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Zum Heldentod begnadigt: Ein Tatsachenbericht
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eBook272 Seiten3 Stunden

Zum Heldentod begnadigt: Ein Tatsachenbericht

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Über dieses E-Book

Monate später, nachdem Emil Rudolf Greulich (Pseud.) Erge) im Juni 1946 aus amerikanischer Gefangenschaft nach Berlin zurückgekehrt war, bekam er sein Manuskript in die Hände, das er bereits im Dezember 1944 im US PW-Camp Fort Devens fertiggestellt hatte. "Zum Heldentod begnadigt" war die Niederschrift betitelt, in der sich der Autor als "Todgeweihten aus Adolf Hitlers Afrika Division 999" vorstellte. Ungeschönt und authentisch beschreibt er seine Erlebnisse als Angehöriger der Strafdivision 999, berichtet vom Fronteinsatz in Afrika und davon wie es im gelang, bei Tunis in amerikanische Kriegsgefangenschaft zu kommen. Das Buch erschien 1949 im Berliner Verlag "Lied der Zeit". Für die Veröffentlichung schrieb Walter Kolbenhoff (1908-1993) ein Nachwort, das den Bericht als Stimme einer Generation ankündigt, die bisher mit ihren Erlebnissen wenig zu Worte gekommen sei. Die beiden Autoren kannten sich aus früher Jugendzeit und waren sich im amerikanischen Kriegsgefangenschaft wieder begegnet.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum25. Apr. 2014
ISBN9783847686750
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    Buchvorschau

    Zum Heldentod begnadigt - E.R. Greulich

    Was diesem Buch …

    vorausgeschickt werden muss, sind einige wichtige Daten und Tatsachen. So wie es auf der übernächsten Seite beginnt, habe ich es im Winter 1944/45 in amerikanischer Kriegsgefangenschaft fertiggestellt. Es war nicht leicht, das Manuskript in die Heimat zu schaffen. Im vorigen Jahr bekam ich es endlich in die Hand. Die Versuchung lag nahe, es noch einmal vollständig umzuarbeiten, vielleicht in Romanform zu bringen. Welchen Autor lockte es nicht, seinem ersten größeren Werk literarische Brillanz zu verleihen? Ich habe es bei dieser Reportage, dem lebenswahren Bericht über ein Novum der Weltgeschichte, belassen, denn es geht hier nicht um mich, sondern um das, was ich schildere. Noch eine Gefahr wollte ich vermeiden, der ich mich bei einer Umarbeitung ausgesetzt hätte: das Werk nachträglich auf revolutionären Hochglanz zu polieren. Denn ich kenne seine Schwäche, die zugleich die Schwäche vieler 999er und überhaupt des Großteils der deutschen Hitleropposition war. Sie wurden nicht weich, sie behielten ihren klaren Kopf, ihr überzeugtes Menschentum, aber sie taten nichts oder zu wenig gegen Hitler. Darum ist dieses Buch nicht das Buch über die 999er, sondern eins. Es anders auszulegen, wäre ein Unrecht gegen jene unerschrockenen Angehörigen dieser unglückseligen Division, die trotz der fürchterlichen Erschwernisse gegen Hitler handelten. Dass es sie gab, ist Tatsache. Viele Angehörige unserer Division, die in Griechenland und Jugoslawien eingesetzt werden sollten, bezahlten ihre revolutionäre Zusammenarbeit mit den Partisanen mit ihrem Leben. Ihr Heldentum zu schildern ist Aufgabe ihrer überlebenden Kameraden.

    Deshalb aber Abstand von der Herausgabe dieses Buches zu nehmen, halte ich selbst dann noch für ungerechtfertigt, wenn man einwendet, dass das Geschilderte lediglich Landserschicksal darstellt. Man kann wohl mit Recht fragen, in welch größerem Werk denn bisher dieses Schicksal des zweiten Weltkrieges zu gestalten versucht wurde. Die Degradierung des Landsers zur Nummer, zum willenlosen Befehlsempfänger, die Unsinnigkeiten der Heeresbürokratie, die moralische Verkommenheit der meisten Offiziere und Chargen der Hitlerarmee, alles das ist in unzähligen Leitartikeln, Essays, Glossen und Gedichten abgehandelt worden, aber am überzeugendsten bleibt wohl immer das Kleinmosaik eines Tatsachenberichtes. Das sei die Rechtfertigung für die Veröffentlichung, nicht für das persönliche Verhalten des Verfassers, der schon deshalb nicht sehr gut abschneiden kann, weil er sich bemüht, die Wahrhaftigkeit über die persönliche Reinwaschung zu stellen. Ihm bleibt nur die Entschuldigung, dass er seiner Überzeugung treu blieb und dementsprechend im Rahmen des von ihm als möglich Betrachteten handelte.

    Wer das furchtbare Hitler-Jahrdutzend in Deutschland miterlebt hat, weiß, wie unsagbar schwer es war, organisierten Widerstand aufzubauen. Die es selbst versuchten, wissen es noch besser. Wie unendlich schwieriger musste es in der Strafdivision 999 sein, in der wir Tag und Nacht unter Druck und Beobachtung der Stammmannschaft standen, jener untadeligen Hitlersoldaten, die besonders für unsern Truppenteil ausgesucht und gesiebt waren. Dazu kamen jene Kriminellen, die sich genau wie in Zuchthäusern und KZs auch bei uns zum Verrat missbrauchen ließen, und mit denen unsere Reihen durchsetzt waren. Ihre Charaktere und auch alle anderen Typen habe ich mich bemüht, wahr zu zeichnen. Nur die Namen sind geändert.

    Das Entscheidende an diesem Buch ist darum nicht der Nachweis einer festen politischen Organisation in unseren Afrika-Einheiten, sondern die Haltung der Politischen, die um so mehr Überzeugungsstärke erforderte, je weniger von einem organisierten Rückhalt die Rede sein konnte.

    Ehemalige Politische, die umgefallen sind, gehören zu den Ausnahmen. Das beweisen eindeutig die nachfolgenden Geschehnisse in der Gefangenschaft. Die 999er waren die Kerntruppe antifaschistischer Aktionen in amerikanischer, englischer, französischer und später in ganz hervorragendem Maße in jugoslawischer Kriegsgefangenschaft (Regiment 963).

    Darum wütete auch in der angelsächsischen und französischen Gefangenschaft der Naziterror weiter gegen sie. Viele wurden seelisch und körperlich misshandelt. Einige wurden totgeschlagen oder aufgehängt. Eine ganze Anzahl entging der physischen Vernichtung mit knapper Not.

    999er waren z. B. der Stamm des größten Antinazi-Camps in USA, Fort Devens. Jenes Lager, das sich schon zu einer Zeit in corpore dem Council for a democratic Germany anschloss, als es noch von jedem Einzelnen ein hohes Maß persönlichen Mutes und Zivilcourage erforderte.

    Weitere Einzelheiten aus der Gefangenschaft zu erwähnen, ist hier nicht der Ort. Ich denke es in einer Fortsetzung dieses Buches zu tun, das ich hoffe, in Kürze veröffentlichen zu können unter dem Titel: Späte Briefe an Lincoln. (Anm. des Verlages: Das Buch erschien 1965 unter dem Titel Amerikanische Odyssee, als eBook 2014).

    Wem der Titel dieses Tatsachenberichts zu übertrieben dünkt, der sei an den Geheimbefehl Hitlers erinnert, der für den Fall eines Zusammenbruchs des afrikanischen Abenteuers die Zusammenziehung unserer Einheit auf eine Halbinsel bei Bizerta vorsah und unsere dortige Liquidierung, sprich Niederkartätschung, durch die Hermann-Göring-Division. Dass es nicht dazu kam, verdanken wir nicht etwa menschlichen Anwandlungen der Verantwortlichen, sondern war eine zwangsmäßige Folge des katastrophalen moralischen und materiellen Zusammenbruchs des Afrikakorps, wie er in diesem Buch geschildert wird.

    Berlin, im August 1949

    Der Verfasser

    1

    "Sie haben sich am Montag, dem Soundsovielten 1942, in der Knabenschule Tempelhofer Ufer zu stellen.

    Zeit: 14.30 Uhr.

    Grund: Eintritt zum aktiven Wehrdienst.

    So steht auf der Postkarte, die am Freitagabend in meinem Briefkasten steckt. Ich habe also praktisch zwei Tage Zeit, meine Siebensachen zu regeln und Schluss zu machen mit dem Privatleben.

    Auf dem Rand der Karte steht mit roter Schreibmaschinenschrift: Für die Dauer Ihres Wehrdienstes sind Sie durch ein Gesetz des Führers wehrwürdig.

    In den verbleibenden sechzig Stunden komme ich kaum mehr zum Schlafen.

    Auf meiner Arbeitsstelle, zu der ich nach meiner Haftentlassung zwangsverpflichtet wurde, sind sie erstaunt. Es hatte immer so ausgesehen, als würde ich nie eingezogen.

    Man zahlt mir meinen Akkordrest aus, ich verabschiede mich. Das übliche Händeschütteln. Übliche Segenswünsche. Die meisten verhehlen ihr Mitleid nicht und ihre Freude, dass es sie nicht erwischt hat. Es ist gut, dass ich so wenig Zeit habe. So kann ich die Abschiedszeremonien auf ein Mindestmaß herabschrauben.

    Bei Bella geht das natürlich nicht. Sie bleibt die ganze Nacht. Und was bei ihr Abschiedskummer und Leid zu einem großen lodernden Gefühl zusammendrängt, bewirkt bei mir das Gegenteil. Ich möchte schlafen. Schlafen und vergessen. Noch ein einziges Mal als Zivilist in einem richtigen Bett träumen dürfen. Bella ist traurig darüber. Sie versteht mich nicht. Ich verstehe sie sehr gut. Gerade das macht mich nervös. Es ist ein gespanntes letztes Zusammensein. Gute Bella, verzeih mir, ich höre schon platzende Granaten, rieche Phosphor und sehe Menschenfleischfetzen in Stacheldraht hängen. Ich kann mich keiner Liebesstunde mehr hingeben.

    Nun ist es soweit.

    Ich stelle den Koffer vor die Tür und gehe noch einmal zurück in die Stube. Vor einem halben Jahr kam ich aus der Haft. Heimlos und einsam stand ich damals auf der Straße. Jetzt gerade ist meine Junggesellenbude fertig geworden. Eine Titanenarbeit in Zeiten des totalen Krieges bei zehn- und zwölfstündiger Arbeitszeit. Traulich schauen mich alle Dinge an, schon deswegen so traut und kostbar, weil sie so schwer zu beschaffen waren.

    Ich werfe mich noch einmal auf die selbst gezimmerte Couch und starre gegen die Decke. Komische Gedanken fluten in solchen Momenten. Alles schaut so seltsam klar und kristallscharf aus. Wie in Gelee konserviert und unter eine Glasglocke getan. Wirst du wohl jemals wieder diesen Raum betreten? Oder wird er von Fliegerbomben zerstört sein? Jetzt kommt eine Zeit der großgeschriebenen Wenns.

    Ich springe hoch. Die Zeit rast, ich muss mich beeilen. Der Abschied von meiner Bude war der längste.

    Am Alexanderplatz steige ich in die Bahn. Ich ziehe noch einmal die bewusste Karte aus der Brieftasche. Wohl zum zehnten Male vergewissere ich mich über Stellungszeit und -ort. Mir gegenüber sitzen drei Landser. Sie grinsen verständnisinnig. Der Koffer und mein Studieren der Karte verraten ihnen alles.

    Ham wa allet hinta uns! sagt der eine.

    Mal muss et ja sein, bestätigt der andere und spricht vom Soldat werden wie von einem unabwendbaren Kismet.

    Die Soldaten von anno Tobak haben's schöner gehabt. Mit klingendem Spiel sind sie zum Bestimmungsort gebracht worden, und die ganze Heimat half tüchtig mit, ihre Stimmung hochzuheben. Ein Verurteilter, fahre ich einsam und still durch meine Vaterstadt Berlin, meinem Kriegsschicksal entgegen.

    Am Kottbusser Tor steige ich hinauf zur Hochbahn. In meinem Abteil sind noch vier Personen, zwei junge Männer in meinem Alter und deren Mütter. Offenbar haben sie das gleiche Ziel wie ich. Die Mütter sind besorgt, als brächten sie Sechsjährige zum ersten Schultag. Die jungen Männer lassen stoisch ihre Ermahnungen über sich ergehen. Ja, ja, ist ihre stereotype Antwort. Ihre Gedanken sind schon weit weg von der sorgenden Mutter. Sie steigen aus, und ich halte mich hinter ihnen.

    An der Ecke Großbeerenstraße wartet Walter auf mich. Das stimmt mich froh. Ein vernünftiger Freund ist das Beste in solcher Situation.

    Auf dem Schulhof stehen sie gruppenweise nach Buchstaben.

    Nachdem ich meine Gruppe gefunden habe, melde ich mich bei einem unwirschen Herrn in Uniform mit vielen Zetteln in der Hand. Ein heiserer Bass blökt mich an: Dass Sie überhaupt kommen, ist viel wert, Herr Volksgenosse! Ich werfe einen Blick auf die Armbanduhr: Es ist gerade 14 Uhr 30, sage ich.

    Egal, beharrt er, ein Soldat hat fünf Minuten früher zu kommen, um pünktlich zu sein.

    Ich zucke mit den Achseln und gehe.

    Kommse mal her! ruft er, wenn man sich von einem Vorgesetzten wegwendet, macht man das mit einer zackigen Kehrtwendung! Verstanden?

    Ja, sage ich.

    Jawoll heißt es, grollt er, haunse ab.

    Ich trolle mich zu meiner Gruppe. Walter steht dort schon und lacht schadenfroh, siehst du, deinen ersten Anschiss hast du weg.

    Wenn schon, sage ich wenig bewegt, solche Lappalien sind wir vom Knast her gewohnt.

    Großer Vorteil für dich, antwortet er.

    In meiner Gruppe wird gerüchtet. Das Wort Afrika huscht immer wieder in meine aufnahmegierigen Ohren.

    Laufend kommen noch Leute mit Pappkartons und billigen Koffern.

    Angehörige, Abstand nehmen! ruft der Barsche, und ich bin froh, dass es nun losgehen soll. Doch jetzt kommt erst zu jeder Gruppe ein Unteroffizier, um die Einladungskarten einzusammeln und die Vollzähligkeit der Gruppe festzustellen. Das dauert wieder eine halbe Stunde. Gut, dass Walter noch da ist. Wir können Stichworte wechseln. Sonst wäre das hier eine langweilige Angelegenheit. Ich bin dem Burschen gram.

    Mich fährt er an, weil ich auf die Minute pünktlich gekommen bin. Jetzt ist es eine Stunde später, und wir stehen noch immer auf dem öden Schulhof.

    Hat jemand noch eine ernsthafte Angelegenheit, über die er im Zweifel ist?, fragt laut mein Anranzer.

    Stichwort für mich, den Arm zu heben.

    Herkommen! befiehlt er.

    Ich zücke das Attest meines Zahnarztes und erkläre, dass ich in Zahnbehandlung stehe wegen einer neuen Zahnbrücke.

    Zeigense mal. Ich sperre meinen Mund weit auf.

    Hahaha, sein Lachen ist mit sardonisch noch zu flau bezeichnet.

    Junger Mann, den Krieg gewinnen wir auch ohne die Brücke. Zurück ins Glied, marsch, marsch.

    Warum ist der Mann bloß so hämisch? In Wahrheit läuft seine Rederei darauf hinaus, dass wir den Krieg verlieren, wenn ich vierzehn Tage später eingezogen werde. Der Befehl kommt: Alle Angehörigen den Schulhof verlassen! Walter gibt mir die Hand. Wir sehen uns an und sprechen nichts. Er dreht sich kurz um und geht.

    Wir müssen zu dreien antreten und zum Anhalter Güterbahnhof marschieren. Vor dem Schulgebäude schließt sich uns wieder der Tross der Frauen, Mütter und Bräute an. Kein Offiziersverbot und kein Güterbahnhofsgitter kann sie abhalten, neben ihrem Mann, Sohn oder Bräutigam herzu trippeln.

    Personenwagen dritter Klasse werden uns angewiesen.

    Ick seh schwarz, sagt einer im Abteil, wenn jetzt noch keene Lokomotive da is, stehn wa hier noch ne jute Weile. Mehrere teilen seine Befürchtungen. Orakeleien und Gerüchte schwirren durch den Wagen. Keiner kann mit Bestimmtheit sagen, wo der Truppenübungsplatz Heuberg liegt.

    Wenn wa Schwein ham, sind wa morgen früh da, hofft einer, und Frau Grosser und Frau Schulbein sind auch der Meinung. Diese beiden Frauen zweier Kameraden sind noch in unserem Abteil. Gute Ehekameradinnen, die jetzt tapfer in Zweckoptimismus machen. Für jeden von uns haben sie ein Fünkchen Anteilnahme, die ehrlich ist und von Herzen kommt. Die feine Haltung der Frauen tut wohl und strahlt wieder zurück. Im Abteil ist ein Scherzen, das im krassen Widerspruch zur Tatsache des Abschieds steht.

    Endlich geht ein Rucken durch die Wagenreihen. Die Frauen verabschieden sich hastig und verlassen uns. Der Zug holpert langsam über Weichen, rollt aus und steht. Ein wenig später rumpeln wir wieder zurück. Wir werden rangiert. Das marternde Spiel des Hin- und Herrollens setzt sich fort bis in den späten Abend. Am anderen Morgen um drei Uhr fangen wir an zu fahren. Jetzt beginnt der Fahrwind wirksam zu werden. Es wird ungemütlich kalt. Ich opfere meine Decke, die einzige im Coupé, und wir bringen sie vor den Fenstern der Windseite an. Es wird viel gefroren, viel geraucht und wenig geschlafen. Am Nachmittag ist das erste Mal offizieller Halt. Es gibt eine Wassergraupensuppe in Pappbechern.

    Die Stimmung ist nullpunktmäßig über die schlechte Unterbringung und noch schlechtere Verpflegung.

    Wart‘s man ab, ruft einer, det kommt allet noch ville schöner. Gedankenvoll nicken viele. Es findet sich kein Widerspruch.

    Die Diskussionen sind tastend, vorsichtig. Wir sind alles Vorbestrafte. Der kleinere Teil politisch. Unschwer erkennt man bei den Einzelnen, ob es sich um Politische oder Kriminelle handelt. Die Politischen bewegen sich vorsichtig, sprechen aber über ihre Strafe freimütig. Bei den Kriminellen ist es umgekehrt.

    Auf manchen Güterbahnhöfen liegen wir stundenlang. Auf anderen werden wir bis zum Blödsinnigwerden hin und her rangiert. Je weiter wir nach Süddeutschland kommen, um so kälter wird es. Schmutzige Schneereste vergrößern die Trostlosigkeit der Landschaft. Mein Rücken schmerzt vom Versuch im Gepäcknetz zu schlafen. Die Füße schlafen immer öfter ein, und die Knie schmerzen vom ewigen Sitzen. Die Aborte haben kein Wasser und sind bald bis oben voll, beschmutzt, besudelt. Übernächtigt und unrasiert sehen wir bald aus wie rückkehrende Frontschweine.

    Einmal noch in 'diesen drei Tagen bekommen wir Wassergrieß und einmal lauwarmen Ersatzkaffee in den obligaten NSV-Bechern.

    Endlich heißt es aussteigen. Thiergarten (Sigmaringen) steht auf den Schildern der Station. Ein netter kleiner Bahnhof mit einem langen Bahnsteigdach. Wir müssen zu dreien antreten. Neben dem Dach am Ende des Perrons, langsam sickert grauer Tauschnee vom Himmel. Wir stehen eine Stunde, keine freundlichen NSV-Schwestern begrüßen uns mit warmem Kaffee. Ein Unteroffizier schlendert hinterm Bahnsteigzaun und mustert unsere Reihen.

    Na, ihr Burschen, sagt er vielsagend.

    Die ersten Pappkoffer beginnen aufzuweichen. Wir stehen jetzt eineinhalb Stunde und unsere Verfassung ähnelt der der aufgeweichten Koffer. Zehn Meter links von uns beginnt der trockene Bahnsteig mit dem schützenden Dach.

    Weiter hinten lockt der Wartesaal mit Wärme und heißer Bouillon. Aber niemand darf das Glied verlassen. Wir sind ja Soldaten. Nach eindreiviertel Stunden qualvollen Stehens ertönt das Kommando: Links um, alles marsch!

    Aus dem Tal der Donau steigt der Weg bergan. Je höher wir kommen, desto weißer und fester wird der Schnee. Ein Stück vom Bahnhof weg heißt es: Halten. Links um! Ein junger Leutnant in Afrika-Uniform tritt vor die Front und hält eine kurze Rede.

    Auf Befehl des Führers würden hier Spezialregimenter aufgestellt für Afrika. Wir wären alles Vorbestrafte und jeder hätte jetzt die Chance, seine alte Schuld zu tilgen, durch unbedingten Einsatz als Soldat und notfalls durch Hingabe des Lebens. Niemandem würde etwas nachgetragen werden, und wir würden von Offizieren und Ausbildern behandelt werden wie jeder andere Soldat. Sollten wir uns dieses großen Vertrauens würdig erweisen, so zweifle er nicht, dass wir zu den tapfersten und ruhmreichsten Regimentern der deutschen Armee zählen werden. Darauf dürfen wir kurz wegtreten zum Austreten oder um eine Zigarette zu rauchen.

    Auf der Höhe pfeift uns eisiger Wind um die Ohren. Wir sind vom strammen Bergansteigen verschwitzt und frieren jämmerlich. Wie eine Horde Verbannter ziehen wir durch Stetten am kalten Markt. Wir finden den Namen des Ortes äußerst zutreffend.

    Kurz hinter Stetten beginnt der in sich abgeschlossene Komplex des Truppenübungsplatzes. Flache, einstöckige Häuser stehen ausgerichtet wie die Soldaten. Von außen machen sie einen passablen Eindruck. Innen verwohnt und überaltert. Faulende Dielen, wacklige Schemel, uralte Strohsackbetten dreifach übereinandergebaut, ein schwerfälliger Ofen, zwei rohe Holztische und sargähnliche schmale Spinde, das' ist die Inneneinrichtung unserer zukünftigen Behausung. Wir werden erst provisorisch untergebracht.

    Am nächsten Tag geht es zur ärztlichen Untersuchung. Jeder hat genaue und wahrheitsgetreue Angaben zu machen über gehabte Krankheiten und dergleichen, wird uns eingeschärft. Nach einem ganzen Vormittag Warten stehe ich vor dem Arzt. Welche körperlichen Mängel haben Sie?

    Ich Neuling antworte wahrheitsgetreu: Plattfüße, kurzsichtig, Herzfehler und gerade in Zahnbehandlung.

    Ach, sagt der vor mir stehende, etwa zehn Jahre jüngere Arzt ironisch, und nun glauben Sie, im Krieg nicht zu taugen?

    Ganz im Gegenteil, kommt meine bissige Antwort, ich freue mich außerordentlich, endlich Soldat geworden zu sein.

    Na also. Pro forma horcht er mein Herz ab. Wer hat Ihnen gesagt, dass Sie einen Herzfehler haben?

    Bis jetzt alle Ärzte! Hm, dann hat sich Ihr krankes Herz erstaunlich gebessert.

    Abschließend bemalt er einen Schein, den ich einer Gruppe sitzender Offiziere überreichen muss. Ein Monokel und mehrere Brillengläser fixieren mich Nackten scharf. Es ist, als hätte man auch seine Seele entblößt vor diesen Angezogenen.

    Sie sind Grafiker von Beruf?

    Jawohl.

    Die Herren tuscheln miteinander. Dann fragt der eine: Welches war Ihr Delikt?

    Hochverrat, antworte ich wahrheitsgemäß.

    Der Frager bekritzelt den Schein. Warten Sie auf der Stube, bis Sie von Ihrer Einheit abgeholt werden. Sie sind eingeteilt zum Stab, xtes Bataillon. Ich darf mich anziehen und gehen. In langer Reihe stehen schon viele meiner augenblicklichen Stubenkameraden vor dem Essraum. Ich stelle mich hinten an. Es gibt Sauerkohl und Pellkartoffeln.

    Den ganzen Nachmittag hocken wir auf der Stube herum. Am Abend werde ich mit noch zwei anderen von einem Obergefreiten geholt.

    Wir sind die drei letzten für die nächsten Tage, die zum Stab eingewiesen werden. Der lange Paul Lewenz wird neben mir einquartiert, der dicke Heinrich Polz über mir. Die schon Anwesenden tun kameradschaftlich, mimen aber auffällig die Alten, da gewesenen.

    Das große Wort führt der Stubenälteste, Unteroffizier Hedler, ein Mann, der sich gern reden hört. Sein Lieblingsthema bekommt man schon nach wenigen Stunden satt: Seine Heldentaten im Allgemeinen, seine russischen im Besonderen. Ansonsten spielt er den guten Vorgesetzten, der sich sogar erbietet, auf etwa noch bei uns im Besitz befindliche Fleisch- oder Brotmarken aus Stetten etwas mitzubringen.

    Wieso? frage ich, dürfen wir selbst denn nicht in den Ort?

    Nee, mein Lieber, feixt er, ohne besondere Genehmigung darf von euch niemand den Truppenübungsplatz verlassen.

    Ach so, entfährt es mir resigniert.

    Sie müssen das nicht falsch verstehen, bemüht er sich, die Wirkung seiner Worte abzuschwächen, aber ehe man nicht weiß, wie sich die Einzelnen bewegen werden, musste man zu dieser Vorsichtsmaßnahme greifen."

    Dann gibt es also keinen Ausgang, keinen Stadturlaub? vergewissert sich Paul Lewenz.

    Vorläufig nicht, sagt Hedler, und kann sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Es entsteht eine aufgeregte Diskussion in der Stube. Die helle Stimme Hedlers reißt alle Unterhaltung an sich, schließlich in eine Rede ausartend, die sich bedeutend detaillierter in Auslassungen ergeht als

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