Leonardo da Vinci: Das Gastmahl der Sterne
Von Reinhard Gunst
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Buchvorschau
Leonardo da Vinci - Reinhard Gunst
01 - Leonardo da Vinci
Jede kleine Ehrlichkeit ist besser als eine große Lüge.
(Leonardo da Vinci)
Sogenanntes Selbstbildnis Leonardo da Vinci's
(Rötelzeichnung, Biblioteca Reale, Turin, um 1512)
Leonado da Vinci wurde am 15. April 1452 in dem kleinen Dorf Anchiano geboren, das in der Nähe der Gemeinde Vinci liegt. Das Dorf mit dem heute nicht mehr eindeutig identifizierbaren Geburtshaus da Vinci's liegt in einer Landschaft, die sich im Verlaufe der Jahrhunderte kaum verändert hat. Dort kam da Vinci als Sohn des damals 25-jährigen Notars Piero da Vinci und dessen 22-jähriger Magd Caterina zur Welt, die als getaufte arabische Sklavin vorübergehend bei dem Notar gearbeitet haben soll. Zusammen mit der Familie seines Vaters zog da Vinci 1457 nach Florenz, wo er sich bereits früh für das Zeichnen, Modellieren und auch für die Musik interessierte. Als erfolgreicher Anwalt pflegte sein Vater Geschäftskontakte zu Familien wie den Medicis und anderen Patriziern, welche zum regierenden Rat der Stadt zählten. Durch seine Vermittlung erhielt da Vinci 1469 eine Lehrstelle in der Werkstatt des Künstlers Verocchio, der zu dieser Zeit als der bedeutendste florentinische Bildhauer galt.
Über dessen eigenen Werdegang gibt es nur wenig Erkenntnisse: Er scheint jedoch eine Lehre als Goldschmied und später als Bildhauer durchlaufen zu haben, wo Piero de’ Medici und sein Sohn Lorenzo 'il Magnifico' auf ihn aufmerksam wurden. Sie erkannten frühzeitig sein Talent und förderten ihn tatkräftig. Um ihm die Möglichkeit zu geben, seinen Blick zu schulen, machten sie ihn zum Kurator ihrer Antikensammlung. Dort hatte Verocchio die Gelegenheit, antike Statuen eingehend zu studieren und seine Fertigkeiten zu erweitern.
In Verocchio's Werkstatt spielten Zeichnungen und plastische Modelle für die Herstellung neuer Arbeiten eine große Rolle. Durch dieses Vorgehen gewann auch da Vinci Erkenntnisse für den Entwurf eigener Werke. Sieben Jahre verbrachte er im Atelier des Künstler-Lehrers, in dem er die erste, ihm heute zugewiesene Zeichnung einer Landschaft des Arno-Tales fertigte. Als ältestes eigenhändiges malerisches Werk gilt die zusammen mit Verocchio entstandene 'Taufe Christi´. Dort führte da Vinci zwei kniende Engel aus, die sich in Gestik und Details deutlich von den beiden Hauptfiguren aus der Hand seines Meisters unterscheiden. Das zwischen 1470 und 1478 entstandene Bild für das Kloster San Salvi in Florenz gilt heute als eines der Hauptwerke Verocchio's, über das auch der Kunsthistoriker, Architekt und Maler Vasari in seinen 'Vite' über die berühmtesten Maler seiner Zeit berichtet. Nach Beendigung des Werkes soll Verocchio von da Vinci's Leistung so beeindruckt gewesen sein, dass - wie Vasari schreibt - er fortan keinen Pinsel mehr anrührte, weil er der Auffassung war, dass sein Schüler ihn mit seiner Kunstfertigkeit übertroffen habe.
Um 1472 wird da Vinci erstmals in einer Aufstellung der Malerzunft genannt, wobei er zu diesem Zeitpunkt weiter als Geselle in Verocchio's Werkstatt tätig war. Erst drei Jahre später entstehen die ersten eigenständigen Bilder, wie das Bildnis der `Ginevra de Benci´. Da der Vatikan den Künstler damals bei Aufträgen übergangen hatte, zog da Vinci 10 Jahre später nach Mailand, wo er sich in die Dienste des Mailänder Herrschers Ludovico Sforza begab. Begleitet wurde er dabei von seinem Gehilfen und lebenslangem Freund Tommaso Masini. Masini war wie er vielseitig interessiert und arbeitete als Alchemist, Erfinder und Farbenmischer: Wohl aus diesem Grund bezeichnete ihn da Vinci in seinen Notizbüchern als 'Maestro Tommaso'. Der oft kolportierte Name Zoroastro, in Anlehnung an den persischen Priester und Philosophen Zoroaster, wurde ihm aber erst viel später auf Grund des schlechten Rufs seiner Beschäftigung mit der Alchemie verliehen.
In Mailand erlebte da Vinci jedoch auch seine erste schmerzliche Niederlage, als Ludovico 'il Moro' ihm den Auftrag erteilt hatte, ein Reiterstandbild zu entwerfen. Dieses sollte den 1466 verstorbenen Fürsten Francesco Forza auf dem Pferd sitzend darstellen. Nach den Plänen da Vinci's sollte es das größte jemals errichtete Reiterstandbild werden, mit dem Fürsten auf einem sich aufbäumenden Pferd. Doch die Planungen scheiterten - einmal an der gewagten Statik des Projektes und dann an der viel zu großen Menge Bronze, welche für die Ausführung benötigt worden wäre. Dieses Scheitern steht für ein Leben, in dem sich große innere Zerrissenheit widerspiegelte. Zahlreiche Wissenschaftler, wie der 1901 verstorbene deutsche Kunsthistoriker Herman Grimm, widmeten sich diesem Phänomen. Dessen Studie über eine Rötelzeichnung, die da Vinci drei Jahre vor seinem Tod darstellt, beschreibt das Leben des Genie's zwischen Licht und Schattens. Grimm meinte in da Vinci`s Gesicht den Ausdruck finsterer Kräfte, Bitterkeit, ja Verschlossenheit erkennen zu können, doch zugleich auch eine Überlegenheit, die nur einem Magier gleichkäme. Ganz anders schildert dagegen Vasari den noch jungen da Vinci, der voller Liebenswürdigkeit durch die Straßen von Florenz ging, wo er im Überschwang seiner Jugend den Vogelhändlern Geld gab, damit sie die gefangenen Tiere wieder frei ließen.
Von der Zerrissenheit seines Wesens zeugt aber auch da Vinci's eigene Einschätzung. Wie Schriftstücke belegen, diente er sich dem Mailänder Hof nicht in erster Linie als Maler an, sondern hauptsächlich als Militärkonstrukteur.
Obwohl er den Krieg als `völlig bestialischen Wahnsinn´ bezeichnet hatte, erfand er im Rahmen seiner Tätigkeit neben der Verbesserung traditioneller Waffen noch zahlreiche andere raffinierte Kriegsgeräte, wie Mörser, Schnell- feuergeschütze, eine mit Dampf betriebene Kanone, aber auch einen kegel-förmigen Panzer, der mit 8 Kanonen bestückt war. All diese Erfind ungen, von denen aber scheinbar keine einzige gebaut wurde, belegen, dass er seinem Mäzen effiziente Tötungsmaschinen zur Verfügung stellen wollte.
Die Vielfalt von da Vinci's Schaffen offenbart aber auch immer seine Intention: Sie war geprägt von der Suche nach höchster Erkenntnis auf unterschiedlichsten Ebenen, und seine schöpferischen Fähigkeiten halfen ihm, diesen Weg zu beschreiten. So verließ er Mailand nach der französischen Besetzung im Jahr 1499 und verdingte sich bei Cesare Borgia als Militäringenieur, hier nahm er am Feldzug in der Romagna teil.
02 - Der Geist des 15. Jahrhunderts
`Ein großes Wunder ist der Mensch´
(Pico della Mirandola, Über die Würde des Menschen)
Giovanni Pico della Mirandola. Ölgemälde eines unbekannten Malers in den Uffizien
Als 1453 der hundertjährige Krieg zwischen Frankreich und England endete, brach für Europa eine Zeit kultureller Blüte an. Die Wirtschaft erstarkte wieder, was zu einem Wachstum der Städte führte. Zugleich erschlossen zahlreiche Entdecker den Menschen eine bis zu diesem Zeitpunkt unbekannte Welt. Die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen waren also geradezu ideal für das Entstehen einer neuen Geistesströmung. Doch dieses wieder aufblühende Europa wurde gleich- zeitig vom Schock des besiegten byzantinischen Reiches erfasst.
Dessen langsamer Niedergang hatte sich bereits nach dem 4. Kreuzzug im Jahr 1204 angekündigt, der mit der Plünderung Konstantinopels endete. Mit der Aufteilung des byzantinischen Reiches an die Siegermächte und dem Verbleib eines Rumpfgebietes bei Kontstantinopel war auch dessen Vormachtstellung zu Ende. Dies veranlasste in der Folgezeit zahlreiche Gelehrte. Maler, Handwerker und Baumeister zur Auswanderung nach Italien, wo sie das Wissen der Antike bekannt machten. Dort hatten Protagonisten einer neuen Geisteshaltung, wie der im 14. Jhd. lebende Italienische Dichter Francesco Petrarca, durch eine ausgiebige Beschäftigung mit antiken Schriftstellern und den Glauben an den Wert humanistische Bildung gefördert. Sie lösten damit eine einzigartige kulturgeschichtliche Entwicklung aus, die später unter dem Namen Renaissance in die Geschichte einging. Mit dieser Neuorientierung der Bildung, die erst Mitte des 19.
Jahrhunderts die eigentliche Bezeichnung humanistisch erhielt, wurde das Studium der Sprachen, der Literatur, der Geschichte, Philosophie und der Künste nach antiken Vorbilder gefördert. Anfänglich war die neue Bewegung noch weitgehend literarisch ausgerichtet und beschäftigte sich mit den Schriften der griechischen Sprache.
Sie vermittelten gleichzeitig die antike Ideale, unabhängig von den gängigen religiösen Vorstellungen die antike Ideale, wie Menschlichkeit, Toleranz, Ausgleich, Maß und Reinheit, fortan als erstrebenswert galten. Gleichzeitig wurden auch zahlreiche Bauwerke und Skulpturen wieder entdeckt und sorgten mit ihrem Aussehen für eine Neuausrichtung der Bildenden Künste. Eines der edelsten Vermächtnisse der Renaissance entstand nach der Auffassung des Schweizer Kulturhistorikers Jacob Burckhard knapp ein Jahr-hundert nach Petrarca. Unter dem Titel `Über die Würde des Menschen´ verfasste der Philosoph Pico de Mirandola eine Reihe von Gedanken in denen er ein völlig neues Bild des Menschen entwarf.
n ihm sah er das einzige Wesen, dem der Schöpfer die Eigenschaft verlieh, nicht festgelegt zu sein und deshalb ein Werk von unbestimmter Gestalt ist´. Nach Mirandolas Überzeugung sind alle Geschöpfe von Natur aus mit Eigenschaften ausgestattet, die ihr mögliches Verhalten auf einen be-stimmten Verhaltensrahmen und Aktionsradius begrenzen. Im Gegensatz zu diesen festgelegten Geschöpfen der Natur sah er den Mensch als ein freies, unabhängiges Wesen an, das in die Mitte der Welt gestellt wurde, `um sich dort umschauen, alles Vorhandene erkunden und dann seine Wahl treffen kann´.
Diese Freiheit ermöglicht ihn auch zum eigenen Gestalter seines Lebens zu werden. Dies betrachtete Mirandola als ein Wunder und schloss daraus, dass der Mensch einem Abbild Gottes gleichkam. Mit ihm kann sich der Mensch nach Mirandolas Vorstellung in einer `abge-schiedenen Finsternis´ vereinigen. Dies erfolgt nach seinem Gedanken-modell dann in einem dreistufigen Prozess der (purgatio), der Erleuchtung (illuminatio) und endet mit der Vollendung (perfectio). Zu dieser Voll-endung findet er dann ausschließlich mit Hilfe der Theologie, da nur sie die Erkenntnis des Göttlichen ermöglicht.
Im Gegensatz zu dieser revolutionären Sicht Mirandolas, gewährte das Menschenbild des Mittelalters dem Einzeln kaum eine Wahl sein Leben zu gestalten. Gemäß den Erzählungen der biblischen Heilsgeschichte verlief es vorbestimmt, geradlinig und war auf