Leise rieselt der Schnee
Von Askson Vargard
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Über dieses E-Book
Der Protagonist sieht sich erstmals in seinem Leben mit dem Tod konfrontiert. Im ersten Akt dominieren bei der Zugfahrt zu seinem im Sterben liegenden Großvater die Eindrücke, die er versucht vorauszuahnen, während er diese im zweiten Akt verarbeitet. Wie ein roter Faden webt er Erinnerungen in seine Reden, die ihm helfen sollen zu verstehen, was nicht zu verstehen ist.
Das Theaterstück ist ein gefühlvolles, aber deswegen nicht vor Sentimentalität triefendes Werk. Es behandelt ein Thema, welchem sich jeder bereits gestellt hat oder noch stellen muss und bildet somit, wie jedes Abschiednehmen, die Schwelle zwischen Lachen und Weinen.
Askson Vargard
Askson Vargard wurde am 31. März 1989 als Sandrino Dinter in Plauen (Vogtland) geboren und verbrachte im ländlichen Umfeld seine Kindes- und Jugendzeit. Dort absolvierte er auch eine Ausbildung bei einer regionalen Bank. Mit 19 Jahren zog es ihn von der Heimat nach Hamburg. Aus Mangel an beruflicher Vervollkommnung entstand dafür oder gerade deswegen der erste Versuch eines eigenen Buches, welches er wiederum Jahre später unter dem Titel 'Cacatum non est pictum' als Selfpublisher veröffentlichte. Die kreativ fruchtbaren Jahre, die sich durch einen Umzug nach Leipzig noch steigerten, mündeten in der Erkenntnis das bürgerliche Leben fortan abzulehnen. Ab Sommer 2022 lebt er ohne festen Wohnsitz und ohne Lohnarbeit überall, wo er seine Vision einer Symbiose aus Worten und Handeln ahnt.
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Buchvorschau
Leise rieselt der Schnee - Askson Vargard
Leise rieselt der Schnee
TITEL
PERSONEN
ORT
AKT I
AKT II
LEISE RIESELT DER SCHNEE
Versuch
einer Aufarbeitung
in 2 Akten
von
Askson Vargard
für einen
Dagewesenen
PERSONEN
Ich
Seine Frau
Lautsprecher
Chor
ORT
Regionalbahnlinie 13. Dem Bahnfahren ist seit Jahrzehnten der Luxus, der Komfort, kurz nahezu alle Annehmlichkeiten abhandengekommen, die die Fahrt bereits zum Bestandteil einer besonderen Reise erhebt, falls es diesen Überschwang überhaupt jemals gegeben hat. Höchstens die historischen Waggons der Transdev Regio Ost mit ihren wieder eingesetzten und aufgehübschten DDR-Wagons, die zwischen Leipzig und Chemnitz verkehren, vermitteln dieses Gefühl, aber ehrlich gesprochen: Sind wir noch die Menschen von 1980?
Der Mensch von heute begnügt sich mit weitaus weniger. So auch in der Elster-Saale-Bahn, einem Ableger der Erfurter Bahn. Breite barrierefreie Türen, Panoramafenster, offenes Abteil usw. Im vorderen, bzw. hinteren Bereich befindet sich die erste Klasse, die sich im Wesentlichen mit ihren warnenden rot gepolsterten Sitzen von den übrigen unterscheidet, ansonsten aber erstaunlicherweise ebenso abgesessen wirkt.
Der Blick ist auf die Vierersitzgruppe gerichtet, die vor der ersten Klasse auf einer Erhebung, nennen wir es Podium, befindet. Der Hintergrund variiert durch die vorbeirauschenden Stadt- später Dorf- und Naturlandschaften, je nachdem. Die Sicht ist klar, wenn sie nicht durch einen mausgrauen Diagonalbalken des Fensters durchbrochen wäre - ein Factum, dramatischer sind nur die Erlebnisse, die uns an solchen Orten ereilen.
AKT I
Das Ich, eine hagere schlaksige Person, betritt apathisch mit offener Regenjacke und gelockertem Schal die Fläche, nimmt jedoch zielgerichtet Kurs auf die erwähnte Vierersitzgruppe, in der er sich zurücksinken lässt, als wolle er an der nächsten Haltestelle aussteigen. Neben ihm nimmt seine Frau Platz, sie drückt ihm liebevoll die Hand, während er suchend die Gleisbetten des Bahnhofs überschaut.
LAUTSPRECHER mit dessen Ansage, der Hintergrund in Bewegung gesetzt wird. Sehr geehrte Damen und Herren, wir begrüßen Sie in der Erfurter Bahn von Leipzig Hauptbahnhof nach Hof. Wir wünschen eine angenehme Fahrt.
ICH zaghaft singend. Leise rieselt der Schnee ... (abbrechend) an den offenen Stellen des Daches vom Hauptbahnhof auf die gefrorenen Gleise. (Erneut singend) Still und starr ruht der See ... (erneut abbrechend) damit meint das Lied den See in mir, der jeglicher Bewegung entbehrt - eine winterliche Paralyse. (Lacht bitter) Welch pathetischer Anfang mit diesem Weihnachtslied. Es trieft förmlich vor dem, was ich verabscheue. Am liebsten wäre mir, ich würde es ausmerzen, mir aus dem Kopf reißen ... aber die Stimmen blieben, der Chor, der dieses ganze Theaterstück gänzlich zu einer überdramatischen Seifenoper empor hebt ... aber ... ja was aber? ... vielleicht brauchen wir genau das manchmal (nachdenkliche Pause). Wie dem auch sei, irgendwie muss ich dennoch in dieses Zugabteil geraten sein. Meine Schritte waren dabei eher mechanischer Natur, sie trugen mich ohne dass ich Einfluss auf sie nehmen konnte. Eigentlich sah die Planung für den heutigen Montag, den 18. Januar, einen anderen Ablauf vor, aber was ist schon planbar? Weihnachten liegt knapp dreieinhalb Wochen zurück, der turnusmäßige Jahreswechsel wurde vollzogen, aber für mich gab es weder Weihnachten, noch Silvester, denn ich lag mit Hustenkrämpfen und Fieber getränkten Nächten krank zuhause. Zu Heiligabend packten wir die Geschenke ein, nichts besonderes. Einen Jahreskalender mit Motiven, die ich das Jahr 2020 über hinweg fotografierte, selbstgebackene Lebkuchen, sowie Stollenkonfekt, dazu eine Weihnachtskarte, die aufbauende Worte für das kommende Jahr versprachen, aber dann ... dann kam der positive Schnelltest am ersten Weihnachtsfeiertag und meine erste Handlung war, die Familienbesuche abzusagen. Im Restaurant hatte meine Oma vier Portionen Rehbraten und einmal Gans vorbestellt, weil sie wusste, dass meine Frau und ich jedes Essen teilen, aber den Festtagsschmaus bestellen? Das gab es nie zuvor, aber eine persönliche Einkehr war ohnehin undenkbar. Einerseits wegen den landesweiten Pandemiebestimmungen, anderseits wegen des verschlechterten Gesundheitszustandes ihres Mannes. Dreieinhalb Wochen lang stand nun die gepackte Tasche mit den Geschenken im Flur, dann stellte ich sie in den Keller, hoffend, dass ich sie beim nächsten Besuch in der alten Heimat nicht vergessen werde. Die Krankheit nahm einen erfreulichen Verlauf und ich erlangte meine Gesundheit schrittweise zurück, war darüber hinaus nicht mehr infektiös, zurückblieb ein latentes Schwächegefühl, welches selbst kleine Spaziergänge in Strapazen verwandelte. Wohlan, ich fühlte mich genesen. Heute am Montag des 18. Januars sollte planmäßig mein erster Arbeitstag des Jahres sein, aber dieser Zug soll mich woanders hinführen.
LAUTSPRECHER. Nächster Halt Leipzig-Plagwitz.
ICH fährt erschrocken hoch. Wahnhaft scheint er unter den Sitzen nach irgendwas zu suchen. Mist! Die Schwäche meines Körpers scheint Auswirkungen auf mein Gedächtnis zu nehmen, die Geschenktasche! Sie steht nach wie vor im Keller ... Wir könnten aussteigen und zurückfahren, was ist dabei, wenn wir eine Bahn später nehmen und zwei Stunden später eintreffen? Es rechnet sowieso niemand mit uns ...
LAUTSPRECHER. Nächster Halt Leipzig-Knauthain. Die Schienentritte können witterungsbedingt nicht genutzt werden. Bitte beachten Sie dies beim Ein- und Aussteigen.
ICH hat wieder Platz genommen und ballt wütend die rechte Hand zu einer Faust und presst sie gegen seinen Oberschenkel. Die letzte Haltestelle im Leipziger Raum und ich schaffe es nicht auszusteigen. Wenn ich's recht überdenke ... wozu auch? Weihnachten ist vorbei und unwiederbringlich, abgelaufen wie eine sauer gewordene Milch. Die Feiertage waren für meine Familie ein Festival der Tristesse, daran können auch nachträgliche Geschenke kaum etwas ändern. Wer weiß, ob die Fressalien mittlerweile nicht knochenhart in der Dose ein ungenießbares Dasein fristen. Es ist zu spät (atmet beruhigt auf und löst die Verspannung)! Der Rahmen für ein Fest ist zersprungen!
LAUTSPRECHER. Nächster Halt Zwenkau-Großdalzig.
ICH. Gestern Abend erhielt ich einen Anruf von meiner Mutter. Sie schien aufgelöst, wie eine Toastscheibe in Milch, vollgesogen und zerfallen bis sie weder Toast, noch Milch ist. (Richtet die Stimme gegen sich) Warum diese nichtsnutzigen Milchvergleiche? (besinnend) Sie stellte den Telefonapparat auf Lautsprecher, meine Oma und mein Vater begrüßten mich in einem ähnlich kläglichen Tonfall, der meine Lippen zum Bibbern brachte. Der Anruf war erwartbar. Die gesamten letzten Tage behielt ich mein Telefon im Auge in dieser Vorerwartung, dass es mich trotzdem mit seinem Klingeln erschrecken würde und dann kam er ... Mein Opa hatte letzte Woche am Dienstag, also den 12. Januar, Geburtstag. Durch meine Krankheit konnte ich kein Geschenk besorgen, was an sich nicht weiter