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Mirabella und die Götterdämmerung
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eBook517 Seiten6 Stunden

Mirabella und die Götterdämmerung

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Über dieses E-Book

Hitzköpfig wie immer konfrontiert Mirabella den nordischen Göttervater mit ihren Zweifeln und fordert die Wahrheit. Sie geht sowohl mit ihm als auch mit dem Süden einen Pakt ein, wissend, dass sie am Ende nicht die Erwartungen beider Parteien erfüllen kann. Ein Tanz auf dem Vulkan beginnt, die Suche nach der verschwundenen Statue wird zur Mission…

Mirabella und ihre Freunde werden in einen Strudel aus Intrigen und Machtspielen ihrer Eltern hineingezogen. Der Zusammenhalt der pubertierenden Jugendlichen wird auf eine harte Probe gestellt. Eine dritte Macht, die Kelten, bringt neue Hoffnung aber auch Probleme. Können die Freunde gemeinsam die jahrhundertelange Feindschaft zwischen Nord und Süd überwinden und einen Krieg zwischen den Götterwelten verhindern?

Und was wird aus dem jungen Romeo und Julia-Pärchen, gibt es eine Zukunft für sie ?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum21. Feb. 2022
ISBN9783754185971
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    Buchvorschau

    Mirabella und die Götterdämmerung - Isabelle Pard

    1 - Angriff ist die beste Verteidigung

    „Mira?"

    Sie traute ihren Augen kaum, als sie Nikolaos über sich gebeugt sah, der sie zärtlich anlächelte. „Ich muss jetzt aufbrechen."

    Schlagartig fiel ihr die letzte Nacht wieder ein und ihr glückliches Lächeln verschwand. Loki hatte Nikolaos verhört und beinahe getötet, sie hatte ihn gerettet und in den Vesta-Tempel gebracht. Sie hatten die Nacht in einer schwebenden Blase verbracht und sich zum ersten Mal geküsst. Nun musste Nikolaos untertauchen, um sich vor Loki zu verstecken, sie durften fürs erste keinen Kontakt mehr haben.

    Vor dem Einschlafen hatte sie sich fest vorgenommen, ganz tapfer zu sein, wenn sie sich verabschieden würden, aber nun schwand ihr der Mut. Schnell schlang sie ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn in leidenschaftlicher Verzweiflung zum Abschied. Er drückte sie fest an sich, entfernte dann sanft aber konsequent ihre Arme von seinem Nacken und stand auf. Mit einer schnellen Bewegung öffnete er sein Amulett, sah ihr ein letztes Mal in die Augen und verschwand von einer Sekunde auf die nächste in den Olymp.

    Die Blase verschmolz mit dem Vesta-Tempel. Nikolaos musste sie nach dem Aufwachen dorthin gelenkt haben. Kraftlos blieb Mirabella auf den Knien sitzen, Tränen rollten über ihre Wange und sie schluchzte laut auf. Nachdem sie lange Zeit vor sich hingestarrt hatte, fasste sie sich langsam und ließ jede Minute der letzten Nacht vor ihren Augen lebendig werden. Sie spürte immer noch einen Teil von ihm in ihr. Wo war er jetzt? Bei Jupiter? Sie wusste, sie durfte ihm nicht nachspionieren, sollte keinen Kontakt mehr aufnehmen, aber sie war im Vesta-Tempel, er wahrscheinlich im Olymp, was konnte schon passieren?

    Wie in Trance legte sie sich auf den kalten Marmorboden und konzentrierte sich vorsichtig auf die Verbindung. Bald sah sie die vertrauten griechischen Säulen des Olymps und empfand ein Gefühl des nach Hause Kommens. Vorsichtig versuchte sie unbemerkt die Szene zu beobachten. Nikolaos stand vor Jupiters Thron, in dem ein ernster Göttervater saß. „Wir schützen dich bis auf weiteres, ich werde mir einen neuen Plan überlegen müssen. Du bleibst solange inaktiv."

    Sein Sohn nickte ergeben.

    „Weiß Loki, dass Mirabella dich gerettet hat?"

    „Ich denke nicht… ich hoffe nicht."

    Jupiter nickte schwer. „Du kannst gehen."

    Nikolaos schritt aus dem Saal und öffnete, sich nach allen Seiten umsehend, sein Amulett. Neben einem grauen Haar Jupiters und ein paar roten Haaren, die wohl Wingni, dem verstorbenen Sohn Thors, gehörten, lag ein zarter Ring. Er setzte ihn eilig auf, drehte ihn und stand im nächsten Moment in Junos Vorzimmer im französischen Empirestil. Eine Tür ging lautlos auf und er ging hindurch. Sie befanden sich nun in den Privatgemächern von Juno, die Mirabella noch nie gesehen hatte. Der Empirestil setzte sich auch hier fort, Juno in ihrer Stola saß auf einem goldverzierten Armlehnenstuhl mit den typischen Tierpfotenfüßen. Ein Schreibtisch, mehrere Sessel und ein Tisch komplettierten das Zimmer.

    „Nun, Nikolaos, was ist passiert?"

    „Loki hat wahrscheinlich unseren Plan durchschaut. Sein ehemaliger Diener, der etwas über die Statue wusste, war bereits tot, als ich ankam. Loki brachte mich dann als Gefangener nach Asgard zum Verhör. Mira rettete mich, bevor er mich brechen konnte."

    „Mirabella? Wusste sie Bescheid?"

    „Nein, sie spürte durch den Armreif, dass ich in Gefahr war und transportierte sich mit Ragnars Ring – wir waren gerade alle beim Skifahren – und ihrer Tarnkappe nach Asgard. Ich denke nicht, dass Loki merkte, wer ihn überwältigte."

    „Du scheinst ihr wirklich viel zu bedeuten, sehr gut, darauf müssen wir auch weiterhin bauen."

    Nikolaos schwieg dazu und Mirabella musste sich bemühen, sich nicht zu verraten. Was hatte diese Aussage zu bedeuten?

    „Und weiter?"

    „Ich habe Jupiter berichtet, er will mich schützen. Ich werde die Arbeit für ihn offiziell ruhen lassen."

    „Gut, gar nicht unpraktisch, dann kannst du in Ruhe an unserem Plan arbeiten."

    Nikolaos nickte. „Mira ahnt etwas", bemerkte er dann.

    „Drück dich präziser aus."

    „Sie ahnt, dass sie nicht Olympierin ist."

    „Wen vermutet sie als Vater?"

    „Sie hat keine Ahnung."

    Juno schüttelte lächelnd den Kopf. „Dabei ist es so offensichtlich."

    „Wir wissen auch nur von einem Asen. Aber gestern kam mir, dass Ragnar ihr Zwillingsbruder sein könnte."

    Juno nickte. „Das vermute ich schon länger."

    Mirabella hörte die Worte, aber verstand sie nicht. Selbst als Geist wurde ihr schwindlig. Ragnar, ihr Zwillingsbruder? Und doch, wie sonst ließ sich die Verbundenheit zwischen ihnen erklären? Aber wieso besprach Nikolaos alles mit Juno? Offensichtlich hinter dem Rücken von Jupiter!

    Die Königin des Olymps sprach weiter. „Gut, wir müssen so lange wie möglich verhindern, dass sie es weiß. Irgendwann wird der Norden es ihr sagen und sie für seine Zwecke missbrauchen wollen. Ich schätze, um in den Besitz der zweiten Statue zu gelangen."

    „Wie beabsichtigst du genau, mit deren Statue vorzugehen, wenn ich sie finden sollte? Jetzt, wo Loki da ist?"

    „Das ändert nicht viel. Ich möchte mir ihr Schweigen erkaufen. Jupiter darf unter keinen Umständen von Mirabellas wahrer Herkunft erfahren. Es wäre zusätzlich zur Enttäuschung eine große Schmach, auf diese Weise von Thor und dieser Helena hintergangen worden zu sein. Es könnte auch seine Machtposition schwächen."

    „Meinst du nicht, Loki wird die Statue nehmen und sich an keine Vereinbarung halten?"

    „Das wäre sehr bedauerlich, dann müsste Jupiter dieses Kind der Schande wohl töten."

    Kind der Schande? Mirabellas Geist wurde wütend und sie ahnte, dass sie sich verraten hatte. Sie spürte noch, wie Nikolaos nach Junos Worten leicht zusammenzuckte, dann hörte sie seinen Geist nach ihr rufen. Sie floh aus der Verbindung, sie hatte genug gehört, alles, was sie wohl hören musste. Mit starrer Miene wachte sie im Vesta-Tempel auf und blockierte jegliche Verbindung, sie spürte, dass Nikolaos sie rief, aber sie konnte jetzt nicht mit ihm reden. Sie musste nachdenken.

    Sie war keine Olympierin, sie war eine aus dem Norden. Was sie immer befürchtet hatte, war wahr. Traurig betrachtete sie ihr Amulett, ihr Armband, dachte an Palatina und Greta. Alles würde sie aufgeben müssen, wenn herauskam, dass sie aus dem Norden war. Sie würde keine Vestalin, keine Amazone mehr sein können. Keine Jupiter-Tochter. Ihr Herz krampfte sich zusammen und es fröstelte sie innerlich. Nikolaos meinte es angeblich gut, aber sie fühlte sich trotzdem hintergangen. Warum hatte er ihr nicht vertraut? Sie hätten gemeinsam einen Plan schmieden können, um die Statue und eine Lösung für ihr Problem zu finden. Enttäuscht fragte sie sich, wie lange er schon wusste, dass sie keine Olympierin war. Langsam gewann der Zorn die Oberhand, sie wurde wie ein Baby von ihm behandelt. Glaubte er etwa, sie könnte mit der Wahrheit nicht umgehen, sie könnte die Dinge nicht selbst regeln?

    Energisch setzte sie sich auf. Wenn er alleine agierte, konnte sie das auch. Es war an der Zeit, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, sie durfte nicht länger vor der Wahrheit davonlaufen. Entschlossen zog sie ihre Tarnkappe über den Kopf, schwebte aus dem Vesta-Tempel und entstieg draußen der Blase, um eine Nachricht an Lorenzo zu schreiben, den sie letzte Nacht völlig vergessen hatte. Es fing gerade erst an zu dämmern und sie hoffte, dass er sich wieder hingelegt hatte. Sie ließ ihn wissen, dass sie in Sicherheit war und nachher vorbeikäme, nachdem sie nur noch eine kurze Sache zu erledigen hätte.

    Ernst drehte sie an Ragnars Ring, sah den Lichtregen und war im nächsten Augenblick in Asgard. Schnellen Schrittes lief sie zu Odins Palast, sie war fest entschlossen und wütend wie selten in ihrem Leben. Sie wollte kein Spielball der Götter mehr sein, sie würde nun die Regeln mitbestimmen. Angst hatte sie keine, sollte sie wirklich Thors Tochter sein, würde ihr hier niemand ein Haar krümmen. Vor dem Palast zog sie unbemerkt ihre Tarnkappe aus, verstaute sie in der Jackentasche und betrat erhobenen Hauptes den Wallhall-Saal. Zorn sprühte aus ihren grünen Augen. Odin saß auf seinem Stuhl, neben ihm stand Thor, während Loki den beiden etwas zu berichten schien. Er hatte eine Brandnarbe in seinem schönen Gesicht, die einer von Mirabellas Blitzen in der Nacht verursacht hatte. Triumphierend unterdrückte sie ein Schmunzeln und ging auf die überraschte Troika des Nordens zu.

    „Mirabella, was verschafft uns die Ehre?", fragte Odin, sein Auge maß sie abschätzend. Loki musterte sie feindselig, während sie Odin zunickte, dann seinem Sohn. Ihr Blick blieb kurz an Thor hängen, Wut kam beim Anblick seiner roten Haare hoch, die sie nur mühsam unterdrückte. Schließlich grüßte sie Loki und tat überrascht, als sie die Wunden sah. Er maß sie einen Moment.

    „Wessen Ring ist das?", fragte er dann argwöhnisch.

    „Ragnars, erklärte Mirabella und ärgerte sich, dass sie ihn nicht in die Tasche gesteckt hatte. „Er hat ihn mir kurz ausgeliehen, weil ich eine Frage habe. Sie wandte sich an Thor. „Bist du mein… Erzeuger?"

    Stille. Man hätte eine Stecknadel fallen hören.

    Thor sah fast hilflos zu seinem Vater, der anfing zu lächeln.

    „Wie kommst du denn darauf, Mirabella?"

    „Ich wusste schon lange, dass ich keine Olympierin bin, aber dein Interesse an mir sowie Thors und Ragnars rote Haare legen diesen Schluss nahe."

    „Kluges Kind, das hast du nicht von deinem Vater."

    „Vielleicht von meinem Opa?", fragte sie schnippisch.

    Odin lachte tatsächlich. „Gut, hören wir mit dem Katz-und Maus-Spiel auf. Mich interessiert nur, wieso du gerade jetzt herkommst?"

    „Ich dachte, es wäre an der Zeit, sie sah zu Loki, „bevor vielleicht jemand die Wahrheit ausplaudert.

    Odin nickte. „Ich möchte dich nachher noch sprechen, nun kannst du erst einmal deinen… Erzeuger kennenlernen." Er deutete Thor an aufzustehen.

    „Nein, danke!, sagte Mirabella schnell. „Er hat sich bisher nicht um mich gekümmert, so soll es auch bleiben.

    Sie sah aus dem Augenwinkel, dass Thor ihr einen gekränkten Blick zuwarf.

    „Das darfst du ihm nicht vorwerfen, beschwichtigte Odin nun, „ich habe ihm den Kontakt verboten, wir wollten warten, bis du reif für diese Information bist.

    „Was ist das für ein Vater, der sich vorschreiben lässt, ob er zu seinem Kind stehen darf oder nicht?", fragte sie aggressiv.

    „Vielleicht ist das im Süden anders, aber hier hören die Kinder auf ihre Väter, insbesondere auf mich!", sprach Odin nun gefährlich ruhig.

    Mirabella tat unbeeindruckt. „Ich möchte dir einen Deal vorschlagen, Großvater. Ich besorge euch die zweite Statue, dafür bleibe ich offiziell Jupiters Tochter."

    Loki lachte zufrieden. „Na, was ein Zufall, den Handel wollten wir dir auch vorschlagen."

    Sie ignorierte ihn. „Ich spreche mit Odin."

    „So machst du dir keine Freunde hier, mein Kind", gab Odin vorsichtig zu Bedenken.

    Das Mädchen sah Odin finster an. „Ich habe genug Freunde, ich möchte auch nicht mit jedem befreundet sein."

    Sie spürte Lokis zornigen Blick. „Wenn du falschspielst und uns versuchst auszutricksen, dann bringe ich dich persönlich um!"

    Nun stand Thor auf und baute sich drohend vor Loki auf. „Das wirst du nicht wagen, Loki! Sie ist immerhin meine Tochter!"

    Mirabella sah gebannt zwischen den beiden Göttern hin und her und war heilfroh, dass zumindest nicht Loki ihr Vater war.

    Der Gott der Zwietracht schnaubte wütend und verließ den Saal. Aufstehend ergriff Odin wieder das Wort und reichte Mirabella die Hand. „Lass uns die Abmachung besiegeln."

    Sie schlug ein und Odin verließ ebenfalls den Saal.

    Nun stand Mirabella ihrem Vater gegenüber, seine roten Haare wurden durch die einfallende Sonne beleuchtet und strahlten wie ein goldroter Kranz um sein Haupt. Sein kurzer Vollbart bedeckte große Teile des männlichen Gesichtes, das eher von rauher Schönheit war, am Anziehendsten waren seine tief blauen Augen, die sie nun freundlich, fast schüchtern musterten. Mirabella verschränkte ihre Arme und sah ihn immer noch zornig an. Insgeheim musste sie sich eingestehen, dass er keinen unsympathischen Eindruck auf sie machte, aber sie musste sich nur vor Augen halten, wie er Jupiter betrogen hatte, um ihre Wut aufs Neue zu nähren.

    „Ragnar hat schon viel von dir erzählt. Es freut mich, dass ihr beide euch versteht", versuchte nun der Gott, ein Gespräch zu beginnen.

    „Er weiß nicht, dass ich seine Schwester bin?"

    Thor schüttelte sein Haupt. „Nein, das wissen nur wir drei, die hier eben anwesend waren."

    „Ich kann nicht begreifen, dass ihr mit so jemandem wie Loki verbündet seid. Er wollte mich umbringen."

    „Zu seiner Entschuldigung muss man fairerweise sagen, dass er dachte, du wärst Jupiters Tochter."

    „Und was ist mit Baldur und Nanna?"

    „Mirabella, es war nicht meine Entscheidung, Loki wieder in unsere Mitte aufzunehmen. Wir waren einst gute Freunde, er half mir einmal Mjöllnir, meinen Hammer, von den Riesen zurückzugewinnen, aber er half einmal und enttäuschte hundertfach. Ich werde ihm nie mehr trauen können. Ich muss mich jedoch dem Willen Odins beugen."

    „Weil nur Loki weiß, wo die geklaute Statue ist?"

    Thor sah leicht überrascht auf. „Du scheinst gut informiert zu sein."

    „Ich bin Vestalin und kann drei und drei zusammenzählen. Ich frage mich nur, ob er sie euch je geben wird."

    „Er wird versuchen, beide in seinen Besitz zu bekommen, so wie ich ihn kenne. Ich bin mir aber sicher, dass auch Odin dies bewusst ist."

    Sie nickte unwillig. „Ich werde jetzt zu ihm gehen."

    Ihr Vater machte eine kleine hilflose Geste. „Mirabella, es tut mir leid, dass die Umstände für das erste Kennenlernen nicht besser sind."

    „Mir auch", erwiderte sie kühl.

    „Habe ich nicht wenigstens eine Chance verdient? Ob du es willst oder nicht, ich bin dein Vater."

    „Nein, das bist du nicht!, fauchte ihn Mirabella an. „Jupiter ist mein Vater. Er hat sich um mich gekümmert, er hat mich ausgebildet und er liebt mich. So wie er meine Mutter geliebt hat. Und du hast ihn hintergangen, das werde ich dir nie verzeihen!

    Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen und rannte zur Tür hinaus.

    2 - Der Pakt

    Als sie Walhall verlassen hatte, holte sie einmal tief Luft und überlegte, wo Odin sich aufhalten könnte. Zielstrebig ging sie zu seinem Thronsaal, wo sie ihn mit seinen beiden Raben sitzend fand.

    „Du weißt, dass ich von hier oben alles überblicken kann, was sich in Asgard zuträgt?", fragte er Mirabella, als sie vor ihm stand.

    „Ich habe so etwas gelesen. Und?"

    „Thor ist als Menschenfreund und liebender Vater bekannt, gib ihm eine Chance!"

    „Wozu? Ich brauche keine drei Väter", erwiderte sie trotzig.

    Odins Stirn legte sich kurz in Falten. „Ach, du meinst deinen menschlichen Adoptivvater? Der wird dir wohl bleiben, aber was meinst du, wird passieren, wenn Jupiter erfährt, dass du nicht seine Tochter bist? Er wird dich fallen lassen, vielleicht sogar deinen Tod anordnen, um Thor zu strafen und die Schande zu tilgen."

    „Ich bin mir nicht sicher, ob er noch in so altmodischen Bahnen denkt. Interessanter ist: wie willst du verhindern, dass Loki die Wahrheit ausplaudert, nachdem ich die Statue besorgt habe? Ich bin nur solange sicher, wie ihr die Statue nicht besitzt, scheint mir."

    „Loki ist bekannt als Lügenmaul, ihm glaubt niemand, wenn wir das Gegenteil behaupten."

    „Die Olympier könnten Beweise fordern, es gibt doch sicher bei euch auch so eine Art von Vaterschaftstest oder nicht?"

    „Gewiss, aber da gibt es Mittel und Wege. Eine Probe deines vermeintlichen Bruders Nikolaos könnte durchaus helfen."

    „Und wie sollte man an die herankommen?"

    „Kommst du nicht in seinem Auftrag?"

    Mirabella sah Odin verwundert an. „In seinem Auftrag? Er weiß nicht, dass ich hier bin."

    Odin fixierte hinter ihr einen Punkt. Als sie sich umdrehte, erkannte sie Loki, der an der hinteren Wand lehnte, und ihr nun zunickte.

    „Was soll das?", fragte sie Odin verärgert.

    „Sie sagt die Wahrheit", rief nun Loki dazwischen.

    Odin nickte und schickte ihn mit einer Handbewegung raus.

    Mirabella schnaubte wenig besänftigt.

    „Nikolaos weiß also nichts von deiner Anwesenheit, von deinem Deal?"

    Wahrheitsgemäß schüttelte sie den Kopf.

    „Weiß er, dass Thor dein Vater ist?"

    „Nein", das war auch nicht richtig gelogen, er vermutete es bisher nur.

    „Wo warst du letzte Nacht?"

    Mirabella warf Odin einen gespielt überraschten Blick zu. „Ist das hier ein Verhör? Ich war in Nordschweden mit den Jungs in einer Hütte."

    „Die ganze Nacht?"

    „Nein, ich war kurz im Vesta-Tempel und in unserer Zwischenwelt, ich bin bei den Amazonen, wie du weißt, und hatte als solche einen kleinen Einsatz bei den Pterripus." Sie machte sich eine Notiz im Kopf, nachher bei Palatina, ihrer Flügelpferd-Freundin, vorbeizuschauen.

    „Und dabei kam dir, du müsstest nun mit mir reden?" Odins Stimme klang spöttisch.

    „Nein, eine Bemerkung von Uller gestern Abend machte mich stutzig. Er behauptete, Loki hätte das Gerücht verbreitet, Ragnar und ich wären ein Liebespaar, würde es jetzt jedoch vehement abstreiten. Wieso das? Weil er inzwischen erfahren hatte, dass wir Zwillinge sind!"

    Odin betrachtete sie einen langen Moment kritisch. „Also gut, ich werde dir fürs erste glauben, aber ich warne dich, Mirabella. Treib kein doppeltes Spiel mit uns, Verräter werden hart bestraft. Und als Nicht-Olympier und Asen-Verräter gibt es niemanden mehr, der dir helfen wird."

    Sie lächelte bitter. „Ja, eigentlich kann ich nur verlieren. Nochmals danke an deinen Sohn!"

    „Oh, der Dank gebührt eher mir, es war meine Idee, mein Geschenk an Thor für die perfekte Rache. Nur ich wusste, wieviel deine Mutter Jupiter bedeutet hat."

    „Wieso hast du dann Thor vorgeschickt?"

    „Es sollte seine Rache sein, außerdem würde ich mich nie mit Menschen abgeben."

    „Kam dir mal der Gedanke, dass du deinem eigenen Sohn damit auch geschadet haben könntest?"

    Tatsächlich seufzte Odin leicht. „Eben gerade", gab er zu.

    Mirabella sah mit Genugtuung seine leichte Zerknirschtheit.

    „Willst du mir den Gefallen tun, deine Wut an mir und nicht an ihm auszulassen?", fragte er schließlich.

    „Ich kann nichts versprechen", gab Mirabella mit blitzenden Augen zu.

    Odin lächelte plötzlich. „Du erinnerst mich sehr an den jungen, immer wütenden Thor, er stellte mich mehr in Frage als jeder andere Sohn. Ich weiß auch, dass er mein neues Bündnis mit Loki verurteilt."

    „Zu Recht", erwiderte sie trotzig.

    „Ich weiß, was ich tue, Mirabella, ich bin kein Narr. Weißt du, was du tust?"

    Sie sah ihn fragend an.

    „Hast du einen Plan für den Raub der zweiten Statue?"

    „Noch nicht, die Sicherheitsvorkehrungen sind enorm. Nachdem die erste gestohlen wurde, ist der Aufbewahrungsort praktisch uneinnehmbar gemacht worden, aber ich werde einen Weg finden. Ich bin schließlich die Hüterin der Statue."

    „Gut, wir haben Zeit, solange die andere Statue nicht an die andere Seite fällt."

    Mirabella nickte, dann sah sie Odin fragend an. „Was versprecht ihr euch von den Statuen eigentlich?"

    „Haben dir die Olympier erzählt, dass sie nur zur Herstellung des Friedens dienen, sie daher wiedervereinigt werden müssen?"

    Das Mädchen nickte unsicher. „Und das ist nur die halbe Wahrheit?"

    Odin lachte trocken. „Sie sind der Schlüssel zur Macht, mein Kind! Warum sind die Statuen von Griechenland nach Rom gewandert? Was passierte mit dem griechischen Reich und seinen Göttern?" Der einäugige Gott fixierte seine Enkelin abwartend.

    „Es wurde vom Römischen Reich und seinen Göttern abgelöst."

    „Genau, und was passierte nach der Trennung der Statuen vor über 1500 Jahren?"

    Mirabella sah auf. „Das Römische Reich zerfiel, niemand glaubte mehr an die antiken Götter."

    Odin sah sie triumphierend an. „Die römische Götterdämmerung und die unsrige."

    „Der Glaube an euch ging damals auch verloren?"

    „Nicht sofort, wir waren auch zu unser Blütezeit nur mehr lokale Gottheiten, aber nach und nach glaubte niemand mehr an uns. Im Mittelalter, als das Christentum in ganz Europa an die Macht gekommen war, wurde das wichtigste Werk über uns verfasst, sozusagen posthum."

    „Die Christen hatten aber nie die Statuen, oder?" Sie verstand nicht so ganz, was Odin sagen wollte.

    Er schüttelte den Kopf. „Aber das Erstarken war möglich durch die Trennung der Statuen. Wer immer sie heute wieder zusammenführen könnte, hat die Macht, eine neue europäische Religion zu stiften und anzuführen."

    „Die Menschen sind heute aufgeklärt, ich glaube nicht, dass eine Religion für alle Erfolg hat", widersprach sie skeptisch.

    „Religion im Sinne einer Ideologie würde durchaus funktionieren, Kind. Nimm zum Beispiel den allerorts erstarkenden Populismus und Nationalismus!"

    „Nationalismus?, Mirabella sah leicht entsetzt zu Odin. „Ihr wollt aber keine Nazis unterstützen?

    „Nein, wehrte er ab, „die haben uns schon einmal missbraucht, an dieser Kooperation sind wir nicht interessiert.

    „Ist das Zusammenführen unbedingt notwendig, fragte sie nun leicht verwirrt. „Ihr lebt doch alle heutzutage nicht schlecht, oder?

    Odin seufzte. „Götter wollen verehrt werden!"

    „Werdet ihr ja, man muss nur die entsprechenden Rollen finden. Jupiter und Thor haben sich doch super angepasst. Baldur hat mir erzählt, wie erfolgreich Thor ist."

    „Es ist löblich, dass du deinen Vater verteidigst, sagte Odin mit einem hinterhältigen Lächeln und Mirabella warf ihm einen bösen Blick zu, „aber sein Gemenschel wäre für mich nichts.

    „Du willst also die Verehrung von Wesen, die du verachtest?", fragte sie provozierend.

    „Ich verachte die Menschen nicht, aber ich biedere mich nicht an. Wir sind höher entwickelte Wesen, die von den niederen Wesen angesehen und verehrt gehören."

    „Snob", fiel Mirabella dazu nur ein und hätte immer geleugnet, dass sie Jupiter dies auch einmal vorgeworfen hatte.

    Odin sah sie erst leicht verärgert an, bis er plötzlich lachte. „Du ähnelst deinem Vater mehr, als du willst!"

    Sie warf ihrem Großvater einen trotzigen Blick zu. „Kann ich nun gehen?"

    Er nickte gnädig. „Aber, er machte eine kleine Pause, „lass mich dir noch deinen Ring überreichen, der dir von Geburt an zusteht. Mit diesen Worten streckte er Mirabella seine geöffnete Hand entgegen, auf der ein Ring lag, der demjenigen, den sie trug, sehr ähnlich sah.

    „Die Olympier sollten ihn jedoch nicht zu Gesicht bekommen, wenn du deine Herkunft geheim halten möchtest."

    Die nordische Halbgöttin nickte, zögerte einen Moment, dann griff sie nach dem Ring. Es war ein schlichtes bronzen schimmerndes Schmuckstück mit kleinen Gravuren, statt eines Steins war ein Siegel am Ring befestigt. Sie sah fragend auf.

    „Das Siegel von Asgard."

    „Und die Zeichen?"

    „Es sind Runen. Dein Name und der deines Vater sind eingraviert, sowie deine persönliche Rune."

    „Mein Name?"

    „Dein nordischer Name, den wir dir gegeben haben."

    Sie sah ihren Großvater überrascht an. „Ihr habt mir einen Namen gegeben?"

    Odin nickte amüsiert. „Ich war für Ragna, eine Kämpferin der Götter, besser noch Solveig, eine Kämpferin des Hauses. Oder zumindest Asdis, eine Göttin der Asen… Er seufzte. „Aber Thor wollte davon nichts hören, vielleicht ahnte er, dass du deine Herkunft verleugnen willst. Er entschied sich für Runa. Es steht im Norden für geheimes Wissen. Du sollst wohl dein Schicksal selbst schreiben.

    Mirabella betrachtete den Ring. „Runa", wiederholte sie nachdenklich und packte den Ring zur Feder von Palatina in ihre Handy-Tasche.

    „Ich muss jetzt zu Ragnar, seinen Ring zurückbringen."

    Odin nickte gnädig und sie verließ den Saal. Im Gang lungerte Loki herum und maß sie abschätzend. Erhobenen Hauptes stolzierte sie an ihm vorbei, auch wenn ihr innerlich die Knie weich wurden.

    Über die Bifröst rutschte sie in die Zwischenwelt, lief über die Zwischenweltgrenze in den Süden und rief Palatina zu sich. Diese flog sie zum Portal und Mirabella erklärte ihr, dass sie ihr Alibi für heute Nacht war. Palatina stimmte ohne Nachfrage zu und Mirabella streichelte sie liebevoll zum Abschied. In einer Blase flog sie zurück zur schwedischen Hütte, von den Jungs war jedoch keine Spur zu sehen. Müde setzte sie sich auf ihr Bett, nachdem die Anspannung der letzten Nacht langsam von ihr abfiel, schrieb eine Nachricht an Lorenzo, dass sie in der Hütte wäre und sich ein wenig hinlegen würde. Traurig starrte sie eine Weile auf das leere Bett von Nikolaos. Wann würde sie ihn wiedersehen? Auf welches Spiel mit Juno hatte er sich eingelassen? Sie glaubte ihm, dass er sie als Mirabella im Moment liebte, aber erwartete er nicht absolute Loyalität gegenüber den Olympiern? Was würde passieren, wenn der Süden sie verstieß? Würde er noch zu ihr stehen? Was würde er dazu sagen, wenn Runa sich für die Nordische Seite entscheiden würde? Er war schließlich der Sohn des Jupiters und einer, auf den Jupiter offensichtlich voll und ganz zählte. Sie lächelte plötzlich traurig über das alte Problem, als sie noch dachte, die olympische Verwandtschaft zwischen ihnen wäre das größte Hindernis für eine Beziehung zwischen ihnen. Sie legte sich oben auf ihr Stockbett und starrte an die weiße Decke. Wenn sie wieder wacher war, musste sie sich Gedanken über ihren wahnwitzigen Deal mit Odin machen, die zweite Statue für den Norden zu klauen. Was war nur in sie gefahren, sie anzubieten? Innerlich erschauderte sie über ihren eigenen Wagemut, der die Grenze zur Dummheit bei genauerer Betrachtung weit überschritten hatte. Aber was hätte sie sonst anbieten können, um ihre Identität geheim zu halten? Sollte sie sich Vesta anvertrauen? Oder ebenfalls Juno? Sie könnte ihr helfen, die Statue im Vesta-Tempel zu stehlen, aber würde Juno dies für Jupiter tun? Wenn es stimmte, was Odin sagte, würde der Verlust beider Statuen wahrscheinlich den Ruin des Olymps bedeuten. Mirabella nahm sich vor, Vesta erneut über die Natur der Statuen zu befragen. Glaubte Vesta wirklich an die Herstellung des Friedens durch die Vereinigung der Statuen?

    Über diesen und sehr verworrenen Gedanken schlief sie schließlich erschöpft ein.

    3 - Konsequenzen

    „Hi", Mirabella sah in Lorenzos lächelndes Gesicht und überlegte einen Augenblick, ob sie die gesamte Nacht, die Rettung von Nikolaos, seine Küsse und das Gespräch mit Odin alles nur geträumt hatte.

    „Hi", antwortete sie verschlafen. Ragnar und Lorenzo standen beide in Skianzügen vor ihr und sahen sie erwartungsvoll an. Sie richtete sich langsam auf, war sie tatsächlich eingeschlafen?

    Lorenzo hob sie vom Stockbett hinunter und umarmte sie fest. „Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist!"

    „Was ist mit Nick?", fragte nun Ragnar neugierig.

    Ihre Miene wurde ernst und sie wandte sich aus der Umarmung.

    „Ihr wisst von nichts, bitte. Speziell du, Ragnar, darfst niemandem sagen, wo ich heute Nacht war. Es ist für dich und für Nick besser. Loki hat es auf ihn abgesehen, er muss jetzt wohl eine Weile untertauchen, ich darf keinen Kontakt zu ihm haben, niemand."

    „Aber wieso, was hatte Nick in Asgard zu suchen?"

    Sie schüttelte den Kopf. „Ich darf darüber nichts sagen, bitte."

    Ragnars Augenbrauen gingen nach oben. „Geht es um die blöden Statuen?"

    Mirabella lächelte kurz. „Ich hab dir schon mal gesagt, dass sie nicht blöd sind! Und…ja."

    Der rothaarige Halbgott verdrehte die Augen. „Na, toll, wir versuchen hier einen auf Freundschaft zwischen Nord und Süd und dein Bruder will im Auftrag des Südens die Statue klauen! Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dir meinen Ring nicht geliehen."

    Mirabella zog seinen Ring vom Finger und gab ihn zurück. „Er handelt im Auftrag von Jupiter, sie gehören schließlich dem Süden. Loki hat die Statue geklaut."

    „Loki?"

    Sie nickte. „Odin hat sie auch nicht."

    Ragnars Gesicht erhellte sich plötzlich, aber Lorenzo formulierte es schneller. „Daher der Deal zwischen Loki und Odin?"

    „Schaut so aus", stimmte sie zu.

    „Und was machen wir jetzt?"

    „So weiter wie bevor, sagte das Mädchen bestimmt, „sollen die Alten doch rumspinnen, wir bleiben Freunde, oder?

    Sie blickte Ragnar an und sah ihn plötzlich mit ganz anderen Augen. Er war ihr Zwillingsbruder, nicht halb, sondern ganz und gar. Ragnar zögerte kurz, dann nickte er gutmütig und reichte ihr die Hand. Sie schlug ein. „Mein nordischer Bruder!"

    Er lachte. „Na gut, ich habe übrigens einen Bärenhunger, kochen wir etwas zusammen?"

    Als sie mit den beiden Jungs zusammen Essen vorbereitete, fiel ihr plötzlich auf, dass sie Lorenzo heute Nacht betrogen hatte. Es tat ihr so leid, dass ihr kurzzeitig etwas übel wurde, sie wollte ihm nicht wehtun, sie hatte ihn wirklich gern, aber sie würde mit ihm reden müssen. Mit ihm zusammen zu sein, ihn wieder zu küssen, konnte sie sich beim besten Willen nicht mehr vorstellen, es würde sich anfühlen, als ob sie Nikolaos betrügen würde, auch wenn sie nichts Verbindliches vereinbart hatten. Wie auch? Sie wusste nicht einmal, ob sie ihn je wiedersehen würde…

    In Konsequenz musste sie aber die Beziehung mit Lorenzo beenden. Oh Gott, wie machte man auf nette Weise Schluss? Mirabella sah immer wieder leicht nervös zu ihrem Noch-Freund, während sie den Salat zupfte und die Tomaten schnitt. Dieser alberte gerade mit Ragnar herum und schien sich ihrer Aufmerksamkeit gar nicht bewusst zu sein.

    „Autsch, jetzt hatte sie sich auch noch in den Finger geschnitten. Schnell steckte sie ihn in den Mund, nuschelte zu den fragend schauenden Jungs, „nicht schlimm, und hechtete ins Bad. Dort wusch sie den Finger ab, band etwas Toilettenpapier herum, als ihr die Salbe von Lorenzo in den Sinn kam. Rasch lief sie zu ihrem Rucksack im Schlafzimmer, kramte nach dem Döschen und schmierte die Salbe auf den Finger. Fasziniert konnte sie zusehen, wie sich die Wunde schloss und nach wenigen Augenblicken die Haut unversehrt aussah. „Wow!, sagte sie zu sich selbst, als sie Lorenzo in der Tür stehen sah. Er lächelte sie an. „Ist super, oder?

    „Ja, wirklich. Eigentlich Verschwendung, sie für so eine kleine Wunde zu verwenden, aber ich hatte sie bisher noch nicht ausprobieren können."

    „Zum Glück!" Er sah sich um, aber Ragnar klapperte in der Küche.

    „Kannst du mir erzählen, was passiert ist?"

    Nach kurzem Zögern nickte sie. Leise erzählte sie, wie sie Nikolaos in Lokis Bann gefunden hatte. Sie war mit ihrer Tarnkappe unsichtbar herangeschlichen und hatte Loki mit Blitzen attackiert, einen Schutzschild aufgebaut, Nikolaos, seinen Mantel und seine Tarnkappe geschnappt und war durch ein Portal entschlüpft. Der Festsaal in Freyas ehemaligem Palast, den nun Loki bewohnte, bot nämlich mehrere Portale in die nordischen Zwischenwelten. „Eigentlich hatte ich auf Lichtalbenheim gehofft, aber es war Schwarzalbenheim und irgendein unterirdischer Gang. Mit dem Ring von Ragnar konnten wir aber nach Asgard zurück, direkt ans Tor. Von dort sind wir zur Bifröst, der Regenbogenbrücke in die Zwischenwelt des Nordens, gelaufen. Auf der Brücke habe ich uns dann in Vestas Tempel teleportiert."

    „Cool, sagte Lorenzo beeindruckt. „Gehört die Tarnkappe eigentlich zur Jupiterkinder-Ausstattung?, fragte er scherzhaft.

    Mirabella musste lachen. „Nein, ich weiß nur von den beiden existierenden." Dass jene von Nikolaos die aus dem Norden geklaute war, durfte sie ihm nicht mitteilen, das war geheimes Wissen.

    „Und dann?", fragte Lorenzo interessiert.

    „Äh, sie errötete leicht. „Was dann?

    „Naja, die Aktion wird ja nicht den Rest der Nacht gedauert haben. Wo seid ihr dann hin?"

    „Wir sind im Vesta-Tempel geblieben, weil wir da sicher waren, das ist einer der sichersten Orte, würde ich meinen."

    „Dann hättest du dich mal melden können, dass du in Sicherheit bist, monierte Lorenzo nun. „Wir waren lange auf und haben auf ein Zeichen von dir gewartet.

    „Entschuldige." Sie traute sich nicht zuzugeben, dass sie erst am Morgen wieder an ihn gedacht hatte.

    Lorenzo nickte unzufrieden. „Hat Loki dich erkannt?"

    „Ich glaube nicht, wobei er Gedanken lesen kann, aber er war, glaube ich, zu sehr damit beschäftigt, Nick zu brechen…"

    „Zu brechen?"

    „Seinen Widerstand, um ihn auszuhorchen. Im Verdacht hat er mich sicherlich."

    „Warum?"

    „Er weiß, denke ich, wie Nick Ragnar und mich vor ihm gerettet hat. Die Dissoziation."

    „Du sagtest, du dürftest keinen Kontakt mehr zu Nick haben. Auch nicht via Dissoziation?"

    Mirabella schüttelte traurig den Kopf. „Ich darf nicht wissen, wo er sich versteckt, sonst findet ihn Loki vielleicht, wenn ich in Asgard bin."

    Nun ging er auf sie zu. „Kommst du damit klar?"

    „Ich weiß es nicht, als sie aufsah, schimmerten Tränen in ihren Augen, schließlich schluchzte sie laut auf und Lorenzo nahm sie in seine Arme. Sie weinte eine Weile in seine Schulter, dann wischte sie mit ihren Händen die Tränen weg. „Entschuldige mich kurz, mit diesen Worten wandte sie sich aus seiner Umarmung und lief ins Bad. Geräuschvoll schnäuzte sie sich, warf sich Wasser ins Gesicht und trocknete sich ab. Ein Blick in den Spiegel zeigte ihr rote verquollene Augen und ein schlechtes Gewissen, das sie mahnend ansah und sie direkt ins Herz traf. Schließlich atmete sie einmal tief durch und trat aus der Tür. Lorenzo saß auf seinem Bett im Schlafzimmer und starrte vor sich hin, als sie das Zimmer betrat: leise und mit leiser Stimme. „Wir müssen reden, Enzo."

    4 - Die andere Wahrheit

    Als Mirabella am nächsten Tag, dem letzten der Ferien, in ihrem Bett aufwachte, verspürte sie keinerlei Lust aufzustehen. Wozu? Ihr ganzes Leben erschien ihr gerade ein einziges Jammertal zu sein. Nikolaos war aus ihrem Leben verschwunden und Lorenzo war sauer auf sie.

    Sie verschränkte ihre Arme hinter dem Kopf und dachte über das Gespräch mit ihrem Ex nach. Natürlich war sie mit der Tür ins Haus gefallen, obwohl sie es hatte behutsam angehen wollen.

    „Ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein", war ihr erster Satz gewesen. Sehr gut, Mira, das war echt feinfühlig gewesen!

    Lorenzo war erst sehr blass geworden, dann hatte er wütend nachgefragt. „Was ist heute Nacht passiert?"

    Sie schluckte, wie sie gestern einen gefühlt mega-fetten Kloß hinunterschlucken musste. Einige Sekunden hatte sie nicht sprechen können, dann hatte sie leise berichtet, dass ihr bei der Rettung von Nikolaos klargeworden wäre, dass sie ihn liebte. „Und nicht wie einen Bruder."

    Lorenzo hatte zornig geschnaubt. „Hatte ich das nicht immer behauptet? Ich, Idiot, wieso habe ich dir nur geglaubt, dass es nicht so ist? Gibst du jetzt zu, dass du mir etwas vorgemacht hast?"

    „Ich habe auch mir selbst etwas vorgemacht. Es tut mir leid."

    Mit den Worten, „Ich brauche frische Luft", war er rausgestürmt.

    Als sie in die Küche eingetreten war, hatte Ragnar sie fragend angeschaut. „Habt ihr Streit?"

    „Ich habe Schluss gemacht."

    In kurzen Worten hatte sie erklärt, was sie gerade Lorenzo gesagt hatte.

    „Und bist du jetzt mit Nick zusammen?"

    Erneut waren ihr Tränen in die Augen getreten. „Also, ich weiß nicht, ich darf keinen Kontakt mehr zu ihm haben."

    „Und wieso musstest du dich dann unbedingt jetzt trennen?"

    „Wir haben uns geküsst. Ich könnte mit niemand anderem zusammen sein. Selbst wenn ich ihn nie wiedersehen werde."

    Ragnar hatte sie mitleidig angesehen und sie kurz in den Arm genommen. „Ich werde mal nach Enzo schauen, okay?"

    „Ja, bitte. Kannst du dich etwas um ihn kümmern, es tut mir so leid. Ich habe ihn wirklich liebgewonnen, aber…"

    „…es gab immer schon Nick. Ragnar hatte den Kopf geschüttelt. „Es war für einen Blinden sichtbar!

    „Ich dachte, er wäre mein Bruder…"

    „Das ist er immer noch, oder nicht?"

    Mirabella war rot geworden, sie hatte sich verplappert. „Ja, klar!"

    Ragnar war schließlich auf die Suche nach Lorenzo gegangen und sie hatte eiligst zusammengepackt und die Hütte verlassen.

    Missmutig stand sie auf und starrte auf die Isar. Gestern hatte sie Trost bei ihrem ehemaligen Kindermädchen Greta gesucht, sich ihr aber letztendlich nicht anvertraut. Sie hatte panische Angst vor der Reaktion der Olympier, wenn sie herausfinden sollten, dass sie von den Asen abstammte. Mirabella wusste, dass Greta sie wirklich liebte, aber sie liebte sie als Jupitertochter. Konnte sie als südliche Nymphe weiterhin loyal zu einer Thortochter sein? Sie war die Tochter des Feindes. Wer aber war nun ihr Freund oder Feind?

    Sie seufzte und setzte sich wieder auf ihr Bett. Was liebte man, wenn man jemanden liebte? Nikolaos hatte behauptet, er würde sie auch lieben, wenn sie die Tochter der Hydra wäre, und wie eine Schwester hatte er sie sowieso nie angesehen. Im Gespräch mit Juno hatte sie gehört,

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