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Der Vorfall: oder Illusionen im Jenseits
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eBook384 Seiten5 Stunden

Der Vorfall: oder Illusionen im Jenseits

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Über dieses E-Book

Die Handlung beginnt "eines schönen Tages" geraume Zeit nach dem Abklingen der Corvid19-Pandemie mit einem Telefon-Anruf aus dem Jenseits, und zwar von meiner Ehefrau, die vor fünf Jahren verstorben ist.
Da sich die Anrufe der Fremden hartnäckig wiederholen, beginnt eine Auseinandersetzung über die Wahrscheinlichkeit. Schließlich sind die Aussagen der Anruferin so eindeutig, dass es sich nicht um eine Betrügerin handeln kann. Ich lasse mich also auf den Kontakt ein und werde aufgefordert, auf der Erde für Abrüstung und Frieden tätig zu werden. Weil nämlich die Jenseitser die möglich gewordene telefonische Verbindung aus dem Jenseits zur Erde nutzen wollen, um die Menschheit endlich zur Vernunft zu bringen. Im Jenseits bemühen sich verstorbene Heilige, Philosophen, Politiker und Dichter um menschlichen Fortschritt auf der Erde. Meine Frau berichtet mir über die jenseitigen Debatten und lässt mir die Erklärungen der einstigen Weltgrößen per Fax zukommen. Auf der Erde werden die Anrufe zum Problem; denn nicht nur ich werde angerufen. Es wird ein neues Virus vermutet.. Im Jenseits sind auch Verstorbene anderer Planeten, insbesondere von der Maxima, der weltgrößten Erde, die unserer Erde um zweitausend Jahre voraus ist. Von der Maxima war Jesus einst mit einem Raumschiff gekommen. Jetzt entscheiden die Maximaner, der Erde wieder einen Besuch abzustatten, und zwar mit einem gigantischen Raumschiff. Geplant ist eine Erdumrundung und schließlich eine Wasserung vor Israel. Der Staatschef der Maxima möchte Jerusalem und Bethlehem besuchen, insbesondere aber soll eine friedenstiftende Konferenz stattfinden. Die Staatschefs von China, USA und Russland sowie Israel und Palästina versammeln sich bereits in Tel Aviv, doch das Raumschiff der Maxima kommt nicht an. Es wurde auf der letzten Etappe, auf dem Flug von Kapstadt zum Mittelmeer von einer unbekannten Macht beschossen und hat prompt die Heimreise angetreten. Jenseitser und Maximaner werden sich einig in der Auffassung, dass die Erde noch tausend Jahre braucht, um endlich zur Vernunft zu kommen…
Ich, Urs Triviall, berichte und kommentiere mit möglichst gesundem Menschenverstand, was mir widerfahren ist. Eine zweite Perspektive ist die meiner Frau Petra aus dem Jenseits, die dort gut informiert ist, abgeklärter auf die Erde schaut, ihre einstige irdische Aktivität aber nicht verloren hat. Eine dritte Perspektive ist die unterschiedliche Sicht der verstorbenen Persönlichkeiten auf ihr einstiges Wirken auf der Erde und ihre aktuelle Einschätzung des Geschehens auf unserem Planeten.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum18. Juni 2021
ISBN9783753190815
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    Buchvorschau

    Der Vorfall - Urs Triviall

    Der Anruf

    Eines schönen Tages hatte das Telefon geklingelt, etwas lauter als üblich, wie mir schien. Ich hatte mich gerade zu meinem Mittagsschlaf niedergelegt und war übel gelaunt, wie immer, wenn Anrufe zu ungünstiger Zeit stören. Aber natürlich hatte ich zum Telefon gegriffen und mich gemeldet. Und dann war ich zur zitternden Salzsäule erstarrt. Da hatte mir eine Frauen-Stimme gesagt:

    „Hallo, Dad! Hier spricht Petra, deine Frau. Wie geht es dir?"

    Ich war absolut sprachlos gewesen, hatte fast atemlos die Austaste gedrückt und das Telefon abgelegt. Was war das für eine bodenlose, für eine unverzeihliche Gemeinheit! Wer konnte so unverschämt sein und sich als meine Frau ausgeben? Sie war seit fünf Jahren tot. Sie konnte nicht am Telefon gewesen sein.

    An Mittagsschlaf war an diesem Tag nicht mehr zu denken gewesen. Zwar hatte ich mich erneut niedergelegt, aber mich unruhig und aufgebracht immer wieder von der einen zur anderen Seite herumgewälzt. Schließlich hatten sich die Gedanken um eine bohrende Frage gedreht: Wer ist die Frau, die einem Neunzigjährigen dermaßen bösartig mitspielt?

    Inzwischen ist einige Zeit verstrichen und es sind Dinge geschehen, die menschliches Fassungsvermögen überfordern und sich außerhalb jeglicher menschlicher Vorstellung bewegen. Vielleicht reicht meine Kraft noch, den Hergang des Übersinnlichen, aber letztlich wohl doch nur irdisch Bösartigen zu schildern. Mögen Leser wie Leserinnen mir verzeihen, wenn sie Unglaubliches zu lesen bekommen. Aber es hat sich zugetragen, so unfassbar es ist. Und wenn man für das Geschehen eine Erklärung zu finden sucht, dann gibt es aus meiner Sicht eigentlich keine. Nur Vermutungen, und zwar zwei, gefunden nach unruhigen Tagen und schlaflosen Nächten.

    Nämlich: Bleibt man auf dem Boden dieser Erde, dann steht fest, dass sich jemand mit großer Ausdauer und sehr viel Phantasie einen bösartigen Scherz erlaubte. Begibt man sich jedoch willig in die Sphären des Überirdischen, von wo der Anruf ja gekommen sein müsste, dann beginnt man zu glauben, dass tatsächlich meine Frau aus dem Jenseits anrief.

    Zu dieser freilich äußerst fragwürdigen Annahme kann man verblüffenderweise durchaus gelangen, wenn man der aktuellen Wissenschaft folgt. Nach deren Maßgaben ist das Weltall, in der sich unsere Erde bewegt, nicht nur unendlich groß, es fliegt obendrein mit unglaublicher Geschwindigkeit unentwegt auseinander. Es dehnt sich aus!

    Also muss nebenan irgendwie noch allerhand Platz sein, leerer Raum also! Was zum Teufel ist dort? Just das Jenseits! Ohne Zweifel. Einschließlich der Möglichkeit, von dort aus mit moderner Technik hier anzurufen! Nichts ist unmöglich! Neuerdings.

    Als damals der Anruf gekommen war, war meine Ruhe eines Rentners in gesegnetem Alter dahin. Die unfassbare Unsäglichkeit trieb mich zum Friedhof. Ich wusste, ich würde dort zwar keine Antwort finden, aber eben vielleicht so etwas wie seelischen Trost nach stillem Disput mit dem lieben Menschen, dessen sterbliche Überreste dort ruhen.

    Ich trat an das mit einer braunen Marmorplatte abgedeckte Grab, empfand gequält meine absurde Situation und musste, noch ehe ich mit meiner Frau im Stillen hatte sprechen können, ungewollt an ein Ereignis denken, das der Gedenk-Zeremonie am Tage der Bestattung einen unerwartet irren Touch gegeben hatte. Dem extra engagierten Countertenor, der mit der Pianistin einige Zeit in der kalten Friedhofskapelle hatte warten müssen, misslangen nämlich so gut wie alle Töne. Der junge Mann, unglücklich über sein Missgeschick, krähte erbarmungswürdig. Und die Misstöne mischten sich gnadenlos in den tiefen Schmerz. Das Desaster schien mir damals gleichsam symbolisch für die absolute Widersprüchlichkeit unseres Daseins. Die innigste Einkehr war durch einen banalen Zufall tragikomisch gestört worden. Und ich wusste, meine Frau, eine Musikwissenschaftlerin, hätte sich höchstwahrscheinlich pietätlos amüsiert.

    Die unerwartete Erinnerung an dies absurde Ereignis holte mich in meine wahnwitzige Gegenwart zurück. Ich stand still und kämpfte mit den Tränen. Dann sagte ich meiner Frau, was mir zur Zeit widerfuhr - dass sich eine Fremde anmaßte, sich als sie auszugeben. Stille umgab mich, Schweigen. Nicht einmal ein Vogel nahm mich wahr. Ich verließ den Friedhof.

    Es begann eine trübe Zeit. Immer wieder verfiel ich in Grübeleien. Wenn ich an meine Vernunft appellierte und mich entschied, diesem elenden Anruf und der ebenso elenden Anruferin nicht so viel Aufmerksamkeit zu schenken, dann hatte ich Minuten, in denen der Alltag normal verlief. Zumal kein neuer Anruf gekommen war.

    Also morgens möglichst lange schlafen, geruhsam frühstücken, Zeitung lesen, sich an den Computer setzen, zappen, scrollen, Nachrichten gucken, Fußball-Tabellen studieren, Tropico spielen, an den eigenen Homepages basteln. Mittags Spiegelei, Hefeklöße, Waldpilz-, Linsen- oder Spargelsuppe. Naja. Mittagsschlaf, danach Fische füttern und Teichfrosch gucken. Und so weiter. So eben dies und jenes bis in den späten Abend.

    Doch der Appell an die Vernunft war offenbar nicht nachhaltig genug. Wohl auch, weil es geraume Zeit vor dem mysteriösen Anruf schon einmal einen seltsamen Anruf gegeben hatte, der sogar zum Besuch durch die Polizei geführt hatte.

    Zu später Stunde hatte mich ein Herr mit sehr seriöser Stimme angerufen, sich als Polizeikommissar ausgegeben und mir mitgeteilt, dass sie soeben in meiner unmittelbaren Nachbarschaft ein Einbecher-Duo festgenommen hätten, bei dem sie einen beachtenswerten Zettel gefunden hätten. Auf dem Papier stünde, dass in meinem Haus einige Goldbarren und 200000 Euro in bar gelagert seien und die Bedingungen für einen Einbruch günstig wären. Etwas kopflos hatte ich damals dem Herrn Kommissar klar zu machen versucht, dass derlei Beute bei mir nicht zu holen sei, und er hatte mir versichert, dass sie mit genügend Kräften einsatzstark vor Ort seien und derzeit also keine Gefahr bestünde.

    Nachdem ich damals aufgelegt hatte, schien mir der beunruhigende Vorgang sehr verdächtig und ich beschloss, die Polizei anzurufen. Von da wurde mir erst einmal mitgeteilt, dass die Polizei grundsätzlich keine Bürger anruft und mir zur Beruhigung würde man eine Streife vorbeischicken. Was denn auch geschah. Die Beamten nahmen meine Anzeige entgegen, amüsierten sich ein wenig über meine Unbedarftheit, klärten mich noch einmal auf und überließen mich meinem Schicksal. Dies befremdliche Ereignis war inzwischen in Vergessenheit geraten, mir jetzt aber wieder in den Sinn gekommen. Was dazu beitrug, dass ich immer wieder ins Grübeln kam.

    Und dies andauernde Kopfzerbrechen führte einmal mehr zu ärgerlichen Ergebnissen. Ich warf mir vor, nicht so clever gewesen zu sein, auf dem Display des Telefons nach der Nummer der üblen Anruferin geschaut zu haben. Kopflos und überstürzt hatte ich aufgelegt. Nun muss ich gestehen, dass ich es mir nicht zur Gewohnheit gemacht habe, bei einem Anruf nach der Nummer zu schauen. So viel Anrufe bekomme ich ohnehin nicht mehr, dass das so unbedingt notwendig gewesen wäre. Zumal das ja auch nicht aussagekräftig sein soll. Irritierend ist es ohnehin. Einmal hatte ich einen Anruf abgelehnt, weil da stand „Nummer unterdrückt". Solchen Leuten, die es nötig haben, ihre Nummer zu unterdrücken, gestatte ich keinen Anruf. Wenig später aber hatte sich herausgestellt, dass der Anrufer die Nachbarin gewesen war, die mir eine Belanglosigkeit hatte mitteilen wollen. Die Nachbarin?

    Das war eine einsame Witwe in einem Alter, in dem man durchaus noch weibliche Ambitionen haben kann. Sie hatte wahrscheinlich zum Zeitvertreib oder warum auch immer die Neigung zu registrieren, wann ich morgens das Rollo hochziehe, wann ich einen Spaziergang mache, wann ich mit dem Auto losfahre oder wann ich mich im Garten aufhalte. Dann tauchte sie gern am Gartenzaun auf und suchte das Gespräch. Was insofern nützlich war, dass ich stets zwar meist belanglose Neuigkeiten aus der Nachbarschaft erfuhr, aber immerhin einigermaßen auf dem Laufenden war, was sich im Ort begab. Ein ergiebiges Thema waren die Wildschweine, die sich sehr gern gegebenüber im Wald aufhalten und dort hemmungslos wühlen. In merkliche Schwierigkeit war ich geraten, als ich mit ihr über meine Beschwerden beim Spaziergang durch den Wald gesprochen hatte. Mir fällt das nämlich zunehmend schwer und ich gehe deswegen auch nicht mehr gern allein. Ich habe zwar immer das Handy dabei, aber man kann nie wissen. Und prompt bot sie sich als hilfreiche Begleiterin an. Das war sehr nett und ich bedankte mich auch artig, aber in diese merkwürdigen Beziehungs-Abhängigkeiten, in die man durch solch einen Kontakt gerät, wollte ich mich keinesfalls begeben. In Betrachtung aller Umstände kam ich zu der Meinung, dass die Nachbarin nicht in Frage kam.

    Schon war ich bei einem weiteren ärgerlichen Punkt. Ich konnte mich nicht mehr an die Stimme der Fremden erinnern! War es die Stimme meiner Frau gewesen? So kramte ich denn meine Video-Filme von unseren gemeinsamen Kreuzfahrten hervor, die in einer Ecke eines Schrankes ein kümmerliches Dasein fristeten, und legte eine DVD nach der anderen auf. Aber eine brauchbare Antwort fand ich nicht. Die Stimme meiner Frau hatte stets eine wohltuende Ruhe und Souveränität ausgestrahlt, war zart und klar, kam aus einem starken Lebenszentrum. Die Stimme der Anruferin hingegen schien zwar ähnlich gewesen, hatte aber auch etwas Raues, etwas Schnarrendes. Je mehr ich darüber grübelte, desto gewisser wurde ich, dass es nicht die Stimme meiner Frau gewesen sein konnte. Bis zu dem Tag, an dem ein zweiter Anruf geschah.

    Geradezu verhängnisvoll war, dass ich mir trotz aller Grübelei keine Strategie festgelegt hatte für den Fall, dass wieder angerufen würde. Zumal ich das Ganze schließlich für einen einmaligen bösen Scherz hielt, der sich nicht wiederholen würde. Arglos also griff ich zum Telefon, meldete mich und hörte bestürzt:

    „Hallo Dad, warum hast du denn aufgelegt? Wir müssen doch reden!"

    Ich hatte keine andere Möglichkeit, als schnell auf die Austaste zu drücken. Dann setzte ich mich hin und starrte fassungslos zum Fenster hinaus. Was war da los? Das Unglaubliche, das Ungeheuerliche war, dass ich trotz aller Flüchtigkeit diesmal in den paar Sekunden die Stimme meiner Frau herausgehört zu haben glaubte. Das beunruhigte mich nun wirklich ernsthaft. Leider verfüge ich nicht über eine Technik, die es erlaubt, eingegangene Anrufe nach Belieben zu wiederholen. Weil mir das nicht möglich war, geriet ich wieder ins Kopfzerbrechen und war schließlich geneigt, meinem spontanen Empfinden zu mißtrauen.

    Zumal ein anderer Punkt in meine Aufmerksamkeit gerückt war. Ich hatte nämlich diesmal immerhin in dem Moment des Einschaltens des Anrufes nach der Nummer auf dem Display geschaut. Wo gähnende Leere gewesen war! Wieso das denn? Wieviel Rafinesse war da unterwegs? Oder sollte ein Anruf aus dem Jenseits diese Besonderheit haben? Ich zwang mich zur Vernunft. Dieser hahnebüchene Irrsinn musste irdisch sein. Irgendein verrücktes Weib trieb da ein gemeines Spiel.

    Ich musste an die Spam-Mails denken, die ich stets wegklickte, Woche für Woche. „Ich will heute Abend mit dir spielen!" hieß es da verlockend, versehen meist mit dem Foto einer verführerisch aufgeputzten jungen Frau, die einen herausfordernd freundlich anschaute. Als ich einmal – neugierig wie ich nun einmal bin – solche Mail, auf der eine Daniella für sich warb, angeklickt hatte, landete ich auf einer Seite, auf der mich zwei locker gekleidete Mädchen anlachten, geheißen nun nicht mehr Daniella, sondern Jessica, 24, und Kath, 26. Diese beiden, wurde verkündet, wollten einfach nur Spaß haben, befänden sich ganz in meiner Nähe, nämlich kaum 10 km entfernt, und stünden alsbald für ein Spiel zu Verfügung. Ich brauchte nur auszuwählen. Also ein nächster Klick war fällig gewesen. Den ich mir freilich verkniffen habe. Wäre ich jünger, wer weiß, wie ich mich verhalten haben würde. An diese moderne Art von Annäherung musste ich jetzt denken.

    Dann aber wurde mir urplötzlich heiß und kalt. Mir wurde bewusst, dass diese fremde Frau ja zweimal „Dad" zu mir gesagt hatte. Das war nun wirklich echt beunruhigend. Denn mir fiel ein, dass mich meine Frau in unserer mit goldener Hochzeit gekrönten Ehe selten mit meinem Vornamen angeredet hatte, sondern manchmal Papa, meist aber Dad gesagt hatte. Woher wusste das diese fremde Frau? Es musste, es konnte nur eine Person sein, die uns einst oder längere Zeit sehr nahe gestanden hatte, die unseren sprachlichen Umgang miteinander kennen musste. Gab es solche Frau überhaupt. Je länger ich darüber nachdachte, desto gewisser wurde ich, dass es eine solche Frau nie gegeben hatte. Was aber hieß das? Die Anruferin könnte höchstwahrscheinlich tatsächlich meine Frau sein. Nein! Unmöglich! Alle - freilich bedenklich schwindende - Vernunft in mir bäumte sich auf.

    Noch einmal ging ich die Liste der möglichen Kandidatinnen durch. Es konnte ja ohnehin eigentlich nur eine Person sein, die uns schon früher hin oder wieder als etwas egozentrisch, als etwas überkandidelt aufgefallen sein musste. Doch solche Person gab es nicht. Wie es überhaupt auch keine Liste gab. Mir wurde bewusst, dass wir unsere Ehe mit unseren zwei Kindern über all die Jahre ziemlich abgekapselt gelebt hatten. Nahe Bekannte in der Nachbarschaft, die meiner Frau in jungen Jahren geholfen hatten, in Berlin Fuß zu fassen, gab es nicht mehr. Sie waren verstorben. Auch ehemalige Kolleginnen meiner Frau gab es im Grunde nicht mehr. Wir hatten es kaum erfahren, wenn sie verstorben waren. Bei einer von ihnen, bei Vera, hatten wir immerhin unsere Anteilnahme bei der Beerdigung zeigen können. Vera wäre vielleicht eine Kandidatin gewesen. Obwohl, sie war im Grunde viel zu feinsinnig, um auf einen solch abwegigen Gedanken zu kommen, sich als meine tote Frau auszugeben.

    Ich hatte alle Mühe, nicht den Kopf zu verlieren. Ich entschied zu versuchen, die makabre Angelegenheit möglichst aktiv anzugehen. Vor allem durfte nicht wieder passieren, dass ich den Anruf so schnell beendete, sollte er denn doch noch einmal geschehen. Im Gegenteil, ich musste versuchen, mit der dreisten Anruferin ins Gespräch zu kommen, vielleicht gar mit ein, zwei Fragen ein wenig zu erhellen, wer sich hinter dem Irrsinn verbergen könnte.

    Jemanden ins Vertrauen zu ziehen, wäre zur Wahrung meines seelischen Gleichgewichts wahrscheinlich gut gewesen. Aber das versagte ich mir, und zwar grundsätzlich. Die Erfahrung mit den zwei freundlichen Polizisten genügte mir. Ich hatte damals sehr wohl gespürt, dass sie in mir den schon etwas dussligen alten Herrn gesehen hatten. Was wohl würden Polizisten von mir halten, wenn ich ihnen die aberwitzige Geschichte von der mysteriösen Anruferin auftischen würde? Ich dürfte ihnen nicht einmal verargen, wenn sie still und allsobald nach einem Irrenarzt rufen würden. Vielleicht ließe sich dies vermeiden, würde ich nur von der Hartnäckigkeit der Stalkerin sprechen, nicht aber davon, dass deren Anrufe möglicherweise aus dem Jenseits kamen. Mit dieser irren Annahme durfte ich niemandem kommen. Das verbot sich grundsätzlich; denn es konnte, es konnte nicht stimmen.

    Jenseitser

    Dann kam der dritte Anruf. Schriller als sonst schien mir die Klingel. Ich merkte auf. Für einen Moment zögerte ich. Einfach nicht rangehen, blitzte der Gedanke. Wer sollte sonst anrufen? Die Kinder konnten es nicht sein, sie pflegten es regelmäßg abends zu tun. Es konnte freilich auch solch ein Anruf sein, bei dem man am anderen Ende der Leitung ein Sprachgewirr vernimmt und dann eine Stimme in fremder, meist englischer Sprache auf einen einredet. Da pflege ich „thank you" zu sagen und gleich wieder aufzulegen. Unterdessen tönte die Klingel. Ich griff zum Telefon.

    „Ja?" sagte ich.

    „Ja, schön, du! Ich bin’s, Petra. Sei nicht zu überrascht."

    „Bin ich aber!"

    „Musst du nicht! Das wird ganz normal! Wir können mit der Erde telefonieren."

    „Wer wir?"

    „Wir Jenseitser."

    Mehr konnte ich nicht verkraften. Ich drückte die Austaste und legte das Telefon ab. Apathisch blieb ich sitzen, starrte ein Loch in die Gegend, spürte plötzlich, dass ich hemmungslos zitterte. Endlich fand ich meine Fassung ein wenig wieder, als ich zunehmend trotzig leise vor mich hin formulierte: „Das kann doch nicht wahr sein! Immer wieder murmelte ich: „Das kann doch nicht wahr sein!

    Langsam wurde mir wohler, ich zitterte nicht mehr. Wie kann man derartige Unverschämheit unterbinden? Gibt es überhaupt ein Mittel? Vielleicht musste ich denn doch die Polizei einschalten. Und schon haderte ich wieder mit den Vorbehalten. Man würde mir nicht glauben. Man konnte es ja auch wirklich nicht glauben. Zaudernd erhob ich mich, versuchte wieder in Gang zu kommen. Ablenkung! Ja, ich brauchte jetzt irgendeine beruhigende Ablenkung. Irgendeine vulminante Aktivität, die mich voll in Anspruch nimmt, die alles Ungemach dieses Daseins vergessen macht.

    Eine Idee erwachte, die schon vor geraumer Zeit aufgekeimt war, von mir aber schnell verworfen worden war. Ich war zu alt dazu. Jetzt jedoch schien mir das Alter unwichtig. Ich fand, dass mir eine Begegnung mit einer nackten Frau gut tun könnte, mich absolut ablenken würde, selbst wenn es bei mir nur dazu reichen würde, nach ihren bloßen Brüsten zu fassen. Oder vielleicht sogar tief in ihr sich öffnendes Heiligtum. Wer weiß, vielleicht würde mich das dann sogar zu mehr fähig machen.

    Ich setzte mich an den Computer, wählte Google und verharrte. Welchen Begriff musste man eingeben, um zum Ziel zu kommen? Es musste so etwas wie ein Dienst sein, der Speisen ins Haus bringt. Ein Dienst, bei dem man sich eine dienstbare Frau bestellt, die nach geraumer Zeit vor der Tür steht, ohne irgendwelche moralischen Skrupel ins Haus tritt, sich ein wenig umschaut und willig mit zur Couch kommt. Man legt ihr das Geld hin, und sie zieht sich aus. Man macht artig darauf aufmerksam, dass man selbst nur eingeschränkt dienstbar sein kann und erntet ein verständnisvolles Lächeln. Und dann räkelt sich auch schon eine nackte und hoffentlich attraktive junge Frau auf der Couch. So in etwa.

    Aber vorher muss man herausbekommen, wie man sich solch Erlebnis ins Haus holen kann. Also Google! Welcher Begriff? „Hausbesuch?, „Willige Frau?, „Erotischer Service?" Jetzt rächte sich, dass ich ob meines Alters nie in diese Richtung recherchiert hatte. Schon bei dem Gedanken an solch ein Unternehmen, der mir immerhin hin und wieder gekommen war, hatte ich stets sofort das Empfinden, dass mir meine Frau im Wege stehen würde. Es würde mir einfach nicht möglich sein, ein erotisches Interesse für eine andere, für eine völlig fremde Frau zu erzeugen. Jetzt unterdrückte ich das Empfinden, jetzt stand es mir im Wege. Also los! Welcher Begriff? Ich verharrte neuerlich über der Tastatur.

    Da schrillte das Telefon. Ich zuckte zusammen. War das schon wieder die irre Anruferin? Ich griff zum Telefon, schaute. Das Display leer, keine Information. Also tatsächlich! Die Irre!

    „Ja!" sagte ich böse und laut.

    „Dad, ich versteh das doch. Es ist ungeheuerlich, ich weiß. Aber du musst dich daran gewöhnen…" sagte die Stimme behutsam und geduldig.

    Bebend vor Wut ließ ich meiner Empörung freien Lauf.

    „Sie unverschämte Person!" brüllte ich ins Mikrofon, „halten Sie die Fresse und lassen sie mich in Ruhe!

    Ich drückte die Taste und rutschte in mich zusammen. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich als Häufchen Unglück gesessen habe. Ich war zu keiner Bewegung fähig. Die Idee, die ich noch eben verfolgt hatte, war erloschen, war einfach weg. Eine Dirne wäre keine Antwort jetzt. Gab es überhaupt eine Antwort? Vermutlich nein. Ich war der Fremden absolut ausgeliefert. Nein, nicht absolut. Aber irgendwie eben doch.

    Langsam, sehr langsam kehrte das Leben in mich zurück. Ich rang mich zu dem Entschluß durch, künftig den Anruf der Fremden zu ignorieren, sofort die Austaste zu drücken und zur jeweiligen Tagesordnung überzugehen. Das würde zwar Kraft kosten, müsste aber zu machen sein. Je mehr ich darüber nachdachte, desto ruhiger wurde ich.

    Abwegige Gedanken

    Die Fremde ließ mich in Ruhe. Seltsamerweise war das aber genau das, was mich unruhig machte. Hatte mein energisches Gebrüll wirklich dazu geführt, dass sie die Lust verloren hatte, mich zu behelligen? Ich will nicht sagen, dass mir plötzlich etwas fehlte. Aber irgendwie war eine Rechnung offen geblieben. Zumindest hätte ich gern gewusst, wieso eine fremde Frau auf die Idee gekommen war, sich als meine Frau auszugeben und mich auf so unverschämte Weise zu kontaktieren. Es hätte ihr ja klar sein müssen, dass sich mit dieser Art teuflischen Charmes keine Beziehung herstellen lässt. Man macht zwar absolut auf sich aufmerksam, erzeugt aber nur Ablehnung. So doof kann eigentlich keine Frau sein.

    Doch was ist die Alternative? Schon wenn ich die Frage stellte, wurde mir mulmig. Denn es keimte da ein Gedanke, dessen Entstehen ich eigentlich hätte unterbinden müssen. Der Gedanke, dass sich da tatsächlich so etwas wie meine Frau am anderen Ende der außerirdischen Leitung befinden könnte. Ein grundsätzlich völlig abwegiger Gedanke! Zweifellos!

    Jedoch ein Gedanke mit Entfaltungsvermögen. Weil nämlich zur Zeit auf dieser Erde mit Hilfe der modernen elektronischen Technik Dinge möglich werden, die früher einfach undenkbar waren. Neuerdings zum Beispiel plant man, eine elektronische Verbindung zum menschlichen  Gehirn zu schaffen. Noch wird an Schweinen experimentiert. Das Instrument, das - wie es heißt - Informationen zwischen menschlichen Neuronen und einem Smartphone übertragen können wird, hat einen Durchmesser von 23 Millimetern. Es muß in den Kopf implantiert und mittels feinster Drähte mit Nervenzellen verbunden werden. Wenn es funktioniert – und daran arbeitet die elektronische Forschung beharrlich -, kann es neurologische Signale lesen und auch senden. Ein Minicomputer mit sensationeller Perspektive also. Er wird für die Behandlung von Schmerzen, Sehstörungen und Hörverlust eingesetzt werden können, auch bei Schlaflosigkeit, Gehirnschäden oder bei Verletzungen des Rückenmarks. Mit Hilfe dieser Technologie wird es wahrscheinlich sogar möglich werden, verletztes Nervengewebe zu überbrücken und damit zu erreichen, dass behinderte Menschen wieder zu laufen vermögen. Und weil der Phantasie keine Grenzen gesetzt sind, träumen Wissenschaftler und Unternehmer bereits davon, mit Hilfe dieser Technologie ihre Gedanken auszutauschen, ohne sie aussprechen zu müssen. Auch hofft man, eines nicht allzu fernen Tages Gedanken unmittelbar auf Speicher zu übertragen oder auf Roboter, die man auf diese Weise steuert. Gruselig das alles.

    Noch gruseliger ist die Vorstellung, dass künftig Autos autonom auf den Straßen verkehren. Auch hier sind Wissenschaft und Wirtschaft international im Wettbewerb. Damit alles seine Ordnung hat, wurde für das selbstfahrende Auto ein Levelsystem eingeführt. Beim ersten Level ist noch alles wie gehabt. Der Fahrer ist der Herr der Dinge und fährt sein Auto. Beim zweiten Level handelt es sich um sogenanntes teilautomatisiertes Fahren. Der Fahrer muss sein Fahrzeug zwar beherrschen, aber sein PKW kann manche Aufgaben zeitweilig selbst ausführen, zum Beispiel auf der Autobahn die Spur halten, bremsen und beschleunigen. Beim dritten Level, der Stufe der Hochautomatisierung, kann das Auto bestimmte Aufgaben für einen kurzen Zeitraum selbstständig und ohne Eingriff des Fahrers bewälti-gen. Der PKW überholt, ordnet sich wieder in die Spur ein, bremst, beschleunigt – je nachdem es die Verkehrssituation erfordert. Das wird wohl auf Autobahnen bald real werden. Der Fahrer kann dann zum Beispiel Zeitung lesen oder sich mit seinen Kindern auf dem Rücksitz beschäftigen. Das vierte Level, das vollautomatisierte Fahren, ist noch Zukunftsmusik. Der Fahrer wird die Führung seines Autos komplett abgeben können und zum Passagier werden. Das Fahrzeug bewältigt bestimmte Strecken, vornehmlich Autobahn und Parkhaus, völlig selbstständig. Das wohl Wichtigste bei diesem Level: Das System erkennt seine Grenzen, und zwar so rechtzeitig, dass es regelkonform einen sicheren Zustand erreichen kann. Beim fünften Level schließlich, beim autonomen Fahren, bewältigt die Technik im Auto alle Verkehrssituationen selbstständig. Himmel hilf, was da so alles auf uns zukommt.

    Warum zum Teufel soll es nicht auch im Jenseits Fortschritte in der Forschung geben? Der Gedanke ist abwegig, ich weiß. Aber denkbar. Und ich dachte ihn damals. Und nachdem ich ihn gedacht hatte, war ich geneigt, die Anrufe der Fremden anders zu bewerten. Aber sie kamen nicht mehr. Die Irre schwieg. Und ich war es zufrieden.

    Was indessen nicht verhinderte, dass ich hin und wieder dennoch darüber nachdachte. Und irgendwann schien es mir selbstverständlich, die Anruferin, sollte sie sich denn doch noch einmal melden, erst einmal ausreden zu lassen. Mit meiner verständlichen Empörung hatte ich bisher verhindert, mehr von dieser seltsamen Person zu erfahren. Offenbar hatte sie ein merkliches Mitteilungsbedürfnis. Warum sollte ich mir nicht einfach einmal anhören, was sie alles mitzuteilen hatte. Es war dies gewiss in der Summe ein erbärmliches Schauermärchen. Aber anhören könnte ich es mir schon. Aus Neugier. Warum auch immer. Jedenfalls nicht mehr brüsk ablehnen.

    So begab es sich denn, dass ich auf einen Anruf der Fremden regelrecht wartete. Ich kam mir blöd vor, aber ich wartete. Ich fand mich saublöd, aber ich wartete. Ich hielt mich für superblöd, aber ich wartete. Mein Leben hatte einen anderen Zuschnitt bekommen.

    Echte Wunder

    Ich suchte Erbauung und Erholung in der Natur. Was ich auf Grund meines Alters schon aufgegeben hatte, setzte ich noch einmal auf die Tagesordnung. Ich mühte mich, meinen schönen Naturgarten wenigstens notdürftig zu betreuen. Was ob meiner körperlichen Hinfälligkeit ganz und gar nicht leicht fiel, auch täglich nur für kurze Zeit möglich war, mich dennoch erfreulich ablenkte.

    Vor allem an meinem kleinen Fischteich wurde ich aktiv. Viel zu viel Fadenalgen hatten sich breit gemacht, sich obendrein innig mit der Wasserpest vermengt, deren Stengel bis zu 3 m lang werden können. Dadurch war der Raum für meine Fische arg eingeschränkt, vor allem für meine beiden Kois, die beide immerhin schon eine beachtliche Größe von mindestens einem halben Meter erreicht haben. Ich zerrte das Pflanzengemenge aus dem Teich, startete eine mühevolle Geduldsprobe, nämlich die Fadenalgen von der Wasserpest zu trennen und Letztere wieder in den Teich zurück zu geben. Die Fische dankten es mir, indem sie die frei werdenden Räume sofort inspizierten.

    Auch die Seerose hatte eine Pflege nötig. Als ich eingriff, bat ich die Pflanze in gewissem Sinne um Vergebung, denn sie hatte nur getan, was ihr eigen war, nämlich sich auszubreiten. Eine in die Jahre gekommene Seerose beansprucht sehr viel Platz, weit mehr als ihr in meinem Teich zu Verfügung steht. Also entfernte ich viele Blätter, die unterm Wasser an langen Stielen hängen und als ein dichtes Gewirr den Fischen Platz wegnehmen.

    Schließlich musste das höchst expansive Schilf reduziert werden. Was gar nicht so einfach ist. Die einzelnen Triebe sind im Teich fest im Wurzelwerk verankert, und sie herauszuziehen gelingt eigentlich nur, wenn sie im Frühjahr noch relativ lose sind. Sobald sie ihre normale Größe erreicht haben, kann man sie nur mit Gewalt herauszerren. Und dann hat man in der Regel auch allerhand Wurzel mit am Stengel. Ich war jedenfalls sehr schnell erschöpft und vertagte die Aktion.

    Vielleicht hätte ich mir mehr Zeit nehmen sollen für geruhsame Schläfchen auf einer Liege im Grünen mit erbaulichem Blick auf Tannen, Fichten, Walnußbaum und Linde. Was wir vor Jahrzehnten gepflanzt haben, ist mittlerweile stattlich herangewachsen und ergibt eine zauberhafte Naturkulisse. Ich hätte sie viel mehr genießen sollen. Aber abgesehen davon, dass ich aus gesundheitlichen Gründen die Sonne meiden muss, hatte ich dazu im Moment ohnehin wenig Neigung. Mir fehlte einfach die innere Ruhe, die man braucht, um auf Müßiggang zu schalten. Die meiste Zeit verbrachte ich damit, meine Homepage auf HTML5 umzubauen

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