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Der Tod lauert im Internet
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eBook319 Seiten3 Stunden

Der Tod lauert im Internet

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Über dieses E-Book

Es ist Sommer und unerträglich heiß. Jahrhundertsommer nennen sie ihn bereits. Die mörderischen Temperaturen, zwingt alle, das Leben auf das Notwendigste herunterzufahren. Die Bullenhitze bringt ihr Blut zum Kochen, ihre Hormone in Wallung. Gnadenlos brennt die Hitze in ihnen, weckt Sehnsüchte, die gestillt werden wollen. Das Internet mit seinen unendlichen Möglichkeiten soll ihnen dabei helfen, auch Sarah, die von ihrem Mann verlassen wurde. Auch dessen Geliebte wird tot aufgefunden. Hat Robert etwas damit zu tun, muss sie sich fragen. Was haben alle Opfer gemeinsam? Fragen sich die Kommissare. Die Zeit drängt, der Mörder wird brutaler.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum18. Juni 2020
ISBN9783752903737
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    Buchvorschau

    Der Tod lauert im Internet - Jutta Pietryga

    Prolog

    Wie Perlen an einer Kette rinnen die Regentropfen die Fensterscheibe herunter. Die Augenbrauen finster zusammengezogen, starrt er durch die nassen Scheiben. Einmal muss doch dieser verdammte Regen aufhören.

    In seinem Kopf rauscht es. Erst sanft, dann stärker, bis es zu einem Orkan wird! Trotzdem hört er sie. Sie sind da! Sie flüstern miteinander, als würden sie etwas ausheckten. Die Stimmen kriechen in seine Gedanken, gaukeln ihm Bilder vor, sagen ihm, was er sich wünscht und wie er es bekommt.

    Er will das nicht. Sie schweigen endlich, verbergen sich, um bald wieder aus ihrem Versteck zu kommen, um ihn erneut zu bedrängen.

    Seit Stunden peinigen ihn diese Gedanken und Wünsche. Sie wollen nicht aus seinem Kopf verschwinden. Wie eine Spirale drehen sie sich unaufhörlich um das Eine, das, was er sich wünscht, das, was er dringend braucht.

    Er versucht, sich abzulenken, an etwas anderes zu denken. Aber seine Fantasie lässt das nicht zu. Wie ein gefährlicher Wasserstrudel drehen sich diese Bedürfnisse in seinem Kopf, drohen ihn, in die dunklen Tiefen zu ziehen. Diese Gedanken toben in seinem Gehirn. Es ist völlig ausgeschlossen, sie loswerden. Sie sind stärker als er! Es ist wieder soweit! Er wird es tun! Doch das ist bei dem Wetter unmöglich. Der Regen stört! Wird ihm das Vergnügen rauben.

    Seit gestern Nacht regnete es pausenlos. Es scheint, nicht enden zu wollen. Das Rauschen draußen und in seinem Kopf verbünden sich. Er hält es nicht mehr aus. Wimmernd liegt er auf dem Sofa, wie ein Fötus, die angewinkelten Beine unter das Kinn gezogen. Er wünscht sich zurück, in die Geborgenheit des Mutterleibes, in diese dunkle Höhle, verborgen in glückseliger Dunkelheit, wo er nur ist, keine Forderungen erfüllen, nichts darstellen muss. Einfach nur sein, behütet in der mütterlichen Fürsorge des warmen Leibes.

    Er umklammerte ein Sofakissen, drückt es an die Brust. Schließlich erbarmt sich der Schlaf seiner Qualen.

    Als er aufwacht, beginnt die Pein von Neuem. Getrieben tigert er im Zimmer umher. Dann geht er zum Wohnzimmerschrank, zieht eine Schublade auf und holt einen Personalausweis heraus.

    Er nimmt immer irgendetwas mit. Lüstern starrt er auf das Bild, empfindet erneut die beglückende Macht des Tötens. Menschen das Leben zu nehmen bringt ihn in Ekstase. Selbst später, wenn er sich die Szenerie vor Augen führt, erfasst ihn dieses Hochgefühl. Töten ist für ihn ein Zwang! Die Kälte, die dabei seinen Körper durchströmt, erregt ihn. Er kann diese Gefühle nicht abstellen und lässt es geschehen. Es muss eben so sein!

    Als Kind, als er einen Frosch sezierte, hatte er zuerst diesen Rausch der Befriedigung empfunden. Das war der Anfang. Als Nächstes quälte er seinen Hamster, schnitt ihn die Beine ab. Die Todesqualen der kleinen Geschöpfe erregten ihn. Später dann wurden die Tiere größer.

    Kapitel 1 Sommer

    Sommer! Und was für einer! Jahrhundertsommer heißen sie ihn! Und er macht dem Titel alle Ehre. Tag für Tag präsentiert der Himmel sich im strahlenden Blau der Könige. Und inmitten dieses fürstlichen Blaus thront majestätisch eine glühende Sonne. Ein um den anderen Tag brennt sie mit einer Intensität, als müsste sie beweisen, was für eine Gewalt sie besitzt. Jeden Tag wähnen die Menschen, es noch heißer als am vorherigen. Deutschland, ganz Europa, quälen mörderische Temperaturen, die alle zwingt, das Leben auf das Notwendigste herunterzufahren.

    Die Natur ist diese Tropenhitze längst überdrüssig. Alles und jeder lechzt nach Regen, nach Kühle. Keine Kreatur will mehr unter der Hitze ächzen und schwitzen, ausgelaugt und kraftlos sein. Sie wollen endlich wieder nachts schlafen, ohne sich hin und her zu wälzen und den Morgen herbei zu sehnen!

    Doch die Sonne erhört ihr Flehen nicht. Sie kennt kein Erbarmen. Es ist Sommer und unerträglich heiß.

    Wer kann sucht Erfrischung in den Badeanstalten oder sonstigen nassen Örtlichkeiten. In Bikinis und Badehosen bieten sich die Sonnenanbeter eisern dem Götzen Sonne dar. Selbst die figürlich nicht so Begünstigten präsentieren mit wenig Stoff bedeckt, bloß nicht zu viel anhagen, jeden Quadratzentimeter ihres Körpers dem gleisenden Himmelskörper. Nicht immer zur Freude ihrer Mitmenschen.

    Wie Opfer auf der Schlachtbank huldigen sie unerschütterlich ausharrend der erbarmungslosen Göttin. Mit Sonnenmilch, Sonnenschutzfaktor 30 oder höher, wollen sie die Sonnenstrahlen austricksen. Doch die Sonne lässt sich nicht überlisten. Gnadenlos durchbrechen ihre Strahlen den vermeintlichen Schutz der Sonnenschutzcremes.

    Bisweilen erwachen die wie tot da liegenden Leiber zum Leben. Ausgelaugt von der Hitze, tappen sie zum Wasserbecken, um Haut und Corpus Erholung zu gewähren. Geschockt schreien sie auf, wenn die kalte Dusche auf ihre heißen Körper prasselt. Prustend, gleich nasser Hunde, schütteln sie sich. Nach ein paar Runden im lauen Wasser begeben sie sich erneut zum Sonnenaltar.

    Lange hält die Erfrischung nicht vor. Wieder wird den Sonnenanbetern unsagbar heiß. Das Spiel Wasser, Sonnenaltar beginnt aufs Neue. Hier und da glänzt ihre Haut bereits feuerrot. Bald wird ein anderes Brennen die Sonnenbadenden quälen.

    Die Luft ist schwer und drückend. Der saure Geruch von konsumierten Alkohol und Schweiß vermischt mit der Symphonie duftender Sonnencremes, süßlichen Deos und diversen Parfüms, schwebt in der Luft.

    Am Abend begibt man sich in den Biergarten oder schmeißt alternativ den Grill an. Der Geruch von Holzkohle und Gegrilltem schwängert die Sommerluft. Musik, Gelächter, ein Wirrwarr der unterschiedlichsten Stimmen, hallen durch die Wohngegenden. Fast alle nutzen die Gelegenheit, sich im Freien aufzuhalten. Jeder will raus aus den stickigen Räumen und der drückenden Hitze in den vier Wänden entfliehen.

    Die Gastronomen reiben sich die Hände. Enormen Verdienst witternd packen sie sämtliche Sitzgelegenheiten, deren sie habhaft werden, ins Freie. Jede Fläche wird ausgenutzt und mit Tischen und Stühlen vollgestellt. Sie erwarten ein Bombengeschäft, wünschen, das Bilderbuchwetter möge lange anhalten.

    Kapitel 2 Einsamkeit

    Ein anstrengender Tag liegt hinter der Person. Bei einem grünen Tee mit viel Eiswürfeln sucht sie Entspannung. Mit geschlossenen Augen, genießt sie den ersten Schluck des Getränks, stellt die Tasse ab und greift zu dem angefangenen Roman auf dem Couchtisch. Eine Weile liest sie entspannt.

    Dann, wie aus dem Nichts, fällt sie jenes Gefühl an. Sie hasst es, wenn es sie überkommt. Die Stille um sie, löste es aus, förderte es zutage. Die Empfindung von Verlassenheit springt sie an wie ein Tier, packt und schüttelt sie, lässt nicht los, umklammert sie, drückt zu und droht sie zu ersticken. Die Person versucht, sich abzulenken. Es gibt etliche, die allein leben. Das muss nicht gleichbedeutend mit Einsamkeit sein. Viele genießen das Alleinsein.

    Das Gefühl gewinnt an Boden. Sie verzweifelt. Weshalb empfinde ich so? Ich will das nicht! Eigentlich habe ich genug um die Ohren, bin oft mit vielen Menschen zusammen, schon von Berufs wegen. Warum zum Teufel fühle ich so!

    Schließlich hält sie es nicht aus. Fluchtartig verlässt sie das Wohnzimmer. Getrieben rennt sie von einem Zimmer in das nächste. Sie muss diesem Gefühl entfliehen, es nicht gewinnen lassen. Sie will die Einsamkeit, die fürchterliche Leere, herausschreien, weitergeben an die Welt, Platz machen für das Glück, damit es den Weg zu ihr fände. Irgendwann schlurft sie zurück ins Wohnzimmer.

    Höhnisch blickt ihr der schwarze Bildschirm des Fernsehers entgegen. Innerlich zerrissen greift sie zu der Fernsteuerung vor ihr auf dem Tisch. Ihre Hände zittern. Das Ding entgleitet ihr, rutscht unter die Couch. Auf Knien angelt sie fluchend nach der Fernbedienung, erreicht diese knapp mit den Fingerspitzen. Teilnahmslos zappt sie dann durch das Programm. Bei einer Soap, die wie immer von Liebe handelt, stoppt sie. Genervt schaltet sie weiter, landet bei einer Tierdokumentation. Auch nicht ihr Ding. Aber sie stellt die Lautstärke hoch, so laut, dass sie es gerade noch erträgt. Die Stille bleibt.

    Die Flasche Wein im Kühlschrank fällt ihr ein. Jetzt kreisen ihre Gedanken um das Eine, den Alkohol. Der würde entspannen. Die Person stöhnt. Sie will nicht! Das Verlangen gewinnt die Oberhand. Nach drei Glas hat sie den Pegel erreicht, genau diesen Stand des Entspanntseins. Es fühlt sich gut an. Liegt das am Wein, dessen Menge es gilt exakt abzumessen, oder erwies ihr die Natur einfach die Gnade entspannt und glücklich zu sein. Sie hinterfragt es nicht lange. Genießt es!

    Die blöde Fernbedienung fällt erneut herunter, diesmal unter dem Tisch. Sie landet auf die Vorderseite. Das Programm springt wieder auf diese dämliche Soap. Jetzt ist es ihr gleichgültig. Gelöst lehnt sie sich an die Sofalehne. Die Welt ist ein Stück zurückgetreten. Alles ist egal geworden. Unbeteiligt starrt sie auf den Bildschirm. Schließt die Augen. Sie ist kurz davor ins vollständige Vergessen hinüber zu gleiten. Das Wort Date lässt sie aufhorchen. Aufmerksam blickt sie zum Fernseher. Zwei Teenies hocken vor einem PC. Einer beackert die Tastatur. Der andere brüllt.

    „Warte mal! Warte, die sieht doch toll aus."

    „Ne, die ist doch voll bescheuert."

    „Dann scroll langsamer! Mal schauen, was es da für Tussen gibt."

    Was treiben die da? Letztendlich dämmert es ihr. Erneut tigert sie durch die Wohnung, diesmal nicht getrieben, sondern nachdenklich mit langsamen, forschenden Schritten. Das könnte die Lösung sein, das Internet! Datingbörsen!

    Den Laptop auf den Knien schielt sie auf die Weinflasche. Ist jetzt auch egal, findet sie, füllt erneut das Glas. Sie schlägt den Rechner auf und wählt die von ihr bevorzugte Suchmaschine, gibt Datingdatei ein. Erwartungsvoll fixiert sie den Bildschirm und staunt über die Unmenge an Partnerbörsen, selbst ausschließlich chinesische preisen ihren Dienst an.

    Sie klickt etliche an und arbeitet sich durch die verschiedenen Reiter. Vieles kann umsonst eingesehen werden, aber die meisten haben nach der Anmeldung eine Aufteilung in kostenlosem und kostenpflichtigem Service. Bei einigen ist die Registrierung, das Hochladen eines Profilbildes, das Ausfüllen und das Ansehen von anderen Profilen gebührenfrei. Aber will man Kontakte knüpfen, kostet das immer Geld.

    Möchte nicht wissen, wie vielen das egal ist, weil sie auf Glück und Liebe im Internet hoffen.

    Sie wählt das Datingportal, das im Test am besten abgeschnitten hat. Auf der Chatseite schildert sie sich in den schillernsten Farben, wie sie sich sieht, so, wie sie sein möchte.

    Vielleicht klappt es mit dem großen Glück, hofft sie, wie so viele.

    Kapitel 3 Christian Lorenzo

    Christian Lorenzo stöhnt. Zum wiederholten Mal wischt sich der Fotograf den Schweiß von der Stirn. Die Strecke um den Maschsee ist bei den mörderischen Temperaturen wahrlich kein Vergnügen, anstrengender, als er sich vorgestellt hat. Jeden sich bietenden Schatten heißt er willkommen. Innerlich flucht er, ausgerechnet heute diese Mordstour geplant zu haben. Aber er braucht dringend ein paar aktuelle Bilder und hier bieten sich stets gute Motive.

    Er ist ein guter Fotograf. Sein Atelier liegt in der List. Jedoch macht er selten diese gestellten Porträtaufnahmen, außer wenn das Geld knapp wird. Freiberuflich für verschiedene Zeitungen und Magazine tätig, träumt er davon, weltweit bekannt und gefragt zu sein.

    Jogger trotzen eisern den Temperaturen, ebenso Spaziergänger, denen man die Qual der Hitze ansieht. Ein eisgrauer Typ versucht einen Terrier, der sich immer wieder hinlegt, zum Weitergehen zu zwingen. Unerbittlich zerrt er an der Hundeleine, schafft es. Widerwillig trottet das Tier hinter ihm her. Herrchen spinnt, drückt seine gesamte Haltung aus.

    Pier 51, am Nordufer des Sees, kommt in Sichtweite. Zielstrebig steuert er darauf zu. Er muss eine Pause einlegen. Zufrieden ergattert er den letzten Liegestuhl, zieht ihm vom Uferrand zurück in den Schatten. Die langen Beine ausgestreckt genießt er bald einen alkoholfreien Cocktail. Er hätte gern etwas anderes getrunken, doch bei der Hitze würde ihn Alkohol unweigerlich aus den Schuhen hauen. Versonnen betrachtet er die silbrig glänzenden Wellen, die mit den bunten Segeln der Boote um die Wette flimmern. Die Sonne reflektiert dieses Wetteifern. Geblendet schließt er die Augen.

    Verhalten tönt das Kommando eines Steuermanns an seine Ohren. Wahrscheinlich trainiert da ein Ruderklub, folgert er aus den Geräuschen, die zu ihm her-überschallen. Er träumt vor sich hin. Jedoch das Wissen, wieder loszumüssen, stört. Widerwillig öffnet er die Augen, winkt der Kellnerin zum Zahlen.

    Erfrischt steuert er sein nächstes Ziel an. Bereits nach kurzer Zeit wischt der athletische Mittdreißiger zum xten-Mal den Schweiß von seiner Stirn. Doch die Tortur war die Mühe wert. Ein paar gute Bilder, Belohnung für die Quälerei, ergänzen inzwischen sein Repertoire.

    Gegenwärtig quält ihm das Bedürfnis nach einem kalten Getränk. Ein Bier wäre toll. Sein Ziel, der Biergarten, über den er eine Bildreportage erstellen soll, rückt näher. Bei dem Gedanken an dem baldigen Biergenuss schluckt er kräftig. Erleichtert stoppt er vor dem Wirtschaftsgebäude des Gastgartens, schießt rasch ein Foto von der Skulptur, seitlich des Hauses. So wie die Figur in typischer Manier eine Hand auf Höhe der Brust in die Uniformjacke gesteckt hält, erkennt man sofort, wen sie darstellen soll.

    Ehe ihm jemand zuvorkommen kann, steuert der gutaussehende, dunkelhaarige Mann einen Tisch unter einer der Linden an. Da das ausladende Blätterwerk des Baumes tagsüber die Sonne ferngehalten hat, müsste es dort angenehm frisch sein. Voller Vorfreude auf das kalte Bier, das langsam realer wird, schluckt er erneut.

    Die Beine weit auseinandergeklappt, so wie es sich nur Männer erlauben können, will er erst einmal entspannen. Leichter gedacht als getan. Da er im Moment Fotos über Hannovers Biergärten liefern soll, fangen sein Kopf, seine Augen sofort an, zu arbeiten. Er kommt nicht umhin, die Eindrücke und Bilder, zu sortieren. Aufmerksam schauen seine dunkelbraunen Augen umher, halten Ausschau nach möglichen Motiven.

    Als ihm bewusst wird, dass er wieder „arbeitet", grinst er. Wie schon so oft denkt der Mann, der leidenschaftlich gern fotografiert, wie gut er es hat, Berufliches mit Privatem zu vermischen.

    Dieser Biergarten zwischen Hauptbahnhof und Fußballstadion gelegen bildet den Auftakt zu seiner Dokumentation über Hannovers Biergärten. Das Gartenlokal könnte den Namen von der Waterloostraße haben, an der es liegt. Der Waterlooplatz oder die Waterloosäule unweit vom Maschsee kämen ebenfalls als Namensgeber in Frage, sinniert er und holt einen Notizblock aus seiner Tasche. Bis das bestellte Bier und die Bratwurst kommen, könnte er den Text zu den Bildern entwerfen. Ein Knarzen, als schreite jemand über alte Holzdielen, dringt aus seinem Bauch. Während der Arbeit vergisst er oft, zu essen. Schnüffelnd zieht er die Nase hoch. Vom Nachbartisch weht der verlockende Duft von gegrillter Wurst zu ihm herüber. Hoffentlich kommt die Kellnerin bald mit meiner.

    Mit seinem charmantesten Lächeln hatte er die Bedienung gefragt, ob sie ihm ausnahmsweise die Bestellung an den Tisch bringen könnte. Mit einem tiefen Blick in ihre Augen erklärte er, er wäre zum Anstellen zu erledigt. Sie zeigte vollstes Verständnis. Für ihn mache sie einmal eine Ausnahme, sagte sie, mit besonder Betonung auf das Wörtchen „ihn".

    Es ist relativ leer. Aber wenn die Sonnenanbeter und die Fußballfans aus dem nahe gelegenen Fußballstadion einrücken, würden ruckzuck alle Plätze besetzt sein. Er beugt den Kopf mit den kurz geschnittenen schwarzen Haaren, fängt an zu schreiben.

    Dieser Biergarten liegt nur wenige Minuten vom Maschsee und dem Schützenplatz entfernt und ist gut mit den Öffis zu erreichen. Seit über 20 Jahren ist er der beliebteste Sommertreff der Stadt. 1.500 Plätze, vier Bierausgabestellen sorgen für einen reibungslosen Ablauf. Für den kleinen Hunger, oder auch den großen, ist ebenfalls gesorgt. Die Altbierbowle ist über die Grenzen der Stadt hinaus berühmt. Um das alles genießen zu können, kann das Auto getrost zu Hause gelassen werden, denn die U-Bahn-Station „Waterloo" liegt quasi direkt vor der Haustür. So oder ähnlich könnte der Text lauten.

    Dynamisch schreitet die, natürlich vollbusige und wie könnte es anders sein, blonde Bedienung mit einem voll beladenem Tablett, anscheinend machte sie nicht nur bei ihm eine Ausnahme, auf seinen Tisch zu. Der Kerl sieht echt toll aus. Die schwarzen Augen in dem dunklen Teint findet sie umwerfend. Ob er wohl aus dem Süden kommt?

    Er staunt, wie sie es schafft, das schwere Tablett, als wenn es nichts wäre, so locker durch die Tische zu balancieren. Ihr beträchtlicher Bizeps fällt ihm auf. Der Wunsch, seine Hand auf ihren kühlen Arm zu legen, ihn zu streicheln überfällt ihn, lässt ihn innerlich erbeben.

    Strahlend, als habe er ihr ein Superkompliment gemacht, steuert die Kellnerin auf ihn zu. Sie setzt einen der heiß ersehnten Krüge geräuschvoll vor ihm ab. Dabei gönnt sie ihm wie zufällig einen Blick in ihr beachtliches Dekolletee. Er betrachtet die vor ihm stehende bernsteinfarbene Flüssigkeit. Zieht die Maaß heran. Genießerisch saugt er den säuerlichen Geruch des Gerstensaftes ein. Bewundert die Blume des frisch gezapften Getränkes. Es folgt der erste, köstliche Schluck. Nach einem ordentlichen Zug setzt er den nur noch halbvollen Humpen ab. Seine Zunge leckt die Spuren des Bierschaumes von den Lippen. Voller Behagen prustet er aus. Köstlich! Dieser erste Schluck schmeckt stets am besten.

    Die gleiche Hingabe kommt auch der Bratwurst zuteil. Mühsam bewältigt er das beim gierigen Abbeißen zu groß geratene Stück. Prompt verbrennt er sich den Gaumen. Er zwingt das Hecheln zurück, will nicht lächerlich erscheinen. Bedächtig isst er weiter, beäugt skeptisch die Wurst. Er bezweifelt, dass ihm die eine reichen würde. Muss ich mich wohl doch anstellen. Vielleicht noch Kartoffelsalat, Brezel ginge auch, oder beides.

    Nachdem Hunger sowie Durst gestillt sind, die zweite Maaß steht vor ihm, schaut er auf Neue umher. Der Sommer, der alle nach draußen treibt, ist seine bevorzugte Jahreszeit, in der er reichlich Gelegenheit hat, der Observation von Menschen nachzugehen. In dieser Zeit sind viele unterwegs, tragen ihr Leben, ihr Dasein, ins Freie. Diese unterschiedlichen Typen faszinieren ihn, wecken seine Neugier.

    Aufmerksam betrachtet er die Anwesenden, seziert sie in Gedanken, fragt sich, was sie für Charaktere wären, was sie tun? Sind sie glücklich? Welche Vorlieben haben sie? Worüber sprechen sie miteinander? Bedauerlicherweise versteht er das selten. Gelingt es ihm, ihr Geplauder zu belauschen, versucht er mental am Gespräch teilzunehmen, die Unterhaltung zu lenken, ihr eine andere Richtung zu geben. Die nicht besseren Wendungen gefallen ihm mehr. Die hypothetische Macht sie zu guten oder böse Menschen zu machen erregt ihn.

    Ein Typ im dreiteiligen Anzug, die dunklen Haare penibel gescheitelt, fällt ihm auf. Für einen Moment treffen sich ihre Augen. Prompt schaut der Andere zur Seite. Er mustert ihn verstohlen. Sieht nicht schlecht aus der Kerl. Doch mit seinen steifen Klamotten wirkt er hier wie jemand vom anderen Stern. Er versucht, ihn einzuordnen. Wahrscheinlich Versicherung oder einer von diesen sogenannten Anlageberatern. Von wegen Vermögensberater, letztendlich schwatzen sie einem nur irgendeine Versicherung auf.

    Sein ganz besonderes Interesse jedoch gilt den Frauen. Begierig saugt er alles von ihnen auf, wie sie aussehen, sprechen, sich bewegen oder lachen. Später, wenn er allein ist, rekapituliert er ihre Erscheinungen. Wieder und wieder entstehen die Frauen, neue, andere Frauen, vor seinen Augen. Er spinnt Geschichten um sie, lässt seine Fantasie in unendliche Weiten schweifen. Manchmal gelingt es ihm, ein paar Aufnahmen zu machen. Dank der modernen kleinen Apparate und den Smartphones geschieht das meist unauffällig.

    Die ersten, mehr oder weniger geröteten, Sonnenbeter trudeln ein. Natürlich trinken sie Unmengen, fast immer Alkohol. Der lässt sie abermals Schwitzen. Sonne, Tropenhitze und die reichlich genossenen Spirituosen wecken Empfindungen und Sehnsüchte in ihnen und ihre Körper, ihre Sinne, schreien nach Erlösung. Selbst in der Nacht kühlen ihre Leiber nicht ab, sind heiß von der Glut der Sonne, dem Alkohol und ihren Hormonen.

    Allmählich reicht ihm das Gewusel und die Geräuschkulisse und er beschließt, aufzubrechen. Die Schwüle und die Hitze des Tages haben vor der Nacht kapituliert. Jetzt lässt es sich gut auszuhalten. Er genießt die jetzt kühlere Luft. denkt mit Grauen an die Tropenhitze, die ihm in seinem Appartement erwartet. Gemächlich, um diesen näher rückenden Zeitpunkt hinauszuschieben, schlendert er der Haltestelle entgegen.

    Als er in die Tiefe des U-Bahn-Tunnels eintaucht, trifft es ihn wie ein Klimaschock. Ein Lautsprecher knackt. Eine weibliche Stimme verkündet die Einfahrt der Linie 3. Zischende Türen geben zögerlich den Weg ins Wageninnere frei.

    Hitze und unglaublicher Mief prallen im aus dem U-Bahn-Wagen entgegen. Für einen Moment hält er die Luft an. Der Geruch nach Schweiß, untermalt von billigem Parfüms und anderen Düften ekelt ihn an. Verhalten atmet er weiter. Von irgendwo dringt penetrant der Ausdünstung von „ungewaschener Mensch" in seine Nase.

    Für diese Tageszeit ist die Bahn erstaunlich voll, überwiegend junge Leute. Auch hier versucht er, die Umgebung zu absorbieren und sich jedes Detail einzuprägen. Ich sollte öfter das Großraumtaxi benutzen, da sieht man die faszinierendsten Leute.

    Links von ihm kuschelt ein wild knutschendes Pärchen. Außer ihren Rücken gibt es nicht viel zu sehen. Vielleicht sollte er sie bitten, sich umzudrehen. Er grinst, schaut diskret zur Seite.

    Hinten in der Bahn, auf zwei Doppelsitzen, drängelt sich eine Horde Jugendlicher. Jeder

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