Vom Pagen zum Premierminister: Der Sündenbock der Wettiner
Von Walter Brendel
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Über dieses E-Book
Sein politischer Gegenspieler, Friedrich II. ließ im Krieg alle Brühlschen Besitzungen plündern und zerstören. Graf Heinrich von Brühl starb am 28. Oktober 1763 in Dresden. Noch im selben Jahr wurde gegen den Verstorbenen und seine engsten Mitarbeiter ein Prozess angestrengt, der allerdings nie zu einem Ergebnis kam.
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Buchvorschau
Vom Pagen zum Premierminister - Walter Brendel
Ist Brühl mehr als die Brühlsche Terrasse?
Heinrich Graf von Brühl, Kabinettsminister unter August dem Starken und Premierminister seines Nachfolgers Friedrich August II., zählt zu den bekanntesten, aber auch widersprüchlichsten Persönlichkeiten der sächsischen Geschichte. Sein Name wird oft mit Korruption, Misswirtschaft und Verschwendungssucht in Verbindung gebracht. Sein offizielles wie literarisches Bild erhielt im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte immer mehr negative Facetten, während sein wichtigster Gegenspieler, Friedrich der Große, glorifiziert wurde. So heißt es zum Beispiel in der „Deutschen Geschichte", Bd. 1, S. 508: „Der gewissenlose Minister Brühl schädigte „das Land durch seine Misswirtschaft aufs äußerste
.
Wie war es möglich dass ein derart nachteiliges Porträt des ranghöchsten sächsischen Regierungsbeamten die Zeiten überdauerte?
Zunächst war da die Meinung des sächsischen Herrscherhauses selbst. Die bankrotte Staatskasse und der verlorene Siebenjährige Krieg hatten das Ansehen Sachsens gründlich ramponiert. Dass ein gekröntes Haupt keine Schuld daran tragen konnte, verstand sich von selbst. Auch das absolutistische Herrschaftssystem an sich konnte und durfte nicht in Frage gestellt werden. Also musste ein Schuldiger gefunden werden – und der hieß Brühl.
Zum Zweiten nahm Preußen starken Einfluss auf das öffentliche Bild von Brühl. Damit wollte man versuchen, das eigene Negativimage aufzupolieren, das sich durch den Überfall auf Sachsen ohne Kriegserklärung am 29. August 1756 die gnadenlose Ausplünderung des Landes und den darauf folgenden Handelskrieg herausgebildet hatte. Friedrich II. leitete bekanntermaßen eine Annexions- und Eroberungspolitik im großen Stil ein, die erst 1945 mit der Auflösung des Königreichs Preußen ihr Ende fand. Der schlechte Ruf Brühls hatte sich da allerdings in aller Ruhe bereits von Generation zu Generation weiterverbreiten können.
Dabei ist – zum Dritten – der Einfluss der Literaten nicht zu unterschätzen. Aus der Feder einer gewissen Rita Sonneck floss der Roman „Graf von Brühl Der Roman eines Mächtigen", welcher 1920 beim Verlagshaus Bong/Berlin erschien. Von dem schlechten Schreibstil einmal ganz abgesehen, verharrte dieses Werk fern jeder historischen Wahrheit und hatte nur ein Ziel: Brühl weiter zu verunglimpfen. Fortsetzung der preußischen Geschichtsschreibung in der Literatur? Dieser Roman jedenfalls prägte besonders in der Weimarer Republik das Bild von Brühl und von Sachsen. Zum Glück ist er heute fast vergessen.
Ein weiterer Literat hatte sich zuvor schon an Brühl versucht, 111 Jahre nach dessen Tod, in seiner Wahlheimat Dresden: der Pole Józef Ignacy Kraszewski. Zweifellos einer guter Romancier, aber nicht mit dem Anspruch einer objektiven historischen Darstellung ausgestattet, hat Kraszewski insbesondere in seinen Romanen „Brühl und „Aus dem Siebenjährigen Krieg
leider ein Zerrbild von Sachsen und Brühl gezeichnet.
Mit leichter Feder, lebenspraller Charakterzeichnung und spannungsreicher Handlung gelingt dem seit 1863 zunächst als politischer Flüchtling, danach als sächsischer Staatsbürger in Dresden lebenden Autor 1874 dann ein weiterer Band seiner Sachsen-Trilogie, bei einem großen Leserkreis bis heute beliebt. Die auf der Trilogie fußende DEFA-Produktion „Sachsens Glanz und Preußens Gloria" mit Straßenfeger-Qualitäten schrieb – wenngleich aus einem anderen ideologischen Blickwinkel – dieses mitunter deutlich von den wahren Fakten und Begebenheiten abweichende Bild fort und in die Herzen und Hirne von neuen Generationen, und so tut man Brühl – wissentlich oder aus Unkenntnis – weiterhin unrecht.
Erst Ende des 20./Anfang des 21. Jahrhunderts waren Schriftsteller, Biografen, Historiker und Wissenschaftler verstärkt um eine objektive Darstellung bemüht. „Heinrich Graf von Brühl von Walter Fellmann und „Heinrich Graf von Brühl. Eine Biografie
von Dagmar Vogel sind zwei Belege dafür.
Kommen wir nun zu Punkt vier:
Nach dem verlorenen Siebenjährigen Krieg und dem Staatsbankrott wurde 1765 in Sachsen ein Prozess gegen Brühl angestrengt. Hofjuristen, vergleichbar heutigen Staatsanwälten, befassten sich mit Brühl in der erklärten Absicht, ihm Verfehlungen nachzuweisen. Eine Unschuldsvermutung gab es nicht. Brühl musste schuldig sein, und er sollte Rede und Antwort stehen. Doch das konnte er gar nicht mehr, denn er war 1763 verstorben. Man führte also einen Prozess gegen eine Leiche.
Denkmal für Minister von Brühl im Seifersdorfer Tal, konzipiert von Schwiegertochter
Christina von Brühl, in Form eines fiktiven Grabes
Und es kam, wie es kommen musste: Dichtung und Wahrheit verschmolzen, und Vermutungen wie Spekulationen waren Tür und Tor geöffnet. Unter der Feder von Literaten und Historikern wurde sein Vermögen immer größer.
„Sein Vermögen schätzte man auf 100 Millionen" Taler, so Lauterbach („Deutschen Geschichte", Bd. 1, S. 99), doch ist nur wenig davon vorhanden, „weil seine sprichwörtliche Leichtlebigkeit und die riesigen Ausgaben seiner Familie alles verschlangen".
Doch greifen wir dem Ganzen nicht vor. Recherchieren wir lieber gründlich und objektiv, um aus rechtsgeschichtlicher Sicht das einseitige Bild des Staatsmannes und Menschen Brühl durch neue Facetten zu objektivieren.
Das also war die Ausgangslage, als sich am 27. Oktober anno 1763 ein gewisser Hofrat Ferber auf den Weg zu Brühl machte.
Der Aufstieg zur Macht
Als Heinrich am 13. August 1700 in Gangloffsömmern geboren wird, ahnt wohl niemand, dass er dereinst einer der mächtigsten Männer Sachsens werden sollte. Sein Vater, Hans Moritz von Brühl, ist Hofmarschall des Zwergherzogs von Sachsen-Weißenfels, und seine Lebensphilosophie heißt: Arbeit schändet. Dementsprechend ist in seinem Geldbeutel mehr Luft als Taler. Seine Gläubiger gehen bei ihm ein und aus, haben auch eine Menge Geduld. Irgendwann aber ist’s genug damit, und das in Nordthüringen gelegene Familiengut Gangloffsömmern kommt unter den Hammer. Die Söhne des Hofmarschalls müssen nun in die Welt hinaus, um dort ihr Glück zu machen. Für die drei ältesten bieten das Militär und die Verwaltung ein Sprungbrett für die Karriere.
Der jüngste Sohn, Heinrich, steht mehr auf eine Höflingslaufbahn – wenn es denn seine eigene Entscheidung ist. Er tritt jedenfalls 1713 als Leibpage in die Dienste der Herzogin-Mutter von Sachsen-Weißenfels. Die Witwe zahlt ihrem Pagen zwar wenig, hat ihn aber ins Herz geschlossen. Ihr gefällt der schöne Knabe, und sie sorgt für eine standesgemäße Ausbildung. Vor allem soll er mit dem Hofleben vertraut gemacht werden. Der Knabe Heinrich lernt schnell und passt sich in kürzester Zeit den Umständen an, sodass die Herzogin-Witwe ihn schon 1719 zur Leipziger Messe August dem Starken empfiehlt. Doch am Dresdner Hof erweist sich der mittlerweile Neunzehnjährige als einer unter vielen. Die Leiter des Erfolgs ist lang, der Sprung von Sprosse zu Sprosse hoch und gewagt. Außerdem steht Brühl fast mittellos da, während seine Konkurrenten von Haus aus bessere finanzielle Voraussetzungen mitbringen.
Brühl zeigte „ein so geregeltes Benehmen und soviel Eifer, daß ihn der König bald von der Menge unterschied und in seine Nähe zog. Er erkannte sein gesundes und gründliches Urteil, seine leichte Auffassungsgabe, seine, für sein Alter rasche Erfassung aller Angelegenheiten, seine Verschwiegenheit und vollkommene Verläßlichkeit, verbunden mit edler Offenheit und einer Art und Weise, die schwierigsten Dinge leicht und angenehm mitzuteilen. Er beschloß, daß ein solcher Untertan zu den großen Staatsgeschäften emporgehoben zu werden verdient […].
(Pöllnitz 1734, S. 60 f., zit. nach Vogel 2003, S. 91) Brühl begann also seine Laufbahn als Silberpage; doch erst 1727, am 19. Mai, kam die nächste Stufe an die Reihe. Heinrich wurde Kammerjunker.
Er tat sich weiter durch viel Fleiß, Ausdauer und überdurchschnittliche Intelligenz hervor. Begünstigt durch das Ableben des Kriegsrates Pauli wurde er 1729 schließlich Vortragender Kammerjunker Augusts des Starken, verantwortlich für die Korrespondenz des Königs.
Erstes Projekt: das Lustlager von Zeithain
Ein Jahr später bereits schien sein Aufstieg unaufhaltsam. August der Starke plante eine Präsentation seiner Macht, die in ganz Europa widerhallen sollte. Da aber seine Minister und Geheimräte mit der Aufgabe offenbar überfordert waren, stellte sich der bis dato im Projektmanagament noch bedeutungslose Kammerjunker Brühl an die Spitze und organisierte die Schau. Nun war die Zeit von Brühl gekommen, denn er machte sich binnen weniger Monate für August den Starken und den Thronfolger unentbehrlich. Aus dieser Zeit datiert auch der Beginn einer besonderen Freundschaft mit dem Staatsminister und Generalfeldmarschall August Christoph Graf von Wackerbarth (geboren am 22. März 1662 in Kogel bei Ratzeburg; gestorben am 14. August 1734 in Dresden), der zu den Förderern der Brühl‘schen Karriere gehörte und maßgeblichen Anteil am Aufstieg des jungen Pagen hatte.
Dieses Lager war eine organisatorische Meisterleistung Brühls, die europaweit für Aufsehen sorgte. Das Lustlager von Zeithain wurde eine grandiose Truppenschau Augusts des Starken, verbunden mit der Darstellung königlicher Pracht, die vom 28. Mai bis zum 28. Juni 1730 unweit der Städte Riesa und Großenhain zwischen den Gemeinden Zeithain, Glaubitz und Streumen in der Nähe der sächsisch-brandenburgischen Landesgrenze zelebriert wurde.
August Christoph von Wackerbarth (1662–1734); Gravur von Johann Christoph Sysang
Dieses Lager war eine organisatorische Meisterleistung Brühls, die europaweit für Aufsehen sorgte – nicht nur als größte Truppenschau Europas, sondern vor allem als das gigantischste Barockfest seiner Zeit, das „Spektakel des Jahrhunderts" schlechthin, welches wegen seiner Pracht und Üppigkeit bis heute Inbegriff barocker Lebensart ist. Vor 47 geladenen europäischen Fürsten und deren Militärs präsentierte August seine 30.000 Mann umfassende sächsische Armee im Manöver, geführt von Generalfeldmarschall Graf von Wackerbarth, und stellte gekonnt auch den hohen Stand der sächsischen Kunst und Kultur zur Schau.
Lager bei Zeithain, Gemälde von Johann Alexander Thiele 1730
Zum Gefolge des preußischen Königs gehörte neben 150 Offizieren auch der Kronprinz. Hier begegneten sich also der spätere Premierminister Brühl und der spätere preußische König Friedrich, der einmal der Große genannt werden sollte. Doch noch waren beide quasi ohne Amt und verstanden sich zunächst prächtig. Vier Wochen Party ohne Ende – da taute selbst Friedrich auf, zur Freude seines Vaters und zum großen Ärger von August. Denn das Ziel seiner Wünsche, die offensichtlich auch erfüllt wurden, war die Gräfin Orcselska, die Lieblingstochter Augusts des Starken. Das war zu viel, August schäumte und raste. Aber Brühl konnte die Staatsaffäre abwenden; er führte dem Kronprinzen eine Gräfin Formera zu. Preußens König dankte ihm mit der höchsten Auszeichnung, dem Schwarzen Adlerorden, in seinem Sohn aber wuchs abgrundtiefer Hass. Nie zuvor und nie wieder hatte Friedrich sich in derartiger Weise einer Frau geöffnet, und Brühl war der Organisator des Desasters. Nach dem Zeithainer Lager begann der unaufhaltsame Aufstieg des Heinrich von Brühl, er wurde zum uneingeschränkt herrschenden Minister. Da konnte der König in Potsdam nur spotten: „Friedrich II. ist sein eigener Minister, Minister Brühl sein eigener König." Doch der Spott vermochte den Hass nur mühsam zu verdecken; im Siebenjährigen Krieg dann lebte er ihn zügellos aus. Brühl selbst würde unerreichbar sein, denn er war nach Warschau geflohen. Aber alles, was in Sachsen an Brühl erinnerte, wurde von Friedrich in manischer Wut zerstört, zumeist war er selbst zugegen: die Schlösser Groschwitz, Oberlichtenau und Nischwitz, die Dresdener Palais und eben auch die Brühl’sche Standesherrschaft Schloss Pförten.
„Ich habe Vergeltung üben müssen", schrieb Friedrich der Gräfin Brühl kühl. Am 1. September 1758 befahl