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Die Prometheus Initiative: Kampf um Deutschland
Die Prometheus Initiative: Kampf um Deutschland
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eBook770 Seiten11 Stunden

Die Prometheus Initiative: Kampf um Deutschland

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Über dieses E-Book

Ein Showdown zur Rettung Deutschlands ist im Gange!
Viele Leben stehen auf dem Spiel, die Demokratie ist in Gefahr,
denn die CIA paktiert mit Alt-Nazis in Deutschland,
um die Prometheus-Initiative zu aktivieren um damit
die kommunistische Linke in Europa zu schlagen.

Es handelt sich um einen spannenden, brutalen Roman
über deutsche Agenten und ihre Kämpfe während der 60er-Jahre,
den Zeiten des Kalten Krieges und der Maueröffnung,
bei dem Sie bekannte deutsche Persönlichkeiten treffen
und einen tiefen Blick in die deutsche Seele erhalten.

Ein Roman der so exakt recherchiert ist,
dass alles haargenau so hätte passieren können.
Hat es nicht... oder doch? Finden Sie es heraus.

www.kampfumdeutsch.land
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum2. Okt. 2020
ISBN9783347045835
Die Prometheus Initiative: Kampf um Deutschland

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    Buchvorschau

    Die Prometheus Initiative - T. K. Koeck

    Kapitel 1

    04.10.1989 / 10: 00 Uhr / Hirschberg, Baden-Württemberg

    Uwe Dee, Kommandeur GSG9

    Ich stand auf halber Höhe des Schlossberges über dem kleinen Ort Hirschberg und blickte durch mein Fernglas auf eine langgezogene, hell erleuchtete Mauer, die mitten durch den Ort verlief. Sie war fast vier Meter hoch, weiß und an ihrer Oberseite mit Stacheldraht versehen, abgeschirmt wurde das Ungetüm von verschiedenen Zäunen und Türmen. Dahinter schloss sich der sogenannte Todesstreifen an, der mit Landminen versehen war. Dieses Monstrum stand für Trennung und Tod, für Trauer und für unendliche Dummheit! Viel zu lange hatte ich diese Mauer gesehen, jahrzehntelang war sie Teil meines Lebens gewesen. Man konnte schon sagen, dass ich die innerdeutsche Grenze hasste und nichts lieber sehen würde, als dass diese Mauer morgen oder die nächsten Tage fiel; Und ich hatte wahrlich genug Freunde, die gleichermaßen wollten, dass genau das passieren würde: Dass es bald vorbei wäre, mit der widerlichen deutschdeutschen Teilung, mit einem schizoiden Ost- und Westleben unseres Landes und einer Besatzung durch die Alliierten.

    „Irgendwo zwischen hier und Dobareuth wird er über die Grenze gehen. Wo bist du? Wo bist du … Urbach?" flüsterte ich mir zu. Es war unser Auftrag, diesen Verräter zu finden. Jemand ergriff meine Schulter, es war Fox: „Uwe, wir müssen hoch zur Technik, es gab einen Funkspruch von der Koordinierungsstelle des Kanzleramts, Urbach scheint auf dem Weg zu sein … hierher! Wir sind also richtig hier. Offensichtlich waren zwei weitere Bunkersysteme in Blankenburg und Bernau bei Berlin von Hoffmanns Männern zwischenzeitlich besetzt. Er hat keine Forderungen gestellt oder sich geäußert. Immer noch keine Spur von Hoffmann selbst, wir wissen nicht, wo sein Hauptquartier ist. Aber Jürgen möchte am Funk selbst mit dir sprechen". Ich nickte nur und machte eine Andeutung, dass wir kommen. Vorher atmete ich noch einmal tief durch.

    Wir waren GSG9-Kräfte der ersten Stunde, also alt gediente Männer. Ich selbst war am Aufbau dieser Polizei-Spezialeinheit beteiligt gewesen. Beschwerlich machten wir uns auf den Weg nach oben zum Technikwagen, in voller Montur, an diesem Tag als Teil des Sondereinsatzteams SET 55. Beide trugen wir kugelsichere Westen, Helme, ebenso taktische Westen und unterschiedliche Bewaffnungen. Ich selbst hatte als Kommandant der neunten Gruppe des Bundesgrenzschutzes die Gesamtleitung der Operation »S-Bahn-Peter« vor Hirschberg übernommen. Es ging darum, endlich, nach all den Jahrzehnten, den Doppelagenten Hans-Peter Urbach zum Schweigen zu bringen. Er war im Besitz von brisantem Material und auf dem Weg in die DDR zu Hoffmann. Während ich ging dachte ich: „Diese Ausrüstung ist echt schwer. War sie das früher auch schon? Mit 49 Jahren sollte ich mir das offensichtlich sparen…"

    Aber es galt, einen der am meist gesuchten Provokateure Deutschlands zu suchen, Urbach, und den Terroristenführer Karl-Heinz Hoffmann auszuschalten, welchem er zu dieser Zeit diente. Der Alt-Nazi Hoffmann wiederum hatte im Sommer die Freiheit aus der Haftanstalt erlangt und war mit allem, was von seinen privaten Kampfverbänden und alten Kumpels noch da war, über die Grenze in die DDR gezogen.

    Wir hatten keine Ahnung weshalb und kannten auch seine Pläne nicht. Klar war aber, dass er die unsichere Lage in der DDR für eine umfassende Operation ausnutzen wollte. Es war ein Terroranschlag!

    Schon seit vielen Jahren war Hoffmann als der führende Kopf der deutschen Rechtsextremen bekannt, mit einer eigenen Privatarmee in Deutschland. Jetzt war er mit allem, was fahren konnte, seinen Panzern, Truppentransportern und mit über 200 Mann, in die DDR eingedrungen. Ein Umstand, der sehr verwunderte, war die DDR doch seit einiger Zeit komplett abgeriegelt; Mal abgesehen davon, dass er sicher nicht über einen normalen Grenzübergang gefahren war. Es war also wahrlich verzwickt, denn wir wussten absolut nicht, was vor sich ging.

    Der Plan war daher, egal was es kosten würde, die Weiterfahrt und damit auch die Verfolgung von Urbach zu ermöglichen. Urbach musste uns zu Hoffmann führen. Ob er in der aktuellen Lage die Grenze passieren könnte, war ungewiss. Auf jeden Fall mussten wir ihn ausfindig machen und erfahren was los ist. „Herr Kommandeur, das Kanzleramt für Sie mit einer vertraulichen Nachricht, oberste Prioritätsstufe. Das Funkgerät ist hier drüben. Bitte kommen Sie!" Der junge GSG9-Beamte führte uns um den Wagen herum zum Funkgerät. Auf der anderen Seite stieß Weygold ebenfalls dazu. Das Quartett rettet Deutschland! Wieder einmal. Dieser Tage werden wir uns übertreffen müssen. Und keiner wird es je erfahren.

    „Dee am Apparat, Verständigung gut?".

    Das Funkgerät knackte unaufhörlich, aber man verstand Jürgen Bischoff auf der anderen Seite. Bischoff war ein ehemaliger GSG9-Kollege, der inzwischen das Referat »Führung und Einsatz der Verbände und Einheiten des BGS« im Innenministerium leitete. Aufgrund der aktuellen Lage war er mit anderen Führungsmitgliedern der verschiedensten Institutionen in der Koordinierungsstelle des Bundeskanzleramtes, die unter der Leitung von Wolfgang Schäuble stand. Jürgen sprach ruhig und gelassen:

    „Hallo Uwe, wir haben jetzt Informationen von den Russen. Alle russischen Anlagen in der DDR sollen angeblich wieder geschützt sein und werden abermals von eigenen Truppen bewacht. Mittlerweile scheint jeder russische Soldat irgendwo auf den Beinen zu sein. Laut unseren Informationen hat das Oberkommando alle Kräfte in Alarmbereitschaft versetzt und kurzfristig sämtliche Atomwaffen auf dem Gebiet der DDR vom sowjetischen Verteidigungsnetz genommen. Dieses Entgegenkommen gilt wohl für die kommenden zwanzig Stunden, es knackte erneut im Lautsprecher, „aus Gründen der nationalen Sicherheit ist aber eine längere Abschaltung nicht möglich. Wir sollten bis dahin unsere Dinge geregelt haben. Die Information kommt informell vom Außenministerium!. „Das klingt ja mal soweit gar nicht so schlecht …, unterbrach ich, „… gibt es Neuigkeiten zu Hoffmann und seinen Truppenkontingenten? Wissen wir jetzt mehr? Was hat er vor?

    „Wie wir jetzt wissen, hatten Hoffmanns Teams Bernau und Blankenburg zwischenzeitlich eingenommen und besitzen nun schweres Gerät. Mehrere SEKs helfen bei der Sicherung des Führungsbunkers KOSSA sowie den Bunkeranlagen in Ladeburg und Harnekop. Verbliebene Einheiten der NVA halten Berlin und Umgebung, vor allem Garzau. So das offizielle Kommuniqué, leider treten bei der NVA nicht mehr viele an, was von denen aber auch keiner zugeben mag. Man tut so, als wäre alles normal, in jeder Hinsicht. Keiner versteht, was da vor sich geht.

    Das Verteidigungs-, das Innenministerium und wir erarbeiten derzeit mögliche Einsatzszenarien, um die Sicherheit in der DDR wiederherzustellen. Die Regierung wird gerade umfassend informiert."

    Das Funkgerät knackte und zischte unaufhörlich. Es nervte.

    Ich fuhr fort: „Verstanden. Frage: Für mich bleibt alles beim Alten?" Bischoff antwortete: „Nein! Leider nein. Wir haben eine wesentlichen Änderung der Prioritätsstufe! Wir haben hier ganz neue Erkenntnisse!

    Uwe, pass auf, wir haben ein riesiges Problem! Die Russen haben alle Teile ihres atomaren Verteidigungsmantels wieder unter Kontrolle, auch die Bunker, die Hoffmann kurz eingenommen hatte. In Gräfenhainichen und Eberswalde war alles in Ordnung, aber, und das ist wichtig, Uwe … im Finsterwalder Bunker fehlen die Bomben mit der Nummer 38 und 39 … Nukleare Sprengsätze! Wir riefen alle gleichzeitig: „Ach du Scheiße, gottverdammte Scheiße! - „Scheiße, sagte auch Anselm und sah Dieter und mich an. „Ja, Scheiße, sagte ich ebenfalls und blickte in die Runde,

    „na dann sind wir uns ja alle einig."

    Das Funkgerät zischte penetrant dazwischen,

    dann fuhr Bischoff fort: „Damit hat sich alles geändert, wir dürfen das auch nicht geheim halten! Die Regierung implementiert verschiedene Krisenzentren, das Auswärtige Amt schickt Mitarbeiter in alle diplomatischen Vertretungen. Der Bundeskanzler hat Teile der Administration zur Sicherheit in den Regierungsbunker bei Bonn beordert. Für den späten Abend sind diverse Lagebesprechungen mit den Amerikanern angesetzt. Die Fallex-Prozedere der NATO für atomare Zwischenfälle steht vor der Auslösung. Brüssel aktiviert gerade die europäische Verteidigungsphalanx. Die Amerikaner ziehen bereits erste Flottenverbände in der Nordsee zusammen und wir können nicht sagen, ob sie nicht irgendwann selbst das Heft in die Hand nehmen werden.

    Es wimmelt schon überall von amerikanischen Einheiten, die CIA ist dutzendweise im Land aktiv und deren Koordination mit uns ist miserabel. Wir können uns mit immer weniger Stellen des Ministeriums für Staatssicherheit in der DDR verständigen.

    Wolf ist nicht auffindbar, Stoph und Liebling scheinen desinteressiert und das Politbüro ist mit Konferenzen und den Feierlichkeiten beschäftigt. So scheint es jedenfalls! Man erwartet alle großen Oberhäupter und Diktatoren des Ostens zu den Feierlichkeiten des 40-jährigen Bestehens der DDR. Genscher behauptet, es gäbe gar kein Interesse, sich mit dem Fall Hoffmann auseinanderzusetzen, und das, obwohl man weiß, wie ernst die Situation ist. Man steckt wohl den Kopf in den Sand und hofft, dass der Sturm vorbeizieht. Eine groteske Situation".

    Auf einmal redete Bischoff etwas leiser:

    „Pass auf Uwe! Hier wird vermutet, dass Urbach einen Code und technisches Material für eine Atombombe besitzt, er hat diesen möglicherweise in Westdeutschland erbeutet und eventuell hat Hoffmann selbst einen Satz für einen Sprengkopf. Das sind aber nur Vermutungen! Über den derzeitigen Aufenthalt der Bomben selbst weiß hier keiner was,… und wir haben kaum zwanzig Stunden, um das Problem zu lösen, dann brennt der Kontinent!" Bischoff machte eine bedeutungsvolle Pause, dann sprach er laut und deutlich weiter:

    „Zur Sicherheit schicke ich dir ein weiteres Sanitäter- und ein ABC-Team. Sie treffen in zwei Stunden bei dir ein, egal wo du bist, hier oder drüben. Deine Einheit unterliegt jetzt militärisch der Bundeswehr! Bis die Regierung weitreichendere Mandate veranlasst gilt die Befehlsgewalt unserer Koordinierungsstelle, eure Order bekommt ihr von mir. Aufgrund deiner jahrelangen Erfahrung, gerade auch was Urbach angeht, wurde deine Einheit unter allen derzeit befindlichen Kampfverbänden ausgesucht. Finde Urbach und bring uns den Aufenthaltsort von Hoffmann, mit ausdrücklich allen erforderlichen Mitteln!

    Das SIC überwacht per Satellit. Wir haben noch mehrere Einheiten in Reserve, wenn du Verstärkung brauchst. Alle Augen sind auf dich gerichtet, Uwe! Du stehst im Zentrum all unserer Bemühungen!"

    Bischoff hatte eine echt lange Betonung auf dem »Uwe« gelassen.

    „Alles klar, danke dir, Jürgen. Dee Ende keuchte ich kurz, dann gab ich den Sprechfunk an den jungen Kollegen zurück. Fox hakte sofort ein: „Du glaubst doch nicht, dass der Stasi, dem Politbüro oder irgendwem egal ist, was Hoffmann in der DDR macht, oder? Es kann auch nicht sein, dass niemand erreichbar ist! Und wer verkauft in der BRD nukleare Codes der DDR? Daraufhin konnte ich nur stöhnen: „Ich weiß es nicht, aber wir werden es herausfinden. Ich denke, die DDR-Größen glauben, dass eine echte Krisensituation ihnen hilft. Deswegen lassen sie ihn gewähren, bis es kracht. Umso mehr muss der »S-Bahn-Peter«, der Urbach, her. Jungs, gehen wir alles noch einmal durch, überlegen wir, was wir unter Umständen vergessen haben. Jeden Punkt müssen wir nochmals durchdenken."

    Wir gingen ein Stück entfernt zum Wagen der technischen Einheit, um uns die Karten und Berichte erneut anzusehen. Ich dachte: „Wenn wir nicht schon so viel gemeistert hätten, ich wäre fix und fertig. Unterhalb der arbeitenden Fläche in mir brodelt es ganz schön. Es steht viel auf dem Spiel. Ein wenig Hilfe wäre gut. - Inge, wo bist du? Jetzt, wo ich dich brauche! Und wo hast du Ralf gelassen? War es das sechste, siebte oder gar achte Mal, dass wir uns mit Urbach anlegten, bzw. er sich mit uns? 1959, 1968, 1972 mehrfach, 1980, 1984 und dann jetzt das. Ich war wirklich ein Spezialist was diesen Mistkerl anging!"

    Während wir liefen ging Fox neben mir her und ließ sich etwas fallen. Er forderte erneut, dass wir weiter aus meinen Beziehungen Kapital schlagen - sofort – und Inge Viett verhören! „Ich habe echt keine Ahnung, was Ihr Jungs, und vor allem du Uwe, immer und immer wieder mit der Inge habt, dass ihr so Scheiße arbeitet! Warum habt ihr sie diesmal nicht beschatten lassen? Wie oft, Uwe, muss ich mir noch gefallen lassen, dass die größte Top-Agentin Deutschlands bei dir Universalschutz genießt?"

    Ich lachte etwas, sagte aber kein Wort. Inge Viett beschatten! Leider unmöglich! Auch Fox wusste es besser, deswegen war er auch verärgert. Die Frau war allein zwei Mal aus der deutschen Gefangenschaft ausgebrochen und wurde in einem halben Dutzend verschiedener Länder, vom Nahen Osten bis in den Ostblock, militärisch ausgebildet. Sie hatte mich mehrfach aus dem Dreck gezogen, und ich sie … und sie war etwas sauer auf mich, weil ich sie Mitte der 70er selbst verhaftet und hinter Gitter gebracht hatte! Ausgeschlossen, nicht die Inge, die erwischt man nicht. Dementsprechend konterte ich: „Bevor ihr sie findet, findet sie euch und davon mal abgesehen sucht sie Urbach genauso. Schließlich kam der Tipp mit Urbachs möglichen Aufenthaltsort von ihr! Vermutlich sitzt sie auf der anderen Seite der Grenze, seelenruhig, mit einem kühlen Bier in der Hand und wartet einfach auf ihn. So ist die Inge,… also vergiss es!"

    Bei aller Wahrheit verflog meine zur Schau gestellte Bewunderung schnell. „Wo, verflixt nochmal, bist du Inge? dachte ich „wo, in drei Gottes Namen, bist du? Das Land geht vor die Hunde und du schickst lediglich eine kurze Nachricht, dass Urbach beteiligt ist. Jetzt ist der Moment, von dem wir immer geredet haben, heute beginnt es, siehst du es nicht? Also lass es uns zu Ende bringen, du hast es auf dem Fischerboot versprochen! Für alle, die gestorben sind: für Shlomo, für Giangiacomo, für Tommy und für Ingrid, wobei sie wussten, wofür sie starben. Die vielen, die einfach mit in den Tod gerissen wurden, damit all das hier erst möglich wurde, wussten es nicht.

    Abrupt wurde ich in meinen Gedanken unterbrochen. Man rief uns schon wieder, es gab neue Kampfhandlungen. Urbach sollte doch schon in der DDR sein. „Verdammt! ärgerte ich mich: „Also jetzt, Inge, ich komme! Es gibt keine Alternative, wir gehen in die DDR!

    Schon als ich den Befehl dafür gab, dachte ich für einen Moment an den Tag, an dem ich Inge Viett kennengelernt hatte. Das war der gleiche Tag an der Ostsee gewesen, an dem sie und ich auch Ralf das erste Mal trafen.

    Es war lange her, um genau zu sein:

    Dreißig Jahre und zwei Monate,… damals,…

    beim ersten Schlagabtausch mit: Reinhard von Gehlen.

    Kapitel 2

    11. Juli 1959 / Arnis, Schleswig-Holstein

    Erinnerungen von Inge Viett

    „Der Jugend gehört die Zukunft - aber eben erst die Zukunft"

    (Kurt Sontheimer, dt. Politologe)

    Es war ein sonniger und echt heißer Samstag und ich war auf dem Weg zur nahen Ostsee. Ich hatte frei, meine Tasche mit den Badesachen gepackt, das Fahrrad genommen und war unterwegs zum Schwimmen. Ich fuhr wie immer die lange Straße hinab, blickte auf die Kirche und dann die Schlei hinauf Richtung Meer. Es war ein früher Sommertag, aber schon sehr trocken, schwelend vor glühender Hitze und voller Geräusche des Lebens. Überall zwitscherte es, Kinder lachten und Bienen summten umher. Ich trat kräftig in die Pedale und eine etwas kühlere Brise Fahrtwind kam mir entgegen. Für einen Moment ließ ich das Fahrrad laufen, bis zur Abbiegung in den nahen Fährweg.

    Ich war zu diesem Zeitpunkt fünfzehn Jahre alt, aber jeder schätzte mich älter. Man sagte, dass ich ganz hübsch wäre: Brünett, Sommersprossen, zierlich und mit einem leichten Überbiss. Ich war vielleicht keine echte Schönheit, aber bisher wurde ich noch nie zurückgewiesen.

    Ich war in der Fährgasse angekommen, das alte Fahrrad trug mich an den weißen Fachwerkhäusern, Gartenzwergen und frisch gestrichenen Zäunen vorbei, dieser grandiosen Idylle, die mich so kalt lies. Das Leben hielt generell nichts für einen bereit, wenn man es nicht von Anfang an zugeworfen bekommt, von den Eltern, Onkeln und Großeltern, jedenfalls sah ich es so. Wenn de nix hast, wirste nix. Ich bekam nichts geschenkt. Und dennoch wollte ich nie so wohnen, wie diese Menschen hier. Nun, es waren brave Deutsche und es war an diesem Ort eigentlich auch ganz schön. Die Luft empfand ich als den Hammer, immer prickelnd frisch mit einem leichten Salzgeschmack auf den Lippen; Und dann das satte Grün der weiten Felder, das stolze Blau des unendlichen Meeres und die goldenen Farben der heißen Sonne, man konnte schon bei der Aufzählung lyrisch weich werden. Es erinnerte mich irgendwie an früher, wenn ich mit meiner Schwester im Wald unterwegs war. Aber nur fast. Eigentlich war es zu schön für mich.

    Ich saß dann am Strandweg, rauchte eine Zigarette und starrte auf den Steg, an dem das Fährboot ankommen würde. Die feurige Sonne stand hoch und alles, was eine glatte Oberfläche hatte, schoss haufenweise Sonnenstrahlen nach mir. Überall wackelten kleine Bötchen umher und hätte es Wind gegeben, so wäre bis zum Horizont alles mit Segeln bedeckt gewesen.

    Ich war damals im Jugendaufbauwerk, weil ich Probleme gemacht und mich zur Wehr gesetzt hatte, und das nicht zu gering. Es floss sogar Blut, denn egal wie alt ich war, ich war bereits eine erfahrene Kämpferin, klug und schnell. Eigentlich konnte ich mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich nicht gekämpft hatte. Ich wehrte mich gegen meine Pflegemutter, gegen das perverse Schwein, das mich vergewaltigt hatte, gegen die Idioten in der Dorfschule, gegen die niederträchtigen Leute im Kinderheim und zuletzt gegen meinen inneren Schweinehund, wegen all dem, was ich getan hatte,… und was ich noch tun wollte. Ich sah es so: Eckenförde war Dreck, aber Arnis war wirklich Scheiße … das Schlummerland vorm Nirgendwo! Da war wirklich nichts… hier konnte man nur rauchen und trinken. In Eckernförde war ich praktisch aufgewachsen, in einer Pflegefamilie, aus der ich abgehauen war. Jetzt hatte mir der Pfarrer ein Jahr Jugendaufbauwerk in Arnis vermittelt. Aber ich hatte das Gefühl, dort nicht hin zu gehören.

    Möwen kreisten um mich herum, die Sonne brannte rücksichtslos auf meiner Haut und wenn die Fähre nicht bald beschließen würde, die paar Meter zu meiner Seite abzurücken, dann wäre ich, verdammt nochmal, wieder an den Scheiß üblichen Strand gegangen und hätte mich dort gelangweilt. Es war heiß und ich sehnte mich nach einem trüben, kalten und regnerischen Herbsttag, der meiner Stimmung entsprach. Ich zündete mir noch eine Kippe an, schmeckte verdammt gut. Das Boot auf der anderen Seite hatte doch beschlossen abzulegen. Es begann zu rumpeln, zu zittern und dicken, wabernden, schwarzen Qualm aus dem Schiffsschornstein zu pusten und sich langsam wie eine Schildkröte vom Ufer wegzubewegen.

    „Hallo, entschuldige bitte, kannst Du mir sagen, wo die Fähre hingeht?" Ein Typ stand hinter mir.

    Er rief es etwas laut und sah komisch aus. Meine Stimmung war sofort aufgeheitert. Der Junge trug Jeans, das Elvis-Shirt war zwar nur auf den ersten Blick rockig, aber er machte dennoch einen selbstbewussten Eindruck. In erster Linie aber machte ihn interessant, dass er ganz offensichtlich überhaupt nicht hierher gehörte. Längere Haare, kein Hemd, unrasiert, Rock’n’Roll-Shirt, womöglich ostdeutscher Stahl.

    Er grinste wie ein Sahnetörtchen.

    Ich schaute den Süßen an, was sollte ich schon darauf sagen: „Na, die Fähre, ja, … die fährt ma‘ vom Prinzip her auf die andere Seite! Meine Laune stieg schon, als ich den Satz noch gar nicht beendet hatte. Offensichtlich stark, das mir gleich was Hübsches eingefallen war. Und er, der Typ, der neigte den Kopf auf die Seite, schaute wie ein Häschen und grunzte nur: „Aaaahh …!.

    „Ok, dass hätte schlagfertiger ausfallen können! dachte ich mir und fügte noch hinzu: „Nee, ohne Witz, macht sie wirklich. Von dort aus kannste natürlich die Straße nach Schönhagen, Kappeln oder in das malerische Eckernföhrde nehmen, oder du fährst gleich bis Kiel,… mit deinem Fahrrad!

    Der Brüller. Ich lachte diesen Kerl an, wohlweislich, dass es nach Kiel sechzig Kilometer waren und hörte dabei nicht auf, mitleidig auf das hernieder zu schauen, was wohl sein Fahrrad darstellen sollte. Er drehte den Kopf zur anderen Seite, schaute nun überzogen angestrengt und raunte nachdenklich „Ähhhh …". Ich war echt enttäuscht. Da kam echt nicht mehr herüber. Die Schwüle wurde noch schwüler und die Hitze noch heißer. Ganz im Ernst, echt kümmerlich. Ich weiß noch, dass meine Laune wieder rapide sank. Ich dachte: „Ach, wer ja auch zu schön gewesen, so ‘n bisschen Abwechslung in diesem Dreckskaff.

    Und er sah ja eigentlich ganz lecker aus!".

    Dann aber platzte es aus ihm heraus: „Haalloo, heee, isch bin der Raaalf, hob misch dodal verfahre ne …. Zu meiner Überraschung nahm er unaufgefordert meine Hand und schüttelte sie mehr als kräftig. Er machte den Kasperl, das tat fast ein wenig weh! „Du soch ma, wie komm ik´ n hier aus diesem Drecks-Kaff heraus? Dieser Jung-Rocker hatte dabei etwas zu sehr gebrüllt, richtig laut, etwas Spucke raste umher und es war ein sehr, sehr komisches Bild. Er sah aus wie ein Idiot, machte den Clown, grinste bis über beide Ohren und hörte schlichtweg nicht auf, meine Hand weiter zu drangsalieren. Dazu kullerten seine Augen.

    Ich war ausreichend verdutzt und er hatte auch Drecksnest gesagt. Ein lustiger Kerl eben. „Hallo, ich bin die Inge rief ich. Was für ein unerwarteter Lichtblick an diesem düsteren Sonnentag. Ehrlich! Und er glotzte mit Silberblick und brabbelte: „Halloooo… isch bin da Ralf; Also eigentlich Ralf-Peter, aber alles sagen einfach nur Ralf. Und äh, ich habe mich in der Tat wohl etwas veriiiiirrt…! Dabei drehte er sich kurz weg, um sich mit einem Tuch angestrengt den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. Sein Blick wanderte konzentriert den Fluss hinauf, als könne er dort etwas erkennen, was ihn irgendwie weiterbringen würde. Wieder fiel ich fast bildlich vom Tisch.

    Total lässig also.

    Und wie John Wayne auf Indianerjagd raunte er tief: „Kannst Du mir sagen, wie ich hier rauskomme? - „Das kann ich und das werde ich dachte ich mir und wir blickten uns tief in die Augen, nicht so, als würden wir gleich wieder unseres Weges gehen oder so, als wäre uns egal, was gerade Schönes passierte. Er setzte sich hin und deutete auf meine brennende Zigarette. „Konn isch och mohl?" und persiflierte dabei weiter einen Sachsen. Wir konnten die Augen nicht voneinander lassen.

    Die Sonne war nicht mehr heiß und Arnis war auf einmal ein schöner Ort. Die Fähre war ein Freund, der Unterhaltungsstoff lieferte, und der nahe Strand ein möglicher Spielplatz.

    „Vielleicht sollte ich dich begleiten. Alleine findest Du doch nie hier raus. Mal im Ernst, wo soll’s denn hingehen? Er starrte mir einfach weiter in die Augen und sagte in normalem Deutsch: „Ich besuche Freunde in Schönberg, wir sind da in einer kleinen Pension untergebracht und werden dort einige Tage verbringen. Soll mein Sommerurlaub sein. Dabei kniete er sich nach vorne und schmiss ein paar Stullen. Ich ganz lässig: „Mhmm, Schönberg ist hübsch, habt ihr gut ausgesucht, ist aber sogar noch fast weiter weg als Kiel. Ich pustete gekonnt den letzten Rauch aus der Lunge, tötete die Zigarette und fügte ganz cool dazu: „Bis Schönberg verläufst Du Dich doch noch drei Mal. Wir nehmen die Fähre, dann später nochmal das Boot. Ich begleite dich dorthin, ist eh nicht so richtig aufregend hier … und du siehst nicht so aus, als wärst Du schon mal auf einem Boot gewesen.

    Er schaute kurz und rief: „Du bringst mich hier raus? Besser hätte ich es nicht erwischen können! Ich freu mich, dann lass uns hier verschwinden, Inge! Ich dachte nur: „Ist ja irre, was für ein Typ! Keine Fragen, kein Gelaber … und er nimmt mich einfach mit.

    Kapitel 3

    Am gleichen Tag / Ostseebad Schönberg, Nähe Schleier Fjord

    Erinnerungen von Uwe Dee

    Ich saß am Meer und blickte in die Ferne. Ich weiß noch, dass ich permanent grinste weil so viel Glück auf meinem Gesicht lag, denn ich war ein junger Abiturient aus Westdeutschland mit einer unbescholtenen Jugend. Einen Tag zuvor, gleich am Freitagabend, war ich angekommen und fühlte mich hier sofort wieder wohl. Ich war schon oft mit meinen Eltern in Schönberg gewesen. Mit dem Auto lag es nur drei bis vier Stunden von Bremerhaven entfernt, sodass ich bereits ein paar traumhafte Sommer an diesem Ort hatte erleben dürfen. Nun schlenderte ich gemeinsam mit meinen Klassenkameraden Michael und Matthias die Strandpromenade entlang. Das Café und Restaurant mit dem roten Ziegeldach lag bereits hinter uns und vor uns öffnete sich eine endlos lange Gerade am Meer, ein System aus Deichen, Stegen - Wellenbrechern, Wiesen und Wegen. Unser Ziel lag einige Kilometer süd-östlich, ein Seenbereich, in dem sonst wenige Gäste waren.

    Erst gingen wir an den großen Nationalfahnen, Tischgruppen und Stühlen vorbei, die vor den akkurat gemähten Wiesen lagen, dann liefen wir bis zum Ende des Schöneberger Strandes. Das Plaudern der Leute an der Promenade und das Klimpern der Teller und Tassen nahmen allmählich ab und machten der Stille des Meeres und dem Zirpen der Grashüpfer Platz. Nach einiger Zeit lockerte sich auch das Gelände und schien nicht mehr so streng angelegt. Vor uns lag eine Mischung aus weitläufigen Stranddünen, kleinen Seen und winzigen grasbedeckten Hügeln. Es gab ein paar Bäume und Sträucher, die natürlichen Schatten boten. Diese Stelle war schon immer mein liebster Platz gewesen; Und nun war ich genau hier mit meinen Kameraden auf Abiturreise. Als wir einen guten Platz gefunden hatten, breiteten wir unsere Strandtücher aus, legten die Kleidung ab und ließen es uns nicht nehmen, unter lautem Getöse in die schäumenden Wellen der Ostsee zu springen, die an diesem Tag nicht die Größten waren. Nur die Hitze war groß, es hatte gefühlte vierzig Grad, also ließen wir uns Zeit. Nach allerlei Spaß und Schwimmerei kamen wir wieder heraus, um unsere Brötchen zu essen, dazu tranken wir eine Sinalco. Es war ein herrlicher Tag, heiß wie nie und es gab keinen Ort, an dem ich lieber gewesen wäre.

    Später, am frühen Nachmittag, gesellte sich eine größere Gruppe Jugendlicher in unmittelbarer Nähe zu uns. Es waren Jungs und Mädchen, ungefähr in unserem Alter. Alle waren gut trainiert und sehr hübsch anzusehen, die Jungs waren vielleicht zu pomadig, aber es gab eine Menge an Essen und Getränken, sie hatten ein schickes Peggy Kofferradio, das unentwegt swingte, und permanent tollten sie im Wasser herum oder spielten etwas. Zunächst studierten sich beide Gruppen, dann beließ man es bei gelegentlichen Blicken zur anderen Seite. Eigentlich war an dem Dutzend Jungs und Mädels nichts auszusetzen, sie fielen eigentlich nur durch ihren »Peggy Reichtum« auf.

    Und die Pomade.

    Was allerdings Matthias irgendwann keine Ruhe ließ, war ein blondes, herzergreifendes Mädchen, das sich bei der Gruppe befand. Nachdem er sie entdeckt hatte, konnte er seine Augen nicht mehr von ihr lassen. Sie war zierlich, trug einen schönen Badeanzug, der ihre makellosen Beine hervorragend zum Vorschein brachte; genau wie ihren runden Busen, der einen intensiven Abdruck unter dem Badeanzug hinterließ. Ihre Augen hatte er noch gar nicht gesehen, da sie eine Sonnenbrille trug. Was er aber sehen konnte war, dass sie offensichtlich keine Begleitung hatte, und dass sie wunderschön aussah. Hin und wieder sprach sie mit einer ihrer Freundinnen und lächelte, dann war Matthias für einige Sekunden wir paralysiert. Als sie ihn wiederum entdeckte und ihr Blick, das merkte er trotz Sonnenbrille sofort, an ihm hängen blieb, war es ganz um ihn geschehen. Es war ein Kinkerlitzchen, aber auch ein Spiel, bei dem es Matthias flau im Magen wurde, weil er so glücklich war. Beide taten so, als sähen sie nicht herüber, nur um jedes Mal kurz inne zu halten, wenn sich ihre Blicke zufällig trafen. Natürlich hatten wir das längst bemerkt und sahen Matthias so lange an, bis er mal wieder den Blick und seine Aufmerksamkeit auf seine Freunde lenkte. Wir lachten ihn herzhaft aus, weil wir schon eine gefühlte Ewigkeit auf seine Geistesgegenwart gewartet hatten. Matthias lief rot an und auch der jungen Dame schien nicht entgangen zu sein, dass man sich über sie amüsierte. Sie senkte ihren Kopf und verbarg sich hinter zwei vor ihr sitzenden Burschen.

    „Na, du alter Schwerenöter? Michael beruhigte sich gar nicht mehr und klopfte Matthias heftig auf die Schulter. „Ruhe jetzt, ist ja gut, ich hab’s kapiert ihr Idioten zischte dieser, und: „Sie ist bezaubernd. Ich habe sowas noch nie gesehen. Zumindest denkt das mein Herz. Ich möchte sie kennenlernen. Was meint ihr? Kurze Pause, wir legten die Köpfe quer und zeigten einfach nur auf die große Gruppe, dann schüttelten wir den Kopf. „Spinnst Du? stöhnte ich. „Sehen die so aus, als lassen sie ihre Prinzessin mit uns nach Hause gehen? Ich hatte heute eigentlich etwas Besseres vor, als mich mit einer Sportgruppe der Pfandfinder oder irgendeinem Ruderverein zu prügeln. Die Jungs haben auch schon genervt zu uns gesehen, bloß, weil wir da sind." Matthias sah kleinlaut und verwirrt in die Richtung seiner Herzensdame, dann nickte er und ließ ab. Normalerweise ließ er sich nicht so leicht aufhalten, wenn er etwas wollte.

    Es verging eine weitere Stunde, dann machte sich zur Begeisterung von Matthias der größte Teil der Jungs zu irgendetwas auf den Weg und die Mädchen bewegten sich in Richtung Wasser. Man konnte direkt sehen, wie es anfing, in ihm zu brodeln. Mir schwante sofort nichts Gutes. Mein Freund war bereit zu kämpfen: In der neuen Bundeswehr, für sein Land und für die wahre Liebe seines Lebens! Noch ehe wir etwas sagen konnten stand er auf, um sich erneut bis auf die Badehose zu entkleiden. „Bist du dir wirklich sicher, was du da tust? Dieses Techtelmechtel kann böse ausgehen! meinte Michael. „Ich bin vorsichtig, sülze nur etwas rum, falls die Gang zurückkommt, verdrücke ich mich schnell., erwiderte Matthias. „Und was ist mit den zwei Burschen, die verblieben sind? Die werden schweigen?", setzte Michael nach. Matthias überlegte, zuckte dann aber nur mit den Schultern und lief ruhigen Schrittes los. Er ging just in dem Moment zur Wasserlinie, als sie alleine in Richtung Strand schwamm. Konnte auch kein Zufall sein. Zwanzig Meter im Wasser trafen sie sich und fingen an, miteinander zu reden.

    Beide lachten und sahen sehr fröhlich aus.

    Nicht so wie wir.

    Ehrlich gesagt wollte ich sofort einpacken und mich auf alle Eventualitäten vorbereiten. Diese Sportler Jungs behagten mir überhaupt gar nicht. Zu abgeklärt. Zu trainiert. Und genau passend in diesem Moment kam die ganze Gruppe Jungs wieder um die Ecke. Sie blieben überrascht stehen, als sie Matthias und ihre Begleitung im Wasser sahen; Dann redeten sie kurz miteinander, bevor sie schnellen Schrittes, tobenden Gesichtern und ersten Brüllern auf die beiden frisch Verliebten zuliefen.

    Scheiße! Was jetzt kam war wirklich Scheiße!

    Kapitel 4

    Gleicher Tag / Eckernförde

    Erinnerungen von Inge Viett

    Auf einem kleinen Kutter nahe der Küste bei Eckernförde standen wir mit unseren Fahrrädern und schleckten Eis, das er eben für uns gekauft hatte. Wir waren in zwei Stunden von Arnis nach Eckernförde mit den Fahrrädern gefahren und hatten dann eine Gelegenheit mit dem Boot nach Kiel gefunden. Von dort aus würden wir zügig nach Schönberg kommen. Der Kapitän schloss auch nicht aus, für uns die Kieler Bucht zu kreuzen und auf der anderen Seite bei Laboe anzulegen, dann hätten wir nur noch einige Kilometer zu fahren. Ich war immer noch wie verzaubert.

    „Was machst du denn so?, frage ich. Bisher hatten wir nur über Alltägliches geredet, über die Landschaft oder über die Kindheit, nicht aber über ernstere oder tiefergehende Fragen. „Ik‘ bin Berliner und studiere an da Humboldt Uni, ne! schlackste Ralf. Ich lachte. „Ne wirklich jetzt, red‘ kein Stuss! Was machst du so?" Wir sahen uns immer noch dauernd an, so dass mir laufend ganz heiß war, auch da, wo keine Sonne hinkam. „Ne wirklich, ik‘ studiere an der Uni in Berlin und werde wohl dem Staat in irgendeiner krassen Sache hölfen. Bestätigte der in astreinem Berlinerisch. Er lächelte dazu sanft, ich dagegen nicht mehr. Das Kasperletheater funktionierte nicht mehr. Was für ein Spießer, rumorte es, naja, aber Berlin war cool. „Wau! Echt heftig. Hätte ich nicht erwartet. Bist aber trotzdem ein Netter!, gestand ich Augen zwinkernd. Was er so tat war mir eigentlich egal.

    „Ja ich bin ein Netter, ehrlich… gab er jetzt in normalem Hochdeutsch zur Antwort. „weißt du, meine Familie besteht auf viele Dinge. Man kann sich nicht allem entziehen. Mein Weg ist derzeit recht weit gezeichnet. Aber das macht mich nicht trübsinnig. Es gibt mir Sicherheit und Gelegenheit, Reisen wie diese zu machen. Und im Osten ist halt alles nicht so einfach. Aber wir arbeiten alle hart und werden es schaffen, dass wir wieder blühende Landschaften haben. Es lebe der echte Sozialismus!

    Ralf grinste, als er das sagte, und kommentierte: „Ne aber ohne Witz, ist mir wichtig. Das wird schon bei uns da drüben! Und ich mag es dort einfach, ich liebe meine Heimat! Von ganzem Herzen."

    Ich starrte ihn an. Er konnte reden und er war intelligent; Auch wenn er Stuss laberte. Und scheinbar war er nur ein halber Spießer. Eher ein Mini-Rocker, ich war sofort verknallt. Das verwunderte mich, weil Jungs eigentlich immer Arschlöcher waren und ich eigentlich bisher eher Sex mit Frauen hatte. Ein Thema, das für mich damals aber keins war. Es war eben so,.. und jetzt war es scheinbar anders. Er war zwei Köpfe größer als ich und da ich es jetzt ernst mit ihm meinte, blickte ich wie ein hilfsbedürftiges Mädchen von unten zu ihm herauf, denn ich wollte ihn. „Was starrst Du mich so an? Nicht einverstanden? Plötzlich beugte er sich etwas nach vorne und drückte mir einen dicken Schmatzer auf. Dann flüsterte er: „Das war jetzt nicht geplant! Mehr fiel ihm nicht ein? „Ist das alles?" fragte ich.

    „Ähhhh … darfst du das überhaupt schon?" wollte er wissen.

    So ein Arschloch! Ich wurde stinksauer und rief: „Jaaa! Und …"

    Er unterbrach mich, in bester Manier, in dem er mich ganz fest an sich zog, leicht anhob und mich so richtig intensiv küsste. „Das kann er auch noch!" dachte ich. Mir wurde ganz schwindlig. Das Boot schunkelte umher und in meinem Kopf begann sich alles zu drehen. Wie verderblich, eintönig und im Allerlei gefangen hatte der Tag, nein, mein Leben begonnen. Und wir herrlich hatte sich heute alles entwickelt!

    Gleicher Tag - Erinnerungen von Ralf-Peter Devaux

    Während wir eng umschlungen gemeinsam auf das offene und beruhigende Meer blickten, unterhielten wir uns über alles Mögliche. Als Kind einer ruhelosen Stadt schätzte ich das sehr. Zuhause war alles starr und konform. Ich war auf dem Weg, eine makellose, militärisch geprägte Diplomatenkarriere hinzulegen, so wie es meine Eltern von mir erwarteten und planten und hatte auch nicht wirklich etwas dagegen. Es war so, wie ich es Inge sagte: Es gab mir Freiheiten. Egal, in welche Schachtel man gesteckt wird, egal, welche Uniform man trägt, man kann im Geiste immer frei sein.

    Und ich sah gar nicht ein, warum ich nicht frei sein sollte! Mein nach außen getragener Optimismus hinsichtlich der Zukunft meiner Heimat war allerdings zum großen Teil gespielt. Jeder, der etwas Einblick hatte, wusste, dass 1959 ein, mit Verlaub, miserables Jahr für die Deutsche Demokratische Republik war. Dennoch: Tief in meinem Innersten gab es einen gewissen Glauben an das, wofür wir lebten und arbeiteten. Dieser Glaube war aber nie frei von Zynismus,… und alles in allem war es natürlich der Glaube jener, die auf der Sonnenseite des Systems standen, wie ich selbst eben auch.

    Ich hatte bereits die erweiterte Oberschule und den Militärdienst abgeschlossen; Das jetzt anstehende Studium würde mich noch einmal etwa drei Jahre beschäftigen. Danach wartete die Schule der Hauptverwaltung Aufklärung, Jackpot! Tatsächlich sah ich es auch nicht als ausgeschlossen an, im Kollektiv etwas Positives bewirken zu können. Was das System brauchte, waren frische Kräfte, Pragmatismus und mehr Flexibilität. Es sprach nichts gegen eine staatliche Planung, sofern sie Planauflage gut war. Fakt ist, die Leute klauen die Kartoffeln nicht, wenn es ihnen gut geht. Wenn es eine tolle Jahresendprämie gibt.

    Doch die aktuelle Zukunft bereitete mir mehr sorgen:

    Gerüchte von einem antifaschistischen Bollwerk, von einer Mauer, gingen um, die uns angeblich schützen sollte. Es gab ebenso Gerüchte darüber, dass die Russen Atombomben ins Land gebracht hätten.

    Ich wurde in meinen Gedanken unterbrochen.

    „Was denkst Du?" fragte sie verträumt, weil sie gesehen hatte, wie stark ich abwesend gewesen war. Ich erzählte ihr nicht, was ich dachte. Die Kleine war süß, aber so viel Zucker hatte ich nicht erwartet. Als ich ihr begegnete, und auch danach, war sie »tough« gewesen, blies ordentlich ins Horn. Das hatte ich sofort bewundert und mich deswegen auch unmittelbar angezogen gefühlt. Aber schon nach einer Weile fühlte ich mich bereits wie in einer langjährigen Beziehung. Noch nie hatte ich im Leben jemanden aufgelesen. Wie, wann und woher auch? Es musste diese enorme Hitze gewesen sein. Anders war es nicht zu erklären. Ich fühlte mich nicht so souverän, erst recht nicht, wie ich es hätte sein können und wollen. „Weißt du Inge, die Zeit an der See ist doch immer die Schönste. Ich genieße das. Diese herrliche Luft, die kräftigen Farben und die Unbändigkeit der Natur. Und dann schaue ich gern verträumt zum Horizont und genieße den Moment … mit Dir!" Ich lächelte sie an und wir küssten uns erneut. Sie bemerkte wohl nicht, dass ich sie gerade zum ersten Mal angelogen hatte.

    Gleicher Tag - Erinnerungen Inge Viett

    Wir waren an Land gegangen und nahmen die Route über Schönberg, trafen dort zwei von Ralfs Freunden. Sie waren ihm nicht unähnlich: Schlaksig, aber athletisch, hart, aber auch smart, umgänglich und in jedem Fall zu nett. Einerseits fand ich es schade, dass wir jetzt nicht mehr alleine waren, andererseits befand ich mich nun gleich in der Gesellschaft von drei Kerlen. Während wir südlich von Schönberg in Richtung Meer fuhren, quetschten Ralfs Freunde, sie hießen übrigens Rudi Dutschke und Harald Jäger, uns aus, wie es dazu kam, dass ich mit dabei war. Sie waren einigermaßen überrascht, freuten sich aber und waren zu allerlei Scherzen aufgelegt. Meine dunklen Gedanken verschwanden immer mehr. Seit sehr langer Zeit war ich nicht mehr so ausgelassen gewesen. Das Wetter war herrlich, mein neuer Geliebter küsste gut und ich war sehr begierig zu erfahren, was er sonst noch konnte. Er machte Lust darauf, es auszuprobieren, vielleicht würden wir die Nacht am Schönberger Strand verbringen.

    Im Ort kauften wir auch zwei Flaschen Wein und etwas Bier. Und jeder trank direkt im Ort bereits eines der herrlich kühlen Bier. Ich war etwas angetrunken, auch weil es so heiß war und weil ich auch noch nichts gegessen hatte. Wir lachten und scherzten, während die Landschaft mit ihren weitläufigen Feldern an uns vorbeizog.

    Gleicher Tag - Erinnerungen Matthias

    Ich stand bis zum Bauch im kalten Wasser, bereits seit zehn Minuten, aber meine Beine bemerkten die Kälte nicht. „Gott, bist du schön, bist du liebreizend!" Mehr dachte ich nicht. Ihre naturblonden Haare hatte sie zu zwei Zöpfen zusammengebunden und nachdem sie ihre Brille abgenommen hatte, strahlten mich zwei große eisblaue Augen an. Man sah ihr an, dass sie um ihr Aussehen wusste, aber sie ließ es sich so nicht anmerken. Sie war freundlich und zuvorkommend, hieß Christa und war mit einer großen Sportgruppe auf dem Campingplatz. Die Sonnenstrahlen fielen schräg auf das Meer und funkelten in tausend Lichtern. Sie stand vor mir wie Aphrodite persönlich, ihr schlanker, göttlicher Körper entblößt und strahlte mit der Sonne um die Wette.

    Sie war mein Glücksstern!

    Zum Thema Glück fielen mir sogleich ihre Begleiter ein, ich wollte sie unbedingt wiedersehen, jedoch mein Glück nicht allzu sehr herausfordern. Wie könnte es mir dennoch gelingen, dass sie mit mir einen Kaffee trinken ging? „Was habt ihr die nächsten Tage hier noch so vor?" flüsterte ich ganz vorsichtig, um den Moment nicht zu zerstören.

    „Eine Menge Sachen, unsere Trainingsgruppe ist fortlaufend mit Kursen und Aktivitäten zugekleistert antwortete sie kokett, während ihre Augen mich anglühten. Dann fügte sie hastig hinzu: „Wir können uns sehen, aber du musst sofort hier weg. Morgen Nachmittag beim Minigolf am Campingplatz Bonanza? - „Perfekt unterbrach ich sie hastig, „da wollten wir morgen auch hin! Während ich das säuselte verschwand plötzlich das Lächeln meiner Angebeteten und ihr Gesicht verzog sich.

    Fragend drehte ich mich halb um, damit ich in die gleiche Richtung wie sie blicken konnte. Verdammt, die Truppe war zurück und kam zügig auf uns zu. Einer der Typen schnauzte bereits die an, die ursprünglich dageblieben waren. Offensichtlich, weil sie nicht bemerkt hatten, dass ich mit ihrer Christa im Wasser war. Aus dem Augenwinkel heraus nahm ich ebenfalls wahr, dass Uwe und Michael aufgesprungen waren, um den Strand herunter zu kommen. „Macht euch doch mal locker, Jungs. Freie Marktwirtschaft, oder? Keine Konkurrenz gewohnt?" dachte ich und drehte mich lässig wieder zu Christa, die unglaublicher Weise Tränen in den Augen hatte.

    „Ach herrje, was soll das denn jetzt? Sie werden mich ja nicht umbringen, oder?" feixte ich und musste dabei innig lachen, bis ich erkannte, dass ihr überhaupt nicht zum Lachen zumute war.

    „… das ist ein Jux, oder?" stöhnte ich fassungslos.

    Sie wimmerte: „Hör zu, es tut mir leid, wir hätten nicht reden dürfen. Ich dachte wirklich, sie sind länger weg. Renn weg, solange du kannst. Bitte, sofort!" und drückte dabei meine Hand. Das war töricht, denn es sah so aus, als würden wir Händchen halten. Davon zu laufen war in diesem Moment sinnlos. Ich war viel zu weit im Wasser, mein Fluchtversuch wäre sofort erkannt worden. Außerdem bräuchten sie nur etwas locker zu laufen, um mich an der Wasserlinie abzupassen.

    Es sollte wohl so sein.

    Ich drehte mich um und marschierte rudernd und ruhigen Schrittes im Wasser in die Richtung der Gruppe, die herangerauscht kam. Christa rief mir noch hinterher „Prügel dich nicht mit ihnen, bitte! Wir sind alle vom Bund Deutscher Jugend und bei der Abteilung Technischer Dienst dabei. Wir waren auch in Eckernförde bei den Kampfschwimmern zum Training

    …sie sind einfach zu gefährlich!"

    Ich hielt inne, überlegte erneut und drehte mich noch einmal zu ihr um: „Weißt du, Christa, eine so schöne Frau kennenzulernen, muss offensichtlich schmerzhaft sein. Aber trotzdem noch ein Hinweis:

    In so einer Begleitung wie der deinen sollte man vielleicht besser gar niemanden ansehen. Ihr fiel der Kiefer herunter und der Ärger in ihren Augen stand ihr, offen gesagt, weit weniger gut. Mein Adrenalin stieg ins Unermessliche, als ich mich wieder in Richtung Strand orientierte. Meine innere Stimme versuchte mich zu beruhigen: „Erinnere dich an deine letzte Schlägerei, profitiere von deiner Schnelligkeit! Und sei keine Memme! Niemand stirbt so schnell, es gibt nur reichlich Schmerzen ….

    Ich sah, dass meine Freunde sich zum Kampf bereitmachten und auch ich war nur noch wenige Meter von den herannahenden Sportlern entfernt. Meine innere Stimme sprach weiter: »Technischer Dienst« was? »Bund Deutscher Jugend«? Was sollte das sein? Und warum sind in einem Technischen Dienst junge Männer zwischen 15 und 20? Und warum trainieren die bei der Bundeswehr, bei den Kampfschwimmern in Eckernförde?

    Um die Situation zu entschärfen rief ich mit gekonnter Lässigkeit: „Hey, Jungs, tut mir leid. Ich habe nur ein kleines Schwätzchen gehalten. Ich pisse nicht in euer Revier und verzieh‘ mich auch gleich. Kein Stress also, nichts für ungut". Ich versuchte locker, aber auch verbindlich zu wirken. Es gelang mir kaum, der Stress war mir zweifelsohne anzumerken.

    Sogleich brüllte mein Gegenüber los.

    Er war der Kleinste in der Gruppe, aber bei den Riesenkerlen, die er bei sich hatte, musste er sich keine Sorgen machen. Er war blond und hätte Christas Bruder sein können. Aber auch diese Schweinebacke hat kein Gramm Fett am Körper! Er legte sofort los: „Was soll das, he? Macht man sich an Mädchen anderer Leute ran, da wo du herkommst? Du verkackter Schürzenjäger? Ich würde sagen, du bist ein ganz schönes Arschloch. Ich finde wir sollten dir mal Manieren beibringen!"

    Seine Stimme war fest und ohne Vibrationen. Ich konnte keine Emotionen in seinen Aussagen feststellen. Was er vorhatte, das hatte er eben vor. Und die wahren Emotionen, die den Anlass für seine Aggression gaben, betrafen nicht mich oder Christa, sondern etwas, das tief in ihm drin Teil seines Charakters war.

    Meine innere Stimme erschien wieder: „Du musst dich also abreagieren. Gut. Ich werde Dir dabei helfen …". Patsch! Gerade in dem Moment, als ich in Reichweite kam, schlug der Stöpsel, der bestimmt gut einen Kopf kleiner war als ich, mir gekonnt und blitzschnell mitten ins Gesicht. Das Adrenalin durchspülte meinen gesamten Körper. Jeder Muskel spannte sich an, die Zeit schien still zu stehen. Der Treffer war gut, aber der Schlag letztlich schwach. Genervt blickte ich auf das kleine Arschloch, auf die zwei, die neben ihm standen,… und auf den Rest dahinter. Dann holte ich aus und brach dem blonden Zwerg vom Technischen Dienst die Nase.

    Gleicher Tag - Erinnerungen Uwe Dee

    Michael und ich waren auf halben Weg, als die Situation im Wasser eskalierte. Erst schlug der Knirps, der in der Mitte stand und brüllte, auf Matthias ein, fast schon zeitgleich schlug Matthias zurück. Aufgrund seiner Masse und seiner Größe konnte man ihn leicht unterschätzen. Er sah gar nicht so muskulös aus. Der Zwerg hätte ihn mal besser nach seinen großen Händen bemessen sollen. Als nämlich seine riesige Faust auf den Sportler traf, platzte seine Nase. Das Blut spritzte und er taumelte zurück.

    Einer der Dahinterstehenden stützte ihn irrgläubig. Alle standen für einen Moment unter Schock. Für einen Bruchteil der Sekunde konnte man denken, dass jemand den Film angehalten hätte. Dann ging alles sehr, sehr schnell. Die beiden Schränke, die am nächsten bei Matthias waren, stürzten sich auf ihn, während vier der Jungs sich am Strand auf den Weg zu uns machten. Sie waren unterschiedlicher Statur, aber keiner sah so aus, dass man mit ihm scherzen sollte. Wie von magischer Hand teilten sie sich auf und griffen uns an.

    Mit den ersten Schlägen schrie die Hübsche im Wasser wie am Spieß. Auch die beiden am Strand verbliebenen Mädchen der Gruppe fingen an, wie Sirenen zu heulen. Matthias wich der ersten Faust seines zur rechten Seite stehenden Kontrahenten aus und verpasste ihm eine, was dem anderen genug Zeit gab, ihn schnell und fest zu umklammern. Der Kerl, den er getroffen hatte, erhob sich und schlug zurück.

    Uns ging es viel schlechter. Kein Schlag, kein Austeilen, schon gingen wir zu Boden, obwohl wir es versucht hatten. Schon bekamen auch wir einen auf die Mütze. Es vollzog sich unerwartet schnell, aber ein schnelles Ende würde es vermutlich nicht geben. Als der Kerl im Wasser das Gesicht von Matthias zwei, drei Mal demoliert hatte und mit dem Ergebnis zufrieden war, schleppten sie sich alle an den Strand, wo die anderen Angreifer uns bereits sorgfältig am Boden in Schach hielten. Mein Kopf dröhnte von den Schlägen.

    Beiläufig erkannte ich, dass die Gruppe gar nicht so homogen war, wie ich anfangs gedacht hatte. Einige schienen wesentlich älter, wenn man sie näher betrachtete. Durch ihre Sportlichkeit und ihren wahrscheinlich gesunden Lebensstil sahen sie auf den ersten Blick sehr jung aus. Jetzt war es offensichtlich, dass einige mit Sicherheit schon um die dreißig Jahre alt waren.

    „Aksel, halt seine Füße fest! Wir werden ihm jetzt ein kleines Andenken verpassen", schnaubte der Zwerg,

    dem das Blut den ganzen Körper herunter lief, während er sich die Nase hielt. „Und kann mir bitte jemand etwas für meine Nase geben? Ein Handtuch vielleicht?" fauchte er wie wild, während er weiteres Blut spuckte.

    „Du Muschi heißt Aksel? Wie ist dein Nachname? Haar? keifte Matthias nicht unweit von mir. Mutig, aber dämlich! Auch ihm rann das Blut herab, einen Cut hatte er über dem Auge, seine Lippe war aufgesprungen und auch aus der Nase kam Blut. Angesichts des dummen Spruches nahmen sie sich Matthias noch einmal vor. Mein innere Stimme schrie: „Was soll das? Ich verstand es immer noch nicht. Sind wir Staatsfeinde? Haben wir was mit deiner Freundin gemacht? Nein! Also was soll das hier? Wie zum Beweis und als Antwort auf meine Fragen rammte dieser Aksel, während er ihn mit beiden Händen festhielt, den Kopf auf Matthias sein Gesicht, so dass die Nase von Matthias erneut so knackte, als würde sie in tausend Stücke brechen.

    Ein Mädchen brachte heulend ein Handtuch für den Knirps, der sich säuberte und das Handtuch vor die Nase hielt. Er schnaubte wie ein spanischer Stier. Mit irrem Blick keuchte er vor sich hin. Dann ging er ein paar Schritte, um einen ziemlich großen Stein zu holen, bestimmt zehn Kilo schwer und schlenderte damit lässig zur Gruppe zurück. Das Geheule der Mädchen stieg ins Unermessliche und auch wir fingen jetzt an, wie wild zu brüllen. Matthias seine anfängliche Lässigkeit war verschwunden! Er schrie sich die Seele aus dem Leib! Panik machte sich aller Orten breit, weil jetzt klar war, dass diese Jungs hier einen Sprung in der Schüssel hatten.

    So hatten die überhaupt nicht ausgesehen. Ich dachte wir raufen kurz miteinander, ich fang eine, und dann ist gut. Früher lief das so. Aber das? Das war irre! Sie brachten ihn um!

    „Bist du wahnsinnig, du Arschloch?", schrie Matthias.

    Ein Auge war vom Blut zu, das andere fixierte den Knirps, der sich wie der Beelzebub über ihn beugte. Sein Blut begann auf Matthias hinab zu tropfen und auch sein zweites Auge zu ertränken. „Ich werde dir zeigen, wie wahnsinnig ich bin…!"

    Genau in diesem Moment traf den Knirps selbst ein Stein am Kopf.

    Er war nicht sehr groß gewesen, aber kam sehr schnell geflogen!

    Und wenn er bisher dachte, dass er geblutet hätte, würde er wohl jetzt sehen, was es heißt, eine echte Kopfwunde zu haben. Er kippte um, während bereits einen Daumen dicker Strahl tiefroten Blutes aus seinem Kopf schwappte. Es herrschte Fassungslosigkeit. Nur das Schreien ging weiter.

    Ich konnte erst nichts sehen und mich auch nicht drehen. Woher kam der Stein? Was war los? Dann drehten sich alle verwundert in die Richtung um, aus der der Stein geflogen kam und auch ich erkannte zu meiner großen Verwunderung ein kleines, dunkelhaariges Mädchen auf ihrem Fahrrad, das vor uns auf einer Anhöhe stand.

    Keiner hatte ihr Kommen bemerkt.

    Sie selbst sah gar nicht verwundert oder verunsichert aus, sondern sehr böse. Wie eine Walküre thronte sich auf dem Hügel über uns.

    Stand aufrecht, bereit zu kämpfen, mit loderndem Haar.

    Ich konnte meine Gedanken immer noch nicht sortieren. Es war zu bizarr, was für eine Szenerie! Wieder hatte jemand den Film angehalten. Das Entsetzen stand inzwischen auch in den Gesichtern unserer Angreifer. Was, in drei Gottes Namen, war hier los? Das hier ist doch Deutschland, oder? Eines der Mädchen der Gruppe half einer anderen, sich erneut um den blutenden Knirps zu kümmern, während der eine Typ in unglaublicher Geschwindigkeit auf das schwarzhaarige Mädchen zu raste, sie anschrie und mit allerlei Schimpfwörtern bewarf. Das Mädchen zeigte immer noch keine Angst, keine Regung … dann konnte ich auch erkennen, woran das möglicherweise lag: In diesem Moment erschienen hinter ihr drei weitere männliche Begleiter.

    Gleicher Tag - Erinnerungen von Inge Viett

    Ich konnte das Meer schon sehen, es trennte uns nur noch einige Hügel vom Strand. Umso mehr stieg ich in die Pedale und nahm Fahrt auf. Meine Männer brüllten hinterher und lachten, weil ich versuchte sie abzuhängen. Ich ließ mich nicht beirren, trat in die Pedale, mein Kleid wehte im Wind und entblößte immer wieder meine jungen, glatten Beine. Die Haare wurden von einer Seite zur anderen geworfen und ich selbst lachte vor Freude. So ein schöner Tag, lasst uns doch gleich noch ein Bier aufmachen!

    Doch mit Bier aufmachen war nichts. Wie angewurzelt blieb ich auf der letzten Anhöhe vor dem Strand stehen, ganz ruhig, aber mein Lachen war verschwunden. Meine Augen fokussierten das Gebiet unter mir, taxierten das Umfeld und die handelnden Personen. Erst hatte ich gedacht, es wären einfach nur verschiedene Gruppen Jugendlicher am Strandabschnitt. Dann aber bemerkte ich, dass etwas im Gange war.

    Es war eine große Gruppe Jungs, die sich offensichtlich von der kleineren Gruppe bedroht fühlte. Auf jeden Fall hatte der Kerl im Wasser gerade eine gefangen und auch am Strand ging jetzt eine Keilerei los.

    Niemand hatte mich bemerkt, ich stand einfach ganz seelenruhig da. Der Wind wehte immer noch durch mein Haar, warf es abwechselnd nach links und rechts. Doch dazwischen stachen zwei graublaue Augen heraus, die jetzt keine Fröhlichkeit mehr kannten. So was Gemeines! So ein schöner Tag und jetzt sowas! Zu meiner Verwunderung ging das Gemetzel erst richtig los. Der Anführer war nun dabei, einen großen Stein zu holen, um den am Boden liegenden Jungen ernsthaft zu verletzen. Fiese Arschlöcher! Neun gegen drei und auch noch älter gegen jünger.

    Ich beschloss ernsthaft einzugreifen.

    Die Meute da unten sollte nicht glauben, dass es keine Menschen mit Moral gab, Menschen mit Wertvorstellungen. Ich war kein »Alles-ist-mir-einerlei-Häschen«. Nachdem ich einen Stein aufhoben und ihn zwei Mal in der Hand hin und her bewegte hatte, war es soweit: Der kleine blonde Zwerg am Strand unter mir hob seinerseits den großen Stein an, um diesen auf den anderen Jungen herab prasseln zu lassen!

    „Na dann, mein Lieber, hier kommt deine Lektion!" dachte ich und warf meinen Stein dem Kerl genau an den Kopf. Mit meiner Schwester hatte ich im Wald oft tagelang um die Wette geworfen. Ich konnte das.

    Der Typ fiel um wie eine Schießbudenfigur. Das Blut spritzte aus seinem Gesicht und während er in den Sand stürzte, blickte er noch geschockt in meine Augen. Das Geschrei am Strand nahm rasant krassere Züge an, einer der Jungs rannte unter lautem Getöse und Geschreie auf mich zu. Ich lächelte. „Na warte, du kommst mir auch gerade recht."

    Gleicher Tag - Erinnerungen Ralf-Peter Devaux

    Meine Freunde und ich unterhielten uns locker, während wir Inge hinterherradelten. Sie war weiter vorne zum Stehen gekommen, hatte das Fahrrad zwischen die Beine genommen und starrte auf den Strand. Sie wirkte plötzlich wie eingefroren und rührte sich keinen Millimeter mehr. Im nächsten Moment nahm sie einen Stein und warf ihn an den Strand. Verdutzt hörte ich viele Stimmen, allerlei Geschrei und aufgeregtes Weinen, das sich seinen Weg durch den Wind und die Brandung schlug.

    Was zum Teufel ging da vor?

    Ich wusste, dass ich mit der Kleinen noch böse Überraschungen erleben würde. Also trat ich in die Eisen, beschleunigte, meine Freunde hatten auch etwas gehört und sputeten sich ebenfalls. Als ich neben Inge Halt machte, erkannte ich, was vorgefallen war. Ich sah einen Kerl, der den Strand herauf kam und ins Stocken geriet, als er mich erblickte. Zu meinem Entsetzen nahm Inge bereits einen weiteren Stein zur Hand. Plötzlich war das kleine verliebte Mädchen verschwunden, vor mir stand unverhofft eine brutale Bestie. Sie kniff ihre Augen zusammen und in den Schlitzen blitzten hellblaue Feuer, absolut kalt und emotionslos. Ihr Mund war zu einem leichten Schmunzeln verzogen, das einfach nur Angst machte. Und bevor ich irgendetwas sagen oder tun konnte, holte Inge erneut aus, um den Kerl, der den Strand heraufkam, ebenfalls mit einem aufmerksamen Geschenk zu beglücken .

    Zu seinem Pech hatte sich dieser auch kurz umgesehen, vermutlich, um nach Verstärkung zu rufen. Krack!

    Der Stein schlug auf seinem Hinterkopf auf. Das Knacken konnte nichts Gutes bedeuten. Auch er fiel einfach um. Erschrocken drehte ich mich wieder zu Inge, die aber bereits den dritten Stein warf.

    Dieser verfehlte sein Ziel, Gott sei Dank.

    „Bis du verrückt?" schrie ich sie an und schlug ihr den vierten Stein aus der Hand. Wie hatte sie den so schnell in die Hand bekommen? Sie sah mich ungläubig an, wie ein Kind, dem man das Spielzeug weggenommen hatte. Tiefe Wut keimte in ihren Augen auf. Willkür und Hass! Wo war das Mädchen geblieben, das mich geküsst hatte? Sie war etwas anhänglich und sehr zahm gewesen, aber eben auch lieb und fröhlich. Nichts war davon mehr da.

    Sie sah aus wie die dunkle Kopie ihrer selbst. „Das ist also dein Problem. Du trägst etwas in dir, eine Bestie, etwas Dunkles!" Ich hatte schon so böse Vorahnungen, was sie anging. Ich hielt sie mit beiden Armen fest, während Rudi und Harald sich um uns scharrten.

    „Was ist passiert?, rief Rudi entsetzt. „Scheiße! Hab‘ den Jungs mal gezeigt, wie man das bei uns so macht. Miese Schweine … gehen einfach auf die Kleinen da los! Sowas macht man nicht! murmelte sie stoisch, während sie mit den Augen jeden am Strand abwechselnd fixierte. Ich war weiterhin fassungslos und überrascht. Ihre Ziele waren ja nobel, aber verdammt nochmal, man schmeißt doch nicht einfach mit Steinen um sich! „Hey ihr! rief ich der Gruppe am Strand zu „Wir gehen jetzt alle wieder getrennte Wege. Es muss nicht noch mehr geschehen an diesem Nachmittag. Ihr habt die Jungs zugerichtet, meine Begleiterin hier hat euch eine verpasst. Lasst es gut sein! Mit uns wollt ihr euch nicht anlegen. Ich machte eine Pause und fügte dann hinzu: „Denn wir haben hier oben noch mehr Steine!".

    Natürlich flachste ich. Wie zum Beweis hob ich aber einen ziemlich dicken Stein auf, meine Kumpels ebenfalls. „Steine werfen könnt ihr, … ihr Pisser! schrie der Zwerg vom Strand her, wohl der Anführer der Gruppe. Jemand hatte ihn verarztet und sein freier Oberkörper war blutverschmiert. „Hey, ihr Schweine, wir werden euch fertigmachen! brüllte er weiter und meinte es fürchterlich ernst. Wir stellten uns auf mehr ein, aber es war seine Gruppe, die sich etwas ungläubig zu ihm umdrehte.

    Sie waren wohl nicht ganz seiner Meinung.

    Einer der Älteren, der einen der Jungs am Boden in Schach hielt, kommentierte sehr leise: „Hans-Peter, lass es gut sein! Du weißt doch sowieso, was Christas Vater hiervon halten würde, oder? Und du hattest deinen Spaß, also lass uns verschwinden, sofort! Ich sage dir eindringlich: Das hier ist nicht gerne gesehen. Wir wollen nicht auffallen!" Er sah diesen Knirps, der offensichtlich auch noch Hans-Peter hieß, dabei sehr eindringlich an.

    Es hörte sich eigentlich wie ein Befehl an.

    Dieser Hans-Peter stand da, ein Handtuch an seinem Kopf, mit getrocknetem und frischem Blut an seinem Körper. Er

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