine Frau, die schon zu viel gesehen hatte. Sie wirkte weich und verwundbar und er bildete sich ein, dass ihr Leben sie ermüdet hatte und nicht der Alkohol. »Ich muss los, Mama«, sagte er sanft.

    Helena leckte ihre trockenen Lippen. »Gehst du noch etwas einkaufen?«

    Alex trat in die Küche und musterte die Liste, die am Kalender hing. »Das mache ich morgen, okay?«

    »Morgen haben wir doch nur wenig Zeit.«

    Richtig, das hatte er vergessen. Er zupfte den Zettel unter der Büroklammer hervor und nickte. »Okay, ich bringe alles mit.« Sein Blick fiel auf den gedeckten Tisch. »Und das Essen nicht vergessen, Mama.«

    Sie lächelte. »Und was sich reimt ist gut.«

    Mit zwei Schritten war er bei ihr, beugte sich hinunter und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. »Bis nachher.«

    Alex fuhr lieber mit dem Bus, als zu Fuß zu gehen. Er musste dadurch zwar schon um kurz nach sechs aus dem Haus und war auch zwanzig Minuten zu früh an seinem Arbeitsplatz, aber es war einfach sicherer. Im Bus saß er am Fenster, konnte rausschauen und sah die Stadt vorbeiziehen. Wenn er keinen Fensterplatz fand, dann betrachtete er den Nacken des Vordermannes oder die eigenen Hände. Selbst ein Gegenüber, dessen Blick er ausweichen musste, oder fremde Leute, die sich beim Abbremsen und Anfahren des Busses gegen ihn drückten, waren erträglich, wenn er dafür nicht auf Vögel achten musste.

    Lange blieb der Platz neben ihm nicht frei. Alex hielt den Blick aus dem Fenster gerichtet. Einige der Mitfahrenden pflegten ihre unfreiwillige Bekanntschaft und unterhielten sich leise miteinander, aber er mochte das nicht. Was sollte er auch sagen? Über das Wetter zu sprechen war albern und andere Themen, die man mit einem Fremden erörtern konnte, fielen ihm beim besten Willen nicht ein.

    Der Bus nahm die letzte Kurve zur Haltestelle in der Nähe des Krankenhauses und Alex atmete erleichtert durch.

    Seit zwei Wochen hatte er den Job in der Poststelle. Keine anspruchsvolle Tätigkeit, keine volle Stundenzahl, wahrscheinlich würde die befristete Stelle noch nicht einmal verlängert werden, wenn das Jahr vorbei war, aber natürlich hatte Alex zugegriffen, als Onkel Franz ihm davon erzählt hatte. Im Großen und Ganzen war die Arbeit angenehm. Nicht anspruchsvoll, sondern die Art von Beschäftigung, die ihm ermöglichte, Luft zu holen und sich über einiges klar zu werden. Wie lange auch immer das dauern würde.

    Alex saß im Postbüro und ordnete die Berichte, die er vom Zentralen Ärztlichen Schreibdienst geholt hatte, in die Fächer der Medizinischen Abteilungen. Er hatte kaum geschlafen, selbst die wenigen Stunden nicht an einem Stück, und konnte sich nur schlecht konzentrieren.

    Hinter ihm ertönte Günther Bergmanns ätzende Stimme. »Schönen guten Tag.«

    Alex ließ den Blick gesenkt und griff nach den letzten Mappen. Wenn er diese Stimme hörte, wurde ihm übel. Sie war genauso unangenehm wie der ganze Mann. Aus unerfindlichem Grund hatte Bergmann es sich zur Aufgabe gemacht, ihn ständig zu provozieren. Alex wollte nicht aufgeben, nicht jetzt schon diesen Job verlieren. Onkel Franz hatte sich sehr für ihn eingesetzt. Er würde enttäuscht sein. Wieder einmal.

    »Na, willst du denn gar nicht nett sein zu mir?«

    »Hallo.«

    »Hallo? Mehr nicht? Nicht einmal einen Blick aus deinen dunklen Äuglein bekomme ich geschenkt?«

    Alex schob die letzte Mappe an ihren Platz.

    Als er sich an Bergmann vorbei aus dem kleinen Raum schieben wollte, versperrte der ihm grinsend den Weg. »Aber Hase, wo willst du denn hin?«

    »In die Kantine.«

    »Ist nicht wahr! Du willst heute gar nicht allein in einer Ecke sitzen?« Bergmann rieb den Rücken am Türrahmen wie ein Bär sein juckendes Fell an einem Baumstamm.

    Warum antwortete er diesem Kerl überhaupt? Als würde es ihn etwas angehen, was Alex in der Mittagspause vorhatte.

    Bergmann bewegte sich keinen Zentimeter. Alex konnte nicht an ihm vorbei, ohne ihn zu berühren oder gar aus dem Weg schieben zu müssen. Niemals würde er das über sich bringen. Langsam hob er den Blick, hielt aber Bergmanns stechenden Augen nicht lange stand.

    »Guten Appetit, Hase.« Endlich trat er betont langsam zur Seite.

    ***

    Nach Dienstschluss verließ Alex das Krankenhaus durch einen Nebenausgang und stieß fast mit seiner Mutter zusammen. »Was machst du hier?« Bevor sie antworten konnte, nahm er sie am Arm und zog sie nach einem schnellen Blick in den wolkenlosen Himmel in Richtung Bushaltestelle. »Du musst mich nicht abholen, das weißt du doch.«

    »Ja, ja, natürlich weiß ich das.«

    Sie wollte ihn umschlingen, ihn mit ihren weichen Armen an sich drücken, aber er wich ihr aus, abgestoßen von der Alkoholfahne, die sie umwehte wie ein Kleidungsstück. Nicht immer gelang es ihm, darüber hinwegzusehen, dass seine Mutter schon am Nachmittag mehr getrunken hatte als er in einem Jahr. Hoffentlich hatte sie nicht gemerkt, dass er vor ihr zurückgezuckt war. Manchmal war sie sehr empfindlich und suhlte sich stundenlang in Selbstmitleid, wenn sie das Gefühl hatte, dass er sich vor ihr ekelte.

    Während sie warteten, musterte Alex seine Mutter. Sie starrte die Straße entlang, als könnte sie den Bus mit Willenskraft herbeizaubern. »Was ist denn los? Ist etwas passiert?«, fragte er leise.

    Mit weit geöffneten Augen schaute sie ihn an. »Auf der Arbeit soll ich dich doch nicht anrufen. Da dachte ich, ich komme persönlich vorbei. War das auch wieder nicht richtig?« Sie drückte sich fest an seine Seite, die Hände um seinen Oberarm geklammert.

    Alex’ Blick flitzte zu den Fenstern des hohen, geklinkerten Gebäudes hinauf, in dem die Verwaltung des Krankenhauses untergebracht war. Hoffentlich stand jetzt nicht gerade einer der Mitarbeiter am Fenster und goss die Blumen.

    »Ich wollte dich an morgen erinnern. Onkel Franz hat Geburtstag.« Helena wartete keine Antwort ab, sondern redete nach einem kurzen Luftholen weiter. »Nein, Alexander, Onkel Franz wird siebzig und du kannst nicht bei jeder Familienfeier fehlen. Kriegst du frei? Soll ich mit deinem Chef sprechen?«

    Das fehlt noch, dachte Alex. »Nein, nein, ich habe frei. Natürlich.«

    »Oh, wie schön.« Helena streckte die Hand aus, um ihm über den Kopf zu streichen, aber er wich reflexhaft aus. Spielerisch glitten ihre Finger durch sein langes Haar, das ihm vor der Schulter hing. »Ach Junge …«, murmelte sie.

    Sofort hatte Alex ein schlechtes Gewissen. »Du weißt, dass ich es nicht mag, wenn du an mir herumfummelst. Das mochte ich noch nie.«

    »Doch, doch, früher kamst du oft zu mir, wenn ich auf dem Sofa saß. Du warst ganz kuschelig, ein süßer kleiner Schmusekater.« Sie wickelte eine Haarsträhne um den Finger. »Wer weiß, vielleicht bist du das ja immer noch. Du erzählst mir ja nichts.«

    Alex betrachtete ihre dicken Finger, den absplitternden Nagellack, die billigen Ringe mit den bunten Glassteinen. Auf dem weichen Handrücken entdeckte er erste Altersflecken, was ihn mild stimmte. Vorsichtig entzog er Helena sein Haar, fasste es zusammen und ließ es hinter die Schultern fallen. »Was soll ich denn schon erzählen.«

    »Ja, du genießt und schweigst.« Sie kicherte. »Aber da ist doch jemand, das weiß ich. Und ich habe nicht vergessen, dass man in deinem Alter die Finger nicht voneinander lassen kann.«

    Ein älteres Ehepaar gesellte sich zu ihnen. Die Frau schob ihren Mann betont unauffällig ein paar Schritte weiter, als sie Helenas Fahne roch.

    »Ich hätte mich auch fürchterlich geärgert, wenn du nicht mitkommen würdest. Immerhin hat Onkel Franz dich immer sehr unterstützt. Diesen Job …«

    »Ich weiß.«

    »Ach, das wird ein netter Tag. Onkel Franz fährt immer richtig auf. Wir dürfen auf keinen Fall vergessen, Melanie abzuholen.«

    Alex spürte den Blick seiner Mutter prüfend auf sich ruhen und verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. Natürlich musste seine Schwester dabei sein! Er hatte lange nichts von ihr gehört und freute sich darauf, sie zu sehen. Auf Helenas Geburtstagsfeier Ende Februar hatte Melanie ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass ihr seine Besuche auf die Nerven gingen. Schon lange hatte er bereut, ihrem Wunsch entsprechend darauf zu warten, dass sie sich bei ihm melden würde. Das tat sie einfach nicht.

    »Sie gehört doch auch zu uns.« Helenas Blick ließ ihn nicht los. Sie knetete den speckig glänzenden Griff ihrer Handtasche und wartete auf eine Antwort.

    »Ja.« Wie kam seine Mutter nur auf den Gedanken, dass er Melanie nicht dabeihaben wollte? Er liebte seine Schwester. Alex’ Blick glitt zu dem älteren Paar und die beiden wandten schnell die Köpfe ab. Sie schienen ihn und Helena beobachtet zu haben, wahrscheinlich hörten sie auch aufmerksam zu.

    »Warum sagst du denn nichts?« Helena äugte wieder die Straße entlang. Dann drehte sie sich ganz zu ihm um, stand direkt vor ihm und schlug die feucht glänzenden Augen zu ihm auf. »Habe ich keine Antwort verdient?« Ihre Stimme glitt in den weinerlichen Ton, den sie manchmal ihm gegenüber anschlug.

    Alex bewegte den Kopf, bemühte sich, die verspannten Schultern zu lockern. »Tut mir leid, ich war in Gedanken.« Gespräche mit seiner Mutter strengten ihn an: Er ertappte sich zum wiederholten Mal dabei, dass er ihr nicht zuhören, dem unaufhörlich dahin plätschernden Strom von Worten nicht folgen konnte. Er hob die Hand und massierte leicht seinen Nacken.

    »… ist kilometerweit gelaufen, um dir die Äpfel zu holen, die du gerne haben wolltest?«

    »Was?« Helenas Gedankensprünge irritierten ihn immer wieder. Sein Blick huschte zu den beiden anderen Wartenden, die angestrengt auf den Fußboden schauten. Wovon redete seine Mutter, was wollte sie ihm sagen?

    »Hast du mir nicht zugehört?« Ihre Stimme wurde quengelig. »Ich habe so viel für dich getan. Liebst du mich denn gar nicht?«

    Einige Meter weiter, auf der anderen Straßenseite, stand ein kleines Mädchen an der Hand seiner Mutter und hämmerte auf den Schalter der Ampel ein. Sie warf ihm einen triumphierenden Blick zu. Die Frau beugte sich ein wenig hinab, machte es auf etwas aufmerksam und Alex folgte ihren Blicken: Zwei kleine Vögel hüpften auf dem Straßenpflaster. Ein Kälteschauer lief ihm über den Rücken. Sein Herz schlug schneller, obwohl er den Blick sofort auf die Straße vor sich richtete. Er konzentrierte sich auf seine Atmung, zählte langsam jeden einzelnen Atemzug. Das Blut rauschte ihm in den Ohren.

    Helena setzte sich auf die Wartebank und legte ihre Handtasche darauf ab. Sie ließ den Metallverschluss aufschnappen, zog einen kleinen Taschenspiegel heraus und kontrollierte ihr Make-up. Ein paar Mal tupfte sie mit dem kleinen Finger an die Wimpern und zwinkerte sich zu. Schließlich zog sie den dick aufgetragenen Lippenstift nach.

    Alex konzentrierte sich auf ihren Anblick, damit er nicht mehr zu den Vögeln sehen musste.

    Helena lächelte sich im Spiegel an. Ihre Zähne sahen durch den roten Lippenstift noch gelber aus als sonst. Sie stöberte in ihrer Handtasche und verteilte nach und nach den gesamten Inhalt auf der Bank.

    »Pack deine Tasche wieder ein, Mama.«

    »Aber warum denn?«

    »Der Bus kommt gleich.«

    Das kleine Mädchen war mittlerweile mit ihrer Mutter an der Haltestelle angelangt. Ungeniert sah sie zu, wie Helena in ihrer Handtasche herumkramte. »Was suchst du denn?«

    Helena hob den Kopf und lächelte das Kind breit an. Sie stand auf, schwankte auf ihren hohen Absätzen und Alex sprang vor, um sie vor dem Stürzen zu bewahren.

    »Pass auf!«, kreischte sie und wie aus dem Nichts schoss ein Fahrradfahrer an Alex vorbei. Bremsen quietschten. Fahrer und Rad schlidderten über die Gehwegplatten.

    »Du musst ihm helfen, Alexander.« Helena zupfte an seinem T-Shirt.

    »Das weiß ich«, zischte er ihr zu. »Bleib du bitte da stehen.«

    Der Radfahrer ignorierte Alex’ ausgestreckte Hand und rappelte sich auf. Ein Schwall von Schimpfwörtern ergoss sich über Alex. Und Helena hörte natürlich nicht auf ihn: Sie trat vor und gab dem Mann sofort mit keifender Stimme Kontra. Die beiden beschimpften sich wie zwei Bierkutscher.

    Alex stand bewegungsunfähig daneben und betrachtete das Fahrrad, an dem kein erkennbarer Schaden zu sehen war. Mühsam hob er den Kopf, begegnete den neugierigen Blicken der Anderen. Sein Blick saugte sich an dem Radfahrer fest, der vor Helena stand und mit den Bewegungen eines Roboters seine herausgespienen Worte unterstrich. Worte, die Alex nicht erreichten. Er schaute zu seiner Mutter, sah ihren Mund sich öffnen und schließen, sah ihre Hände die Luft aufwirbeln. Er drehte den Kopf, versuchte, den Blick des Mannes zu fangen, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

    Der hatte endlich genug von Helenas Tiraden und wandte sich ihm wütend zu. »Hast du keine Augen im Kopf?«

    »Ist doch nichts passiert«, murmelte Alex. Er ging zwei kleine Schritte rückwärts.

    »So? Meinst du? Woher willst du das wissen? Ich schreibe mir jedenfalls deine Adresse auf. Vielleicht entwickelt sich ein Trauma oder so was.« Er hob sein Fahrrad an, schob es vor und zurück, betrachtete es von allen Seiten. »Ich könnte auch gleich die Polizei holen!«

    Alex nickte mechanisch. Er hatte einen trockenen Mund und die Worte blieben ihm im Hals stecken.

    »He, guter Mann«, mischte sich Helena wieder ein, »wie wäre es, wenn Sie auf den Schreck erst mal einen Kaffee trinken und was ordentliches Essen?« Sie wedelte mit einem Zwanzig-Euro-Schein vor seiner Nase herum.

    Alex zog den Kopf ein, aber Helena schien die richtige Sprache zu sprechen. Vielleicht war der Mann auch einfach nur von dem ganzen Geschimpfe erschöpft. Er glotzte Helena an, verzog langsam den Mund zu einem schiefen Grinsen und nahm ihr den Schein aus der Hand. »Das ist mal eine Idee.« Er warf Alex einen bösen Blick zu. »Na, junger Mann, dann sei mal in Zukunft etwas aufmerksamer. Und freue dich, dass du so eine vernünftige Mutter hast.«

    Helena nickte.

    Alex konnte sich erst bewegen, als der Radfahrer sich ein Stück entfernt hatte. Sein Herz klopfte schmerzhaft an die Rippen. »Nichts passiert«, sagte er leise, mehr um sich zu beruhigen als an jemand Bestimmtes gerichtet. Die an ihm haftenden Blicke ignorierte er und schaute jetzt seinerseits die Straße entlang. Warum kam der verdammte Bus so spät?

    »Melanie hat auch bald Geburtstag«, redete Helena munter weiter. »Und sie wird schon dreißig.«

    Alex riss seine Gedanken von dem Radfahrer los. »Sie wird neunundzwanzig. Und wir haben gerade erst Juli. Ihr Geburtstag ist erst in einem Vierteljahr.« Als ob er das vergessen würde. Hoffentlich ließ Melanie ihn nicht wieder vor der Tür stehen wie letztes Jahr.

    »Meine Güte, ihr seid Geschwister. Kannst du deine Familienaversation nicht mal begraben?«

    »Meine was?«

    »Familien… deine Abneigung?«

    Er presste die Zähne aufeinander. Die grell leuchtende Signalfarbe der Ampel brannte ihm in den Augen.

    Endlich kam der Bus in Sicht. Die Mutter nahm ihre Tochter fest an die Hand, diese blieb aber dem spannenden Geschehen zugewandt. Jetzt würde sicher nicht einmal ein ganzer Schwarm Vögel die Aufmerksamkeit des Kindes von dem lustigen Pärchen ablenken können.

    »Alexander?«

    Er spürte Helenas bohrenden Blick, sah aus dem Augenwinkel ihre zuckende Hand und konnte eine unwillkürliche Ausweichbewegung nicht unterdrücken. »Hast du Melanie schon gesagt, dass wir sie abholen?«, fragte er rasch, um sein Verhalten zu überspielen.

    »Alexander … ach, mit dir kann

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