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Fiebach: Theater. Wissen. Machen.
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eBook529 Seiten5 Stunden

Fiebach: Theater. Wissen. Machen.

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Über dieses E-Book

Joachim Fiebach, geboren 1934 in Berlin, ist einer der vielseitigsten, produktivsten und wirkungsmächtigsten international anerkannten deutschen Theaterwissenschaftler. Sein Forschungsschwerpunkt bilden die darstellerischen Kulturen des 20. Jahrhunderts in Europa und Afrika. Seine Forschungsgebiete umfassen die westliche Avantgarde, das frühe sowjet-russische Theater, das afrikanische Theater und die Arbeit Wole Soyinkas, Arbeiten zu Brecht, Piscator, Heiner Müller und dem Theater in der DDR. Als Gastprofessor lehrte er in Tansania, Nigeria, USA, Kanada und Österreich.


Das vorliegende Buch ist eine Reverenz an das "vertrackte Phänomen" Fiebach, geschrieben von Forschern in Kunst und Wissenschaft aus Afrika, Europa und Nordamerika, u. a. Carena Schlewitt, Wole Soyinka, Tiina Rosenberg, Thomas Engel, Awo Mana Asiedu, Christian Holtzhauer, Katka Schroth, Andreas Kotte, Pia Kleber, Helmar Schramm, Andrea Koschwitz, J. Edward Chamberlin, Kerstin Stutterheim u. v. a.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum8. Juli 2014
ISBN9783957490131
Fiebach: Theater. Wissen. Machen.

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    Buchvorschau

    Fiebach - Verlag Theater der Zeit

    Budde

    MACHEN. DENKEN. (VER)ZWEIFELN.

    Einleitung

    In seinen Inseln der Unordnung. Fünf Versuche zu Heiner Müllers Theatertexten¹ macht Hans-Joachim Fiebach, der unter dem Namen Joachim Fiebach seine Arbeiten veröffentlicht und der von Freunden kurz Jochen genannt wird, eine interessante Anmerkung über die Ausleger oder Interpreten von künstlerischen Arbeiten. Mit Bezug auf Julio Cortázars Erzählung Der Verfolger² sinniert er über die prekäre Tätigkeit des Auslegers/Interpreten/Kritikers/Wissenschaftlers.

    Dem Künstler, über den er handelt, sei es scheißegal, was der Ausleger von ihm hält. […] Das Bittere für den Ausleger ist, daß er seine Haltung besser ausgedrückt findet von einem anderen. Von seinem Eigenen sprechend, schreibt er über ihn. Ich habe im Auge Müllers Offenheit, seine mühselige Suche nach dem Produktiven, nach den „Inseln der Unordnung". Im einzelnen gibt es Differenzen.³

    Auf der folgenden Seite dreht Fiebach den Spieß um. Um „über Frustrationen und die Chancen der Kunst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu reden, die „diskontinuierlichen Linien in der Geschichte des Theaters seit Brecht nachzuziehen, hätte er auch genauso gut die Westberliner Schaubühne oder die Arbeit Wole Soyinkas als Bezugspunkte wählen können⁴. Hat er aber nicht. „Müller könnte mir so […] scheißegal sein." Ist er aber nicht und Fiebach führt aus, warum – gefolgt von der Anerkennung des Dilemmas, seinem komplexen Gegenstand womöglich nicht gerecht werden zu können. Zweifel. Realismus. Im September 1988 schließt er sein Vorwort lapidar mit den Worten: „Das muß man in Kauf nehmen."⁵ Fiebach könnte mir scheißegal sein. Ist er aber nicht. Dieses Buch legt Zeugnis davon ab, dass es anderen auch so geht. Das Dilemma bleibt bestehen, aber das muss ich wohl in Kauf nehmen. Es ist einen Versuch wert. Chance und Frustration bedingen einander, treiben einander an, bringen Bewegung in die Sache.

    Es war wohl Anfang 1991, dass ich Fiebach einen Brief aus Peking schrieb, wo ich zu dem Zeitpunkt ein Auslandsstudium an der Zentralen Theaterakademie (zhongyang xiju xue yuan) absolvierte. Ich war dorthin delegiert worden⁶, wie es damals hieß. Viele Jahre später erfuhr ich, dass dies auf der Grundlage eines bilateralen Kulturabkommens zwischen der DDR und der VR China geschah, das in gegenseitigem Einvernehmen den wissenschaftlich-künstlerischen Nachwuchs der Zukunft produzieren sollte. Die Mauer fiel am 9. November 1989. Ich konnte fahren, ohne Stasieinmischung. Ich war mir nicht sicher, ob ich fahren wollte, die niedergeschlagenen Studentenproteste auf dem Tiananmen-Platz im Kopf. Der Nachwuchs wurde letztlich für Kanada produziert, wo ich heute arbeite. Nomadentum. Intellectual commodification. Globalisierung. Als ich im Sommer 1990 in China ankam, wurde die DDR gerade abgewickelt. Ich sollte nie in das Land zurückkehren, das ich verlassen hatte. Eine paradoxe Situation, die mich für immer in den Orkus des Dazwischenseins, des In-Between katapultiert hat – ein schmerzhafter wie äußerst produktiver Ort. Die ersten Globalisierungswellen hatten mich erreicht und ich hatte keine Ahnung, dass dem so war. Ich schrieb also diesen Brief, (ver)zweifelt über die Herausforderungen in einer Stadt und an einer Hochschule wo zu diesem Zeitpunkt kaum andere Sprachen als Chinesisch gesprochen wurden. Ich bewegte mich auf dem Sprachniveau einer Sechsjährigen und wurde hungrig nach komplexerem Sprachaustausch, dem ich mit dem Chinesischen nicht gewachsen war. E-Mail und Skype gab es nicht. Telefonieren war sehr teuer. Fiebach schickte mir seine unordentlichen Inseln, „Lies das mal", und ich verschlang es mit einem Heißhunger, der mich vieles lehrte. Zum Beispiel, was Heimat bedeutet und dass sie nicht an einen Ort gebunden ist – nicht notwendigerweise. „Wir lieben es, Nomaden zu sein"⁷. Meine Großmutter hatte mir als rebellischem und melodramatischem Teenager einmal erklärt, erwachsen sein drücke sich darin aus, dass man lerne, aus Scheiße Bonbons zu machen. Durchhaltevermögen, Improvisation, Bewegung, alternatives Denken, experimentieren, offen sein. Sie musste es wissen. Die deutsche Geschichte hatte ihr übel mitgespielt. Joachim Fiebach ist in diesem Sinne immer erwachsen gewesen. Bei ihm hat die deutsche Geschichte auch mitgespielt, manchmal übel. Keine Hoffnung, keine Verzweiflung. Machen, nicht quatschen. Reflektieren. Zweifeln. Weiter machen. Bei der Arbeit an diesem Buch ist mir mehr als sonst klar geworden, dass Fiebach immer aus der Perspektive eines offenen, linken Europäers gearbeitet und geschrieben hat. Das machte ihn so anders. Er kannte ein Deutschland ohne Mauern. Er kannte zwei diktatorische Deutschlands. Er spricht Englisch, Russisch, Französisch, hat angefangen afrikanische Sprachen zu lernen. Jetzt ist er in der zweifelhaften Freiheit monopolisierender Globalisierung angekommen und schreibt dagegen an, wie er es immer getan hat. Renate, seine Frau seit fünfzig Jahren, kam Mitte der sechziger Jahre als hochqualifizierte, berufstätige Frau aus dem Wedding zu ihm nach Ostberlin, arbeitete in einem Volkseigenen Betrieb (VEB) und konnte manchmal mit ihm reisen. Es gab immer Schwierigkeiten mit den Papieren und den Leuten, die sie ausstellten. Joachim Fiebachs Arbeit und Produktivität wäre ohne diesen Rückhalt, in guten wie in schlechten Tagen, kaum möglich gewesen. Es ist Renate Fiebach, die die Wände streicht. Joachim Fiebach hat kein Talent für diese Art des Handwerklichen. Berlin war und blieb das Basislager seiner Unternehmungen. Er ist nie weggegangen. Er ist auch nie geblieben. Immer zwischendrin. Immer in Bewegung. Das Bleibende ist das Flüchtige.⁸

    Anders als meine Generation (geboren in der DDR nach 1961) ist er nicht in der nationalistischen Parzellierung eines kleinkarierten Sozialismus im Schatten einer stalinistischen Kolonialmacht aufgewachsen. Er wuchs im Faschismus auf, gefolgt von Nachkrieg und Kaltem Krieg. Wenn Fiebach Kommunist sagt, dann klingt das nach Widerstand, nach Mut, nach Schluss mit menschenfeindlichen Kompromissen, nach kreativer, schonungsloser Kapitalismuskritik. Wenn ich Kommunist sage, dann klingt das nach patriarchal-brutalem Hauspascha, der seine Kinder im Keller einsperrt, sie durchs Schlüsselloch beobachtet und bei Ungehorsam mit Zuckerbrot und Peitsche durch seine halbverdauten, indoktrinierten Landschaften marxistischer Theologie (nicht Philosophie) treibt. Mir wurde schnell klar, dass der Hauspascha eine Doppelfigur war, deren andere Hälfte Anti-Kommunist hieß. Das Schlüsselloch wurde durch die NSA⁹ ersetzt. So rieben wir uns auf zwischen zwei Alternativlosigkeiten. Joachim Fiebach verstand die endlose Frustration meiner und der folgenden Generationen. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen baute er seit den sechziger Jahren mit dem Institut für Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin einen Freiraum für uns, einen Raum, wo man kreativ und produktiv sein konnte, wo man etwas lernte über die Geschichte von Herrschaftssystemen und deren symbolische und theatrale Ausdrucksweisen, in Europa, in Afrika, in der Welt. Dies fand einen Niederschlag in unserem Buch Herrschaft des Symbolischen. Bewegungsformen gesellschaftlicher Theatralität. Europa. Asien. Afrika, erschienen 2002 in Berlin. Ich schrieb über den „Tiananmen-Platz als größte Bühne der Welt und er schrieb über „Audio-visuelle Medien und „Theater und Medien im subsaharischen Raum. Keiner der Studierenden ist im Aufruhr und Exodus von 1989 in den Westen abgehauen. Alle sind geblieben, viele haben sich im Widerstand gegen „den Scheiß und die missbrauchten Utopien engagiert. Wir hatten Von Craig bis Brecht¹⁰ gelesen. Hier fanden wir, unter anderem, die Vorbilder, Risiken einzugehen, sich nicht einschüchtern zu lassen von piefigen Doktrinen. Avantgarde war kein elitäres Hirngespinst. Man reißt nicht aus vor Konflikten. Man bleibt und wird zum Treibstoff. Man macht Bonbons aus Scheiße, nicht umgekehrt. Fiebach deutet diesen Umstand so: „Für mich war das vor allen Dingen auch ein Zeichen, dass wir eigentlich völlig normal gelehrt haben, so würde ich das sehen."¹¹ Fiebachs Normen waren sicher nicht sehr weit verbreitet, nicht damals und jetzt auch nicht. Als ich ihm mitteilte, dass ich den Pfad des heterosexuellen Lebens für die queere Variante verlassen hatte, schaute er mich kurz an, fuchtelte flüchtig mit der Hand in der Luft herum und wollte die Konversation, in die wir zuvor verstrickt waren, fortsetzen. Das war für ihn interessanter. Mein Coming-out war für ihn ungefähr so interessant als hätte ich ihm die Wasserstandszahlen der Spree vorgetragen. Normalität. Fiebachs Normalität. Max Herrmann¹², der jüdische Begründer der deutschen Theaterwissenschaft, war von den Nazis 1942 in Theresienstadt umgebracht worden. Deutsche Studenten hatten 1933 zur Arisierung und Bücherverbrennung beigetragen. Antifaschismus und Systemkritik waren daher keine leeren Worte an diesem Institut. Fiebach hat über viele seiner renitenten Studenten seine schützende Hand gehalten und Demütigungen dafür in Kauf genommen. Er hat sich nie als Helden hingestellt. Das wäre ihm auch zu blöd. Er hat in den Zwischenräumen navigiert so gut es eben ging. Bis es eben nicht mehr ging. 1998 wurde die Theaterwissenschaft an der Humboldt-Universität als Orchideenfach qualifiziert.¹³ Wäre man naiv gewesen, hätte man das im Zuge der Rhetorik über blühende Landschaften¹⁴ als eine gute Nachricht verstehen können … Immerhin kam das Versprechen von einem Mann namens Kohl. Aber Naivität war als Geisteshaltung nicht weit verbreitet an diesem Institut. Utopisches schon. Es folgten also Widerstand und Kampf, Intrigen und verlorene Schlachten. Im September 2001 wurden keine neuen Studenten mehr immatrikuliert. – Die Twin Towers fielen in New York. 9/11. – Dem folgte eine langes Siechtum, das 2006 mit der Schließung des Instituts beendet wurde. Die Globalisierungszwänge zur kapitalistischen Monopolbildung hatten es erreicht und die Häme der Sieger des Kalten Krieges spielte die Begleitmusik. In dem Interview, das Katka Schroth und ich mit Joachim Fiebach im Juli 2013 führten, sagt er dazu:

    AB: Ist es nun eine gute oder schlechte Nachricht, dass es die Theaterwissenschaft an der Humboldt-Uni auch in ihrer Tradition, angefangen von Max Herrmann, nicht mehr gibt?

    HJF: Also meiner Meinung nach, ich würde sagen, es ist weder eine gute noch eine schlechte Nachricht.

    AB: Also keine Nachricht.

    HJF: Ja, die existiert nicht mehr.

    AB: Fertig.

    HJF: Und sie wäre wahrscheinlich auch gar nicht mehr so weiterzuführen gewesen, wie sie für mich wichtig war oder wie sie vielleicht wichtig war.

    Ich will die Diskussion an dieser Stelle nicht vertiefen. Es hat mit der Publikation Gewordene Eigenart¹⁵ 2006 einen Versuch gegeben, die Arbeitsund Wirkungsweise dieses Instituts im Kontext darzustellen, eines Instituts, das nie eine weibliche Professorin gesehen hat – Sekretärinnen waren weiblich, Dozentinnen auch, Professoren nicht. Im Jahr 2001, wir waren gerade auf einer Konferenz in Sydney, Australien, schlug Fiebach vor, ich solle mich der Feministischen Arbeitsgruppe der International Federation of Theatre Research (IFTR) anschließen. Wirklich? Ich folgte seinem Vorschlag und lernte Wissenschaftlerinnen aus aller Welt kennen, die mein Leben und Denken nachhaltig veränderten. – Die Publikation von Gewordene Eigenart bedeutet nicht, dass es diesem Versuch nichts hinzuzufügen gäbe, aber das ist ein anderes Buch. Die Totgeglaubten leben länger, sagt der Volksmund. Die Theaterwissenschaft war 1945 schon einmal und aus richtigen Gründen geschlossen worden. 1960 wurde sie, unter anderem Vorzeichen, wieder eröffnet. Joachim Fiebach arbeitet nun seit Jahren an der Theaterwissenschaft der Freien Universität. Das hat durchaus Kontroversen ausgelöst. Kontroversen, die eigentlich nur Sinn machen, wenn man den Kalten Krieg mit seinen Gräben in sich weiterleben lässt. Wir haben aber heute andere Probleme. Kriege. Globalisierung. Umweltzerstörung. Überwachung. Massenfluchten. Armut. Konflikte um Wasser und Öl. Eine sich maßlos bereichernde, immer exklusiver werdende Clique, die Profite in der Höhe von Staatshaushalten macht. Fiebach sieht die Dinge nicht im Kleinen. Die Teilung Deutschlands, von der er annahm, sie würde acht bis zehn Jahre dauern, hat er nie akzeptiert. Er arbeitete als linker Europäer weiter, als Kosmopolit, nicht als DDR-Bürger. Das kam seinen Studenten sehr zugute. Das Miefige blieb draußen. Mir wurde auch erst durch das Interview klar, dass Joachim Fiebach eine weitzurückgehende Beziehung mit der Theaterwissenschaft an der FU hat, und zwar, nicht überraschend, mit der linken Studententheaterbühne, die von Leuten wie Dieter Sturm und Jürgen Schitthelm vorangetrieben wurde, bevor sie 1962 die legendäre Schaubühne gründeten. Die FU Studententheaterbühne wurde geschlossen. Zu radikal. Mit ihnen ist er zum internationalen Studententheaterfestival nach Erlangen gefahren und hat sich ein internationales Netzwerk alternativ denkender Leute aufgebaut. Das war ungeheuer wichtig. Kreise öffnen und schließen sich. Joachim Fiebach weiß das besser als viele andere. Katka Schroth hat nach der Wende mit Dieter Sturm zusammengearbeitet. Ein Zufall? Wohl kaum. Joachim Fiebach hat sehr vielen Absolventen geholfen, ins Berufsleben einzusteigen. Mir auch. Er hängt das nicht an die große Glocke. Das wäre ihm auch zu kleinteilig.

    Joachim Fiebach kam in den letzten Kriegsmonaten von einer Kinderkur aus Davos nach Berlin zurück und fand sich als erstes in einem Bombenkeller wieder, als sich der massenvernichtende Zorn der westlichen Welt und der Sowjetunion auf die braune Scheiße ergoss. Er war zehn Jahre alt. Das Persönliche sei nie etwas gewesen, woran er sich abarbeitete, aber die ganze Scheiße drum herum, sagt er sinngemäß in unserem Interview. Aber das Persönliche ist das Politische, sagen die Feministinnen. Ich stimme ihnen – im dialektischen Sinne – zu. Das Trauma des Kindes fand keine Sprache, aber es produzierte einen nimmermüden Antrieb – so sehe ich das – in seiner Lehre und den vielen wegweisenden Publikationen und Theaterexperimenten im In- und Ausland (Fiebach ist ja auch Dramaturg und Regisseur) auf der Suche nach Alternativen, nach einem Ort, wo man frei atmen kann, wo man etwas machen kann, wo man nicht verdammt ist zum untätigen Herumsitzen, während auf einen geschossen wird.

    Joachim Fiebach wurde am 8. Juni 1934 in Berlin geboren und wuchs in der Gubener Straße 28 in der Nähe des Comeniusplatzes auf. In Nummer 37 gab es einen Kuhstall. Als es noch keine Bomben hagelte, verbrachte er viel Zeit mit seinen Kumpels auf der Straße spielend. Als der Bombenhagel aufhörte, fehlten ein paar Straßen in der Umgebung. Die Kinder spielten weiter und entwickelten einen Sinn für Straßenszenen und was sie uns erzählen über die größeren Zusammenhänge in der Welt jenseits des Beschaulichen und Privaten. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass Joachim Fiebach keine eigenen Kinder wollte. Es ist auch interessant, dass er in seinen Arbeiten immer wieder, fast obsessiv auf Brechts Modell des epischen Theaters zurückkommt, wie Brecht es in seiner Schrift Die Straßenszene 1938 erläutert. – Fiebach war damals vier Jahre alt. Noch war Frieden in der Gubener Straße. – Seine Aufsatzsammlung Keine Hoffnung. Keine Verzweiflung, veröffenlicht 1998, sechzig Jahre nach Brechts Schrift, beginnt mit einem entsprechenden Aufsatz.¹⁶ Fiebachs Konzept der Theatralität, der Verflechtungen von Kunst-, Medien- und Lebenspraxis im europäischen und afrikanischen Theater ist ohne seine fortdauernde Auseinandersetzung mit diesem weitreichenden Modell, das Theater und Alltag, kulturelle Kommunikation und das Darstellerische von Herrschaftszusammenhängen thematisiert, nicht vorstellbar. Der epische Charakter oraler Kulturen ebenso wie der audio-visuellen Medien und digitalen Revolution lassen sich davon inspiriert und kritisch weiterverarbeitet besser fassen. Natürlich ist es zu kurz gegriffen, dieses Interesse auf ein fußballspielendes Kind, dem die Trümmerhaufen der Geschichte als Spielfläche dienen, zu reduzieren. Aber das muss ich in Kauf nehmen. Die Ideen und die Körper.¹⁷ Wie wir unseren eigenen Berg des Sisyphus finden, mag im Dunkel bleiben, aber es gibt Anhaltspunkte und unsere Kindheit hinterlässt Spuren. Die Frau mit dem Kopf im Gasherd¹⁸. Inge Müller¹⁹, die Frau Heiner Müllers, hat ihr Trauma von Kriegszerstörung und verschütteten Leichen im Gasherd begraben. Joachim Fiebach schreibt dagegen an. Gegen das Schamanentum des gespaltenen Sehens. In seinem Buch Inszenierte Wirklichkeit²⁰ enfaltet er eine Wut, die mich beim Lesen tief erschütterte. Das war es also. Darum geht es. Ich habe mich immer gewundert, mit welcher Obsession er auf die immer flacher werdenden Bildschirme des Fernsehens starren kann. Krieg. Zerstörung. Leichenberge. Sensationen. Aktienmarktzahlen laufen als Fußnote am Rand des Bildschirms mit, unterbrochen von Werbung, die uns Wünsche suggeriert, die wir bis dahin nicht hatten und die uns Dinge verkauft, die wir bis dahin nicht brauchten. Das ist fast Brechtisch. Verhungernde Kinder und, damit etwas Kontrast hereinkommt, eine Anti-Faltencreme für die berufstätige Karrierefrau und Viagra für den implodierenden Herren. Kaufen und verkauft werden. Scheiße. „Fernsehen Der tägliche Ekel Ekel/Am präparierten Geschwätz Am verordneten Frohsinn/Wie schreibt man GEMÜTLICHKEIT […] Geh ich durch die Straßen Kaufhallen Gesichter/Mit den Narben der Konsumschlacht Armut/Ohne Würde."²¹ (Hervorhebung A. B.) Wir sind ein Volk.

    Dieses Buch ist keine Festschrift im vielkritisierten Sinne.²² Eine Festschrift ist auch gar nicht nötig, denn eine solche ist zu Joachim Fiebachs 65. Geburtstag unter dem Titel Horizonte der Emanzipation. Texte zu Theater und Theatralität²³ 1999 erschienen. Dieses Buch soll weniger eine Festschrift als ein Fest sein.

    Das Fest, gewöhnlich Zeit der komischen Maskenauftritte, der Clownerien und der Verkehrungen, bekräftigte das Bewußtsein befreiender Möglichkeiten. Es ist der Bruch in der Normalität, Kontrast zur notwendigen Arbeit, zu den Tätigkeiten des Alltags und ihren zwingenden Normen. Als Zeit un-normalen und ungenormten, ja gegen die Normen gerichteten Verhaltens neigt das Fest zum Exzessiven. Es „spielt" Fähigkeiten aus, enthemmt und verwirklicht Sehnsüchte nach grenzenloser Produktivität und grenzenlosem Genuß.²⁴

    So beschreibt Fiebach die Quintessenz afrikanischer Feste, vielleicht aller Feste. Alle können mitmachen. Die Mythen müssen erzählt und kritisch verlacht werden. So wie Fiebachs Freund, der nigerianische Dramatiker, Regisseur und Professor Wole Soyinka (auch 1934 geboren, unter sehr anderen, kolonialen Gewaltumständen) es versuchte, im kritischen Einklang mit afrikanischen Traditionen. In Afrika dominieren

    die laxen, gleichsam plebejischen Haltungen der Dorftheater, der Trickster-Darstellungen und des „epischen Theaters" vom Typ der Ozidi-Saga, in dem der unheimliche Schrecken der vielen Mord- und Zaubervorgänge durch ständiges Gelächter des Publikums gekontert und so jeder Aura von vornherein kritisch begegnet wird.²⁵

    Soyinka arbeitet in der Tradition einer kritisch-rationalen Grundeinstellung auf deren Basis „mittels des Mythos fundamentale weltanschauliche und soziale Fragen behandelt werden […]", „während das in allen Formen immer präsente Lachen des Publikums ein(en) Schock für viele Europäer und für die kolonial manipulierten Afrikaner selbst"²⁶ verursacht. Soyinka hat, dieser Tradition folgend, eine Erinnerung an seinen Freund für dieses Buch aufgeschrieben, die eben zum Lachen ist trotz des beschriebenen Schreckens.

    In unserem Fest-Buch sind Autorinnen und Autoren aus Europa, Afrika und Nordamerika versammelt. Sie kennen Joachim Fiebach als Lehrer, Wissenschaftler, Dramaturgen, Kollegen und/oder Freund. Anders als es oft in Festschriften geschieht, sind in diesem Buch nicht nur Akademiker vertreten, sondern auch Künstlerinnen, Dramaturgen, Aktivistinnen, Wissenschaftler, Professorinnen, Macher und Macherinnen, die in der Praxis und Tradition der Theaterwissenschaft an der HU das kritische Denken mit dem kreativen Tun verbinden, sie nicht (unbedingt) als Gegensätze verstehen. Mit Ernst und Humor wird Joachim Fiebachs Arbeit gefeiert in der Arbeit seiner Schülerinnen und Schüler, seiner Kolleginnen und Kollegen. Bis auf Zeitdokumente, die als solche ausgewiesen werden, sind alle Beiträge originär für dieses Buch entstanden. Es gibt etwas zu feiern: nicht das Alter von Joachim Fiebach, sondern die Jugend seines Denkens und seine Inspiration zu innovativen, politisch engagierten Praktiken, wie sie sich in den Beiträgen des Buches in ungeheurer Vielfalt widerspiegeln. Fiebach hat vertrackt-phänomenale Spuren hinterlassen.

    Danksagung

    Carena Schlewitt und Gerd Meuer haben geholfen, mich in Kontakt mit Wole Soyinka zu bringen. Christiane Gaedicke und Edith Krannich haben in mühevoller Kleinarbeit die Interviewaufnahmen entziffert, trotz Lärm. Edith Krannich half mir beim Erstlektorat. Ina Voigt hat alles gegeben, um Joachim Fiebach vor die Kamera zu bekommen (nicht leicht). Regine Herrmann hat eine Urkunde aus den Archiven der Akademie der Künste ans Tageslicht geholt. Pia Kleber und das Digital Dramaturgy Lab, Toronto, haben maßgeblich zur Finanzierung des Buches beigetragen. Harald Müller und Carena Schlewitt halfen, mich in Kontakt mit einigen Autoren zu bringen. Es war eine professionelle Freude, mit der Lektorin Katharina Wild zusammenzuarbeiten.

    1 Fiebach, Joachim: Inseln der Unordnung. Fünf Versuche zu Heiner Müllers Theatertexten, Berlin 1990.

    2 Cortázar, Julio: Der Verfolger, übers. von Rudolf Wittkopf, Frankfurt am Main 1978. Siehe auch: http://www.dieterwunderlich.de/Cortazar_verfolger.htm, Stand: 28. April 2014.

    3 Fiebach: Inseln der Unordnung, S. 7.

    4 Ebd., S. 7 f.

    5 Ebd., S. 8.

    6 Joachim Fiebach zusammen mit Erhard Ertel und Wolfgang Mühl-Benninghaus hatten Peggy Kames und mich Ende 1987 oder Anfang 1988 gefragt, ob wir ein Auslandsstudium in China annehmen würden. Wir mussten zu diesem Zweck anfangen, Chinesisch zu lernen und Sinologie zu studieren.

    7 Überschrift des dritten Kapitels in Inseln der Unordnung, S. 96.

    8 Dies ist ein Zitat von Heiner Müller aus dem Jahr 1979, das Joachim Fiebach als Überschrift für sein erstes Kapitel in seinem Insel-Buch verwendet. Siehe: Fiebach: Inseln der Unordnung, S. 9.

    9 Die US-amerikanische National Security Agency (NSA), deren globale Überwachungsstrategien mir hier nur als Metapher für die allumfassende Überwachung weltweit und in Deutschland dienen.

    10 Joachim Fiebach: Von Craig bis Brecht. Studien zu Künstlertheorien des 20. Jahrhunderts, Berlin 1975.

    11 Budde, Antje/Schroth, Katka: Interview mit Joachim Fiebach, Berlin, 15. Juli 2013.

    12 Zu Max Herrmann (1865–1942) siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Max_Herrmann_

    (Theaterwissenschaftler, Stand: 30. April 2014.

    13 Siehe zur Geschichte des Instituts: http://de.wikipedia.org/wiki/Theaterwissenschaftliches_Institut, Stand: 30. April 2014.

    14 Helmut Kohl (geb. 1930), Bundeskanzler 1982–1998, sagte in einer Fernsehansprache am 1. Juli 1990: „Nur die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion bietet die Chance und die Gewähr dafür, dass sich die Lebensbedingungen rasch und durchgreifend bessern. Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen schon bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt." (Siehe: http://www.helmut-kohl.de/index.php?msg=555, Stand: 27. April 2014).

    15 Ertel, Erhard/Fiebach, Joachim/Münz, Rudolf/Schumacher, Ernst: Gewordene Eigenart. Theater, Medien, Kulturelle Kommunikation an der Humboldt-Universität, Berlin 2006.

    16 Fiebach: „Brechts ‚Straßenszene‘. Versuch über die Reichweite eines Theatermodells", in: ders.: Keine Hoffnung. Keine Verzweiflung. Versuche um Theaterkunst und Theatraliät, Berlin 1998, S. 9–34.

    17 Überschrift des zweiten Kapitels in Inseln der Unordnung. Siehe oben.

    18 Dies ist ein Zitat aus Heiner Müllers Todesanzeige, das in seiner Hamletmaschine als Ophelia verkleidet wieder auftaucht. Vgl.: Bock, Ursula: „Die Frau mit dem Kopf im Gasherd", in: Die Frau hinter dem Spiegel: Weiblichkeitsbilder im deutschsprachigen Drama der Moderne, Berlin 2011, S. 206 ff.

    19 Inge Müller (1925–1966), Dichterin und Autorin von Theatertexten und Hörspielen. Sie hat unter anderem an Stücken von Heiner Müller mitgearbeitet. Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Inge_Müller, Stand: 27. April 2014.

    20 Fiebach: Inszenierte Wirklichkeit. Kapitel einer Kulturgeschichte des Theatralen (= Recherchen 49), Berlin 2007.

    21 Zitat aus Heiner Müllers Hamletmaschine in Joachim Fiebachs Inseln der Unordnung, S. 18.

    22 Mehr dazu hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Festschrift, Stand: 27. April 2014.

    23 Balme, Christopher/Hasche, Christa/Mühl-Benninghaus, Wolfgang (Hrsg.): Horizonte der Emanzipation. Texte zu Theater und Theatralität, Berlin 1999.

    24 Fiebach: Die Toten als die Macht der Lebenden. Zur Theorie und Geschichte von Theater in Afrika. Berlin 1986. S. 113

    25 Ebd. S. 358

    26 Ebd.

    Antje Budde und Katka Schroth

    STRASSENGESPRÄCH. BEWEGTE FRAGMENTE

    Ein Interview

    Das Interview mit Hans-Joachim Fiebach wurde am am 3. und 15. Juli 2013 im Biergarten vor seiner Kiezkneipe „Guido’s am Prerower Platz 12, Berlin-Hohenschönhausen aufgenommen. Es ist mehr als fünf Stunden lang und umfasst achtzig eng beschriebene transkribierte Seiten. Die Kneipe befindet sich gegenüber eines großen Kaufhauskomplexes (Shopping Mall) und an einem Verkehrsknotenpunkt in der Nähe seiner Wohnung. Kein Ort der sprichwörtlichen Gemütlichkeit. Eher unbehaust, dynamisch, vielschichtig, widersprüchlich und laut. Leute kamen und gingen, redeten über Familie, Freunde, Liebe, Geld, Arbeit und Arbeitssuche. Kompliziert und einfach. Joachim Fiebach hat sich diesen Platz für das Gespräch ausgesucht. Er berlinerte, sprach manchmal in halben Sätzen, sagte oft „Scheiße und ließ Gedanken im Niemandsland ausklingen. Eine Straßenszene. Theater des Alltags. Eine Baustelle, ein Grenzstreifen zwischen Erinnerung und Zukunft. Wir haben manche Sätze ergänzt und andere gestrichen. Wir haben mit dem Material gearbeitet. In diesem Interview haben wir versucht, den Bewegungen zwischen dem Persönlichen und dem Politischen zu folgen und zwischen Geklirr, Geschrei und Gelächter der Biergartenbesucher zu verstehen, was das vertrackte Phänomen Fiebach ausmacht. Er ist beides, treibend und getrieben, Subjekt und Objekt seiner Geschichte, die sich durch die konfliktreiche Topografie Europas und der Welt zieht. Banales und Komplexes wechselten sich ab, Tragisches und Komisches lagen dicht beieinander. Es wurde viel gelacht, mit leichtem und mit schwarzem Humor. Dieses Interview versucht eine fragmentierte Archäologie der Bewegungen, des vertrackten Reisens nach Innen und Außen im Leben eines Wissenschaftlers nachzuvollziehen und seine wissenschaftlichen Arbeiten auf eine Weise zu kontextualisieren, die sich jenseits des elitären Spezialistendialogs bewegt. Angesichts der Fülle des Materials mussten wir eine Auswahl treffen, von der wir hoffen, dass sie die anderen Texte des Buches ergänzt, befragt und wertschätzt. Die Fragmente erscheinen nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern tauchen hier und da im Gesamttext des Buches auf wie Signalbojen, die etwas bedeuten können oder auch nicht. Diese Entscheidung überlassen wir den Leserinnen und Lesern.

    ZU SPÄT UND SCHON GANZ GRÜN

    FRAGment I

    Hans-Joachim Fiebach: Am liebsten würde ich eher nicht auf dieser Welt sein.

    Antje Budde: Das konnten wir uns alle nicht aussuchen. Ich war auch sehr böse darüber zu gewissen Zeiten. Diese Anmaßung, dass dich zwei Leute mit einer Existenz bedrohen ohne weiter darüber nachzudenken. – Meine Eltern waren überrascht über mein plötzliches Auftauchen.

    HJF: Ja, meine Eltern waren auch total überrascht. – Ich soll auch als Baby zu spät gekommen und schon ganz grün gewesen sein. Das habe ich mir nun alles leider nicht richtig gemerkt, weil mich das früher nicht interessiert hat. Heute würde es mich am Ende mehr interessieren.

    AB: Ich kam zu früh.

    HJF: Ich kam wahrscheinlich zu spät, ich weiß es nicht, jedenfalls war das wirklich so, ernsthaft. Deswegen wollte ich auch kein Kind haben. Weil ich keins willentlich in diese Welt setzen wollte, in diese Scheiße, die ich hier nun erlebe.

    AB: Aber unsere Existenz ist die einzige Möglichkeit, das rauszufinden. Ich bezweifle, dass die Welt so viel schöner war, bevor wir in sie eintraten.

    HJF: Würde ich auch sagen.

    AB: Mit anderen Worten, menschliche Existenz ist also überflüssig?

    HJF: Für mich war das immer beschissen.

    AB: Aber ein bisschen Spaß hattest du auch im Leben?

    HJF: Ja, schon. Aber diese Scheiße, worüber wir reden, über das ganze Theater und das Geschreibe, das dient alles dazu um diesem Scheiß …

    AB: Es ist eine Droge …

    HJF: Ja, es ist eine Droge.

    AB: Ich glaube, das ist für viele ein Grund, sich in diese Richtung zu bewegen.

    Katka Schroth: Was guckst du mich jetzt so an? Als ob das bei mir so ist? Ich hab ja das Problem, ich habe ein Kind. Dann ist es schwierig zu sagen, wie beschissen alles ist.

    AB: Dem Kind sagt man es erst einmal nicht.

    KS: Das ist schwer, das ist wirklich ein Problem, das du dann hast.

    HJF: Wenn ich ein Kind hätte, würde ich es ihm natürlich nie sagen.

    KS: Du kommst dann in diesen Dauerkonflikt, dass einerseits …

    AB: Ich sehe was, was du nicht siehst.

    KS: Ja, aber du kannst diesen Spagat ja nicht die ganze Zeit betreiben, das geht ja auch nicht. Also ein, zwei Themen schaffe ich zu diskutieren.

    AB: Mehr Hoffnung als Verzweiflung.

    KS: Seitdem kann ich sozusagen das mit dem Ja und Nein und den Widersprüchen erklären. Du brauchst auch das Behütende … Das ist der Konflikt.

    AB: Aber als du das Kind noch nicht hattest, bist du ja auch in diese Randgebiete des Theaters abgedriftet.

    KS: Ja, aber ich würde das nie so formulieren, wie ihr das formuliert.

    AB: Nicht als Droge?

    KS: Das mit dem Theater oder mit dem, was ich mache?

    AB: Also Leben lebbar zu machen durch kreative Arbeit.

    KS: Doch, ja, klar, natürlich. Naja, es eigentlich eher darum, die Scheiße überhaupt erfahrbar und begreifbar zu machen. Es geht darum, dass man kapiert, was es eigentlich ist. Ich glaube, das ist alles.

    AB: Ja gut, alle machen ja irgendwie das Leben erfahrbar und verstehbar, auch wenn sie in anderen Arbeitsbereichen sind, aber das ist anders gefiltert.

    KS: Das Tolle ist ja, durch diese künstlerischen Bereiche, in denen man sich bewegt … Das ist ja eigentlich eine Never-Ending-Story. Man kann es ja auch nicht aufklären. Es gibt immer wieder Neues, was du neu verstehst. Für mich ist das eigentlich eine Dauer-Aufklärungsarbeit, meine eigene Arbeit, mir etwas begreifbar zu machen und …

    AB: Das ist ja auch eine Freiheit.

    KS: … und den Vorhang irgendwie immer ein bisschen wegzuziehen und zu fragen „Was ist eigentlich nun dahinter?" Man muss immer wieder weiter zugucken.

    AB: Aber es ist eine Freiheit, sich auf solche Fragen konzentrieren zu können, während alle anderen es nebenbei machen müssen …

    KS: … oder machen es gar nicht.

    AB: … oder in ihrer Freizeit.

    KS: Natürlich.

    AB: In Wien studieren fünftausend Studenten Theaterwissenschaften, habe ich gehört. Es gibt ein großes Potenzial.

    HJF: Nein, dreitausend. Also ich kenne nur die zweitausend bis dreitausend.

    AB: Ich habe fünftausend gehört.

    HJF: Von wem?

    RADIKALES

    Wole Soyinka

    TWO ‘RADICAL’ INDUCTIONS OF JOACHIM FIEBACH (1982–1984)

    Let me share my favourite recollections of Joachim:

    He came at a time when my departmental agenda (Drama Department, University of Ile-Ife; now Obafemi Awolowo University) was undergoing what could accurately be considered a radical transformation. While the mainstream theatrical fare was not abandoned, a branch of the acting company had been detached under the name Unife Guerilla Theatre, and became a permanent and peripatetic feature within the establishment structure. The troupe made regular, disruptive thrusts from campus into the ancient city of Ile-Ife. It next invaded other towns and cities, taking over spaces in front of government buildings, markets, public squares, and the grounds of the legislative houses to deliver some current theatrical indictments. Occasionally—in the business capital, Lagos, for instance – it even inadvertently tied up traffic when it performed in the open air of the National Museum grounds which was within sight of passing commuters. They slowed down to watch and ended up providing an impromptu klaxon background noise from the frustrated motorists. Joachim Fiebach became very much involved in the program and excursions of the theatre company, traveling with them sometimes to study the impact of these sketches on audiences, and their daily improvisations.

    It was not, however, during these excursions into proletariat strongholds that Joachim received his baptism of fire, a truly radical induction into contemporary Nigerian realities. As may be expected, some competitive guerilla activity would occasionally inject its own drama of real life into the peripheries of the crowd. The company was trained to expect this and engage such intrusions with spontaneous creativity. However, Joachim’s involvement took place within the campus itself. While he watched, absorbed, rehearsals in what we called The Pit theatre on one occasion, his newly bought Volkswagen Beetle was abducted, not even in the surrounding streets of Dugbe or Isale-eko markets, but right on campus, right behind my office!

    The car was brand new. Joachim had not yet installed the usual security gadgets and had trusted the seductively serene ambiance of a campus that was reputed to be the most beautiful in Nigeria, if not of the entire continent. To make matters worse, neither was the car comprehensively insured, so an epic battle with the insurance company began, backed by threats of invasion of its offices by the Unife Guerilla Theatre of Menace. He did obtain a replacement of sorts, some kind of part settlement being eventually agreed upon (my recollection falters at the details, but I believe the university itself waded into the matter).

    Joachim was similarly uninsured against the other radical tendency. He was thus visibly flustered by the welcome that greeted his maiden outing—an inter-faculty lecture that contained a fair sprinkling of the notorious leftists of the campus. He was shocked, bewildered and comically inconsolable afterwards. He

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