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Ramy und Chris
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eBook194 Seiten2 Stunden

Ramy und Chris

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Über dieses E-Book

Nach einer Herzerkrankung verbringt Christina Marton, glücklich verheiratet und Mutter zweier Kinder, vier Wochen in einer Reha-Klinik, die anders verlaufen, als sie es sich vorgestellt hat. Zwar trifft sie viele interessante Menschen, sie verliebt sich aber auch in einen anderen Mann und wird beinahe Opfer eines Verbrechens.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum24. Jan. 2014
ISBN9783847660590
Ramy und Chris

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    Buchvorschau

    Ramy und Chris - Doris Bühler

    1. Woche

    Als sie in Bad Seeburg ankamen, fing es gerade an zu schneien. Die dicken weißen Flocken tanzten aus einem grauen, wolkenverhangenen Himmel und legten sich im Nu wie ein zarter weißer Schleier auf die vom letzten Schnee freigeräumten Straßen. Der Kombi, der vor dem Bahnhofsgebäude gewartet hatte und sie in die Waldhof-Klinik bringen sollte, hinterließ eine Spur aus gemusterten Bändern auf der dünnen Schneedecke, als er die Serpentine zum Weiherberg hinauffuhr.

    Sie waren zu viert. Eine Frau hatte sich neben Tina Marton gesetzt, während zwei Männer auf der Bank vor dem Heckfenster Platz genommen hatten. Mit seinem Schnauzer erinnerte sie einer der beiden an ihren Onkel Willi aus Stuttgart. Der daneben war ein bulliger Kerl in großkarierter Wolljacke und mit einer Schirmmütze auf dem fast kahlen Schädel. Er war als Letzter eingestiegen, und der Wagen hatte leicht gewankt unter seinem Gewicht.

    Dann mal los! hatte er gerufen und sich mit Schwung auf die Rückbank fallen lassen.

    Die Frau neben Tina war klein und zierlich, nicht mehr ganz jung. In ihrem schwarzen, straff zurückgekämmten Haar zeigten sich erste Silberfäden. Die großen Creolen, die an ihren Ohren hin- und herbaumelten, wenn der Kombi eine Kurve nahm oder über eine schadhafte Stelle im Asphalt rumpelte, gefielen Tina. Vielleicht hätte auch sie das eine oder andere Schmuckstück mitnehmen sollen, überlegte sie und griff instinktiv an ihr Ohrläppchen. Zum Beispiel die Ohrringe, die ihr Volker zu Weihnachten geschenkt hatte, die hätten es ganz sicher mit denen ihrer Nachbarin aufnehmen können. Doch ihr Ehering an der rechten und ein kleiner schmaler Silberreif mit einem blassen Aquamarin an der linken Hand waren der einzige Schmuck, den sie sich für die Reha zugestanden hatte.

    Die beiden Frauen schauten einander an. Der Blick der Fremden war nur flüchtig. Obwohl ihr Tina freundlich zulächelte, wurde ihr Lächeln nicht erwidert, - im Gegenteil. Demonstrativ wandte die Frau den Kopf ab und schaute auf der anderen Seite aus dem Fenster. Na gut, dachte Tina und hob die Schultern. Es würde andere in der Klinik geben, nette Frauen, mit denen sie sich anfreunden konnte. Schließlich mußte es nicht gerade diese sein.

    Der Fahrer, ein schwarzhaariger junger Mann mit dunklen Augen mochte Türke sein. Oder Araber. Während der Fahrt ließ er das Radio laufen, und die leise, orientalisch anmutende Musik hatte etwas Einschläferndes. Erst dadurch wurde Tina bewußt, wie müde sie inzwischen war. Den Abend zuvor hatte sie mit Packen ihrer Reisetasche verbracht und damit, Notizzettel für Volker und Anweisungen für die Mädchen zu schreiben. Und jedesmal, wenn ihr etwas Neues eingefallen war, etwas, das unbedingt während der nächsten vier Wochen erledigt werden mußte, hatte sie zu Papier und Kugelschreiber gegriffen. Selbst dann noch, als sie längst zu Bett gegangen war und sich schlaflos von einer Seite auf die andere gewälzt hatte. Die vierstündige Eisenbahnfahrt, die nun hinter ihr lag, hatte ihr schließlich den Rest gegeben. Vielleicht hätte sie im Zug ein wenig schlafen sollen, dachte sie, doch es war ihr schwergefallen, die Augen zu schließen und möglicherweise etwas von dem zu verpassen, was es unterwegs zu sehen gab. Jetzt aber rächte sich die Anspannung der letzten Stunden, sie hatte Mühe, die Augen offen zu halten.

    So a Sauwetter!, brummte Onkel Willis Ebenbild auf der Rückbank. Und des, wo mer bald Frühling habbe. Da sollt mer doch meine, mit dem Winter sei’s endlich vorbei.

    Der Holzfäller-Typ in der karierten Jacke neben ihm brummte Zustimmung. Scheinbar dauert hier alles ein bißchen länger.

    Da meget Se recht habbe.

    Die fremde Frau schaute haarscharf an Tina vorüber, als sei sie gar nicht da. Das ärgerte sie, und gerade deshalb betrachtete sie sie nun ihrerseits mit unverhohlener Neugier. Sie war schlecht geschminkt, fand sie. Das Make-up war zu dick aufgetragen, und aus nächster Nähe war die Körnigkeit des Puders zu erkennen. Die schwarzen Striche auf den Lidern hatten keine glatten Konturen, so als hätte ihre Hand beim Aufmalen ein wenig gezittert, und das Rot ihrer Lippen war für Tinas Geschmack viel zu grell. Sie selbst schminkte sich selten, eigentlich nur zu ganz besonderen Anlässen. Und gewiß ging sie dabei geschickter vor, als diese Dame, da war sie sich sicher. Schon bedauerte sie, daß sie ihr Make-up zu Hause gelassen hatte, doch wer hätte ahnen sollen, daß man in einer Reha Verwendung für solche Dinge haben könnte? Die Fremde schaute sie wieder an. Nur kurz, aber voller Verachtung. Ein alternder Star, mutmaßte Tina, eine Ballerina vielleicht, die es nicht verwinden konnte, daß der Zahn der Zeit an ihr nagte, daß von ihrer einstigen Schönheit inzwischen kaum mehr etwas übriggeblieben war. Eine Frau, die alles haßte, was jünger und schöner war, als sie. Naja, jünger vielleicht, aber schöner? Tina seufzte. Eine Schönheit war sie wohl nie gewesen. Ganz ansehnlich, gewiß, aber immer hatte es andere gegeben, die sehr viel hübscher gewesen waren, als sie. Andere, die sie im Geheimen bewundert und beneidet hatte. Inzwischen genügte es ihr, wenn man sie nett fand. So gesehen hatte sie nicht viel zu verlieren, wenn sie eines Tages die Grenze der Vierzig oder gar Fünfzig überschreiten würde.

    Nach einer halben Stunde Fahrt tauchte rechter Hand am Straßenrand ein aus Holz geschnitztes Schild auf, und da der Kombi leicht abbremste, war die Aufschrift gut zu lesen: Waldhof-Klinik Bad Seeburg, Rehabilitationszentrum für Herzerkrankungen.

    Das Auto bog in eine Auffahrt ein, die sich durch eine parkartige Anlage zog und geradewegs auf ein bezauberndes schloßartiges Gebäude zuführte. Verschneit und romantisch lag es vor ihnen, eng an einen Berghang geschmiegt, eingerahmt von schneebedeckten hohen Tannen. Heidenei, brachte Onkel Willis Doppelgänger begeistert hervor, und der Holzfäller pfiff durch die Zähne und meinte: Kaum zu glauben! Soll das unsere Klinik sein?

    Auch Tina war ein erstauntes Oh! über die Lippen gekommen. Nur die Ballerina starrte unbeeindruckt geradeaus, als bekäme sie so etwas Schönes jeden Tag zu sehen.

    Der Kombi hielt vor dem Hauptportal. Vermummte Gestalten, die sich vor dem Eingang zu einem Schwätzchen oder auf eine Zigarette zusammengefunden hatten, machten den Neuankömmlingen Platz und standen Spalier, als sie ausstiegen und der Fahrer begann, die Reisetaschen auszuladen und in der Eingangshalle abzusetzen.   

    He, Harkan, bringst uns wieder eine neue Fuhre? rief ihm ein grauhaariger Mann in abgetragenem Jogginganzug zu, während er Tina anzüglich zuzwinkerte. Sie übersah das geflissentlich und folgte Harkan neugierig die Stufen zur Eingangshalle hinauf. Beim Anblick des Inneren des Gebäudes blieben die Neuankömmlinge erstaunt stehen. Sie alle wußten, wie es normalerweise in einer Klinik aussah, hatte doch jeder von ihnen einen mehr oder weniger langen Klinikaufenthalt hinter sich. Hier jedoch war alles anders. Man schritt über hellgesprenkelten Marmorboden, der, in raffinierten Mustern verlegt, auf der einen Seite von einer kleinen Sitzgruppe aus blauem Leder begrenzt wurde, auf der anderen von der Rezeption und einer Front in die Wand eingelassener numerierter Briefkästen. Die Sitzgruppe war fast vollständig besetzt, und auf den mit Teppichen belegten Fluren und Treppen, die in die Halle mündeten, herrschte ein stetes Kommen und Gehen. Sie waren nicht die einzigen, die neu angekommen waren, und auch viele der Patienten, die ihre Reha an diesem Tag beendeten, hielten sich in der Halle auf und warteten darauf, abgeholt zu werden. Fasziniert schaute sich Tina um, und ihr Blick blieb an einem großen Aquarium in der Ecke der Halle hängen. Selbst aus der Ferne waren die bizarr geformten Felsbrocken darin zu erkennen, die schlanken dunkelgrünen Pflanzen, die sich in einer Fontäne aus Sauerstoffperlen hin- und herwiegten, und eine Unzahl kleiner bunter Fische, die in Schwärmen an der Frontscheibe vorüberjagten. Sie war versucht, hinzulaufen, um es sich genauer anzusehen, sagte sich aber, daß sie noch vier Wochen lang Zeit dazu haben würde, es gebührend zu bewundern. Zunächst war es wichtiger, zuzuhören, was ihnen die Hausdame in kariertem Dirndl zu sagen hatte. Mit einem Lächeln und einer freundlichen Geste hatte sie die Neulinge um sich geschart und sprach nun ein paar herzliche Worte zur Begrüßung.     

    Mit Räumen ging es Tina, wie mit Menschen: Manche mochte sie auf Anhieb, bei anderen brauchte sie etwas Zeit, um sich an sie zu gewöhnen. Und wieder andere konnte sie gar nicht leiden, so hübsch sie auch sein mochten. Das Zimmer im Waldhof gefiel ihr sofort, es hatte die Nummer 215 und lag am Ende eines Seitenflügels im zweiten Stock. Da es nicht sehr groß war, enthielt es nur wenige, dafür aber sehr zweckmäßige Möbelstücke. Hell und freundlich, mit vielen Fächern und Schubladen. Am besten aber gefiel ihr das große hohe Fenster, das, neben einem Blick auf den Eingangsbereich der Klinik, auch einen fantastischen Blick auf das Tal freigab, in dem Bad Seeburg lag, als hätte ein Engel es im Darüberfliegen einfach verloren: Schneebedeckte Dächer, im Zentrum eine Handvoll Hochhäuser sowie die Türme zweier Kirchen. In der Ferne, vor der Kulisse einer schroffen Bergkette, war eine Sprungschanze zu erkennen.

    In der Anmeldung hatte man ihr empfohlen, sich zunächst einmal im Speisesaal einzufinden, da sonst die Gefahr bestand, daß es nichts mehr zu essen gab. Wo aber war der Speisesaal? Obwohl ihr jemand den Weg beschrieb, verlief sie sich und fand sich nach einigen Irrwegen bei den Trimmradfahrern wieder. Erstaunt blieb sie an der Tür stehen und schaute ihnen zu. Voller Mitgefühl, denn schweißnaß und mit roten Gesichtern radelten sie unermüdlich und mit größter Kraftanstrengung auf der Stelle wie ein Hamster im Laufrad. Dabei ahnte sie, daß auch sie selbst, vielleicht schon morgen, einer von ihnen sein könnte, der um die Wette strampelte. Sie seufzte. Zumindest kannte sie nun schon einmal diese Folterkammer, - was allerdings nicht bedeutete, daß sie sie jemals ohne fremde Hilfe wiederfinden würde. Ein älterer Herr in grün-weißem Sportanzug, der der Tür am nächsten radelte, half ihr wieder auf den richtigen Weg.

    Der Speisesaal lag im ersten Stock. Eine automatische Tür öffnete sich, als sie näherkam, und sie blieb stehen, um einen neugierigen Blick hineinzuwerfen, bevor sie eintrat. Auch hier huschten dienstbare Geister in karierten Dirndln durch die Tischreihen. Sie verteilten die Speisen, nahmen Wünsche entgegen und vielleicht auch Beschwerden, - sofern es sie hier überhaupt geben konnte. Sie schienen bemüht zu sein, all ihre Gäste zufriedenzustellen. Doch waren sie wirklich Gäste hier, oder auch wieder nur Patienten? Tina war nie zuvor in einer Reha gewesen, deshalb wunderte es sie, daß sie sich, entgegen ihrer Erwartung, nun doch eher als Gast fühlte, denn als Patient, - was einen Augenblick lang ein unbeschreibliches Hochgefühl in ihr auslöste. Sollte das Patientendasein nun wirklich endgültig vorbei sein? Hatte Dr. Petri recht gehabt? Sie werden sich wohlfühlen dort, hatte er gesagt, als sie sich anfänglich gegen die Reha gesträubt hatte. Nach wochenlangem Krankenhausaufenthalt hatte sie nicht noch weitere vier Woche ohne ihre Familie sein wollen. Doch er hatte ihr versichert: Es wird Ihnen guttun, einmal richtig verwöhnt zu werden und auszuspannen. Und danach werden Sie sich gesund und fit fühlen und ein ganz anderer Mensch sein. Tina seufzte tief. Möge er recht behalten, dachte sie.  

    Noch unsicher folgte sie dem Strom der Mittagsgäste, die rechts und links an ihr vorüber ihrem Platz entgegenstürmten, - hungrig von langen Spaziergängen, vom Schwimmen oder vom Auf-der-Stelle-radeln. Und während sie noch mitten im Saal stand und sich umschaute, war eine der netten Dirndl-Damen an ihrer Seite, zog eine Liste aus ihrer Schürzentasche und fragte freundlich: Sie sind heute erst angekommen, nicht wahr? Sagen Sie mir bitte Ihren Namen?

    Marton, antwortete Tina, während ihr Blick über die Tische flog, an denen lachende, plappernde und zufriedene Gesichter zu sehen waren. Christina Marton.

    Marton. Richtig, da haben wir Sie ja schon! Tisch Nr. 5, Frau Marton. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?

    Tisch Nr. 5 war ein Vierertisch am Fenster mit Blick in den Park hinter dem Hauptgebäude. Auf der Serviettentasche, die auf dem leeren Platz lag, stand ihr Name. Die drei Leute, die bereits dort saßen, - zwei Männer und eine Frau mittleren Alters, - schauten neugierig von ihren Tellern auf, als sie an den Tisch trat. Eine Sekunde lang wußte sie nicht, wie sie sich verhalten sollte. Man hatte ihr erzählt, daß man sich in einer Reha im allgemeinen duzte, doch sie war sich nicht sicher, ob das überall so war.  

    Hallo, ich bin die Christina, sagte sie und nickte ihnen zu. Die beiden Männer rechts und links von ihr nickten zurück und murmelten ihre Namen, die sie in der Aufregung nicht verstand, die Frau aber, die ihrem Platz gegenübersaß, streckte ihr die Hand entgegen und sagte freundlich: Hallo Christina, ich bin die Rozalia. Es ist schön, dich kennenzulernen. Tina lächelte. Das hatte sie nett gesagt, fand sie, und von der ersten Minute an war sie ihr sympathisch.

    Der für Tina zuständige Stationsarzt war Dr. Wintrup, sie sollte sich pünktlich um 15 Uhr zur Aufnahmeuntersuchung bei ihm einfinden. Die Zeit war knapp, wollte sie bis dahin die Koffer ausgepackt, den Inhalt in den Schränken verstaut und sich noch etwas frisch gemacht haben. Sie schaffte es nur deshalb, weil sie zunächst einmal alles wahllos in den Schrankfächern verschwinden ließ, um es aus den Augen zu haben. Sie wollte es später noch ordnen und sortieren und so unterbringen, daß sie alles auf den ersten Griff wiederfand, sobald sie es brauchte.

    Das Zimmer des Arztes befand sich im entgegengesetzen Flügel des gleichen Stockwerks. Es war leicht zu finden, denn eine Stuhlreihe entlang der den Türen gegenüberliegenden Wand erinnerte an ein Wartezimmer, und dort saß auch schon jemand. Sie prüfte das Schildchen neben der Tür und verglich den Namen des Arztes mit dem, der auf dem Merkzettel stand. Alles war korrekt, also klopfte sie an.

    Es ist noch jemand drin, sagte der Mann, der bereits wartend auf der Stuhlreihe saß.  

    Sie sah sich flüchtig nach ihm um. Ich habe um drei einen Termin, antwortete sie, und jetzt ist es drei.

    Ich denke, es wird nicht mehr lange dauern.

    Sind Sie etwa noch vor mir dran? Das Timing schien nicht besonders gut zu funktionieren. Wann sollten Sie denn hier sein?

    Ich bin erst nach Ihnen dran, sagte er, erst um vier.

    Und dann sitzen Sie jetzt schon hier und warten?

    Er lachte. "Warum nicht?

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