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Ein unsichtbarer Feind: Polit-Thriller
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eBook254 Seiten3 Stunden

Ein unsichtbarer Feind: Polit-Thriller

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Über dieses E-Book

Das Attentat auf den Kanzler in der Elbphilharmonie in Hamburg erschütterte die Republik und führte zum Sturz der Regierung. Aber stimmt es, daß der Täter ein Psychopath und Einzelgänger war, wie die Behörden behaupten? Der Journalist Otto Bergheim glaubt an eine Verschwörung. Er will die Wahrheit herausfinden. Als er mit seinen Recherchen der Wahrheit zu nahe kommt gerät er in tödliche Gefahr.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum18. Nov. 2020
ISBN9783753121000
Ein unsichtbarer Feind: Polit-Thriller

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    Buchvorschau

    Ein unsichtbarer Feind - Werner Michelchen

    cover.jpg

    WERNER  MICHELCHEN

    EIN UNSICHTBARER FEIND

    INGRID

    Das Schönste am Schenken ist das Leuchten

    in den Augen des Beschenkten.

    (Russisches Sprichwort)

    WERNER MICHELCHEN

    EIN UNSICHTBARER FEIND

    KRIMINALROMAN

    Impressum

    Copyright 2020 Werner Michelchen

    Sarnowstraße 19a, 18435 Stralsund

    michelchen-stralsund@t-online.de

    Korrektorat: Evgenij Unker

    Umschlagfoto: Andreas Michelchen

    Umschlaggestaltung: Werner Michelchen

    Im Selbstverlag: Werner Michelchen, Stralsund

    Vertrieb: epubli –ein Servic der neopubli GmbH, Berlin

    1.Kapitel

    Die Kugel traf den Kanzler mitten ins Herz. Er war auf der Stelle tot. Der Attentäter wurde sofort von den Sicherheitsbeamten erschossen.

    Unter der Headline „Kanzlermord in der Elbphilharmonie beschrieb das Wochenblatt „Der Chronist den Tathergang später folgendermaßen: Die Tat geschah gestern am Karfreitag, als der Kanzler sich nach dem Konzertbesuch auf dem Weg zu seiner gepanzerten Limousine befand. Vielen Konzertbesuchern war der prominente Besucher nicht verborgen geblieben. So hatten die Sicherheitsbeamten erhebliche Mühe, die neugierigen Menschen auf Abstand zu halten, die dem Kanzler so nah wie möglich kommen wollten, um ein Foto zu machen. Einzig dem Attentäter war dies gelungen. In einem Rollstuhl, als Behinderter getarnt, konnte er die Sicherheitsleute für den entscheidenden Augenblick täuschen. Die Waffe, eine Glock G 17, hielt er auf dem Schoß unter einer Wolldecke versteckt. Als er dem Kanzler nahe genug gekommen war, schoss er.

    Einzelheiten zum Täter wurden von der Polizei nicht genannt. Hierzu wurde auf eine Pressekonferenz am Ostermontag verwiesen.

    Bericht: Otto Bergheim

    Die Pressekonferenz am Ostermontag lieferte keine neuen Erkenntnisse. Man ermittle mit Hochdruck in alle Richtungen, verkündete die Staatsanwaltschaft. Aus ermittlungstaktischen Gründen könne man jedoch keine näheren Einzelheiten bekannt geben, lautete die Standardantwort auf die drängenden Fragen der zahlreich erschienenen Journalisten. Immerhin erfuhr die Presse, dass die Bundesanwaltschaft den Fall übernommen hatte. Allerdings änderte diese Tatsache nichts an der Informationspolitik. Auch in den folgenden Wochen blieben Polizei und Staatsanwaltschaft zugeknöpft und äußerten sich nur zurückhaltend bis unwillig. Fragen zum Täter, seinem Motiv oder Umfeld blieben unbeantwortet oder wurden mit dem Hinweis auf Sicherheitsgründe abgeblockt. Die Folgen in der Medienlandschaft waren gravierend. Längst hatten andere die Deutungshoheit übernommen, allen voran das Internet. Zu den Auswirkungen der desaströsen Informationspolitik der Behörden erschien ein paar Monate später im Wochenblatt „Der Chronist ein Artikel unter dem Titel „Wem gehört die Wahrheit?, der die Ereignisse wie folgt zusammenfasste: 

    Die Republik war schockiert. Die Welt hatte kondoliert. Kaum waren die Betroffenheitsrituale abgeklungen, begannen die Medien mit einem Trommelfeuer an Vorwürfen und Besserwisserei.

    Nichtssagende Pressekonferenzen, Verschleierungstaktiken und Geheimniskrämerei vonseiten der Polizei, Staatsanwaltschaft und Politik hatten das Tor weit für Spekulationen geöffnet. Unter dem Motto „Wo nichts bekannt ist, wird unterstellt" setzten die Medien die abenteuerlichsten Geschichten in die Welt. Mal wurde der Täter der Terrorszene zugerechnet, mal berief sich ein anderes Blatt auf eine zuverlässige Quelle, der zufolge der Täter ein Einzelgänger und Psychopath gewesen sei. Auch Verschwörungstheoretiker hatten Hochkonjunktur. Ein besonders kreativer Schreiberling stellte die Tat in eine Reihe mit den Attentaten auf Abraham Lincoln und Olof Palme. Beide waren ebenfalls bei einem Theaterbesuch ermordet worden. Lincoln wurde im Jahr 1865, auch am Karfreitag, in einer Theaterloge erschossen und Olof Palme im Jahr 1986 nach einem Kinobesuch. Besagter Autor schloss seinen Artikel mit der rhetorischen Frage „Sind Politiker bei Theaterbesuchen besonders gefährdet?"

    Die Sicherheitsmaßnahmen seien unzureichend, die Kommunikation dilettantisch gewesen und es habe ein Verantwortungswirrwarr geherrscht, lauteten die Vorwürfe an die Behörden. Als Bauernopfer musste schließlich ein Einsatzleiter der Polizei herhalten. Er wurde suspendiert. Danach geriet die Politik ins Visier. Eine Lücke im Grundgesetz sorgte für Irritationen. So gab es theoretisch nach dem Tod des Kanzlers keine Regierung mehr. Die Nachfolge (§ 69 GG) war in der Verfassung nicht eindeutig geregelt. Schließlich wurden Neuwahlen angesetzt, deren Ergebnis zu einem Regierungswechsel führte. Nur der vorherige Koalitionspartner blieb der gleiche. Spätestens jetzt wäre es an der Zeit, über die Frage nachzudenken, wem die Wahrheit gehört:

    Ist sie Bestandteil von Herrschaftswissen oder Allgemeingut?

    von Otto Bergheim

    Diese Ereignisse lagen inzwischen zwei Jahre zurück und waren längst aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden. Bis ein weiterer Mord geschah.

    2. Kapitel

    Mühsam versuchte Tanja, die Augen zu öffnen. Sie schienen wie mit Pattex verklebt. Sie richtete sich schwerfällig auf. „Ooh!, stöhnte sie und ließ sich zurück in die Kissen fallen. In ihrem Schädel brummte es wie in einem Bienenstock. Sie lag im Bett, nackt. Nein, nicht ganz. Ein Slip bedeckte ihre Blöße. Mit geschlossenen Augen tastete sie vorsichtig die andere Seite ihres französischen Bettes ab. Alles frei, ihre Sorge war unbegründet. Kein Mann neben ihr. Langsam kam die Erinnerung zurück. Ihr dreißigster Geburtstag, das Ende ihres Volontariats, ihre Festanstellung beim „Chronisten, die Feier mit den Kollegen.

    Jeans, Bluse und Pulli lagen vor dem Bett verstreut. Bloß nicht bücken, erst einen schwarzen Kaffee, dann unter die Dusche, dachte sie, als sie sich von der Bettkante aufrichtete und schlaftrunken ins Wohnzimmer wankte.

    „Huch!", schrie sie auf und kreuzte die Arme vor dem nackten Busen. Auf der Couch lag ein Mann und schnarchte wie ein Walross. Ein zweiter lag schlafend, zusammengerollt wie ein Baby, auf dem Sessel. Sie rannte zurück ins Schlafzimmer, um sich etwas anzuziehen. Eigentlich hätte sie ihren Busen nicht verstecken müssen, die Männer schliefen ja. Es war mehr ein weiblicher Reflex.   

    Auch wenn sie keine Schönheit war, wie sie wusste, ihr Busen war allemal ansehnlich. Auch das übrige Äußere konnte sich sehen lassen. Sie hatte eine sportliche Figur, ein freundliches, offenes Gesicht und beim Lachen nette Grübchen an den Wangen. Zweimal die Woche ging sie ins Fitnessstudio, damit ihr Körper auch so straff blieb. Und immer wenn es die Zeit erlaubte, ging sie im Stadtpark joggen. Nur dass sie eine Brille tragen musste, war ihr zuwider. Immer wenn sie sich aufregte, bekam sie einen Silberblick. Ihr rechtes Auge peilte dann ihre Nase an. Sie schielte. Deshalb trug sie zu Hause, im Büro und vor dem Computer eine Brille. Wenn sie unterwegs war, benutzte sie Kontaktlinsen.

    An Duschen war im Moment nicht zu denken. Erst einmal musste sie die Männer loswerden. Aber wie? Bei Jochen Schmitt, dem Volontär, war das kein Problem. Er tat, was man ihm sagte. Bei Felix Kramer war das schon schwieriger. Er war nicht nur der exzellente Fotograf der Redaktion, sondern hatte auch einen gewissen Ruf als Weiberheld. Wenn man dem Büroklatsch glauben konnte, besaß er eine umfangreiche Privatgalerie an Aktfotos von sämtlichen weiblichen Angestellten der Redaktion. Und ob es dabei immer nur um das Modellstehen gegangen war, blieb sein Geheimnis. Tanja jedenfalls verspürte nicht das geringste Verlangen, in diese Sammlung aufgenommen zu werden. Nur wie sollte sie es anstellen, ihn loszuwerden? Endlich fiel ihr der Rat ihrer verstorbenen Mutter ein: Einem Mann nach einer durchzechten Nacht Vorwürfe zu machen, ist der falsche Weg. Gib der Bestie lieber etwas zu fressen - wenn sie satt ist, ist sie friedlich, hatte sie gesagt.

    Tanja schlich zurück in die Küche, schlug sechs Eier in die Pfanne, gab Speck und Zwiebeln dazu und briet ein kräftiges Frühstück. Ihr selbst wurde schon vom Geruch übel. Verteilt auf zwei Teller mit Toast sowie mit einer Kanne schwarzem Kaffee ging sie ins Wohnzimmer zurück und staunte. Jochen Schmitt und Felix Kramer waren wach. Offensichtlich hatte sie der Bratenduft geweckt. Ihre Gesichter drückten Scham und Verlegenheit aus.

    „Du bist ein Schatz!, sagte Felix und griff nach Messer und Gabel. Jochen nickte zustimmend und begann ebenfalls, zu essen. Mehr wurde nicht gesprochen. Als das Frühstück verputzt war, verabschiedeten sich die beiden artig. Tanja atmete auf, warf einen Blick zum Himmel und sagte: „Danke, Mama! Dann begann sie mit dem Aufräumen. Die Küche sah aus wie ein Schlachtfeld: Leere Bierflaschen, halb volle Schnapsflaschen, schmutzige Teller und Gläser, alles musste sortiert, gespült und an Ort und Stelle geräumt werden. Außerdem brauchten die Blumen frisches Wasser. Auf dem Sideboard entdeckte sie ein Handy. Einer der Kollegen musste es vergessen haben. Sie steckte es in ihre Handtasche, um es mit in die Redaktion zu nehmen und dem Eigentümer zurückzugeben. Völlig erschöpft gönnte sie sich eine Weile später eine Pause. Mit einer Tasse schwarzem Kaffee ging sie ins Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch sinken. Im Schneidersitz am Kaffee nippend griff sie nach dem Stapel Glückwunschkarten, um sie näher zu betrachten. Nach ihrer Auffassung verrieten Texte und Motive eine Menge über den Absender und wie er zum Empfänger stand. Schließlich hatte sie Psychologie und Kriminologie studiert.  

    Da gab es den Gleichgültigen, der nur vorgefertigte Texte unterschrieb. Den Romantischen, der den Text selbst verfasste oder sogar Verse auf die Person dichtete. Oder den Sentimentalen, der den Empfänger mit warmen Worten zu umarmen versuchte. Jede Karte nahm Tanja in die Hand und ordnete den Text gedanklich in die jeweilige Kategorie ein und der Person zu. Der Chefredakteur Lothar von Pinnau gehörte eindeutig zu den Gleichgültigen. Allerdings hatte er einen guten Draht zur Verlegerfamilie und das kam der ganzen Belegschaft zugute. Also nahm sie ihn gedanklich in Schutz. Immerhin verdankte sie ihm ihre Festanstellung. Das heißt, so fest war sie nun auch wieder nicht. Sie galt als Feste Freie Mitarbeiterin. Übersetzt ins Arbeitsrecht, war sie eine Scheinselbstständige. Allerdings kam ihr das sehr entgegen. So konnte sie ihre Arbeitszeiten selbst bestimmen, sich um ihren kränkelnden alten Vater kümmern und musste nur zu wichtigen Terminen in die Redaktion fahren, die in Hamburgs Hafencity lag. Sie wohnte in der sogenannten „Jarrestadt" im Stadtteil Hamburg-Winterhude. Die unter dem bekannten Baudirektor Fritz Schumacher im Jahr 1929 erbaute Backsteinsiedlung hatte zur damaligen Zeit als Vorbild für modernes Wohnen gegolten. Gedacht waren die Wohnungen für die dort lebende Arbeiterschaft. Nur hatte sich herausgestellt, dass die Mieten für die angedachte Klientel unerschwinglich waren, und so zogen die schon damals Besserverdienenden dort ein. Mit dem fußnah gelegenen Stadtpark und seiner Attraktion, dem berühmten Planetarium, war die Siedlung auch heute noch ein beliebtes Wohngebiet.

    Als Tanja die Karte von Gisela Fromm in der Hand hielt, dachte sie sogleich an die Anfangszeit ihres Volontariats zurück. Gisela Fromm, 55 Jahre alt, ein mütterlicher Typ. Sie war gelernte Bibliothekarin und arbeitete seit vielen Jahren im Archiv. Über jeden und alles wusste sie Bescheid. Während der Einarbeitungszeit, der sogenannten Kaffeeholerphase, hatte sie Tanja an die Hand genommen und sie mit den Gepflogenheiten der Redaktion vertraut gemacht. Auch heute noch holte sie sich Rat bei ihr, wenn sie einmal nicht mehr weiterwusste.

    Als Letztes las sie die Karte von Otto Bergheim, ihrem Mentor. Otto Bergheim war der heimliche Star des Redaktionsteams. Er war stellvertretender Chefredakteur und schrieb häufig die Leitartikel. Seine Stärke aber war der investigative Journalismus. Er verfügte über einzigartige Verbindungen sowohl in höchste politische Kreise als auch in die Wirtschaft. Und wenn es nicht anders ging, scheute er sich auch nicht davor, in der Unterwelt zu recherchieren. Er besaß einen geradezu unfehlbaren Riecher für krumme Geschäfte, Durchstechereien und Korruption.

    Nachdem Tanja sich freigeschwommen hatte, bekam sie die Aufgabe, über interessante Kriminalfälle zu berichten. Das fiel ihr aufgrund ihrer Vorbildung als Kriminologin nicht allzu schwer. So recherchierte sie viel in Gerichtssälen, bei der Polizei und gelegentlich auch im Gefängnis. Otto Bergheim hatte sie bereits eine Weile beobachtet. Er hielt sie für außerordentlich talentiert und förderte sie. Sukzessive weihte er sie in die wichtigsten Grundsätze guten Journalismus ein. Absolut objektiv sein, die Informanten unbedingt schützen und Tatsachenbehauptungen mehrfach aus unabhängigen Quellen verifizieren, bevor man sie veröffentlicht, hatte er ihr eingetrichtert. Darüber hinaus war er ein Anhänger des Konfuzianismus und hatte stets einen Spruch oder eine Weisheit seines Idols parat.

    Tanja las, was er auf die Karte geschrieben hatte:

    „Laute Freunde sind oft leise Feinde! (Konfuzius)" stand da.

    3. Kapitel 

    Die Sitzung war um 14.00 Uhr angesetzt. Es ging um die Schlussredaktion der nächsten Ausgabe: Was kommt rein ins Blatt, was bleibt draußen? Layout und Titelbild, Routine eben.

    Der Sitzungsraum war spartanisch eingerichtet. Ein langer Tisch stand in der Mitte, Stühle drum herum. Von der Decke an der Stirnwand ließ sich eine Projektionsfläche herabziehen. In der einen Ecke stand eine Flipchart, in der anderen ein altmodisches Rednerpult, das bei Vorträgen benutzt wurde. Die Fensterfront ließ sich mit Jalousien verdunkeln. Die gegenüberliegende Längswand wurde von einem wandhohen Bücherregal beherrscht, das mit Auszeichnungen und Pokalen bestückt war.

    Es war fünf vor zwei, als die Redaktionsmitglieder nach und nach hereinkamen. Sie setzten sich an ihren Platz, klappten den Laptop auf, blätterten in ihren Arbeitsmappen oder hielten Small Talk.

    Tanja Sommer hatte ihren Platz auf dem vorletzten Stuhl. Sie war einen Platz noch vorn gerückt, seitdem sie eine „feste Freie" geworden war. Ganz am Ende saß jetzt Jochen Schmitt, der neue Volontär. Punkt 14.00 Uhr trat Lothar von Pinnau, der Chefredakteur, ein. Wie alle anderen trug auch er Laptop und Arbeitsmappe unter dem Arm.

    „Hallo allerseits", sagte er und nahm am Kopf des Tisches Platz.

    Lothar von Pinnau war 52 Jahre alt, verheiratet und hatte einen, Sohn der in Amerika alles Mögliche studierte und niemals fertig wurde. Er war circa 1,80 Meter groß und legte viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Er erschien stets im dunklen Anzug, mit weißem Hemd und unterschiedlich gestreifter Krawatte. Um von seinem deutlich lichter werdenden Haupthaar abzulenken, ließ er sich neuerdings einen Dreitagebart wachsen. Das sollte zwar modern und sexy wirken, konnte aber nur bedingt über den gewachsenen Bauchumfang hinwegtäuschen. Sport war nicht seine Sache. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, ein glühender Fan der Fußballer des Hamburger Sportvereins zu sein. Wollte man etwas bei ihm erreichen, war es klug, es nur dann zu versuchen, wenn der HSV ein Spiel gewonnen hatte.

    Er warf einen kurzen Blick über die Anwesenden und stutzte, weil der Platz zu seiner Rechten noch frei war.

    „Hat jemand Otto gesehen?", fragte er in die Runde. Gemeint war Otto Bergheim, sein Vertreter. Allgemeines Kopfschütteln war die Antwort.

    „Dann warten wir halt noch zehn Minuten. Vielleicht steckt er irgendwo im Stau", bestimmte Lothar und blätterte in seiner Arbeitsmappe. Zehn Minuten Pause hätten früher für eine schnelle Zigarette gereicht. Das war jetzt aber Vergangenheit. Heutzutage galt Rauchen als Angriff auf die Gesundheit und war als Untat geächtet. Also wurde die Zeit mit allgemeinem Plausch überbrückt.

    Bis die zehn Minuten vorbei waren.

    „Na gut, dann fangen wir eben ohne Otto an", sagte Lothar von Pinnau und schlug seine Arbeitsmappe auf. Er wollte gerade Luft holen, um etwas zu sagen, da öffnete sich die Tür. Karola Busch, Lothars Vorzimmerdame, trat ein, fuchtelte wild mit den Armen und verzog hilflos das Gesicht.

    „Wir wollen nicht gestört werden, das wissen Sie doch, Karola", herrschte Lothar sie an. Gleichzeitig wurde sie von zwei Männern, einem kleinen und einem großen, die hinter ihr eintraten, sanft beiseitegeschoben.

    „Ich weiß, wir kommen immer ungelegen, aber das ist nun einmal unser Beruf, sagte der Lange. Dabei wedelte er mit einem Ausweis. „Ich bin Martin Kurtz, Hauptkommissar von der Kripo Hamburg.

    Der Mann war mindestens 1,95 Meter groß, dürr wie eine Bohnenstange und hieß Kurtz. Diese Tatsache drückte mächtig auf die Lachmuskeln, aber niemand traute sich.

    Hauptkommissar Kurtz zeigte auf den kleinen Mann und sagte:

    „Das ist mein Kollege Kommissar Groß."

    Nun gab es kein Halten mehr, schallendes Gelächter brach aus. Hauptkommissar Kurtz verzog keine Miene. Nur ein feines Lächeln huschte über sein Gesicht. Anscheinend war er an diese Reaktion gewöhnt. Dann sagte er:

    „Ihr Kollege Otto Bergheim wurde heute Vormittag tot aufgefunden." Schlagartig erstarb das Gelächter. Eisiges Schweigen trat ein. Die Gesichter erschienen wie schockgefroren. Tanja schlug entsetzt beide Hände vors Gesicht und begann, leise zu schluchzen.

    „Es tut uns leid, dass wir eine so schlechte Nachricht überbringen müssen. Aber wir benötigen dringend Ihre Hilfe", meldete sich Kommissar Groß mit ernstem Gesicht zu Wort.

    „Was ist passiert?, fragte Lothar von Pinnau mit bebender Stimme. „Das wissen wir noch nicht. Die kriminaltechnische Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen, erwiderte Hauptkommissar Kurtz.

    „Und wie können wir Ihnen helfen?", fragte Lothar von Pinnau.

    „Nun, zunächst wüssten wir gern, ob Herr Bergheim Angehörige hat, die wir benachrichtigen können."

    „Soweit mir bekannt ist, lebte er allein. Er war verheiratet, aber seine Frau ist vor ein paar Jahren gestorben", sagte Lothar.

    „Eine tragische Geschichte war das damals", erinnerte er sich.

    „Seine Eltern sind auch schon lange tot und von Geschwistern ist mir nichts bekannt", fuhr er fort.

    „Nun, in diesem Fall würden wir gern jemanden von Ihnen bitten, uns bei der Identifizierung zu helfen", sagte Hauptkommissar Kurtz.

    „Darum sollten Sie Frau Sommer bitten. Sie hat die meiste Zeit mit ihm zusammengearbeitet." Er deutete in Tanjas Richtung, die sich gerade die Tränen aus dem Gesicht tupfte.

    „Sie können dazu mit ihr in mein Büro gehen. Wenn Sie weiter keine Fragen haben, würden wir jetzt gern unter uns sein", sagte Lothar von Pinnau in schroffem Ton und sah den beiden Polizisten frostig ins Gesicht.

    „Sicher, das verstehen wir. Danke für Ihre Hilfe. Falls uns noch Fragen einfallen sollten, werden wir Sie ins Polizeipräsidium bitten", erwiderte Hauptkommissar Kurtz trocken.

    Tanja Sommer hatte sich inzwischen zu den beiden Polizisten begeben.

    „Kommen Sie", sagte sie und führte die beiden ins Büro des Chefredakteurs. Dort befand sich neben

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