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Vincent, nie hast du mich gemalt
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eBook286 Seiten3 Stunden

Vincent, nie hast du mich gemalt

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Über dieses E-Book

Ein unbekannter niederländischer Maler namens Vincent ... Wer nun glaubt, den Buchinhalt zu erraten, wird irren und begibt sich stattdessen in diesem Theaterstück Bild für Bild in die Fiktion eines leidenschaftlichen Mannes, den es so nie gab.

ERSTES BILD - Drenthe - Vincent lebt ein einfaches, aber selbst bestimmtes Leben auf dem Land und widmet sich in seiner Leidenschaft des Malens eben jenen Bewohnern, die genau wie seine Eltern seine Kunst skeptisch betrachten.

ZWEITES BILD - Paris - In einem Café gehen die Künstler ein und aus und fassen gemeinsam Pläne, aber der Erfolg lässt auf sich warten. Unterströmt von Scharmützeln sucht Vincent seine Rolle in diesem Stück.

DRITTES BILD - Arles - Die inspirierende Sonne von Frankreichs Süden lockt. Jede Ortschaft kämpft um ihr Geltungsbedürfnis, wie Vincent um künstlerische Relevanz, was ihm jedoch nicht leicht gemacht wird.

VIERTES BILD - Saint Rémy - Die Abgeschiedenheit vom gesellschaftlichen Leben in einer Nervenheilanstalt wirkt beruhigend auf Vincent. Kein Zustand von Dauer, was ihm allmählich klar wird.

FÜNFTES BILD - Amsterdam - Der langersehnte Erfolg lässt Vincent keine Ruhe mehr und nimmt zunehmend Einfluss auf das, was er am meisten liebt: Seine Malerei. Aber auch weitere Lieben leiden unter der enormen Aufmerksamkeit.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum20. März 2022
ISBN9783754961346
Vincent, nie hast du mich gemalt
Autor

Askson Vargard

Askson Vargard wurde am 31. März 1989 als Sandrino Dinter in Plauen (Vogtland) geboren und verbrachte im ländlichen Umfeld seine Kindes- und Jugendzeit. Dort absolvierte er auch eine Ausbildung bei einer regionalen Bank. Mit 19 Jahren zog es ihn von der Heimat nach Hamburg. Aus Mangel an beruflicher Vervollkommnung entstand dafür oder gerade deswegen der erste Versuch eines eigenen Buches, welches er wiederum Jahre später unter dem Titel 'Cacatum non est pictum' als Selfpublisher veröffentlichte. Die kreativ fruchtbaren Jahre, die sich durch einen Umzug nach Leipzig noch steigerten, mündeten in der Erkenntnis das bürgerliche Leben fortan abzulehnen. Ab Sommer 2022 lebt er ohne festen Wohnsitz und ohne Lohnarbeit überall, wo er seine Vision einer Symbiose aus Worten und Handeln ahnt.

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    Buchvorschau

    Vincent, nie hast du mich gemalt - Askson Vargard

    VINCENT,

    NIE HAST DU MICH GEMALT

    Ein menschliches

    Komödiendrama

    von

    Askson Vargard

    ERSTES BILD

    Personen

    Vincent, ein Maler

    Theo, sein Bruder

    Theodorus, sein Vater

    Anna, seine Mutter

    Sien, seine Lebensgefährtin

    Anton, sein Lehrmeister

    Patience, ein Sämann

    Ort

    Haus in einem namenlosen Örtchen in der Heide von Drenthe. Es ruht an einem dahin schleichenden Bewässerungskanal, welcher sich ausgenommen hübsch, nahezu pittoresk in die sonst überschaubare Flur einfügt. Unglaublich, dass ein loser Verbund an Häusern, die mit ihren reetgedeckten Dächern besser als Hütten bezeichnet werden würden, hierzulande von den Einheimischen Siedlung genannt wird. Die schlammigen Wege, die geprägt von zwei parallellaufenden Sumpfspuren der Wagenräder die Verbindungsstrecken darstellen, werden von Pappeln flankiert. Eine überflüssige Beschreibung, die direkt verworfen gehört, da das Schauspiel ausnehmend im Innenbereich stattfindet, welcher an Ärmlichkeit der eben wiedergegebenen Landschaft jedoch in nichts nachsteht.

    I. SZENE

    Vincent in Arbeit hinter der Staffelei vertieft, während Sien ihm Modell steht.

    SIEN. Was siehst du in mir?

    VINCENT. Eine Frau, die mir Modell steht.

    SIEN. Und, was noch?

    VINCENT. Reicht das nicht aus?

    SIEN. Nein.

    VINCENT. Du musst stillsitzen, sonst funktioniert es nicht.

    SIEN. Bin ich wenigstens deine Frau?

    VINCENT. Das wäre anmaßend. Freilich, ich habe dich in den Wintermonaten aufgenommen, als du ...

    SIEN. Pssst mein Lieber, davon wollten wir nicht mehr reden - du hast es mir versprochen.

    VINCENT. Richtig. Aber, dass du schwanger warst, darf ich wohl erzählen? Ohnehin sind wir hier allein zu zweit. Niemand kann uns hören. Und überhaupt, warum dieses ‚Pssst‘? Auf diese Art bringen Mütter ihre Kinder zum Schweigen.

    SIEN. Und Frauen ihre vorlauten Gatten, die nicht wissen, was sich geziemt in Gegenwart des Kindes (streichelt sich über den Bauch).

    VINCENT. In welchem Monat bist du?

    SIEN. Was spielt das für eine Rolle? Streichst bestimmt schon heimlich die Tage am Kalender ab und wenn der Bastard dann das Tageslicht erblickt und sein Schreien deine Kreativität stört, sind wir obdachlos, hä?

    VINCENT. Das traust du mir also zu? Von Den Haag herkommend, sah ich dich im Matsch der Straßenrinne stehen. In deinem Rücken die verlassene Stadt, vor deiner Brust das unheimliche Land und dorthin habe ich dich mitgenommen in diese zugegebenermaßen baufällige Hütte, aber was hat uns bislang zum Überleben gefehlt? Sogar an warmen Bädern hat es dir nicht gemangelt, die dir überaus wohltaten. Darüber hinaus hast du Essen und ein warmes Bett.

    SIEN. Und mein Geld?

    VINCENT. Von welchem Geld sprichst du bitteschön?

    SIEN. Du stellst dich heute wieder dümmer an, als du aussiehst (steht auf).

    VINCENT. Nein, bitte setz dich wieder, so wie eben. Die Pose war grandios, das Licht perfekt. Wer den Moment ungenutzt verstreichen lässt, ärgert sich eine Ewigkeit über die verlorene Chance.

    SIEN. Dann Ehre den Moment!

    VINCENT. Ich bitte dich inständig.

    SIEN. Dann gib mir mein Geld. Als ich dich frug, was ich bin, hast du geantwortet ein Modell. Nun, wenn dem so ist, bestehe ich auf Gage! Eine Unverfrorenheit behauptest du? Es war deine Masche, um mich in dieses Loch zu locken, erinnerst du dich? Demnach steht mir, wenn ich meine Arbeit richtig erledige, und weiß Gott das tat ich stets, wenigstens eine Aufwandsentschädigung zu. Und sieh dich um! (Zeigt mit dem Finger durch das spartanisch eingerichtete Zimmer)

    VINCENT. Ich habe die Gulden bereits dem Vermieter gegeben, er war gütig genug uns Aufschub zu gewähren, ich konnte seine Geduld nicht länger auf die Probe stellen, zumal du alles bekommst, was ich habe.

    SIEN. Damit kannst du nicht einmal eine Person glücklich stellen.

    VINCENT. Ich bin glücklich!

    SIEN. Siehst aber nicht so aus.

    VINCENT. Dann setz dich.

    SIEN. Erst die Bezahlung.

    VINCENT. Siehst du diese leeren Taschen? Du siehst es nicht, aber sie haben Löcher so groß, dass Schweizer Emmentaler vor Neid erblassen würde. Jegliche Münzen und Scheine, die ich hineinstecke, fallen sofort heraus.

    SIEN. Aber du weißt doch, wie du mich noch zufrieden stellen kannst, oder? (Umrahmt mit ihren Zeigefinger Vincents Lippen)

    VINCENT. Na gut! (Steht auf, geht in den Hintergrund und bringt ihr eine Flasche)

    SIEN. Brav! (Trinkt) Mit diesem Schuss Realitätsaufbesserer sollte es klappen. War ich zum Fenster oder vom Fenster in deine Richtung geneigt?

    VINCENT malt eifrig weiter, während er schweigend dafür umso gestikulierender Instruktionen erteilt. Jetzt liegt ein Schatten auf deinem Gesicht.

    SIEN. Die Haltung ist bis aufs Haar identisch.

    VINCENT. Das Licht ist verwelkt. Die scharfen Kanten des Schattens sind aufgelöst. Aber vielleicht gelingt es trotzdem. Hier ein Strich und da ein Strich und fertig!

    SIEN steht auf und sieht entsetzt auf die Leinwand. Das soll ich sein?

    VINCENT. Du hast dich bewegt, wie gesagt, das Licht war dahin.

    SIEN. Schau dir mein Gesicht an! Eine heillose Schmiererei ist das! Als du sagtest, du seist Maler, habe ich mich geschmeichelt gefühlt, dir Modell stehen zu dürfen, aber das spottet wirklich jeder Beschreibung. Du bist zu schnell. Lass dir beim nächsten Mal mehr Zeit für die Feinheiten, die entscheidenden Details, darauf kommt es beim Malen an, je detailreicher jemand malt, desto besser.

    VINCENT. Vielleicht siehst du nur zu schnell! Was verstehst du schon von Kunst? Du beurteilst sicherlich auch ein Buch nur nach seinen gedruckten Buchstaben, anstatt die Zwischenräume zu betrachten und welches Gefühl und welche Töne in ihnen mitschwingen.

    SIEN. Ich beurteile das, was ich sehe und was ich sehe, ist wenig schmeichelhaft. Würde ich diese Frau, wenn sie überhaupt durch diese Attribute verdient diesem Geschlecht anzugehören, sehen, würde ich sie frank und frei heraus als das hässlichste Geschöpf verspotten, das jemals lebte.

    VINCENT. Wenn du so handelst, überragst du ihre Hässlichkeit titanenhaft.

    SIEN. Untersteh dich, mich anzugreifen. Wenn ich kritisiere, dann vielleicht aufgrund meines Unvermögens, deswegen verabreiche ich noch lange keine verbalen Ohrfeigen gegen einen realen Menschen. Die Leinwand und was auf ihr abgebildet ist, bist nicht du!

    VINCENT. Mag sein, dann ist es, als beleidigst du mein Kind, ist die Stärke der Schelte damit tatsächlich abgemildert?

    SIEN. Los, dann beleidige mein Kind

    VINCENT. Du bist verrückt geworden.

    SIEN. Nein, ich war schon immer verrückt. Als könntest du eine normale Frau lieben, du pendelst zwischen den Extremen und bekommst von jedem einen Schlag, das hält dich unermüdlich in Bewegung.

    VINCENT. So bist du nur, wenn du getrunken hast.

    SIEN (reicht ihm die Spirituosenflasche). Dann trink, vielleicht nähern wir uns dann wieder einander an.

    VINCENT. Oder wir driften wie Eisschollen auseinander, weit genug, dass du beim Süd- und ich beim Nordpol erst wieder zu Halten kommen. Außerhalb jeder Sicht, entfernt jeden Fühlens.

    SIEN. Ein Schluck ist kein Schluck, du würdest also mit deinem Vorhaben nicht brechen und trotzdem probieren.

    VINCENT. Verführerin.

    SIEN. Das ist mein Kapital als Frau, was ist deins? (Verlässt mit höhnendem Gelächter den Raum, als sie das blasse Gesicht Vincents studiert, der keine Antwort hervorbringt)

    II. SZENE

    Vincent und Theo. Beide sehen einander nicht, da sie brieflich

    miteinander korrespondieren. Sie lesen dem Publikum jedoch

    laut den Inhalt ihrer verfassten Zeilen vor.

    THEO an Vincent, welcher begierig ein Couvert aus der Brusttasche hervorzieht und das Siegel bricht. Mich verlangt es, dir nahe zu sein! Deine Stirn mit ihren pulsierenden Schläfen an meine Brust pressen und sie mit meinem Herz im Gleichklang schlagen lassen, ist was ich will. Es gibt Wege der Kommunikation, mit denen wir voneinander berichten, aber die Bedeutung der Worte nimmt ab mit jedem Kilometer, mit dem sich die Nachricht vom Verfasser entfernt. Was halte ich in den Händen? Eine Beschreibung, die vor einer gewissen Zeitspanne Gültigkeit besaß, aber heute? Mich beruhigt das unverbrüchliche Wissen, dass der Briefbogen von deinen Fingern berührt wurde. Ihre dunklen Abdrücke am Briefpapier bezeigen mir, dass du durchweg gemalt, aber hast du auch gegessen und getrunken? Geraucht hast du! Ich rieche den billigen Knaster, den du so gerne mit deinen Wangen walkst, bevor du ihn in satten Wolken ausstößt. Kaufe dir zur Abwechslung einen aus Dänemark von John Aylesbury zum Exempel. Die Marke genießt einen ausgezeichneten Ruf, wenngleich Tabak trotzdem Tabak bleibt. Mir wird wohl zumute, wenn ich dich versorgt wisse. Aus jenem Grund, muss ich meinen Zeilen einen ernsten Ton beimischen, denn obschon ich dir gerne finanziell aushelfe und du weißt, dass es daran nie gemangelt hat und nie mangeln wird und eine Rechenschaft mir gegenüber überflüssig ist, so ertappe ich meine Gedanken, wie sie um die Frage kreisen, wofür die letzte außerplanmäßige Geldsendung verwendet wurde? Wie beglückt wäre ich, wenn du mir schriebst, dass du sie verlebt hast, aber dann roch ich deinen stinkenden Tabak! Bitte versteh, dass das Leben zum Leben da ist und obgleich du dich als Gärtner meiner Finanzen profilierst, von denen wir künftig die saftigen Früchte ernten werden – irgendwann – so ist die ständige Arbeit deiner Seele, die vorwiegend aus Überreiztheit besteht, unzuträglich. Schüttle nicht deinen Kopf! Ich kenne dich, denn du bist mein Bruder. Falls ich mich irre, dann deswegen, weil wir uns nach dieser langen Trennung der Jahre erneut kennenlernen müssen. Ja, von dieser Vorstellung träume ich des nächtens wie tagsüber, dass wir die Mauer, die uns trennt, einreißen und zusammenfinden. Gäbe es für solch eine Wiedervereinigung einen geeigneteren Ort als Paris? Gerade ein angehender Künstler findet hier Versenkung, Inspiration und das Wesentliche: die Ablenkung!

    VINCENT an Theo. Leben heißt sterben! Wir sind beladen von den Wünschen, mit denen wir fremde und unsere eigenen Erwartungen erfüllen wollen, aber jedem ist die Verwirklichung selbiger nicht gegeben. Meine Arbeit fordert mich, ich gebe dir recht, mein körperlicher Zustand ist gelinde gesprochen ein Hohn vor der Schöpfung, aber (und das ist das Entscheidende) sie belastet mich nicht. Unweigerlich betaste ich meine Rippen und zähle sie, wie manche die Schafe vorm Einschlafen. Was aber nutzt mir ein gesunder Körper, wenn ich ihn als unbrauchbar empfinde? Werkzeuge müssen genutzt und dürfen ausschließlich nur geschont werden, um ihre Funktionalität zu gewährleisten. So wie die Rasierklinge nach Da Vinci, die sich versteckt, um weiterhin wie neu zu glänzen, aber durch ihre Nichtbenutzung rostet. Ich fühle einen Tätigkeitsdrang in mir, der getrieben ist vom Bewusstsein des Todes. Jede erwachte Idee in mir, drängt ans Tageslicht, nicht behutsam, sondern mit brachialer Gewalt und mein Durst ist erst gelöscht, sobald es vollbracht ist, denn nichts verdrießt mich mehr als die Vorstellung, ein Werk unvollendet zurückzulassen. Wie du siehst, ist dein Sorgenbrunnen mein erquickendes Elixier, meine Triebfeder, die uns, wie du selbst sagst, später ein einträgliches Geschäft ermöglicht. Womöglich lasse ich mich, wenn es soweit ist, dann bereitwillig von dir bekehren zugunsten des Müßiggangs. Bis dahin muss ich arbeiten! Und dieses Tun kostet mich zeitwillig mehr als mir lieb ist, weil ich weiß, dass ich dir jede Farbtube schuldig bleibe, solange sie kein Einkommen generiert. Der materielle Aufwand ist das eine, das andere ist der zeitliche Aspekt, das mir Nötige zusammenzutragen, denn du wirst dir sicherlich denken können, dass Kunsthändler und jene, die den Bedarf dafür anbieten, rar in dieser ländlichen Gegend gesät sind. Paris! Oh Paris, das Überangebot wäre da bestimmt meine Verzweiflung. Ich baue auf dich und dein Durchhaltevermögen, sodass deine Sendungen zusätzlich zu den erforderlichen Gulden mit Hoffnung begleitet werden, neben der Misstrauen keinen Platz findet. Ich danke dir – für diesen Monat und verspreche, dass ich deine Ausgaben nicht weiter erhöhe.

    III. SZENE

    Vorheriger, der geradewegs, nachdem er das Papier passgenau für den Umschlag zurecht faltete das Heim verlassen möchte, aber von der wütenden Sien gehindert wird.

    SIEN. Halt! Unser Streit ist nicht beigelegt und außerdem habe ich Lust, mich mit dir zu zoffen. Wo willst du hin?

    VINCENT. Zur nächsten Postfiliale. Ich habe einen Brief, der verschickt werden muss.

    SIEN. Dein Mäzen?

    VINCENT nickt.

    SIEN. Wenn dem so ist, dann eile geschwind wie der Wind. Lass dich auf seinen Schwingen zur Post führen und dulde keinen Aufschub oder willst du die einzige Person verärgern, die bisher für deine Bilder Geld ausgibt? Falls du ein Zögern beim Postbeamten spürst, weil der Brief dringend versendet werden muss, dann richte ihm liebe Grüße von mir aus.

    VINCENT. Wenn es der Sache dient, dann werde ich ihn von dir grüßen.

    SIEN. Warte! Welchen Namen wirst du ihm ausrichten?

    VINCENT. Na deinen – Sien.

    SIEN. Unter dieser Abkürzung kennt er mich nicht.

    VINCENT. Also unter deinem bürgerlichen Namen etwa: Clasina Maria Hoornik?

    SIEN. Mich dünkt, es muss mindestens eine Dekade zurückliegen, als ich diesen Namen letztmalig hörte. Woher kennst du ihn überhaupt?

    VINCENT. Du hast ihn mir im Fieberwahn verraten, als ich dir kalte Umschläge anlegte.

    SIEN. Logisch! Im gesunden Zustand hättest du ihn mir nie entlockt. An diesem Namen hängen Erinnerungen, die ich trachte zu vergessen, deshalb soll er ausgelöscht werden.

    VINCENT. Wie darf ich ihn dann aber von dir grüßen?

    SIEN. Mit meinem Künstlernamen - Sag ihm schlicht und ergreifend La Belle. 

    VINCENT. Dein Künstlername?

    SIEN, indem sie Vincent zur Tür hinausschiebt. Ja, Künstlername! Jetzt sieh zu, dass du rauskommst und sei lieber froh darüber, dass diese Gefälligkeit uns lediglich einen Gruß kostet. (Allein) Jeder kann Künstler sein, der es schafft, seinen Emotionen und Leidenschaften Zügel anzulegen, um sie exhibitionistisch in einem gläsernen Schaukasten auszustellen, wo sie von denen, die zwar des Fühlens fähig sind, aber zu ausdrucksschwach für das gleiche Tun sind, misshandelt werden.

    Vorherige summt gedankenverloren eine Melodie, die an ein unbestimmtes französisches Chanson erinnert und wandelt dabei ziellos über die Holzdielen des Zimmers. Aus dieser Trance wird sie durch ein harsches Klopfen an der Eingangstür gerissen erweckt.

    SIEN vermutet Vincent und schreit. Die Tür steht offen!

    ANTON. Vincent?

    SIEN. Hoppla, wer sind denn Sie?

    ANTON. Ist Vincent zugegen?

    SIEN. Er ist aus, bei der Post, aber ich erwarte ihn jede Minute zurück.

    ANTON. Ausgezeichnet! Dann werde ich, solange er unterwegs ist, hier drinnen warten, weil draußen, sie verstehen (deutet mit einem Fingerzeig aus dem Fenster), kündigt sich ein Unwetter an. Vorhin wanderte ich über die Stoppelfelder, da verdunkelten die graublauen Wolkengebilde die Landschaft. Ich steigerte die Intensität meiner Schritte, um vor der Bedrohung zu entfliehen.

    SIEN. Und da nehmen Sie Zuflucht zu dem Einzigen, den sie in der Gegend kennen?

    ANTON. Zufall führte mich kaum hierher. Gott weiß, wie ich das puritanische Dasein verabscheue mit seinen Spießbürgern, die hälftig aus harter Arbeit und aus frommer Gläubigkeit bestehen. Die Verhältnisse variieren, aber die Inhaltsstoffe bleiben konstant. Nein, nicht einmal in der Freizeit verlasse ich mein Den Haag, außer in gewichtigen Sonderfällen.

    SIEN. Demnach muss Vincent einen erhöhten Status bei Ihnen einnehmen. (Überlegt) Oh, ich Dummerchen, wie konnte ich mich so unhöflich gegen Sie benehmen, wo Sie die weite Anfahrt auf sich genommen haben? Der Zufall hat Sie womöglich nicht hierhergeführt, aber womöglich jene unberechenbare Kraft, die dafür gesorgt hat, dass Vincent wegen ihnen zur Post unterwegs ist, um Ihnen zu antworten.

    ANTON. Worauf sollte er bitte antworten? Wir hatten seit Monaten keinen Kontakt.

    SIEN. Dann sind sie nicht sein Förderer?

    ANTON. Nicht direkt. Gewissermaßen war ich das und ich versuche das auszunutzen, um es wieder zu werden. Ihrer Interessiertheit zu Folge sind Sie seine Frau?

    SIEN. Nicht direkt. Noch nicht zumindest.

    ANTON. Ah, das gemeinsame Kind (deutet auf den Schwangerschaftsbauch).

    SIEN schüttelt den Kopf.

    Peinliches Schweigen erfüllt den Raum. Hin und wieder ist ein bedeutungsvolles Luftholen vernehmbar, als möchte einer von beiden einen Satz beginnen, welcher schlussendlich doch verschluckt wird. Aus der Ferne ist das Fatschen einiger Fußschritte im Schlamm hörbar.

    VINCENT tritt ein, ohne den Besuch zu bemerken. Der Postbeamte hat erstaunlich auf deine Grüße reagiert. (Erkennt Anton) Nanu! Anton?

    ANTON. Genau der, es ist eine Weile her.

    VINCENT. Was führt dich in diese verlassene Heidegegend?

    ANTON. Du mein Freund, du bist es wert, dich überall aufzusuchen! Jeden Umstand nehme ich dafür in Kauf.

    SIEN. Klärt mich bitte jemand auf? Ich bin übermäßig verdutzt, ich dachte, außer deinem Mäzen und mich gibt es niemanden, mit dem du in Kontakt stehst.

    ANTON. Sein Stern wird aufgehen und wetteifern mit der Leuchtkraft des Nordsterns, dann, wenn er unübersehbar über den nichtigen am dunklen Firmament thront, werden ihn Gönner mit Gaben überhäufen, um ein wenig von dem Glanz, den er verströmt, abzubekommen.

    SIEN. So?

    VINCENT. Höre nicht auf die Worte des Schmeichlers.

    SIEN. Es gibt eine stolze Anzahl an Malern, was macht Sie in Ihrer Weissagung deshalb derartig fest?

    ANTON. Um im Bild des Astrologie zu bleiben, so stechen uns besondere Sterne aus zwei Gründen entgegen: Erstens leuchten sie aus eigenem Bestreben heller als ihre Nachbarn und zweitens, weil ihre Umgebung aus verschiedenen dunkelblauen Abstufungen besteht, ergo je dunkler das Umfeld, desto krasser die Wirkung bei der Abhebung. Es braucht Künstler der Mittelmäßigkeit, um einen Genius zu erkennen.

    SIEN geht bedächtig auf die Staffelei zu und fühlt die groben Pinselstriche nach, die ihr Gesicht darstellen sollen. Beim besten Willen: Wie soll diese Kleckserei jemals als Kunst durchgehen?

    ANTON. Weil sie Ihnen heute nicht als Kunst verständlich ist, heißt das nicht, dass es morgen genauso bleiben muss. Die Kunst lebt, sie

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