Hilferuf aus Griechenland: Leo Schwartz ... und die Entführung auf Kos
Von Irene Dorfner
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Über dieses E-Book
Ein Zeuge wird ermordet, bevor er der Polizei wertvolle Hinweise geben kann.
Dann merken die Polizisten, dass sie verfolgt werden...
Irene Dorfner
Irene Dorfner - Die Autorin wurde 1964 in Reutlingen/Baden-Württemberg geboren und ist auch dort aufgewachsen. Die gelernte Großhandelskauffrau lebt seit 1990 mit ihrer Familie in Altötting/Bayern. 2013 hat sie ihren ersten Krimi veröffentlicht, kurz darauf erschien der nächste Fall. Seitdem widmet sie sich ausschließlich dem Schreiben von Krimis/Thriller. Aus der Leo-Schwartz-Reihe sind bisher 30 Fälle erschienen - und ein Ende ist nicht in Sicht...
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Buchvorschau
Hilferuf aus Griechenland - Irene Dorfner
Impressum
Copyright © 2014 Irene Dorfner
All rights reserved.
3. überarbeitete Auflage 2021 Copyright
© Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altötting
Lektorat: Felicitas Bernhart, D-84549 Engelsberg
EarL und Marlies Heidmann, Spalt
VORWORT
Wer die Wahrheit nicht weiß,
der ist bloß ein Dummkopf.
Aber wer sie weiß und
sie eine Lüge nennt,
der ist ein Verbrecher.
Berthold Brecht
Ich wünsche ganz viel Spaß beim Lesen!
Viele Grüße aus Altötting,
Irene Dorfner
ANMERKUNG:
Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Der Inhalt des Buches ist reine Fantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig. Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.
…und jetzt geht es auch schon los:
1.
Die Koffer waren gepackt, der Rucksack nebst Wanderschuhen war längst im Wagen verstaut. Endlich konnte es losgehen. Der Frühling ließ dieses Jahr lange auf sich warten, Ostern war letzte Woche. Drei langersehnte Urlaubswochen lagen vor Leo Schwartz. Leo befand, dass er sich den Urlaub redlich verdient hatte. Seit seiner Versetzung zur Kriminalpolizei Mühldorf am Inn hatte er erst zwei Mal Urlaub gehabt. Er war am Ende und brauchte dringend Ruhe. Drei Wochen ohne Verbrechen und Mördern – Klasse! Zuerst zog es ihn zu seinen ehemaligen Kollegen und Freunden nach Ulm, auf die er sich sehr freute und die ihn bereits erwarteten. Dann wollte er nach Pfullingen fahren und dort ein paar Tage verbringen. In Pfullingen besaß er seit einem Jahr ein Haus, das er von einer alten Dame geschenkt bekam. Er hatte Frieda Votteler während eines Falles kennen und schätzen gelernt, auch wenn sie ihn oft zur Weißglut brachte. Anfangs wollte er dieses üppige Geschenk natürlich nicht annehmen und sprach mit seinem Vorgesetzten. Der wollte damit nichts zu tun haben und überließ Leo die Entscheidung. Er beriet sich mit seiner besten Freundin, der Ulmer Pathologin Christine Künstle, die ihm dazu riet: Sei nicht blöd, quatsch nicht lang rum und häng das nicht an die große Glocke. Behalt das Haus für deine Altersvorsorge. Das waren ihre genauen Worte, die Leo beherzigte und das Haus annahm. Seitdem war er weder in dem Haus in Pfullingen gewesen, noch hatte er sich darum gekümmert. Es war noch in dem Zustand, in dem Frieda Votteler das Haus verlassen hatte. Immer wieder schob er die lästige Aufgabe vor sich her. Nun wollte er das Haus räumen und herrichten, um es dann vermieten zu können. Davor grauste ihm, denn das Haus war bis unters Dach vollgestopft.
So sahen seine Pläne für den bevorstehenden Urlaub aus.
Noch wusste er nicht, dass nichts daraus werden würde.
2.
Mit den Gedanken an das Pfullinger Haus und Frieda Votteler fuhr Leo los. Er ließ seine neue Heimat Altötting hinter sich. Als er durch Mühldorf am Inn fuhr, war er keine Sekunde wehmütig. Er wusste, dass er die neuen Kollegen nicht sonderlich vermissen würde. Bis auf seine Vorgesetzte Viktoria Untermaier. Gerne hätte er sie mitgenommen, war aber zu feige, sie zu fragen. Die Beziehung zwischen ihnen war nicht einfach. Er wäre zu einer festen Bindung sofort bereit gewesen, aber Viktoria zögerte. Sie hatte eine schlimme Ehe und eine unangenehme Scheidung hinter sich. Klar war sie misstrauisch. Leo hatte Geduld, irgendwann würde Viktoria offen für eine Beziehung sein.
Leo war schon seit über einem halben Jahr bei der Kriminalpolizei Mühldorf und hatte sich sehr gut eingelebt. Nach einem unschönen Vorfall in Ulm war er hierher versetzt worden. Trotzdem vermisste er nicht nur seine Freunde und ehemaligen Kollegen in Ulm, sondern auch die dortige liebgewordene Umgebung. Vor allem aber die Schwäbische Alb.
Je weiter er sich entfernte, desto mehr verblassten die Erinnerungen an Pfullingen und Frau Votteler, an Mühldorf und die Umstände seiner Versetzung. Er passierte München und sang fröhlich die Lieder auf dem Oldie-Sender mit, die er zu seinem Erstaunen alle kannte. Dieses Jahr stand sein fünfzigster Geburtstag bevor und er hatte doch Bammel vor der magischen Zahl, was er natürlich niemals zugegeben hätte. Früher hielt er alle Menschen über fünfzig für alt. Nicht mehr lange, und er gehörte selbst dazu. Leo fand, dass er sich für sein Alter sehr gut gehalten hatte. Für ihn schien die Zeit stehengeblieben zu sein. Mit seinen 1,90 Meter, der schlanken Figur und den in seinen Augen sehr hippen Klamotten (blaue Jeans, alte Lederjacke, Hemd oder T-Shirt mit dem Aufdruck einer Rockband und Lederstiefel) wirkte er für seine Begriffe sehr jung, obwohl ihn die mittlerweile grauen Haare störten, die er immer ziemlich kurz hielt. Aber Leo blieb dabei: Er war mit Abstand jünger als die gleichaltrigen Männer, die er kannte.
Er fuhr nun auf der A8 an Augsburg vorbei und mehr und mehr stieg die Vorfreude auf seine Freunde und ehemaligen Kollegen.
Stau!
Deutschland war das Land mit den besten Autobahnen. Trotzdem gab es hier die meisten Staus. Leo schüttelte den Kopf über die Unvernunft anderer Fahrer, die versuchten, sich ein paar Meter vorzudrängeln. Wie konnte man sich nur so chaotisch und rücksichtlos verhalten? Nur, um schneller voranzukommen, als alle anderen? Wenn sich der Verkehr staute, konnte man dem Stillstand sowieso nicht entkommen.
Leo war erstaunt über das hohe Verkehrsaufkommen. Er war am heutigen Sonntag extra zeitig losgefahren, damit er sich mit den vielen Lkws nicht herumschlagen musste. Woher zum Geier kamen die ganzen Fahrzeuge um die Zeit? Und woher kamen die vielen Lkws? So viele Ausnahmegenehmigungen konnte es doch nicht geben! Bislang ging es langsam, beinahe im Schneckentempo vorwärts. Plötzlich ging nichts mehr, absoluter Stillstand. Leo suchte einen Sender mit einer Verkehrsdurchsage, um wenigstens den Grund für diesen plötzlichen Stopp zu erfahren. Er hatte keinen Erfolg damit. Er gab auf und schob eine CD ein, denn seit geraumer Zeit wurde die gute Musik von unendlich langweiligem Gequatsche mit einem Promi, den er überhaupt nicht kannte, unterbrochen. Das nervte ihn tierisch. Er reckte und streckte sich, nahm einen Schluck Wasser und wartete. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde er immer ungeduldiger. Sein Ziel war nicht mehr weit, nur noch knapp dreißig Kilometer. Leo beobachtete die anderen Verkehrsteilnehmer vor ihm, die sich die Beine vertraten, telefonierten und sich unterhielten. Ob er auch aussteigen sollte?
Dann ging es endlich weiter. Zwar langsam, aber immerhin. Nach einigen Kilometern sah Leo schließlich den Grund des Staus: Eine Baustelle! Ein riesiges Schild informierte die Bürger über den Umfang und die Notwendigkeit, sowie über den Fertigstellungstermin, an dem Leo seine Zweifel hatte. Man brauchte doch nur an den neuen Flughafen in Berlin denken! Leo war sauer. Natürlich ging es bei diesem Stau um eine Baustelle, Deutschland war schließlich ein Land der Autobahn-Baustellen! Irgendwann passierte er die Baustelle und konnte es nicht glauben: Die wenigen Arbeiter standen nur rum und kein Fahrzeug bewegte sich. Typisch! Natürlich war heute Sonntag, aber das Hinweisschild machte deutlich, dass die Arbeiten rund um die Uhr und an sieben Tagen in der Woche durchgeführt wurden. Alles zum Wohle der Bürger und für einen reibungslosen, fließenden Verkehrsfluss. Lächerlich! Es war jetzt kurz vor halb zwölf – schon Mittagszeit? Leo ärgerte sich und fluchte, denn schon oft kam er an solche Autobahnbaustellen vorbei, auf denen er wenige oder überhaupt keine Arbeiten feststellen konnte.
Nun erreichte er endlich seine Autobahnausfahrt, hatte nur noch wenige Kilometer vor sich und ärgerte sich jetzt über seine Ungeduld auf der Autobahn. Er hatte schließlich Urlaub und jede Menge Zeit. War er schon zu so einem Grantler geworden, der sich über alles und jeden ärgerte? Leo nahm sich fest vor, an seiner Geduld und Einstellung zu arbeiten! Seine Laune besserte sich merklich und er pfiff und sang die Lieder auf seiner CD mit. Die Umgebung kam ihm sehr vertraut vor und sofort fühlte er sich zuhause. Als er das Ortsschild Ulm passierte, musste er unwillkürlich hupen. Endlich zuhause! Er fuhr in die Einfeldstraße und sah seine Freundin Christine Künstle schon von weitem. Sie schien ungeduldig zu warten, denn sie lief hektisch hin und her und hatte die Arme in die fülligen Hüften gestemmt. Ein sicheres Zeichen dafür, dass sie sich Sorgen machte. Als sie Leos Wagen erkannte, winkte die zweiundsechzigjährige Frau mit den kurzen braunen Haaren hektisch, wobei sich ihre Gesichtszüge entspannten. Nun strahlte sie übers ganze Gesicht. Leo parkte, stieg aus und rannte zu Christine, nahm sie in die Arme und wirbelte sie übermütig durch die Luft. Sie schrie und lachte.
„Lass mich sofort runter, du verrückter Kerl. Was fällt dir ein? Wo bleibst du denn so lange? Ich habe mir Sorgen gemacht."
„Diese blöde Baustelle hat mich fast eine Stunde gekostet. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich über die Bundesstraße gefahren."
„Schwamm drüber, jetzt bist du ja da. Komm rein, ich habe Essen gemacht, dein Gepäck kannst du später holen."
Sie zog Leo mit sich, der gerade noch seinen Wagen mit der Fernbedienung zusperren konnte. Es gab Maultaschen und Kartoffelsalat, was Leo als gebürtiger Schwabe nicht nur sehr liebte, sondern auch seit Monaten nicht mehr gegessen hatte. Er langte kräftig zu. Während sie aßen, berichtete Christine über Neuigkeiten bei der Ulmer Polizei und den vertrauten Kollegen, die Leo heute Abend zu sehen bekam, denn Christine hatte sie alle eingeladen: Die hübsche, schlagfertige und sehr intelligente Anna Ravelli, mit der Leo sehr gerne zusammengearbeitet hatte. Dann Stefan Feldmann, Leiter der Spurensicherung Ulm, ein wahres Genie in seinem Job. Er war mit Anna liiert, die beiden gaben ein wunderschönes Paar ab. Und natürlich Ursula Kußmaul. Die dreißigjährige, kleine, untersetzte Frau mit der dicken Hornbrille war völlig durchgeknallt und strotzte vor Selbstbewusstsein. Ihre Schlagfertigkeit und ihr loses Mundwerk waren legendär. Sie musste aufgrund eines Unfalls unförmige Gesundheitsschuhe tragen, was ihr aber nichts ausmachte. Ihre Kleidung war kunterbunt und sehr auffällig. Wegen ihrer vielen Narben am Kopf, die sie immer an viele Operationen erinnerten, trug sie täglich die verrücktesten Kopfbedeckungen, die nie zum Rest der Kleidung passten. Leo hatte Ursula Kußmaul bei seinem letzten Fall in Ulm kennen- und schätzen gelernt. Sie war wegen seiner Versetzung fest ins Team aufgenommen worden.
Nachdem Leo seine Sachen geholt und in dem extra für ihn hergerichteten Gästezimmer eingeräumt hatte, machten die beiden einen ausgedehnten Spaziergang durch Ulm. Sie tranken Kaffee und besuchten liebgewonnene Plätze der Vergangenheit. Leo fühlte sich sehr wohl. Wollte er jemals wieder zurück? Hier war er zuhause und hier gehörte er hin.
„Wir müssen zurück, es ist schon kurz nach fünf, in einer Stunde kommen die anderen."
Leo und Christine richteten den Tisch im Wohnzimmer her. Christine hatte Häppchen und Schnittchen, sowie reichlich Getränke besorgt. Endlich klingelte es. Die Gäste kamen gemeinsam, vorsorglich mit einem Taxi.
Sie begrüßten sich alle herzlich. Sie lachten, schwatzten und Leo fühlte sich pudelwohl. Erst weit nach Mitternacht und reichlichem Alkoholkonsum verabschiedeten sie sich. Es war klar, dass sie sich alle in den nächsten Tagen noch sehen würden, und zwar mehrfach.
Leo hatte sich mit dem Alkohol zurückgehalten. Er wollte auf jeden Fall am nächsten Tag ganz früh raus, um dann über seine geliebte Schwäbische Alb zu wandern. Natürlich nur, wenn das Wetter auch mitspielte, denn die Vorhersagen waren nicht sehr berauschend. Er stellte seinen Wecker auf fünf Uhr.
Er war schon vor dem Klingeln wach. Beschwingt sprang er aus dem Bett, zog sich an, nahm den gepackten Rucksack und verließ das Haus. Es war zwar stark bewölkt, aber es regnete nicht, was Leo vollauf genügte. Er fuhr los. Unterwegs holte er sich einen Kaffee und ein Croissant bei einem Bäcker, bei dem er sich schon früher mit Frühstück eingedeckt hatte und wo er auch sofort wiedererkannt und freundlich begrüßt wurde. Sie hatten ihn nicht vergessen. Mit einem guten Gefühl fuhr er schließlich über die Schwäbische Alb, öffnete trotz der Kälte das Fenster und sog die frische Luft tief ein. Ja, diese Luft gab es nur hier. Zielsicher steuerte er einen ganz bestimmten Parkplatz an, den er kurz nach sechs Uhr erreichte. Er sprang aus dem Wagen und sog die Luft nochmals tief ein. Endlich war er wieder hier!
Es war noch nicht richtig hell, nur langsam erwachte die Natur. Außer ihm war niemand auf dem Parkplatz. Nachdem er sich die Wanderschuhe und die Jacke angezogen hatte, nahm er seinen Rucksack, schaltete sein Handy aus und lief los.
Nach einer guten Stunde begann es zu nieseln, nach einer weiteren Stunde regnete es richtig, was aber Leos Laune keineswegs beeinflusste. Er setzte sich unter eine dichte Tanne, machte Brotzeit und schloss die Augen. Das Geräusch der Regentropfen, die Vögel, die trotzdem munter pfiffen, und natürlich die absolute Stille und Ruhe taten ihm unendlich gut. Dann hörte es auf zu regnen. Anstatt umzukehren, lief er weiter, das Wetter konnte ihm nichts anhaben.
Erst am späten Nachmittag war er erschöpft, klatschnass und unendlich zufrieden wieder an seinem Wagen. Er wechselte die Kleidung und Schuhe, legte eine Led-Zeppelin-CD ein und fuhr zurück.
Beim Einbiegen in die Einfeldstraße sah er Christine auf der Straße, die abermals ungeduldig zu warten schien. Er parkte und stieg aus.
„Endlich. Was ist mit deinem Handy los? Seit Stunden versuchen wir, dich zu erreichen." Christine war stinksauer.
„Das Handy schalte ich immer aus, wenn ich wandern gehe. Ist etwas passiert?"
„Seit heute Mittag ruft immer wieder eine Frau auf dem Präsidium an, die dich unbedingt sprechen muss. Ursula sagt, es ist sehr dringend."
„Welche Frau? Wer will mich sprechen?" Leo dachte an Viktoria und lächelte. Dann wurde er misstrauisch. Christine kannte alle Frauen in seinem Umfeld und hätte längst den Namen genannt, offensichtlich war es eine Fremde.
„Jetzt steh nicht blöd da, ruf Ursula sofort an."
Leo wählte die Nummer seiner früheren Kollegin, die sich nach dem ersten Klingeln meldete.
„Kußmaul!", brüllte sie ins Telefon.
„Hier ist Leo. Ich soll mich bei dir melden."
„Endlich! Deine Frau ruft seit Stunden an, sie muss dich dringend sprechen, sie klang verzweifelt. Sie hat mir eine Nummer gegeben, unter der sie zu erreichen ist. Nach der Vorwahl zu urteilen, ist sie im Ausland. Hast du was zu schreiben?"
Seine Frau? Leo hatte sich bestimmt verhört.
„Hast du gesagt, meine Frau möchte mich sprechen?"
„Ja. Sie sagte, sie sei deine Frau. Ihr Name ist Kerstin."
Leo war sprachlos, denn seine geschiedene Frau hieß tatsächlich Kerstin. Was war hier los? Was wollte sie von ihm? Seit über sieben Jahren waren sie geschieden und er hatte seither nichts mehr von ihr gehört.
„Bist du noch dran? Hast du etwas zu schreiben?"
Ursula Kußmaul wurde ungeduldig. Se hatte noch eine Vernehmung vor sich, die sich bis weit in die Nacht ziehen würde.
Leo ging ins Haus, Christine folgte ihm. Aus seiner Jackentasche nahm er einen Kugelschreiber und ein Stück Papier. Das war sein Kontoauszug, aber das war jetzt gleichgültig.
„Gib mir die Nummer."
Leo notierte sich die Nummer und war sich nicht ganz sicher, ob er auch richtig verstand. Er fragte mehrfach nach, aber Ursula bestätigte. Er bedankte sich, starrte lange auf den Zettel und sah dann Christine an, die neben ihm stand.
„Sieh dir die Nummer an. Die Vorwahl 0030 – das ist in Griechenland. Wenn das wirklich meine Exfrau ist, was zum Teufel will sie von mir?"
„Vielleicht braucht sie deine Hilfe. Worauf wartest du? Ruf an, dann wirst du es erfahren."
Christine machte keine Anstalten, das Zimmer zu verlassen, als Leo die Nummer wählte. Es brauchte lange, bis sich endlich eine Frau meldete. Leo erkannte sie sofort an der Stimme: Das war Kerstin, die ihm vor über sieben Jahren das Herz gebrochen hatte. Sie war auch der Grund, warum er sich von Karlsruhe nach Ulm versetzen ließ, denn er wollte ihr und ihrem neuen Partner auf keinen Fall über den Weg laufen.
„Ich bin es, Leo."
Er wartete ab, überließ es ihr, zu sprechen.
„Endlich! Ich habe so sehr auf deinen Anruf gewartet. Ich brauche dringend deine Hilfe, Leo."
Sie klang sehr verzweifelt und Leos Magen zog sich zusammen.
„Was ist passiert?"
„Mein Sohn Marcel ist verschwunden und ich weiß nicht, was ich machen soll."
Leo konnte sie sehr schlecht verstehen, denn sie sprach sehr leise, schluchzte und weinte. Die Tatsache, dass sie einen Sohn hatte, war für ihn neu und schockierte ihn. Warum, wusste er selbst nicht.
„Bitte beruhige dich und erzähl ausführlich. Fang von vorn an."
„Wir sind mehrmals im Jahr in Griechenland auf der Insel Kos, mein Mann Anton hat hier schon seit vielen Jahren ein Haus und ein Boot. Seit gestern Vormittag ist mein Sohn verschwunden. Er spielte am Strand mit anderen Kindern, während ich ein