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Domino II: Game over
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eBook247 Seiten3 Stunden

Domino II: Game over

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Über dieses E-Book

Die Jagd nach dem verschwundenen Buch, das den Zugang zu den versteckten Nummernkonten der SS in der Schweiz ermöglichen soll, geht weiter.
Thomas Kiefer, der Enkel und Erbe von Paul Stubbe, gerät ins Visier einer Organisation, die bei ihm das von Stubbe gerettete Buch vermutet und mit dem Geld auf diesen Konten ihre Aktivitäten zur Wiederbelebung von faschistischem Ungeist und Rassismus in der deutschen Bevölkerung finanzieren will. Dabei schrecken die alten und neuen Nazis, die auch Unterstützung aus staatlichen Strukturen und Geheimdiensten bekommen, nicht vor Mord und Terror zurück. Aber auch andere Kräfte bemühen sich um Thomas Kiefer und die Suche nach dem geheimen Kontobuch ...
Wie die Jagd nach dem Kontobuch ausgeht, wird den Leser überraschen. Diese spannende Kriminalgeschichte, die die Handlung des 2012 erschienenen Romans "DOMINO I - Puzzlespiele" fortschreibt und bis in unsere unmittelbare Gegenwart reicht, kann einzeln oder als Fortsetzung gelesen werden. Beide Bücher werden den Leser von der ersten bis zur letzten Seite fesseln und für die Gefahren einer gesellschaftlichen Entwicklung sensibilisieren, die viele nicht wollen, deren Gefahren aber unübersehbar sind.
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SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum25. Juni 2020
ISBN9783752905335
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    Buchvorschau

    Domino II - Mario Worm

    Mario Worm

    Domino II

    Game over

    Ein historischer Kriminalroman

    Dank an alle inoffiziellen sowie offiziellen Informanten, die mich mit Aussagen und Skripten versorgten, deren Namen hier aber nicht erwähnt werden können. Ohne ihre Einblicke und Informationen wäre die Story nicht halb so spannend geworden.

    Ein spezieller Dank ergeht an meinen Geschichtslehrer, Herrn Peter Joswiak, viele Leser des 1. Teils und Freunde, die mich aus »Neugier« dazu trieben, den 2. Teil fertigzustellen.

    Natürlich möchte ich mich auch recht herzlich bei Thuy, Andreas, Heiko und natürlich Peter Kirst bedanken, deren Fotos das Cover dieses Buches zieren, welches wiederum in akribischer Kleinarbeit meine liebe und geschätzte Simone Stolz entworfen hat.

    Ich versichere, dass die genannten Personen weder mit dieser Geschichte noch mit irgendwelchem Gedankengut der Story zu tun haben.

    ISBN 978-3-86557-356-8

    ebook, 1. Auflage (2014)

    © NORA Verlagsgemeinschaft

    Pettenkoferstraße 16 - 18 D-10247 Berlin

    Fon: +49 30 20454990 Fax: +49 30 20454991

    E-mail: kontakt@nora-verlag.de

    Web: www.nora-verlag.de

    Alle Rechte vorbehalten

    Vorbemerkung

    Das vorliegende Buch hat eine eigene, abgeschlossene Handlung. Es ist allerdings empfehlenswert, »Domino« (Teil 1) zu lesen, bevor Sie mit der Lektüre dieses Buches beginnen. Die Vorgeschichte und Zusammenhänge der Handlung sind dann noch besser zu verstehen.

    Erschienen ist »Domino« ebenfalls in der NORA Verlagsgemeinschaft mit der ISBN 978-3-86567-297-4 und kann in jeder guten Buchhandlung, sowie online bestellt werden.

    Für alle, die dennoch sofort weiterlesen möchten, eine kurze Zusammenfassung von »Domino« (Teil 1):

    Der Vollwaise Thomas Kiefer kommt völlig unerwartet in den Genuss einer üppigen Erbschaft, bestehend aus einer Villa am Starnberger See, einem Anwesen auf der spanischen Insel Mallorca sowie einer größeren Summe Bargeld.

    Am Starnberger See entdecken er und sein Freund Nicolas Reimann ein Zimmer mit Relikten aus der Zeit des Nationalsozialismus. Erst ein Brief, der als Tagebuch des Großvaters Paul Stubbe verfasst ist, bringt etwas Klarheit. Die Jungen erfahren von einem geheimen Buch mit Kontonummern in der Schweiz, wo Unsummen von Geld liegen, die ihren Ursprung in den Konzentrationslagern haben und die Stubbe und sein Kompagnon Koch illegal nach Zürich transportiert hatten. Kiefer versucht, mehr über seinen unbekannten Großvater und damit auch über seine eigene Identität zu erfahren.

    Als die beiden Freunde beginnen, nach dem verschwundenen Kontobuch zu suchen, bemerken sie zu spät, dass sie bereits im Fokus rivalisierender Gruppen wie der Organisation ODESSA, dem Simon Wiesenthal Center und anderen stehen. Mit Hilfe der ehemaligen Haushälterin von Stubbe, der jungen Spanierin Miquel, inszenieren die Freunde einen »Showdown« am Grab des Großvaters, »dem letzten Pharisäer«, wie er sich selbst betitelte. Ziel der Aktion ist es, einen Vertreter von ODESSA auf einem Berliner Friedhof mit Hilfe einer Falle dingfest zu machen, so dass er beim Eintreffen der Polizei das vermeintlich in einem Grabstein versteckte Kontobuch in den Händen hält. Im Tumult wird Thomas Kiefer angeschossen, das Buch aber wird nicht gefunden! Als Thomas aus dem Krankenhaus entlassen wird, begreift er, dass er sich selbst der Frage nach Schuld und Verantwortung stellen muss. Er wählt den für ihn augenscheinlich bequemeren Weg, fährt zum Berliner Flughafen Tegel, kauft ein One-Way-Ticket nach Mallorca, um all das Erlebte hinter sich zu lassen.

    Mario Worm

    Mut ist, Verbrechen zu beweisen,

    die angeblich nie passiert sind.

    (Misereor)

    Die in diesem Buch dargestellten Geschehnisse stimmen nicht immer mit dem realen Geschichtsverlauf überein. Ich habe ganz bewusst einige Daten verändert und andere durch meine Fantasie angereichert.

    Namen, Orte und Institutionen sind von mir, soweit nicht belegt, willkürlich gewählt. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Und selbstverständlich hat es die hier im Buch beschriebene »Cyris Bank« sowie das Bankhaus »Luther & Luther« so nie gegeben.

    Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag)

    Eingangsformel

    Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik, entschlossen, die Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit als gleichberechtigtes Glied der Völkergemeinschaft in freier Selbstbestimmung zu vollenden, ausgehend von dem Wunsch der Menschen in beiden Teilen Deutschlands, gemeinsam in Frieden und Freiheit in einem rechtsstaatlich geordneten, demokratischen und sozialen Bundesstaat zu leben, in dankbarem Respekt vor denen, die auf friedliche Weise der Freiheit zum Durchbruch verholfen haben, die an der Aufgabe der Herstellung der Einheit Deutschlands unbeirrt festgehalten haben und sie vollenden, im Bewusstsein der Kontinuität deutscher Geschichte und eingedenk der sich aus unserer Vergangenheit ergebenden besonderen Verantwortung für eine demokratische Entwicklung in Deutschland, die der Achtung der Menschenrechte und dem Frieden verpflichtet bleibt, in dem Bestreben, durch die deutsche Einheit einen Beitrag zur Einigung Europas und zum Aufbau einer europäischen Friedensordnung zu leisten, in der Grenzen nicht mehr trennen und die allen europäischen Völkern ein vertrauensvolles Zusammenleben gewährleistet, in dem Bewusstsein, dass die Unverletzlichkeit der Grenzen und der territorialen Integrität und Souveränität aller Staaten in Europa in ihren Grenzen eine grundlegende Bedingung für den Frieden ist, sind übereingekommen, einen Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands mit den nachfolgenden Bestimmungen zu schließen …

    … Die Deutsche Demokratische Republik tritt dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland bei.

    »Mit diesen Worten ist alles gesagt!«

    1. Kapitel

    Eins hatte er jedenfalls erreicht, er saß nicht mehr in diesem ostdeutschen Bunker fest, sondern war nach Westberlin, in die Justizvollzugsanstalt Moabit überführt worden. Das war ja auch sein gutes Recht als deutscher Staatsbürger! Oder doch Argentinier? Nein, Deutscher! Alles, bloß nicht in den Fängen des kränkelnden Kommunismus gefangen sein! Dabei war es doch schon ein Anflug von Ironie, dass ihn eben jetzt diese rote Bagage verfolgte. Zwei Jahre später würde man den sogenannten Staatsratsvorsitzenden vier Zellen weiter, abgeschirmt von den anderen Insassen, einquartieren. Die breite Masse wird am Bildschirm verfolgen können, wie sich der Volkszorn entlädt, indem man die Straße Alt Moabit säumt und wie wild auf das Dach des Autos klopft, worin der wohl populärste Gefangene sitzt, den dieser Knast jemals gesehen hat. Doch der Unterschied zwischen Erich Honecker und Christian Koch bestand zumindest in der Hoffnung, dass er, Koch, dieses Gemäuer wesentlich früher verlassen würde als der ehemalige Staatschef. Aber die geschichtlichen Abläufe sind an diesem Januartag für Koch noch nicht erahnbar. Er war nur von einem überzeugt, die Organisation würde ihn rausholen, über kurz oder lang. Schließlich wusste er zu viel, hatte aber dichtgehalten, dem Ehrenkodex gehorchend nur preisgegeben, was sie ohnehin schon wussten, geschwiegen, sowohl in den Verhören drüben, wie auch bei denen hier.

    Sacht hatte sich die Sonne aus den Wolken hervorgeschoben und reflektierte mit ihren Strahlen das vergitterte Zellenfenster auf dem Fußboden. Christian resümierte. Was konnte man ihm eigentlich vorwerfen? Störung der Totenruhe. Allenfalls Grabschändung. Für alles was darüber hinausging, dürften die Beweise fehlen. Indizien, nichts weiter! Schon gar nicht, was seine Vergangenheit betraf. Außerdem, über das, was auf dem Friedhof geschehen war, gab es anscheinend nur Vermutungen. Er musste also nur schweigen, dann müsste man ihn gehen lassen. An anderer Stelle würde man seine Loyalität zu schätzen wissen. Christian Koch schaut in den kleinen Spiegel über dem Waschbecken. Alt bist du geworden. Zu alt für diesen Quatsch.

    Plötzlich sieht er es wieder vor sich, das kleine Waldstück bei Strausberg, die Lichtung, die im Dickicht getarnte Höhle, das extrem leicht gebaute Flugzeug, versteckt unter dem Waldboden, die Kisten, Hilde Germ, Stubbe, Alfred, erinnert sich an die Details, die er wohl sein Leben lang nicht vergessen kann. Ende April 45! Alfred hatte sich in Schweigen gehüllt. Erst als sie die beiden anderen in sicherer Entfernung wussten, weihte ihn sein Bruder in den Auftrag ein.

    »Du wolltest doch unbedingt den Führer sehen. Jetzt wirst du die Gelegenheit dazu haben! Wir haben den Befehl, uns zum Führerbunker durchzuschlagen, wichtige Dokumente in Sicherheit zu bringen, bestenfalls sogar den Führer persönlich!« Er hatte tatsächlich erst die Dokumente und als Zweites den Führer erwähnt! Christian konnte es nicht fassen. Was gab es Wichtigeres als den Führer? Zu Fuß machten sich die Brüder auf den Weg. Vierzig Kilometer, den Russen und die näher kommende Front im Rücken, bis sie schließlich den Stadtkern von Berlin erreichten.

    »Los! Wir marschieren durch die S-Bahn!«, kommandierte Alfred. Seit Anfang April waren immer mehr Linien eingestellt worden, so dass eine berechtigte Hoffnung bestand, schnell unterirdisch ins Stadtzentrum zu kommen. Unter Tage bot sich den Brüdern ein erschütterndes Bild. Frauen, Kinder, alte Greise und einfach nur des Kämpfens müde gewordene Soldaten, hatten sich hier unten verschanzt, Schutz vor den immer häufiger werdenden Bomben und Granateinschlägen gesucht. Dazwischen immer wieder SS-Trupps, die nach Drückebergern suchten. Schüsse, Schreie, ein einziges Bild des Grauens. Schließlich erreichten sie den tiefsten Punkt, den Stettiner Bahnhof, und stiegen wieder ans Tageslicht, hörten die Einschüsse. Christian sah sich um. Hier in der Nähe, zwei Straßen weiter, hatten sie mal gewohnt. Damals schien die Welt noch in Ordnung. Still vor sich hin lächelnd, erinnert er sich, wie er mit Paul die große Turmuhr auf dem Dach des Bahnhofs erklommen hatte. Ilse musste Schmiere stehen, während er und Stubbe geschickt die Tür mit einem Schraubendreher öffneten, hineinstiegen und so lange an einem kleinen Hebel hantierten, bis der kleine Zeiger zwei Stunden nach rechts wanderte. Die Zeit verging quasi wie im Fluge. Eines Tages hatte man sie fast erwischt. Christian kam nicht weiter dazu, seinen Erinnerungen zu frönen.

    »Sag mal, pennst du? Mach flinke Füße jetzt!«, riss Alfred ihn aus seinen Gedanken. »Los! Die Invalidenstraße hoch! Aber zackig!«

    Sie rannten, so schnell es ihnen möglich war. Vor einem der wenigen unzerstörten Häuser am Lehrter Bahnhof blieb Alfred plötzlich stehen, murmelte etwas wie »Gott sei Dank« und befahl in barschem Tonfall: »Du bleibst hier und passt auf! Ich bin gleich wieder da!« Dann verschwand er im Hausflur. Von Ferne grollte die russische Artillerie und Christian merkte, wie es ihm die Kehle zuschnürte. Ein komisches drückendes Gefühl im Magen und Darmbereich. Endlich, Christian waren die Minuten wie Stunden vorgekommen, steckte der große Bruder seinen Kopf durch die geöffnete Haustür und flüsterte: »Los, komm! Schnell, aber Ruhe. Uns darf hier keiner sehen!«

    Christian ließ sich nicht zweimal auffordern. Bloß weg hier von der Straße. Obwohl er sich darüber bewusst war, dass das Haus auch keinen Schutz vor den Russen verhieß, versprühte das Innere des Gebäudes wenigstens etwas Sicherheit, wenn auch eine subjektive.

    Alfred ließ keine Zeit zum Sinnieren, schob ihn unsanft in den Keller: »Nun mach schon! Mein Gott.« Vor einem kleinen Verschlag blieb er stehen: »Hier rein! Wegräumen!« Er zeigte mit der Hand auf rumliegendes Gerümpel. Mit einem kleinen Spaten, der in der anderen Ecke stand, kratzte Alfred so lange auf dem Sandboden herum, bis schließlich eine bis dato nicht sichtbare Eisenplatte zum Vorschein kam. Mit vereinten Kräften wuchteten die Brüder auch dieses Hindernis beiseite. »Da runter!« Alfred sprang in das mannshohe Loch, robbte durch einen kleinen Erdkanal, bis er endlich den eigentlichen Tunnelgang erreichte. »Brauchst du eine Extraeinladung?«, rief er mit erboster Stimme.

    Christian gab keine Antwort, sondern folgte ihm. Der unterirdische Gang schien kein Ende zu nehmen, was auch bestimmt der Tatsache geschuldet war, dass die totale Finsternis die Brüder begleitete. Kein Lichtschimmer und keine Handlampe. Die einzige Orientierungsmöglichkeit, die sich den beiden bot, war sich krampfhaft an der Tunnelwand voranzutasten. Obwohl nur einige Minuten vergehen, kommt Christian der »Spaziergang« wie eine Ewigkeit vor. Dann endlich versperrt den beiden eine große Eisentür den Weg. Alfred gibt in einer bestimmten Reihenfolge Klopfzeichen. Nach jedem Klopfen lauscht er angestrengt, doch nichts passiert. Stille, Totenstille, nur Dunkelheit. Dann endlich, unter einem lauten Geräusch wird die Tür aufgerissen und grelles Licht, welches nun das Tunnelende flutet, beißt den Brüdern in die Augen, macht sie für Sekunden fast blind. Nur schemenhaft kann Christian die Kameraden der Waffen-SS erkennen, die ihnen die Mündungen ihrer durchgeladenen Maschinengewehre entgegenstrecken. »Hände hoch!« brüllte jemand aufgeregt. Das hätte er gar nicht in Worte fassen müssen. Christian hatte schon beim Anblick der Gewehre beide Arme nach oben gerissen.

    Der Einzige, der anscheinend die Nerven behielt, war wieder einmal Alfred. »Ruhig Kameraden! Ruhig!« Betont langsam griff er in seine Hosentasche, fingerte eine Art Brief hervor und reichte es dem Wachhabenden hinüber. »Hier der Passierschein! Ausgestellt vom Reichsleiter!«

    Mit kurzem Blick überflog der SS-Mann das Schreiben und kommandierte, ohne dabei auch nur eine kleinste Gefühlsregung preiszugeben: »Los, mitkommen!« Unter schärfster Bewachung ging man einen Flur entlang, stieg eine Treppe hinunter, durchquerte wiederum einen langen Flur, um erneut, diesmal eine Wendeltreppe runterzusteigen, die noch tiefer in das Berliner Erdreich führte. Vorbei an einer Art Eingang, hoch bewacht durch weitere SS-Posten. In einem Empfangsraum blieb man stehen. »Sie warten hier!«, schnarrte der Wachhabende und verschwand hinter einer Holztür.

    Christian stockte der Atem. Endlich begriff er. Sie waren unter der Reichskanzlei, sie waren im Führerbunker. Er kam nicht weiter dazu, seinen Gedanken nachzuhängen, denn in diesem Augenblick wurde die Tür wieder geöffnet und ein älterer, sichtlich angetrunkener SS-Rangführer erschien. Sofort salutierten die Brüder: »Heil Hitler!«

    Ihr Gegenüber winkte nur müde ab. »Sparen sie sich das! Hier gibt’s nichts mehr zu holen. Außer vielleicht noch einen kleinen Tropfen! Kommen sie, Schwachsinnige! Ich lade sie ein. Auf das Ende!« Vielsagend hob er eine Weinflasche in die Höhe. Man sah Alfred deutlich an, dass er nicht wusste, wie er sich in dieser Situation verhalten sollte. Auf der einen Seite der Befehl, auf der anderen sein ranghöheres Gegenüber. Was eigentlich eine Einheit sein müsste, schien sich in diesem Moment unabdinglich zu widersprechen. Egal, wie sich der Bruder jetzt verhielt, es würde falsch sein und könnte fatale Folgen haben.

    Alfreds Gesicht war aschfahl. Für sein Gegenüber nicht sichtbar, tastet er seine linke Brusthälfte ab und registriert, dass der Umschlag, den ihm Bormann vor einer Woche mit genauesten Anweisungen gegeben hatte, noch in der Innentasche steckte. Nicht vorstellbar, wenn er verloren gegangen wäre. Alfred macht einen letzten Versuch: »Aber der Befehl, der Führer …«, stotterte er.

    »Der Führer! Der Führer ist gefallen!«

    »Und der Reichsleiter?« Das war der Moment, wo seinem Gegenüber der Kragen platzte:

    »Der Reichsleiter?«, äffte er ihn nach, »der Reichsleiter! Was weiß denn ich, wo der steckt. Ist doch sowieso ein Kommen und Gehen …« Brüllend baute er sich vor Alfred auf: »Es gibt keinen Führer und keinen Reichsleiter mehr! Haben sie das endlich begriffen, sie Ignorant?! Machen sie, dass sie wegkommen oder bleiben sie wegen meiner hier. Ist mir scheißegal. Wie sie sich auch entscheiden, der Russe ist nur wenige Kilometer entfernt. Tage, Stunden, Minuten? Wer weiß das schon so genau. Der einzige Befehl, den ich ihnen noch erteilen kann, heißt ›Arsch retten‹! Und jetzt raus hier! Wegtreten!«

    Die Brüder ließen sich das nicht zweimal sagen. »Heil Hitler!«, salutierte Alfred noch im Gehen, was dem Rangführer zu einem galgenhumorhaften Lachen inspirierte.

    »Die haben’s immer noch drauf! Wie blöd muss man eigentlich sein? Ich wusste es und werde eines Tages auch begreifen warum!«

    Auf dem gleichen Weg, den sie gekommen waren, verließen sie die ungastliche Stätte. Gerade als sie im Begriff waren, zur Kellerluke emporzusteigen, bebte die Erde. Steine und Sand flogen umher und Christian schaffte es gerade noch seinen Kopf einzuziehen. Millisekunden später hätte ihn mit ziemlicher Sicherheit ein Mauerstein getroffen. Dem vorangegangenen Knall nach zu urteilen, musste ein Geschoss in das Haus über ihnen eingeschlagen sein. Christian merkte, wie sich seiner eine grenzenlose Panik bemächtigte. Hastig und mit bloßen Händen schaufelten sich die Brüder ins Freie. Richtig, es musste eine russische Artilleriegranate gewesen sein, die das Haus zertrümmert und einen großen Krater hinterlassen hatte. Am Rand des Einschlags liegen zwei Zivilisten in einer Blutlache. Christian kannte Martin Bormann nur von Fotos aus der Zeitung und trotzdem war er sich sicher. Da lag der persönliche Sekretär des Führers!

    »Alfred, schau, der Reichsleiter!«

    Der Bruder würdigte ihn keines Blickes.

    »Das ist mir so was von scheißegal!«, antwortete er im gleichen ironischen Tonfall wie soeben der Rangführer und fügte noch hinzu: »Kannst ihn ja einbuddeln, wenn du willst. Ich will jetzt nur eins, raus hier! Also quatsch nicht, pass lieber auf, dass du nicht gleich daneben liegst!«

    Der Rückweg erwies sich noch beschwerlicher, musste man doch die russische Kampflinie überwinden. Doch mit viel Geschick gelang den Brüdern auch dies. Endlich standen sie wieder vor dem Eingang des Stettiner Bahnhofs. Doch der geordnete Rückzug wird ihnen durch eine große Scherengittertür verwehrt.

    »Halt! Stehenbleiben!« Schwerbewaffnete SS-Männer kommen auf sie zu.

    »Hier! Passierschein! Geheime Reichssache!«, hält Alfred ihnen sein Schriftstück unter die Nase.

    Der Truppführer grinst unverhohlen: »So, so. Geheime Reichssache! Von welchem Planeten kommt ihr denn? Na, auch egal. Jedenfalls, hier geht’s nicht weiter! Alles unter Wasser! Haben den Russen keine Möglichkeit geboten und dabei auch gleich alle Volksschädlinge mit weggespült!«

    Christian war fast gewillt zu sagen: »Frauen und Kinder«, behielt es aber lieber für sich. Die sahen nicht gerade aus, als würden sie verstehen. Es war der 2. Mai 1945, als man in den Morgenstunden den Tunnel unter dem Landwehrkanal sprengte und damit die meisten Schächte unter Wasser setzte, um dem Russen ein schnelleres Vorstoßen zu verwehren. In Sekundenschnelle drangen die Wassermassen ein und rissen alles mit, was ihnen in die Quere kam. Ein völlig sinnloses Unterfangen, Tage vor der bedingungslosen Kapitulation, was zusätzlich tausenden Menschen das Leben kostete. Frauen, Kinder, verwundete Soldaten, die für ihr Vaterland gekämpft hatten, bis zum letzten Atemzug, bis zur letzten Patrone. Wie hatte der Führer doch in

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