Es geschah in jener Nacht: Der Mordfall Christin Rexin
Von Walter Brendel
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Buchvorschau
Es geschah in jener Nacht - Walter Brendel
Warum?
Berlin-Lübars gilt als letztes Dorf der bundesdeutschen Hauptstadt. Eine grüne Idylle abseits des Großstadttrubels. Lübars kommt aus dem Slawischen und bedeutet „Liebe".
Und eine Liebe endet hier tödlich. Das Dorf ist ein Ortsteil des Berliner Bezirks Reinickendorf. In ihm fin-det man neben viel Natur noch eine klassische Dorfstruktur, im Mittelpunkt eine barocke Dorfkirche vom Ende des 18. Jahrhunderts. Auf fünf von sechs Bauernhöfen des Ortes stehen Pferde auf der Koppel.
„Weite Felder, üppige Wiesen und Koppeln, auf de-nen die Mähnen der Pferde unbändig im Winde wehen. Willkommen in Lübars. So wirbt der Bezirk Reinickendorf für „das letzte weitgehend erhaltene Dorf Berlins
. Natur pur stecke in jedem Atemzug.
Lübars liegt am Tegeler Fließ, das eine eiszeitliche Abflussrinne darstellt und in den Tegeler See mündet. Bekannt geworden ist Lübars durch den am Dorfrand liegenden Freizeitpark, der auf einer alten Müllhalde, die es hier bis 1975 gab, im Verlauf mehrerer Jahre angelegt wurde. Eine Jugendfarm lädt vor allem die Stadtkinder zum Kennenlernen der Großtierhaltung ein. Es leben hier ungefähr 5000 Menschen. Jeder kennt jeden in dieser friedlichen Dorffamilie.
Doch im Juni 2012 wird diese Harmonie jäh gestört, denn eine junge Pferdewirtin wird ermordet, was für ungläubiges Entsetzen sorgt.
In Lübars geht es normalerweise recht beschaulich zu
Was ist geschehen? Weshalb muss die junge Pferdewirtin Christin Rexin im blühenden Alter von einundzwanzig Jahren sterben? Ist dieser Mord schon grausam genug, so sind die Motive und Hintergründe noch perfider.
Der Mord ist in Lübars noch immer Gesprächsthema. Die meisten der 5000 Seelen kennen Christin. Sie wurde in der Kirche des Dorfes getauft und konfirmiert. Sie ist hier zur Grundschule gegangen.
„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst", so lautete der Taufspruch, den der Pfarrer der kleinen Christin einst mit ins Leben gab. Beschützen konnte er sie nicht.
Nun steht auf ihrem Grabstein: „Du bist unser Stern, der ewig leuchtet."
Die Dorfkirche
Sechs Gehöfte gibt es im Dorf, fünf davon sind Pfer-depensionen. Ein Pferde-Idyll. Kein Wunder, dass das blonde Mädchen in die Tiere vernarrt ist. Für Christin ist das keine Schwärmerei, sondern harte Arbeit. Der Beruf der Pferdewirtin ist ein Knochenjob. Ihre Liebe zu Pferden bringt Christin den Tod.
Der Mord an dem blonden Pferdemädchen lässt das Dorf seither nicht los, Lübars wird nie mehr sein, wie es war. Und längst ist klar: Im vermeintlich gut-bürgerlichen Milieu der Pferdeliebhaber geht es auch nur um eines – Habgier.
Pferde – dafür interessierte sich Christin schon als Mädchen, erzählen die Leute in Lübars. Reiten hat sie früh gelernt. Das liegt nahe in diesem Dorf am Rand Berlins. Im alten Dorfkern mit Kirche und Feuerwache sind Pferdehöfe und Reitställe reihenweise nebeneinander an der Kopfsteinpflasterstraße zu finden. Die Reithose ist hier so verbreitet wie die Jeans.
Christin
In der Mitte von Lübars, gleich neben der Kirche, liegt einer der vielen Pferdehöfe des Ortes. Freie Pferdeboxen werden angeboten. Pferde stecken ihre Köpfe aus den Boxen. Dahinter liegen die Koppel und endlos wirkende Wiesen. Eine Pferdewirtin berichtet über Christin: „Christin saß hier oft mit Miss Ellie, ihrem Jack-Russel-Terrier, den sie einst zum Geburtstag bekommen hatte, auf der Bank. Bis zu ihrem sechzehnten Lebensjahr war sie auf dem Hof. Jeder hier kannte Christin. Ein freundliches Mädchen, immer hilfsbereit, sagt die Frau und: „Was geschehen ist, ist unfassbar.
Für sie, für ihre Tochter, für die Menschen in Lübars. Und vor allem für Christins Familie.
Doch der Reihe nach.
Christin wird am 30. August 1990 geboren. Sich als Mädchen gegen zwei ältere Brüder zu behaupten, ist manchmal nicht einfach. Doch das ist kein Thema für Christin. Schon frühzeitig hat sie die Männer der Familie im Griff. Das betrifft nicht nur die Brüder Denis, der 1984 geboren wird, und Patrick, geboren 1986, sondern auch den Papa beziehungsweise „Daddy Jankie", wie Christin ihren Vater liebevoll nennt. Da muss Mutter Anke sich schon manchmal mit einem Machtwort durchsetzen.
Christin wächst in einer wohlbehüteten Umgebung im Haus der Familie auf. Die Eltern ermöglichen den Kindern alles, was in ihrer Macht steht, und dass das Nesthäkchen dabei besonders profitiert, muss nicht extra erwähnt werden.
Ordnung halten ist allerdings nicht ihre besondere Stärke, doch wozu hat man schließlich große Brüder.
Gemeinsames Essen 1994
Natürlich ist Christin nicht anders als andere Mädchen in ihrem Alter auch. Sie kann schon mal trotzig werden, wenn nicht alles nach ihren Wünschen abläuft. Doch das Bocken hält nie lange an, und sie sucht rasch wieder die Nähe der Familie und der Freunde. Obwohl sie stets ihre eigene Meinung vertritt, ist sie gegenüber jedermann offen.
Tiere sind für Christin wichtige Bezugspersonen
Vor allem ist sie nie nachtragend und glaubt, wie von der häuslichen Umgebung her gewöhnt, dass jeder Mensch Vertrauen verdient. Diesen Glauben muss sie aber letztlich mit ihren Leben bezahlen.
Frühzeitig entwickelt sich bei Christin die Liebe zu Tieren und bereits mit sieben Jahren steht ihr Berufs-wunsch fest: Etwas mit Tieren machen.
Das ist auch die Zeit, wo Christin sich den Pferdehof als zweite Heimat aussucht.
Erst auf Papas Rücken ...
... und 1994 hoch zu Ross
Die Brüder verwöhnen die kleine Christin bei jeder Gelegenheit genauso hemmungslos wie ihr Vater es tut.
Sie wächst heran, und aufgrund der liebevollen At-mosphäre ihrer Kindheit steht sie mit beiden Beinen fest im Leben, ist freundlich und hilfsbereit und wird von allen, die ihr begegnen, geliebt.
Anke Rexin betrachtet immer amüsiert, wie der grimmige Ausdruck auf dem Gesicht des Familienoberhaupts unverzüglich verschwindet und einem wohlwollenden, zärtlichen Lächeln Platz macht, wenn er seine kleine Tochter ansieht.
Christin hat es bereits als Baby verstanden, ihn um den Finger zu wickeln, und er ist nicht fähig, ihrem Charme zu widerstehen.
So hart und unerbittlich er sein kann, so sanft und nachgiebig ist er gegenüber seiner Tochter. Christin sieht ihren Vater reumütig an, wenn sie was ausgefressen hat, und schon verzeiht er ihr.
Papa ist der Beste
Sie vergöttert ihn und der Gedanke, ihn zu erzürnen oder zu enttäuschen, ist ihr unerträglich. Obwohl sie gelegentlich ein ziemlicher Dickkopf ist, strebt sie immer danach, ihm zu gefallen und seine Erwartungen zu erfüllen.
Christin liebt diese Welt in Lübars, liebt die Pferde. Als Schülerin verbringt sie viele freie Stunden auf einem der Gehöfte, um die Tiere zu pflegen, mit ihnen auszureiten, den Stall auszumisten. Die anstrengende Arbeit, die damit verbunden ist, scheut sie nicht. Im Gegenteil, denn nach dem Realschulabschluss hat sie ihre Liebe zu den Pferden zum Beruf gemacht, lernt Traktor fahren und interessiert sich zunehmend auch für den Reitsport.
Christin und ihre Freundinnen zur Konfirmation
Konfirmation 2005
Beim Abschlussball der 10. Klasse
Doch nur das Pferd als Fortbewegungsmittel ist auch nicht im Sinne Christins und schon bald gibt es den eigenen fahrbaren Untersatz.
Ob dann später Papas Auto oder die der Brüder – mit „bitte, bitte" leiht sie sich gern die Fahrzeuge der anderen, vor allem, wenn in ihrem Auto die Tankfüllung mal wieder gegen Null tendiert.
Mit viel Humor und Überzeugung beichtet sie danach alles, sodass die Sache dann schnell wieder in Ordnung ist.
Ihre zuweilen chaotische und spontane Art ist aber so sonnig angelegt, dass ihr niemand lange böse sein kann. Und es gibt ja auch immer noch den Papa für den Fall der Fälle.
Das erste Auto, ein aufgemotzter Fiat Panda. April 2009
Auch andere Fahrzeuge sind Christin nicht fremd
Christin und Ralf Rexin
Christin und ihre Oma im Oktober 2011
Die beiden Rexin-Frauen 2010
Christin in ihrem Element
„Sie war ein ausgesprochen zartes Wesen", sagt Pferdewirtin Marion Köhler. Sie habe das Mädchen, als es noch im Dorf wohnte, öfter nach dem Reiten mit dem Auto nach Hause gefahren. Es sei unfassbar, dass ein solches Mädchen so schrecklichen Menschen einfach ausgeliefert war.
Am besten lässt sich Christin durch einen Nachruf ihrer Freundin beschreiben:
„Sie war ein Familienmensch durch und durch, die Familie ging ihr über alles. Sie wollte immer, dass ihre Familie stolz auf sie sein kann.
Christin war die beste Freundin, die man sich wünschen konnte. Sie war immer da, wenn ich sie gebraucht habe, egal, wie spät es war, ein Anruf und sie war da. Sie hatte die einzigartige Gabe, mich immer wieder aufzuheitern, egal, wie schlimm mein Problem war. Sie gab mir immer das Gefühl, dass alles gut werden würde, und sie sagte stets, wir schaffen das zusammen. Sie war fröhlich, hilfsbereit und lebenslustig.
Ich habe sie selten traurig erlebt, denn sie sah in jedem Rückschlag nur das Positive und ging jedes noch so große Problem an, weil sie sich sicher war, dass auf Regen immer Sonnenschein folgen würde. Christin war eine Freundin, mit der man Pferde stehlen konnte, und die für jeden Spaß zu haben war. Sie war vielmehr wie eine Schwester als eine Freundin für mich, sie war meine Familie. Ich habe selten jemanden kennengelernt, der etwas Schlechtes über sie sagte, und Leute, die es doch taten, nahmen sich meiner Meinung nach einfach nicht die Zeit, sie richtig kennenzulernen.
Sie gab nicht viel auf das, was andere von ihr dachten oder über sie sagten. Sie sagte immer, ich weiß, wer ich bin, dafür brauche ich keine anderen. Sie sah in jedem Menschen stets nur das Positive und war sich sicher, dass jeder Mensch eine Chance verdiente. Sie machte sich immer ein eigenes Bild von jedem Menschen und gab nichts darauf, was andere von ihm hielten. Wenn sie einen Raum betrat, dann füllte sie ihn mit Leben und mit Freude. Wenn ich an Christin denke, dann denke ich an einen Menschen, der es nicht verdient hat, so früh aus dem Leben gerissen zu werden, sie hatte doch noch so viele Dinge vor und wollte noch so viel erreichen.
Den Platz in meinem Herzen wird ihr niemand mehr nehmen und die Leere, die sie in meinem Leben hinterlassen hat, wird auch niemand mehr füllen können.
So einen Menschen wie sie gibt es nur einmal im Leben, und ich bin froh, dass ich zehn wundervolle und lustige Jahre mit ihr verbringen durfte, auch wenn es viel zu kurz war. Die Erinnerung an sie wird ewig weiterleben, dafür werde ich sorgen. Gott hat nun einen der besten Engel, den er haben kann, ihre Familie und ihre Freunde haben einen Schutzengel mehr,