Mord im Weinberg: Charlotte Bienert ermittelt wieder
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Christine Zilinski
Christine Zilinski ist Verlagsredakteurin und Stuttgarterin aus Überzeugung. In ihrer Cosy-Mystery-Reihe kann ihre fiktive Kollegin Charlotte Bienert ihr kriminalistisches Gespür zeigen: Zilinski lässt die junge Redakteurin ermitteln - und das mitten in Stuttgart. Ihre Krimis sind Streifzüge durch die schwäbische Metropole, die sich an Ortsansässige und "Neigschmeckte" gleichermaßen wenden.
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Buchvorschau
Mord im Weinberg - Christine Zilinski
Kapitel 1
„Wo soll’s hin?, fragte Max, der einen Kasten Sprite in Charlottes Dachwohnung hochgeschleppt hatte. Schwitzend hob Charlotte den Kopf. Sie war gerade dabei, mit dem Staubsauger ihren kleinen weißen Teppich vor dem Sofa abzusaugen. „Küche
, rief sie über das Brummen hinweg. Max trat auf den Teppich, und rief dabei zu ihr hinunter: „Lohnt sich nicht, Schätzchen, es macht mehr Sinn, NACH der Party sauberzumachen. Charlotte trat nach ihrem besten Freund, während sie mit dem Kopf bereits wieder unter dem Sofa hing. Max wich ihr mit einem galanten Hüftschwung aus. Und das, obwohl er immer noch die Getränkekiste hielt. Grinsend lief er weiter zur Küchentür, wo ihm Sanne den Weg versperrte. Sanne, Charlottes Schwester, entfuhr ein leiser Protestschrei, als Max ihr die Kiste an die nackte Haut ihres Rückenausschnitts drückte. „Mach ma Platz, junge Frau.
„Pff", entfuhr es Sanne, doch sie grinste und machte einen Schritt aus der Küchentür heraus. Max stellte demonstrativ stöhnend die Kiste auf eine der anderen Sprudel- und Saftkisten, die sich in der kleinen Küche stapelten. Weil Christoph, Sannes Verlobter, sich ebenfalls in der Küche befand, war es in dem Räumchen mehr als eng.
Er hatte sich am Kühlschrank postiert und schob Bier- und Weißweinflaschen in die Lücken der bereits vollen Fächer. Max sah ihm dabei zu, während er sich mit dem Handrücken über die feuchte Stirn fuhr. „Bist du sicher, dass wir das alles brauchen? So viele kommen jetzt auch wieder nicht. Christoph schlug die Kühlschranktür zu, lehnte sich dagegen und verschränkte gespielt überheblich die Arme vor der Brust. „Das Bier ist eh für mich allein. Keine Sorge, da bleibt nichts über.
„Pah, von wegen, sonst wirst du noch zum Alki, bevor wir überhaupt verheiratet sind, kam es von Sanne. Sie schob ihren wilden, blonden Lockenkopf wieder durch die Küchentür. Christoph lenkte ab: „Wann kommen denn endlich die Häppchen? So lange dauert’s ja nicht mehr bis die Gäste hier eintrudeln. Und ich krieg langsam Hunger.
Sanne sah auf die Uhr an der Küchenwand. „Naja, es ist erst kurz nach 5. Bis die Party um 7 losgeht, dauert’s schon noch ein bisschen." Es klingelte und Charlotte eilte zur Türe, um den Knopf der Gegensprechanlage zu drücken. Sie betätigte den Türöffner und konnte hören, wie die Haustür unten im Erdgeschoss surrte, und sich anschließend Schritte auf der Treppe zu ihrer Wohnung näherten. Hektisch ergriff sie den Kragen ihres T-Shirts und fächerte ihn ein paar Mal hin und her, um sich Kühlung zu verschaffen. Dann öffnete sie ihre Wohnungstür und strahlte dem Neuankömmling entgegen. Es war ihr Freund Johannes. Er hielt zwei randvoll bepackte Servierplatten voller Häppchen in Händen.
„Oh wow, das sieht ja lecker aus, sagte Charlotte lächelnd, als sie einen Schritt beiseitetrat, um ihn hereinzulassen. „Ja, nicht nur das
, grinste Johannes, während sein Blick sie kurz anzüglich streifte und er dann an ihr vorbei lief. Charlottes Lächeln fror ein. Sie atmete einmal durch und lief Johannes hinterher, nachdem sie die Tür geschlossen hatte. Er steuerte mit seinen Platten auf die Küche zu. Max, Sanne und Christoph ergriffen kurzerhand die Flucht aus dem kleinen Räumchen, damit Johannes sich mit seiner Ladung breitmachen konnte. Max betrat jedoch sofort wieder die Küche und warf einen Blick auf die Köstlichkeiten, die sich unter der Klarsichtfolie stapelten. „Boah lecker, Melonen-Parmaschinken-Schiffchen, Tomate-Mozzarella, Käse-Trauben, Brotsticks… uuuuh, ist das Datteldip? Max wollte an der Ecke eines Tabletts die Folie abknibbeln, aber Johannes schlug nach seiner Hand. „Untersteh dich. Die rühren wir nicht an, bevor die Gäste da sind.
Max funkelte ihn an. „Hallo? Wenn wir schon beim Aufbau helfen, dann haben wir uns ja wenigstens eine kleine Belohnung verdient! Johannes erwiderte den Blick ungerührt und sah über Max‘ Kopf hinweg zu Charlotte. „Was meinst du, Schatz?
Charlotte verspürte unwillkürlich ein Ziehen im Bauch, wie jedes Mal, wenn er sie so nannte. Es fühlte sich auch nach einigen Wochen Beziehung immer noch ungewohnt an. Dennoch beschwor sie ein Lächeln herauf und sagte in beschwingtem Tonfall: „Ach, ein paar Häppchen könnt ihr euch ruhig gönnen, ist ja genug da." Charlotte bemerkte Johannes‘ beleidigten Gesichtsausdruck und hörte, wie Max leise triumphierend die Folie von einem der Tabletts löste.
Seit ein paar Monaten war die Dachgeschosswohnung Charlottes neues Zuhause und lag direkt über der Wohnung ihres Chefs. Richling, ihr Vorgesetzter, hatte ihr die Bleibe angeboten, als Charlotte unvorhergesehen in Wohnungsnot geraten war. Sie musste damals aus der 2er-WG ausziehen, in der sie bislang mit ihrer Schwester gelebt hatte. Grund dafür war die Verlobung von Sanne und Christoph, die sich unversehens auf Wohnungssuche begeben hatten. Kurz darauf hatte das Paar auch schon eine neue Bleibe gefunden – und die Schwestern-WG musste sich zwangsläufig auflösen. Da kam das Wohnungsangebot von Richling zum richtigen Zeitpunkt. Allerdings war Charlottes Chef nicht der Altruist vor dem Herrn. Vielmehr hatte er Charlotte zu einem Deal genötigt, wenn sie die Wohnung haben wollte. Einerseits sollte sie an den Wochenenden morgens mit Richlings Hund Dostojewski Gassi gehen. So konnte er – im Gegensatz zu ihr – getrost ausschlafen. Andererseits – und das war die liebste Disziplin des ehemaligen Boulevardjournalisten – sollte Charlotte Schlagzeilen machen. Konkret hieß das, sie sollte weiter in einem Fall ermitteln, in den sie vergangenen Sommer verwickelt worden war. Damals war vor ihren Augen auf dem Stuttgarter Kongress der Hauptredner tot zusammengebrochen – und Charlotte war mit einem Mal ins Visier des Mörders geraten. Der Redner war nämlich vergiftet worden. Als Charlotte Drohnachrichten erhielt, die Finger vom Fall zu lassen, wollte sie genau das tun – doch hier kam Richling ins Spiel: Als er von Charlottes prekärer Wohnsituation erfuhr, bot er ihr seine leerstehende Dachwohnung an. Aber nur, wenn sie trotz der Drohnachrichten eine Geschichte über den Mord schrieb. Richling war Chefredakteur der lokalen Zeitung Weinstadt Woche, und Charlotte war als Redakteurin bei ihm angestellt. Aus Angst, bald obdachlos zu sein, hatte sie daher zähneknirschend eingewilligt.
Jetzt wollte Charlotte ihr eigenes kleines Reich endlich gebührend einweihen. ‚Naja, genaugenommen war das ja Johannes‘ Idee mit der Feier‘, dachte sie. ‚So kurz vor meinem Geburtstag hätte es meinetwegen nicht sein müssen.‘ Bei dem Gedanken schlich sich ein nagender Zweifel in ihr Bewusstsein. Ein Gefühl, das sie in letzter Zeit häufiger hatte. Schnell versuchte sie, den inneren Zwiespalt zu schlichten. ‚Gut, er hat ja vorgeschlagen, Geburtstag und Einweihungsparty zusammenzulegen.‘ Doch das hatte Charlotte nicht gewollt. Schließlich sollte ihr dreißigster Geburtstag für sich alleine stehen. Max kam zu ihr herüberspaziert, in einer Hand ein Melonen-Schiffchen, in der anderen einen Tomaten-Mozzarella-Spieß. Kauend hielt er ihr beide Häppchen hin. Sie entschied sich für die Melone. Kaum schob sie sich den saftig-süßen Snack in den Mund, ging es ihr besser, und Max legte einen Arm um seine beste Freundin, während er sich den anderen Spieß einverleibte. Kauend sagte er: „Das ist aber sehr generös von dir… wenn schon dein Süßer uns die Freuden des Essens missgönnt. Giftig kam es von der anderen Raumseite von Johannes: „Ach, halt die Klappe.
Charlotte zog die Augenbrauen hoch. Es passte ihr gar nicht, wie Johannes sich aufführte. Max schien ihre Anspannung zu spüren und rüttelte sie sanft an ihrer Schulter. „Hey, mach dich mal locker, du solltest den Tag heute genießen", raunte er ihr zu. Daraufhin atmete Charlotte einmal tief durch. ‚Ach, wahrscheinlich ist Johannes nur gestresst, weil er will, dass es eine tolle Einweihungsparty wird‘, sagte sie sich schließlich.
Kapitel 2
Bis zum Eintreffen der Gäste verteilten Sanne und Christoph bunte Lichtgirlanden an den Deckenbalken, während Max und Johannes überraschend friedlich eine Cocktailbar errichteten. So verging die Zeit wie im Flug, und um kurz nach 19 Uhr klingelte es an der Gegensprechanlage. Charlottes Herzschlag beschleunigte sofort. Schließlich kannte sie nur einen Teil der eingeladenen Personen und wusste nicht, wer als erstes vor der Tür stehen würde. Sie blies Luft durch ihre Backen und setzte ein Lächeln auf, als sie den Hörer der Gegensprechanlage abnahm: „Ja, hallo? Blechern schepperte es ihr entgegen: „Sebastian und Cleo. Jetzt lass uns schon rein, wir stehen uns hier die Beine in den Bauch
, polterte er, obwohl sie erst wenige Sekunden warteten. Charlotte schnalzte mit der Zunge und drückte auf den Summer, während sie zeitgleich die Wohnungstüre öffnete. Ihr sportlicher Kollege aus der Redaktion spurtete bereits die Stufen zu ihrer Türe hoch. Hinter ihm kam jemand auf hohen Absätzen die Treppen hoch. Sebastian grinste und hielt Charlotte eine Rotweinflasche entgegen, die eine rote Schleife um den Hals trug. „Da, zum Einzug", erklärte Sebastian überflüssigerweise und trat einen Schritt beiseite, damit seine Freundin ebenfalls eintreten konnte.
Charlotte kannte die Frau, die nun im Türrahmen erschien, bislang nur aus Sebastians Erzählungen. Sie musste zugeben, dass sie schon gespannt auf Cleo war. Wie mochte eine Frau wohl sein, die es schon seit einem halben Jahr mit einem sexistischen Macho aushielt? Charlotte wusste nicht genau, was sie erwartet hatte. ‚Wahrscheinlich ein schlecht blondiertes Etwas mit künstlicher Bräune und Gel-Nägeln, der das Aussehen ihres Freundes wichtiger ist als sein Charakter.‘ Doch Charlotte hatte sich getäuscht. Die Frau, die vor ihr stand, sah überhaupt nicht künstlich aus. Vielmehr sah Cleo aus wie ein Engel. Sie hatte natürlich weißblonde Haare, eine porentiefreine Gesichtshaut mit ebenmäßigem Teint, eine zartgliedrige Gestalt und ein bezauberndes Lächeln. Schüchtern hielt sie Charlotte ihre Hand zur Begrüßung hin. „Hi, ich bin die Cleo. Ich hab schon viel von dir gehört. Charlotte ergriff die Elfen-Hand und schüttelte sie leicht. Dabei schoss ihr nur ein Gedanke durch den Kopf: ‚Oh Gott, gegen die sehe ich ja aus wie ein Sack Kartoffeln.‘ Laut erwiderte sie: „Ich hoffe nur Gutes. Sebastian und ich haben ja so unsere Kollegendispute, gell?
, fragte sie, und warf Sebastian ein schiefes Grinsen zu.
Das war leicht untertrieben. Immerhin hatten beide einen handfesten Zwischenfall miteinander: Sebastian war zu einer Zeit, in der er auf mehr als Kollegialität gehofft hatte, Charlotte gegenüber handgreiflich geworden. Richling hatte davon Wind bekommen und Sebastian zur Strafe versetzt – aus der Aktuelles-Rubrik in die Sport-Rubrik. Richling hatte gewusst, dass er Sebastian damit etwas wegnahm, was ihm viel bedeutete. Und Sebastian hatte Charlotte diese Strafversetzung übelgenommen. So herrschte eine Zeitlang Eiseskälte zwischen den beiden. Doch mit der Zeit hatte sich das angespannte Verhältnis wieder entspannt. Und nun, da die Fronten endgültig geklärt waren und Sebastian seine Cleo hatte, pflegten die zwei Kollegen einen fast freundschaftlichen Umgangston miteinander.
Eine halbe Stunde später waren die Gäste vollzählig. Sanne hatte zum Einläuten der Party eine Maibowle aus dem kühlen Keller geholt, dank der die Stimmung auf Hochtouren kam. Obwohl es erst Anfang Mai war, war es tagsüber ungewöhnlich warm gewesen, und erst jetzt kühlte es dank der geöffneten Fenster angenehm ab. Neben Charlottes Arbeitskollegen waren vorwiegend Freunde von Johannes eingeladen. Einen Großteil davon kannte Charlotte nicht, doch Johannes hatte ihr versichert, dass eine Einweihungsparty die beste Möglichkeit sei, sie als seine neue Freundin vorzustellen. ‚Und darum geht’s ja bei meiner Feier, dass ich deine neue Freundin bin‘, hatte Charlotte zynisch überlegt, als sie darüber gesprochen hatten. Und doch hatte sie im nächsten Moment eingewilligt. Schließlich wollte sie die junge Beziehung zu Johannes nicht unnötig belasten. ‚Sei doch nicht so kratzbürstig‘, hatte sie sich selbst gerügt. ‚Eigentlich ist das doch ein schönes Zeichen, dass er dich seinen Freunden vorstellen will. Das zeigt nur, wie viel du ihm bedeutest.‘ Und nachdem sie dank Bowle angeheitert etwas Small-Talk mit seinen Freunden geführt hatte, musste sie zugeben, dass sie recht nett schienen. Trotzdem zog sie sich im Lauf des Abends wieder in gewohntes Terrain zurück und stand nun mit Sebastian und ihrem Chef Richling beisammen. Ihr Vorgesetzter und Vermieter war zwangsläufig eingeladen, da er natürlich sämtliche Vorbereitungen zur Party mitbekommen hatte und spätestens beim Feiern alles über seinem Kopf miterlebt hätte.
Max schnappte sich das Tablett mit den Häppchen und steuerte auf die Dreiergruppe zu, die etwas gezwungen miteinander scherzte. Als Max in Hörweite kam, sagte Richling gerade: „Na also, hab ich dir doch nicht zu viel versprochen, oder? Ein wahres Juwel, meine kleine Wohnung. Obwohl Charlotte ihm dankbar für die Wohnung war, wollte sie es damit auch nicht übertreiben. „Ja, dafür kriegst du ja auch deine Miete. Und Dostojewski muss sich am Wochenende nicht den ersten Klogang verkneifen. So wie gleich morgen früh zum Beispiel.
Ihr grauste bei dem Gedanken, nach der Party nicht ausschlafen zu können. Auch wenn sie den gemächlichen Bernhardiner schon ins Herz geschlossen hatte. „Wo ist er überhaupt? Richling begutachtete kritisch die Häppchen auf Max‘ Tablett, während er Charlotte antwortete. „Der ist natürlich unten. Das hier ist doch viel zu viel Aufregung für den armen alten Kerl
, sagte er, und entschied sich für einen Brotstick – ohne Dip. „Kein Dip?, fragte Max verwundert. „Der ist aber mega lecker!
„Ne, der ist doch bestimmt mit Sahne, und ich vertrag doch keine Milch, erwiderte Richling. „Tja, ich auch nicht
, ertönte Chloes sanfte Stimme. Sie gesellte sich zu der kleinen Gruppe und hakte sich bei ihrem Sebastian unter. Dann griff sie nach einem Melonenschiffchen und lächelte freundlich in die Runde. Charlotte lächelte zurück, und wieder überkam sie das Gefühl, neben Chloe zu einer Art Dromedar zu mutieren. Sie atmete einmal tief durch, dann lenkte sie das Gespräch aufs Berufliche. Nämlich auf ihre neue Aufgabe, die sie ab Montag für die Weinstadt Woche beginnen sollte: „Sag mal, Chef, wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, eine Reportage über diesen…, sie überlegte kurz, bis ihr der Name wieder einfiel. „... über Paulsen zu machen?
„Nikolas Paulsen, erwiderte Richling mit einem Schnalzen, während er seinen Brotstick herunterschluckte. „Das habe ich dir doch schon erklärt. Paulsen ist einer der größten Weinfachwirte hier im Schwabenland. Du weißt doch, wie unfassbar viele Weinliebhaber wir hier im Süden haben. Die werden die Story lieben! Vor allem, weil es über Paulsen nur extrem seltene Interviews gibt.
Er griff nach dem nächsten Brotstängel. „Jedenfalls, Paulsen besitzt neben diversen Weinbergen hier auch welche in Australien und den USA. Das ist insofern interessant, weil er in allen drei Ländern dieselbe Rebsorte anbaut. Trotzdem schmeckt jeder Wein etwas anders – je nach Ursprungsland. Ich habe mich da mal aus Recherchegründen durchgetestet, fügte er hinzu und Charlotte verkniff sich ein Grinsen. ‚Dass er dabei ernsthaft so tut, als hätte er sich dafür aufgeopfert‘, dachte sie. Richling fuhr fort: „Sein Verkaufsklassiker ist die Dreier-Flaschen-Kombination, so dass man dieselbe Sorte dreifach anders trinken kann. Das ist schon eine clevere Idee…. Und Paulsen war der Erste, der auf sowas gekommen ist. Und wohl auch genug Startkapital hatte, um sich all die Flächen zu kaufen und bewirtschaften zu lassen.
Richling seufzte beinahe verträumt, als wäre es auch seine geheime Leidenschaft, Weine herzustellen. Dann wurde sein Tonfall ernst: „Und da die Auflage unserer Zeitung gerade richtig absackt, brauchen wir dringend ein neues Format, das uns aus dem Sumpf holt. Deswegen eben eine schöne Reportage, wie beim Spiegel. „Klar, wie Relotius¹
, spottete Sebastian. Ungerührt erwiderte Richling: „Ja, genau, wie Relotius. Nur halt wahr und nicht erfunden. Also Charlotte, gib dir Mühe am Montag. Es hat mich einiges an Überzeugung gekostet, dass du Paulsen eine Woche lang begleiten darfst."
Charlotte seufzte. ‚Schön, dass die Hoffnung der Zeitung mal wieder auf mir lastet. Ich hab ja mit meinen Berichten über die letzten Morde nicht schon genug Beiträge geleistet.‘ Frustriert ließ sie den Blick über ihre Gäste schweifen. Dabei bemerkte sie, dass einige der stehenden Partygäste leicht gebückt dastanden. ‚Tja, Nachteil Dachwohnung‘, dachte Charlotte. Unvermittelt blitzte vor ihrem inneren Auge ein Bild auf: Kommissar Jankovich, der in einem alten Flanellhemd bei ihr in der leerstehenden Wohnung stand und sich beim Streichen den Kopf anstieß. Im selben Moment schüttelte sie leicht den Kopf. Sie wunderte sich, dass ihr ausgerechnet jetzt ihr letztes gemeinsames Treffen wieder einfiel.
‚Jankovich‘, dachte Charlotte wehmütig. ‚Ob ich den jemals wiedersehe?‘ „Wo bist du denn gerade, Schatz?, riss Johannes sie aus ihren Gedanken und legte besitzergreifend den Arm um ihre Taille. Er hatte sich ebenfalls zu ihrer Runde dazugesellt. „Ach, nirgends
, sagte Charlotte schnell. Sie würde sich hüten, Johannes in ihre Gedanken einzuweihen. Er war ohnehin nicht gut auf Jankovich zu sprechen. Der Kommissar hatte ihren Freund im letzten Fall wie einen Verdächtigen behandelt. ‚Vielleicht hat ihm aber auch nicht gepasst, dass Johannes Interesse an mir hatte‘, dachte Charlotte und ein warmes Gefühl begleitete den Gedanken. Doch dann rief sie sich gleich wieder zur Vernunft. ‚Ach, vergiss es. Jetzt hör endlich auf, an ihn zu denken‘, schalt sich Charlotte. Es war Monate her, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Und Jankovich war bestimmt nach wie vor mit seiner Ruth zusammen, die er übers Internet kennen gelernt hatte. ‚Und du hast Johannes, schon vergessen?‘, schaltete sich ihr Gewissen ein.
Als sie den Blick über ihre kleine Runde schweifen ließ, hatte sie den Eindruck, dass die Stimmung mit Johannes‘ Dazutreffen auf einmal kippte. Richling ließ desinteressiert den Blick schweifen und schien sich nach neuen Gesprächspartnern umzusehen. Sebastian und Chloe wandten sich einander zu und diskutierten darüber, wer von beiden nach Hause fahren würde, weil er weniger Maibowle intus hatte. Und Max war mit dem Tablett sofort wieder abgezogen. Charlotte spürte die Abneigung gegen ihren Freund. Beschämt musste sie sich eingestehen, dass auch sie am liebsten nur noch wegwollte. Weg von der Lautstärke, den Gesprächen, der Party. Am liebsten wäre sie unten in Richlings Wohnung gegangen und hätte sich neben Dostojewski gelegt, der wahrscheinlich in seinem XXL-Hundekorb komatös vor sich hin schnarchte.
Kapitel 3
Die letzten Gäste gingen erst gegen 2 Uhr morgens. Völlig übermüdet räumten Charlotte und der harte Kern – Sanne, Max, Christoph und Johannes – noch das Notwendigste auf. Als Charlotte eine zerdrückte Erdbeere aus der Bowle auf ihrem weißen Teppich entdeckte, reichte es ihr endgültig. Sauer entfuhr ihr: „So ein Scheiß! Kann man das dann nicht gleich wegmachen? Jetzt krieg ich das doch nie wieder raus! „Hey, ist doch nicht so schlimm. Dann fahren wir einfach nächste Woche zum Ikea und ich kauf dir nen neuen
, versuchte Johannes zu schlichten. Doch Charlotte war frustriert über das versaute Ende der Feier, so dass sie überhaupt nicht darauf einging. Nachdem sich Sanne, Christoph und Max verabschiedet hatten, versuchte Johannes erneut, die Wogen zu glätten. Er zog sie in seine Arme. Widerwillig ließ Charlotte es geschehen. Er strich ihr über den Rücken und sagte: „Hey Schatz, das war doch ein toller Abend, findest du nicht? Meine Freunde fanden dich alle supernett, das hab ich ihnen bei der Verabschiedung noch aus den Nasen gekitzelt. Dabei wiegte er sie leicht hin und her, um sie aufzumuntern. Charlotte brummte, aber die Worte taten ihr gut. Sie spürte, wie Johannes an ihrer Wange ein Lächeln aufsetzte. „Und jetzt gehen wir schön ins Bettchen, was meinst du?
Doch es war weniger als Frage gemeint, da er sich bereits von ihr löste und sie an der Hand ins Schlafzimmer ziehen wollte. Der Blick, mit dem er Charlotte dabei ansah, ließ sie ihre Hand zurückziehen. Etwas unwirsch erwiderte sie: „Ne, sorry, aber ich will heute Nacht wirklich meine Ruhe haben. Das war echt anstrengend heute. ‚Und auf Sex mit dir habe ich jetzt wirklich keine Lust‘, fügte sie in Gedanken hinzu. Ein harter Zug legte sich um Johannes‘ Mund, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Einen Augenblick lang blieb er wie angewurzelt stehen, dann schlug er die andere Richtung zur Türe hin ein und griff mit einer zackigen Bewegung nach seiner Jacke: „Na schön, wenn du meinst. Ich dachte, du wolltest den Abend gerne mit mir gemeinsam abschließen.
Dann schlug er, obwohl es inzwischen 3 Uhr morgens war, die Tür hinter sich zu.
Ring, ring, ring – unerbittlich schrillte der Alarmton am Sonntagmorgen um 8:00 Uhr. Charlotte angelte halbblind nach dem Wecker, stellte ihn aus, und legte sich stöhnend einen Arm über die Augen. „Oh Mann, sagte sie zu sich selbst. „Warum genau habe ich nochmal eingewilligt?
Murrend erhob sie sich aus ihrem Bett und schlurfte barfüßig ins Bad. Als sie in den Spiegel blickte, schauten ihre braunen Augen zwischen verquollenen Lidern zurück. „Willkommen in den Dreißigern", sagte sie lakonisch zu ihrem Spiegelbild. Um sich wach zu kriegen, drehte sie den Wasserhahn auf und wusch sich ihr Gesicht mit eiskaltem Wasser. ‚Am besten gehe ich gleich joggen, wenn ich mit Dostojewski rausgehe, das macht mich wieder fit‘, überlegte sie in einem Anflug von Masochismus. Charlotte