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Ulli im Glück: Die phantastische(n) Geschichte(n) des talentierten Mr. Ulli Lommel
Ulli im Glück: Die phantastische(n) Geschichte(n) des talentierten Mr. Ulli Lommel
Ulli im Glück: Die phantastische(n) Geschichte(n) des talentierten Mr. Ulli Lommel
eBook221 Seiten2 Stunden

Ulli im Glück: Die phantastische(n) Geschichte(n) des talentierten Mr. Ulli Lommel

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Über dieses E-Book

"Ulli im Glück" ist sicher keine der üblichen Künstlerbiografien. Das Leben des Protaganisten ist ein Beispiel für das Leben eines Menschen, der Ruhm, Reichtum und künstlerischer Anerkennung hinterher jagt und dabei wie "Hans im Glück" in dem Grimmschen Märchen seinen Goldklumpen verliert. In Ulli Lommels Fall bedeutet das seine Authentizität, Empathie und sein Mitgefühl. Der Autor erzählt die in Wirklichkeit tragische Geschichte eines immer lächelnden Mannes, der ständig die Rolle "Everybody´s Darling" spielt und dabei auch seinen Bezug zur Realität, seine Glaubwürdigkeit und seine Bewusstheit verloren hat. Ulli Lommel ist ein heißer Anwärter auf den Titel des "schlechtesten Regisseurs der Welt". Seine Gier nach den Phantomen der Unbewussten zwingt ihn, geradezu manisch und ohne Rücksicht auf andere Beteiligte immer weiter billige Trash-Filme und - Theaterstücke zu produzieren, um dadurch seine "15 Minuten Ruhm" (Andy Warhol) zu erhalten und immer wieder leichtgläubige Frauen erobern zu können. Obwohl alle seine Werke gnadenlos von den Kritiken sowohl der Experten des Feuilletons als auch der Film- und Theaterfans zerrissen werden, macht er getrieben von seiner Gier nach seinen Illusionen rastlos immer weiter. Ohne zu begreifen, dass jede Gier immer Angst erzeugt und Angst erzeugt Misserfolg. Ein Teufelskreis, aus dem es für Ulli Lommel kein Entrinnen mehr gibt, weil er es wie Dorian Gray krampfhaft vermeidet, sich sein wahres Gesicht, seine "true colors" anzuschauen ... Mehr zu dem Buch: uwe-woitzig.de
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum6. Aug. 2015
ISBN9783738036251
Ulli im Glück: Die phantastische(n) Geschichte(n) des talentierten Mr. Ulli Lommel

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    Buchvorschau

    Ulli im Glück - Uwe Woitzig

    Vorwort

    Vorwort

    Wer ist dieser Ulli Lommel?

    Will man sich diesem Kuriosum nähern, muss man zuallererst über seine unfassbare Lebensgeschichte, seine legendären Begegnungen, seine druckreifen Anekdoten reden. Über seine unaufgeregte, sympathische Art. Und über sein Lebenswerk, in dem Rainer Werner Fassbinder, Andy Warhol und David Carradine genauso eine Rolle spielen wie Daniel Küblböck, der deutsche Casting-Star. Die Rede ist von dem wohl unbekanntesten deutschen Hollywoodstar: Ulli Lommel.

    Die Biographie Ulli Lommels wirkt wie die Ausstaffierung einer Black Box. Nach all den von ihm in zahllosen Interviews erzählten Anekdoten und nach allem, was man über ihn liest, stellt man verblüfft fest, immer noch erstaunlich wenig über diesen Schauspieler und Regisseur zu wissen, der mit Andy Warhol in den 70ern zwei Filme drehte und 40 Jahre später mit Daniel Küblböck arbeiten wollte.

    Obwohl er immer wieder in Talkshows des deutschen Fernsehens auftritt.

    Obwohl u.a. der „Spiegel und die „SZ seitenlang über ihn berichtet haben.

    Obwohl er in allen Suchmaschinen mit Hunderten von Beiträgen zu finden ist.

    Obwohl es seit Jahren seine Autobiografie Zärtlichkeit der Wölfe gibt, die der umstrittenen Theater-Inszenierung Fucking Liberty als Vorlage diente.

    Nicht nur Michael Adams, Autor des Buches "A Film Critic's Year-Long Quest to Find the Worst Movie Ever Made, bezeichnet ihn als den schlechtesten Regisseur aller Zeiten" und bringt es auf die Formel: Low, lower, Lommel. Viele seiner Filme werden in den Listen über die 100 schlechtesten Filme aller Zeiten geführt. Immer auf den vordersten Rängen.

    Derzeit behauptet der facettenreiche Ulli Lommel in einem Buch, der Retter von Campo Bahia, dem Quartier der deutschen Fußballmannschaft während der WM in Brasilien, gewesen zu sein und dadurch maßgeblich zum Gewinn des WM-Titels der deutschen Fußballer beigetragen zu haben. Das Fatale ist, dass Ulli Lommel alles glaubt, was er selbst phantasievoll über sich in die Welt gesetzt hat. Vielleicht auch deshalb, weil  es über die Medien undifferenziert verbreitet wird.

    Ulli im Glück ist nicht nur eine atmosphärische Schilderung vieler aufschlussreicher Episoden aus seinem Leben und eine Anatomie seiner schillernden Persönlichkeit. Die Geschichte des Ulli Lommel ist ein wunderbares Lehrstück, warum man es vermeiden sollte, Phantomen wie Ruhm, Geld und Macht nach zu jagen. Es ist nichts als ein schöner Schein, wenn man wie Ulli Lommel durch ein freundliches, sympathisches und bescheidenes Auftreten zu einem Liebling der Medien wird. Er ist ja schließlich ein Schauspieler und weiß, wie man sein Publikum beeindruckt, indem man sich z.B. wohltuend von der Masse der sogenannten Prominenten aus dem Dschungelcamp oder Container von RTL abhebt. Ulli Lommel ist in der Inszenierung der eigenen Person so glaubwürdig, dass die - sowieso nur oberfläch recherchierenden - Medien in den höchsten Tönen über ihn berichten. Was dann wiederum seinen Glauben an das eigene Genie verstärkt.

    Wie Lord Voldemort dem Professor Quirrel in Harry Potter fest verwachsen im Genick sitzt, ist auch dieser Wahn mit seiner Persönlichkeit verschmolzen. Er zwingt ihn, geradezu manisch immer weiter Filme und gelegentlich auch Theaterstücke zu produzieren, um dadurch seine 15 Minuten Ruhm in den Medien zu erhalten.

    Obwohl alle seine Werke gnadenlos von den Kritiken sowohl der Experten des Feuilletons als auch der Film- und Theaterfans zerrissen werden, jagt er deshalb sein Leben lang gierig dem Ruhm und Erfolg nach. Ohne zu begreifen, dass Gier immer Angst erzeugt und Angst gebiert Misserfolg. Ein Teufelskreis, aus dem es für Ulli Lommel scheinbar kein Entkommen mehr gibt. Goethes Der Zauberlehrling lässt grüßen: Die Geister, die ich rief, ...

    Kapitel 1

    Die in die Jahre gekommenen Kneipe im Keller eines prachtvollen Jugendstilhauses am Beethovenplatz in München bestand lediglich aus einem großen Raum, der durch eine schmale Wandleiste optisch in zwei Hälften geteilt wurde. Das einem englischen Pub nachempfundene Ambiente wurde dominiert von einem klotzigen Mahagonieschrank, der die Rückfront einer langgezogenen Theke bildete, vor der dreibeinige, mit braunem Leder bezogene Barhocker aufgereiht waren. Um dieses protzige, aber aus der Zeit gefallene Mobiliar herum waren wahllos schlichte Holztische mit zerschlissenen Sesseln und Couchen arrangiert, die diverse Besitzer im Laufe der Jahre vom Trödel zusammengekauft hatten und die nicht so recht zu der ursprünglich eleganten Einrichtung passten. Die angestaubte Schenke hatte bessere Zeiten gesehen. Sie war in den 80ern des letzten Jahrhunderts zeitweise sogar die beste Bar der Stadt gewesen. Nach diversen Pleiten von zum Teil sehr zwielichtigen Betreibern aus Münchens Halbwelt war sie von einem Münchner Original ein wenig renoviert und wieder eröffnet worden. Der ambitionierte neue Wirt Xaver Feuchtel wollte das Nachtlokal zu einem Treffpunkt von Künstlern aus aller Welt machen und hatte sie nach Feuchtwangers Haus in Los Angeles großspurig „Aurora Bar genannt. Aber der erhoffte Erfolg war ausgeblieben. Auch heute Abend gab es außer dem frustriert hinter seinem Tresen lümmelnden Xaver nur zwei Gäste, die sich an einem Tisch im hinteren Teil der Bar niedergelassen hatten und bisher nur zwei Bier bestellt hatten.¨Was für ein beschissener Umsatz! Dafür lohnt es nicht, das Licht einzuschalten, dachte Xaver frustriert. „Heute könnte der miese Besuch allerdings am fürchterlichen Wetter liegen¨, tröstete er sich. An diesem eiskalten Dezemberabend fegte in der Tat ein heftiger Schneesturm durch die fast menschenleeren Straßenschluchten der Stadt. Selbst die ausgehfreudigen Münchner waren deshalb froh, wenn sie daheim vor der Glotze sitzen und sich ihren abendlichen Drink in ihrer warmen und trockenen Stube genehmigen konnten.

    Xaver warf einen sehnsuchtsvollen Blick auf eine halbleere Flasche „Jura"-Whisky, die er gestern in Angriff genommen hatte. Er seufzte. Dann beschloss er, sie heute Abend genüsslich auszutrinken und dabei diverse Monte-Christo-Zigarren zu paffen.

    In dem Moment öffnete sich die Tür der Bar und Xaver schaute hoffnungsvoll in ihre Richtung. Aber er wurde enttäuscht. Nur ein hagerer, alter Mann, der mit einem schwarzen Mantel und einem tief in die Stirn gezogenen Cowboyhut bekleidet war, betrat die schummrig beleuchtete Kneipe. Er blieb im Türrahmen stehen und versuchte, seine Augen an das Halbdunkel des Raumes zu gewöhnen. Eine dichte Wolke aus Schneeflocken umwehte ihn. Seine auffällige Kopfbedeckung und die Schultern seines Mantels waren mit einer dünnen weißen Schicht bedeckt. Mit raschen Bewegungen fegte sich der neue Gast das bisschen Schnee von seiner Kleidung. Der leicht angewiderte Ausdruck in seinem zerknitterten Indianergesicht verriet die Empörung einer beleidigten Diva über die Zumutung, dass er in einem solchen Wetter die wenigen Schritte vom Taxi zur Bar hatte machen müssen.

    „Aaahhh, der Herrrrr Lommel. Was für eine Ehre, dass er sich trotz des fürchterlichen Wetters zu meinem bescheidenen Etablissement herbemüht hat. Sei er herzlich willkommen", begrüßte ihn Xaver gespreizt, der den neuen Gast sofort erkannt hatte.

    Das gewinnende Lächeln eines Kindes glättete die faltige Miene des Neuankömmlings und zerstäubte jeden Unmut in seinem Gesicht. Nur seine Augen blieben kalt und wachsam. Sie lachten nicht mit, als er Xavers Gruß lässig mit einem kurzen Tippen an seine Hutkrempe erwiderte.

    Unbeholfen fingerte er mit seinen klammen Fingern an den Knöpfen seines eleganten Kaschmirmantels. Xaver hätte es nicht verwundert, wenn ein Patronengurt mit zwei daran hängenden Revolvern unter dem Mantel zum Vorschein gekommen wäre. Er wurde nicht gänzlich enttäuscht. Zwar trug Ulli Lommel keine Colts. Aber seine zerrissenen Designerjeans, seine handgefertigten Cowboystiefel, sein lilafarbenes Seidenhemd und sein rotes Halstuch verstärkten wie die Waffen es gemacht hätten den Eindruck eines Kuhhirten aus dem Wilden Westen der USA. Mit seiner Kostümierung und seinem gekonnt inszenierten Auftritt hatte er tatsächlich kurzfristig das Bild des frei umherziehenden Wanderarbeiters hervorgerufen, der das Symbol für die USA in der Welt war. Ein ziemlicher Widerspruch. Ulli Lommel kleidete sich zwar wie eine Mischung aus einem jungen Rodeoreiter aus Texas und einem Londoner Punk Kid. Aber er bewegte sich wie ein alter Mann, als er mit kleinen Schritten langsam den Raum durchquerte.

    Xaver beobachtete ihn und überlegte, an welchen Romanhelden ihn Ulli erinnerte. Aber es fiel ihm nicht ein.

    „Bring mir bitte ein Glas frisch gepressten Orangensaft mit einem Schuss Wodka an den Tisch dahinten", rief das Objekt seiner Gedanken dem Herrn der Getränke zu. Lommel sprach in einem leicht heiseren, aber fein modulierten Singsang, der dem geübten Ohr eine professionelle Sprachausbildung verriet.

    Ohne dessen Antwort abzuwarten, lief er an Xaver vorbei und begrüßte die beiden anderen Gäste, die bei seinem Eintritt aufgestanden waren und ihn fasziniert beobachteten. Er zog seinen Mantel aus, faltete ihn zusammen und drapierte ihn sorgfältig über einen freien Sessel. Ohne seinen Hut abzunehmen ließ er sich auf die breite Couch neben dem Tisch fallen. Mit einer lässigen Handbewegung forderte er seine beiden Gesprächspartner auf, sich ebenfalls zu setzen.

    Xaver mixte den gewünschten Cocktail und trug ihn gemessenen Schrittes, der seiner durch das tägliche Trinken und die vielen Frustrationsessen wegen des schwachen Umsatzes seiner Bar gewaltig gewachsenen Körperfülle geschuldet war, zu dem Tisch mit den drei Männern. Mit einer leichten Verbeugung servierte er den Cocktail seinem neuen Gast, der sich ohne ihn eines Blickes zu würdigen mit einem Kopfnicken bedankte.

    Behäbig schlurfte der korpulente Chef des Hauses wieder hinter seinen Tresen zurück. Er öffnete eine Schublade, zog einen Stapel eng beschriebener Seiten hervor, die ihm ein befreundeter Verleger heute vorbei gebracht hatte. Dann begann er das Manuskript mit dem Titel „Ulli im Glück" zu lesen, das sich mit dem Schauspieler, Regisseur und Geheimnis umwitterten Phänomen Ulli Lommel befasste.

    Kapitel 2

    Seit die Spuren seines fortgeschrittenen Alters sich nicht mehr verbergen lassen, tarnt er seine zahlreichen Falten und seinen Haarausfall mit einem tief ins Gesicht gezogenen Cowboyhut, einer dunklen Piloten-Sonnenbrille und einer schwarzen Perücke. Diese Maskerade soll Jugendlichkeit und Extravaganz signalisieren und ihn von der Masse abheben. Aber das misslingt. Zwischen den Passanten auf dem Berliner Alexanderplatz sieht er aus wie ein als Cowboy verkleideter alter Mann,  der von einer Kostümparty nach Haus kommt. Er erinnert den Autor, der auf ihn wartet und ihn beobachtet, an eine Figur aus einer Novelle von Maupassant: einen alt gewordenen Friseur und ehemaligen Frauenhelden, der mit der Maske eines schönen Jünglings regelmäßig auf Parties erscheint. Dann tanzt er wild und ausgelassenen mit allen weiblichen Gästen, bis er unter seiner Maske nicht mehr genug Luft bekommt und zusammenbricht. Auch Ulli schnauft etwas, als er schließlich mit einem routinierten Lächeln und einem weichen Händedruck den Wartenden begrüßt. Er arbeitet an einer Biografie dieses mysteriösen Mannes und will von ihm persönlich mehr über ihn erfahren. Deshalb hat er sich mit dem umstrittenen Regisseur zu einer gemeinsamen Autobusfahrt durch Berlin verabredet. Beim Besteigen des Busses beobachtet er fasziniert, wie Ulli dem Busfahrer sorgfältig seinen Fahrpreis abzählt,  ohne daran zu denken, auch den Fahrschein des Autors zu bezahlen. Mit dem Ticket für 2,40 Euro in der Hand schwingt er sich schließlich auf einen Sitz in der ersten Reihe auf dem Oberdeck des Busses.

    „Wo sonst sollte der alte Cowboydarsteller einen für ihn geeigneten Platz in einem gelben Doppeldeckerbus finden, der vom Berliner Alexanderplatz in den Wilden Westen ans andere Ende der Stadt fährt?" denkt der Autor erheitert und setzt sich neben ihn.

    Ulli Lommel war in den 60ern des letzten Jahrhunderts ein berühmter Filmschauspieler und ist heute ein heftig umstrittener Regisseur. Aber keiner der Fahrgäste erkennt ihn, was nicht wirklich erstaunlich ist. Es ist schließlich fünfzig Jahre her, dass er mit der großen Hildegard Knef, mit dem „Seelchen Maria Schell und dem unvergleichlichen Heinz Rühmann längst in Vergessenheit geratene Filme drehte. Die Mädchen himmelten ihn damals als „deutschen Alain Delon auf dem Cover und als Starschnitt der Jugendzeitschrift „Bravo" an. Der Boulevard berichtete pausenlos über ihn und er war ein Liebling der Klatsch-Journaille wegen seiner zahllosen Affären mit schönen und berühmten Frauen.

    Er arbeitete jahrelang als ein Hauptdarsteller mit Fassbinder zusammen, der ihn eines Tages sogar zum Regisseur eines seiner Filme machte.

    Der Film war in Deutschland erfolgreich und sollte auf einem Filmfestival in New York seine amerikanische Premiere feiern. Weil weder Fassbinder noch Kurt Raab, der das Drehbuch geschrieben und Regie geführt hatte, Lust auf den Trip hatten, boten sie Ulli an, dort als Regisseur aufzutreten. So kam es, dass er zu dem Festival nach New York flog, um dort den Film zu präsentieren. Mr. Lommel erzählt dem Autor die Ereignisse am Tag seines Abflugs: 

    „An einem brütend heißen Sommertag im August 1977 stand ich in der Abflughalle des Riemer Flughafens. Ich hielt meine Reisetasche fest umklammert, in der sich der kleine Perserteppich befand, in den mich meine Mutter während unserer Flucht von Sulęcin nach Berlin eingewickelt hatte. Ich war auf dem Weg nach New York, wohin ich zu einem Filmfestival eingeladen worden war, um dort meinen von Fassbinder produzierten Film `Die Zärtlichkeit der Wölfe` zu präsentieren. Das Werk war in Deutschland ein großer Erfolg bei den Kritikern und von ihnen hochgelobt worden. Aber mein Beitrag zur Herstellung des Films war in Wirklichkeit eher bescheiden gewesen. Die Hauptarbeit hatte Kurt Raab erledigt, der das Drehbuch geschrieben, die Kamera bedient und dann mit Fassbinder zusammen den Film geschnitten hatte. Ich hatte als sein Assistent ab und zu ein Kabel gehalten und auf Raabs Anweisungen die Scheinwerfer justiert. Da er sich aber die Vermarktung des Filmes wegen seines Alkoholismus nicht zutraute und Rainer Amerika hasste, hatten sie mir nach Fertigstellung des Films  vorgeschlagen, offiziell als Regisseur des Films zu fungieren und ihn in New York zu promoten. Ich sagte sofort zu. Ohne die geringste Ahnung zu haben, dass ich damit wie ´Hans im Glück` im Märchen einen Goldklumpen erhalten hatte.

    Versonnen schaute ich dem leicht torkelnden, weil wieder einmal völlig betrunkenem Kurt und dem wie immer hektisch an einer Zigarette ziehenden Rainer hinterher. Sie hatten mich zum Flughafen gefahren und strebten nach unserem kurzen Abschied dem Ausgang der Abflughalle zu. Ich ahnte nicht, dass dies das vorläufige Ende der München-Episode in meinem Leben war. Jahre würden vergehen, bis ich dorthin zurückkehren würde. Mit meinem Flug nach New York sollte für mich ein vollkommen neues Leben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten beginnen.

    Die professionell freundliche Stewardess brachte mir nach dem Start des PanAm-Jumbos einen Stapel internationaler Zeitungen und den bestellten Cuba Libre mit viel Eis. Gierig trank ich den süffigen Mix aus Cola und Rum auf ex und fühlte mich sofort besser. Es war mir doch etwas mulmig zumute, so ganz allein in New York den Film promoten zu müssen, dessen Aussage ich in Wirklichkeit damals nicht so ganz verstanden hatte. Es ging um einen Massenmörder, der seine Opfer zerteilte und dann aufaß. Schön schrecklich. Aber was sollte das bedeuten? War das eine Metapher? Und wenn ja, welche? Ich versuchte mich zu erinnern, was mir Kurt Raab bei einem abendlichen Gelage zu erklären versucht hatte. Doch mir fiel trotz hartnäckigem Nachdenkens einfach nicht mehr ein, was er damals alles gesagt hatte.

    Ich seufzte und gab es auf. Sollte ich in New York auf dem Filmfestival mit zu tiefgründigen Fragen konfrontiert werden, würde ich einfach so tun, als reichten meine Englischkenntnisse nicht aus, um sie zu verstehen und zu beantworten. Sie würden doch meinetwegen nicht extra einen Dolmetscher kommen lassen. So bedeutend war ich wirklich nicht, beruhigte ich mich und griff mir die New York Times, die die Stewardess mir gerade gebracht hatte.

    Als ich den Kulturteil öffnete, fiel sie mir fast aus der Hand. Die ganze erste Seite war eine Kritik

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