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Die Leiche mit dem Teelikör. Ostfrieslandkrimi
Die Leiche mit dem Teelikör. Ostfrieslandkrimi
Die Leiche mit dem Teelikör. Ostfrieslandkrimi
eBook210 Seiten2 Stunden

Die Leiche mit dem Teelikör. Ostfrieslandkrimi

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Über dieses E-Book

Ruth Fasan freut sich auf das Konzert der Band Silent Waters am Greetsieler Hafen, doch anstatt eines entspannten Abends erwartet die Hauptkommissarin ein neuer Mordfall. Vor ihren Augen bricht der Akkordeonspieler Mark Verdink über seinem Instrument zusammen. Die Todesursache ist schnell geklärt: Der Teelikör des Musikers wurde vergiftet! Ruth Fasan und ihr Kollege Hagen Reese nehmen die Mitglieder der Silent Waters ins Visier. Offenbar war das Opfer noch vor wenigen Wochen mit der Sängerin der Band liiert. Sind Streitigkeiten unter den Musikern aus den Fugen geraten? Und was hat Ruth Fasans Ex-Mann, der plötzlich in Greetsiel auftaucht, mit der Band zu tun? Zu allem Überfluss fehlt von der Flasche mit dem vergifteten Teelikör jede Spur. Wenn sie nicht schnell gefunden wird, sind möglicherweise noch mehr Menschen in tödlicher Gefahr...

SpracheDeutsch
HerausgeberKlarant
Erscheinungsdatum5. Apr. 2022
ISBN9783965865723
Die Leiche mit dem Teelikör. Ostfrieslandkrimi
Autor

Jan Olsen

Jan Olsen ist das neue Pseudonym eines seit 1991 in verschiedenen Genres erfolgreichen Schriftstellers. Jan ist mit einer Hebamme verheiratet, hat drei inzwischen erwachsene Kinder und darf sich seit Kurzem auch Großvater nennen. Als Kind des Nordens ist er der Nordsee mit all ihren rauen und lieblichen Facetten besonders zugetan und ließ kaum eine Ferienzeit verstreichen, ohne diese Gestade mit seiner Familie zu besuchen. Auch heute noch stehen Ferien an der Nordsee jedes Jahr auf dem Programm. Seine Vorliebe für die Nordsee und die dort lebenden Menschen kann er in seinen Ostfrieslandkrimis nun nach Herzenslust ausleben.

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    Buchvorschau

    Die Leiche mit dem Teelikör. Ostfrieslandkrimi - Jan Olsen

    Kapitel 1

    Hauptkommissarin Ruth Fasan ließ ihr Fahrrad ausrollen und stoppte vor den Abstellplätzen, die der Veranstalter des Hafenkonzerts für die Besucher eingerichtet hatte. Vorsichtig, damit sich das lange Sommerkleid nicht am Rahmen verfing, stieg sie von ihrem Draht­esel ab und schob das Vorderrad dann in einen freien Haltebügel. Sie ließ das Schloss zuschnappen, zog die Sandalen aus und schlüpfte in die Hackenschuhe, die sie im Fahrradkorb deponiert hatte. Sie schulterte ihre Handtasche und löste den Knoten ihrer Stola, sodass das Kaschmirgewebe geschmeidig ihren Oberkörper umspielte. Schließlich fuhr sie sich mit den Fingern durch das dunkle, lockige Haar, das im Fahrtwind ein wenig die Fasson verloren hatte. Nachdem sie diese Vorbereitungen abgeschlossen hatte, atmete sie tief durch.

    »Du bist ja tatsächlich ein bisschen aufgeregt«, sprach sie leise zu sich selbst. Und die kurze Strecke von deinem Deichhaus bis zum Greetsieler Hafen hat dich atemloser gemacht, als man es von einer gut durchtrainierten Frau in den Fünfzigern erwarten würde, setzte sie in Gedanken hinzu.

    Aufmerksam, aber doch unauffällig, um keinen falschen Eindruck zu erwecken, blickte sie sich um. Die Leute sollten schließlich nicht denken, dass diese schlanke, kräftige Frau mit ihren hellbraunen Augen gerade sehnsüchtig nach dem Mann Ausschau hielt, mit dem sie heute Abend verabredet war. Und noch viel weniger sollte Kapitän Felix Seitz so etwas vermuten, für den Fall, dass er sie in diesem Moment gerade betrachtete, was Ruth allerdings überhaupt nicht unangenehm gewesen wäre. Im Gegenteil, sie hätte es genossen zu wissen, dass Felix sie in diesem Augenblick beobachtete und vielleicht sogar ihre Figur bewunderte, die sich dezent unter dem luftigen Stoff ihres Kleides und der Stola abzeichnete. Ruth wusste, dass sie eher als herbe Schönheit galt, aber sie wusste auch, dass sie auf viele Männer gerade deswegen einen starken Reiz ausübte.

    Über sich selbst leicht genervt verdrehte die Hauptkommissarin die Augen. Du denkst ja fast wie ein Teenager, kritisierte sie sich im Stillen. Sie gab sich einen Ruck und schlenderte die Promenade am alten Deich entlang. Sie befand sich am nördlichen Ende des gerade verlaufenden Wegs. Er war bevölkert mit Touristen und den Gästen, die das abendliche Hafenkonzert besuchen wollten.

    Auf der rechten Seite erstreckte sich der Deich, hinter dem die Dächer der Wohnhäuser und Restaurants vorwitzig hervorlugten. Auf der anderen Seite des Wegs verlief ein zwei Meter hoher Mietzaun. Dieser umgab das gesamte Gelände, auf dem die Musik­aufführung stattfinden sollte. Die Zaunelemente steckten in soliden Betonfüßen, und an einigen von ihnen waren Banner mit dem Namen der Shanty-Band festgemacht, die mehrmals in Greetsiel auftreten würde: Silent Waters.

    Vor dem Eingang des Festgeländes tummelten sich bereits etliche Besucher, denn der Einlass hatte schon begonnen. Das Konzert sollte in Kürze losgehen. Um den Getränke-Pavillon auf der anderen Seite des Zauns drängten sich viele Männer und Frauen, die schnell noch ein Bier oder eine Cola ordern wollten, ehe das Shanty-Quartett mit seiner Darbietung loslegte. Die Bühne konnte Ruth nicht sehen, denn ein schwarzes, rechteckiges Zelt, in dem die Tontechnik unterge­bracht war, verstellte ihr die Sicht.

    Ruth ging weiter, stoppte jedoch im nächsten Moment, um eine Kellnerin passieren zu lassen, die den Deich hinuntergeeilt kam. Die Frau in der rüschenverzierten Kluft einer Servierkraft hielt ein Tablett mit Fischbrötchen in den Händen und glitt mit gekonnter Eleganz an den Passanten vorbei. Kurz darauf schlängelte sie sich durch die vor dem Eingang stehenden Konzertbesucher und ver­schwand in der Menschenmenge auf dem Festgelände.

    All dies nahm Ruth nur am Rande wahr, während sie auf dem alten Deichweg nach Kapitän Seitz Ausschau hielt. Aber die stattliche Statur des Kapitäns der Wasserschutzpolizei konnte sie nirgendwo entdecken.

    Hoffentlich ist er nicht ungehalten, weil ich mich verspätet habe, dachte sie. Das wäre ein schlechter Start in diesen Abend.

    Ruth schaffte es nun nicht mehr, ihre Nervosität zu unterdrücken. Sie reckte den Hals und äugte angestrengt über die Köpfe der Passanten hinweg. Da endlich erblickte sie den breiten Rücken eines Mannes mit kurzen, dunkelblonden Haaren. Er trug einen legeren anthrazitfarbenen Sakko, der seidig im warmen Licht der Abend­sonne schimmerte.

    Ruth war sich ziemlich sicher, dass es sich um Felix handeln musste. Zwar hatten sie sich noch nicht allzu oft getroffen, aber die wenigen Begegnungen waren so einprägsam gewesen, dass ihr der Kapitän dennoch irgendwie vertraut vorkam.

    Der Mann, dem sie sich nun von hinten näherte, machte auf sie einen leicht angespannten Eindruck. Mit durchgedrücktem Rücken und breitem Kreuz stand er da und blickte den alten Deichweg hinunter. Offenbar erwartete er, dass Ruth aus Richtung der Greetsieler Altstadt zur Festwiese heraufkam. Dass er sie trotz der fortgeschrittenen Stunde noch immer nicht auf dem schmalen Asphaltband entdecken konnte, machte ihn sichtlich unruhig.

    Ruth stellte sich hinter ihn und sagte in beiläufigem Tonfall: »Der Greetsieler Hafen ist mitunter recht interessant, nicht wahr?«

    Der Mann drehte sich mit einer fließenden Bewegung zu ihr um. Ruth blickte in ein braungebranntes, markantes Gesicht, das freund­lich auf sie herabschaute. Die hellblauen Augen musterten sie mit einem belustigten Ausdruck. Offenbar hatte er Ruth am Klang ihrer Stimme sofort erkannt. Nach Anzeichen von Verärgerung oder Unwillen suchte sie in seinem Antlitz jedoch vergeblich.

    »Da bist du ja«, sagte er ohne Vorwurf in der Stimme. »Ich hatte schon befürchtet, die Shantys ohne reizende Person an meiner Seite mitgrölen zu müssen.«

    Ruth deutete mit dem Daumen hinter sich. »Ich bin aus nördlicher Richtung gekommen«, erklärte sie. »Mit dem Fahrrad ist es von meinem Haus aus quasi nur ein Katzensprung bis zum Hafen.«

    »Dann weiß ich das nächste Mal ja, in welche Richtung ich schauen muss«, gab Seitz freundlich zurück.

    Ruth fühlte sich erleichtert. Dennoch meinte sie, sich entschuldigen zu müssen. »In der Polizeistation gab es noch etwas Wichtiges zu erledigen«, sagte sie. Dass sie in ihrem Haus anschließend eine halbe Stunde damit zugebracht hatte, sich für diesen Abend zurechtzu­machen, ließ sie lieber unerwähnt. Felix musste ja nicht unbedingt wissen, dass sie fünf Kleider anprobiert hatte, bis sie sich endlich entschieden hatte, welches sie anziehen wollte.

    Kommentarlos winkelte der Kapitän den Arm an, damit Ruth sich unterhaken konnte. Sie schob die Hand in seine Armbeuge und stieß ihn dann sanft mit der Schulter an. »Du bist mir wirklich nicht böse, weil ich dich habe warten lassen?«, erkundigte sie sich.

    Seitz schenkte ihr ein offenherziges Lächeln. »Ich wäre ja dumm, wenn ich mir diesen Abend mit Derartigem verderben würde.« Er musterte sie von der Seite. »Ich freue mich, dich jetzt bei mir zu haben. Alles andere ist unwichtig.«

    »Weil du die Shantys mitgrölen willst und es dir mehr Spaß macht, wenn du eine reizende Person an deiner Seite hast?«, fragte Ruth spitzbübisch.

    Seitz nickte ernst. »Unter anderem.«

    Sie lachten. Wenig später erreichten sie den Eingang. Seitz holte die Eintrittskarten hervor und reichte sie einem der beiden kraftstrotzen­den Männer, die die Billets kontrollierten. Es handelte sich um Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes, wie das Emblem auf den schwarzen T-Shirts verriet. Der Mann riss die Eintrittskarten unsanft in der Mitte durch und gab sie seinem Besitzer zurück.

    Felix geleitete Ruth an dem belagerten Getränke-Pavillon vorbei. »Ich hole uns nachher etwas zu trinken«, sagte er. »Erst einmal sollten wir uns einen Platz suchen.«

    Sie ließen das schwarze Zelt der Tontechniker hinter sich. Darin hantierten ein Mann und eine Frau geschäftig an den Bedienpulten herum, was Ruth vermuten ließ, dass der Soundcheck noch nicht zu ihrer Zufriedenheit abgeschlossen war. Ein gelbes Stoffbanner mit blauer Schrift hing über der Öffnung, die der Bühne zugekehrt war. Watt für’n Ton! war darauf zu lesen. Offenbar handelte es sich um den Namen des Betriebes, der für die Veranstaltungstechnik zustän­dig war. Dem Wort »Watt« kam dabei eine Doppelbedeutung zu, denn es bezeichnete sowohl die Leistung einer Musikanlage als auch den Küstenbereich, der bei Ebbe von dem zurückweichenden Wasser offengelegt wurde. Außerdem schwang ein sympathischer, plattdeut­scher Ton in dem Firmennamen mit. Dieses kleine Wortspiel ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass diese Firma in Ostfriesland ansässig war.

    Ruth ließ den Blick über den Zuschauerbereich schweifen. Dieser war komplett mit Sandstrand bedeckt. Er war Tage zuvor mit einem LKW angefahren und auf die Wiese geschüttet worden, wie Ruth hatte beobachten können. Etliche Strandkörbe waren für die Zuschauer aufgestellt worden. Aber sie waren bereits alle besetzt.

    Seitz zog Ruth mit sich näher zur Bühne heran, die von einer luftigen Plane überspannt wurde. Der Bereich davor war mit Strand­matten ausgelegt, auf denen Kissen und Wolldecken bereitlagen. Doch auch hier gab es kaum noch einen freien Platz. Auf den wenigen noch unbesetzten Matten wiesen Schilder darauf hin, dass sie reserviert waren.

    Plötzlich tauchte die Kellnerin vor den beiden auf. »Sie sind Hauptkommissarin Ruth Fasan, habe ich recht?«, sprach die Frau Ruth direkt an. Sie drückte das nun leere Tablett mit beiden Händen gegen ihre Brust. Die linke Gesichtshälfte der jungen Frau schien gelähmt zu sein, denn während die rechte Seite beim Sprechen lebhafte Mimik zeigte, blieb die andere merkwürdig unbewegt. Das lange brünette Haar hatte sie im Nacken stramm zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, sodass der Makel in ihrem Gesicht von keiner einzigen Strähne verdeckt wurde.

    »Das ist richtig«, erwiderte Ruth und lächelte höflich.

    »Ich habe in der Lokalzeitung über Sie gelesen«, fuhr die Frau fort. »Seit Sie in Greetsiel arbeiten, haben Sie schon zwei Mordfälle aufgeklärt … das ist beachtlich.«

    »Das war nicht allein mein Verdienst«, entgegnete Ruth. »Mein Kollege Hagen Reese und die Streifenpolizistin Alice Bergmann haben entscheidend dazu beigetragen.«

    Die Frau wischte sich mit dem Fingerknöchel eine Träne aus dem linken Auge, das wegen der Lähmung ein wenig nässte. »Wir können uns glücklich schätzen, eine so fähige Kriminalkommissarin wie Sie in Greetsiel zu haben.«

    »Und ich bin froh, dass es diese freie Stelle für mich gegeben hat«, erwiderte Ruth. »Bei der Polizei Greetsiel anzufangen, hat sich für mich als Glücksfall herausgestellt.« Unwillkürlich drückte sie Felix’ Arm.

    »Apropos freie Stelle«, brachte sich der Kapitän ein. »Sie können uns nicht zufällig sagen, wo wir uns hier niederlassen können?« Er sah sich um. »Wir wurden aufgehalten und konnten daher nicht rechtzeitig einen freien Platz für uns ergattern.«

    Die Kellnerin überlegte kurz. »Kommen Sie mit«, sagte sie dann und drehte sich um. An den auf den Strandmatten sitzenden Gästen vorbei ging sie auf die Bühne zu. Vor einer noch unbesetzten Strandmatte blieb sie stehen, nahm das Reservierungsschild an sich und deutete damit auf die Sitzkissen. »Bitteschön. Die Gäste, die diesen Platz gebucht hatten, haben vor wenigen Minuten telefonisch abgesagt. Sie dürfen es sich hier also gerne gemütlich machen.«

    »Das ist ja wundervoll«, freute sich Ruth. Sie lüpfte ihr Kleid ein wenig und ließ sich auf einem der Kissen nieder.

    »Dürfte ich Sie bitten, uns etwas zu trinken zu bringen?«, sprach Seitz die Kellnerin an.

    »Tut mir leid«, erwiderte sie. »Mein Job ist es, mich um das Wohl­ergehen der Musiker zu kümmern.« Mit dem leeren Tablett deutete sie zur leicht erhöhten Bühne hinauf. »Die halten mich ganz schön auf Trab. Entschuldigen Sie mich jetzt also bitte.« Mit diesen Worten wandte sie sich ab und eilte davon.

    »Ziemlich dreist von dir«, merkte Ruth an, während sich Felix neben sie setzte.

    »Soll ich ein Stück von dir abrücken?«, fragte er und mimte den Verwunderten.

    Ruth boxte ihn in die Seite. »Ich meinte, es war dreist von dir, die Kellnerin auch noch nach einem Getränk zu fragen, nachdem sie uns schon diesen komfortablen Sitzplatz zugeschanzt hat.«

    »Einen Versuch war es doch wert«, gab Seitz zurück. »Ohne zu fragen, hätten wir diesen freien Platz auch nicht bekommen.«

    Ruth setzte sich behaglich zurecht, zog die Beine an und schlang die Arme um die Knie. Das erste Mal sah sie sich nun bewusst das Geschehen auf der Bühne an. Vier Musiker hielten sich darauf auf. Am auffälligsten war der Bassist, und dies nicht nur, weil er ein schlaksiger, fast zwei Meter großer Mann war und seine schwarze Lockenmähne sein blasses, schmales Gesicht nahezu vollständig verdeckte, sondern vielmehr deswegen, weil der Korpus seines Kontrabasses eine Patina angesetzt hatte, die in etwa der Haarfarbe des Instrumentalisten entsprach. Das Musikinstrument musste schon sehr alt sein, wofür auch die Abnutzungsspuren an den Stellen sprachen, auf denen die Spielhand auflag.

    Bei dem Perkussionisten handelte es sich um einen kräftigen, drahtigen Burschen in verwaschener Jeans. Ein weißes geripptes Unterhemd schaute unter dem offenstehenden Fischerhemd hervor. Er saß rittlings auf einem Cajón. An der Klopfkiste waren zusätzlich Schellen und Schlagzeugbecken angebracht. Der Mann biss herzhaft von einem Fischbrötchen ab und unterhielt sich dann kauend mit dem Akkordeonspieler. Dieser hatte auf einem einfachen Klappstuhl Platz genommen, die Quetschkommode einsatzbereit auf seinen Ober­schenkeln. Zu seinem Fischerhemd trug er ein rotes Halstuch, das sein rostrotes Haar auffällig betonte.

    Vor dem Mikrofon und dem Publikum den Rücken zugekehrt stand eine zierliche Person in einem hellblauen ärmellosen Kleid, das bis knapp über die Knie reichte. Das silbergraue Haar lag eng am Kopf an und endete auf Halshöhe in einer gerade abgeschnittenen Linie. Mit rauer, tiefer Stimme redete sie auf die Musiker ein.

    Der Perkussionist legte das angebissene Fischbrötchen daraufhin auf einen Beistelltisch, kaute hektisch und schluckte. Der Bassist aber nippte gelassen an seinem Bier, wobei er seine Haare vorher ein wenig zur Seite hatte schieben müssen. Ruth bemerkte, dass sein Gesicht nicht nur bleich, sondern auch abgehärmt aussah und in den dunklen Augen ein stechender Ausdruck lag.

    »Dieses Shanty-Quartett sorgt in Ostfriesland derzeit ordentlich für Furore«, sagte Seitz. Ruth kam es vor, als wollte er die Musiker irgendwie aufwerten, weil sie in seinen Augen wohl ein bisschen zu exzentrisch aussahen. »Silent Waters nennt sich die Band, und ich habe schon viel Gutes über sie gelesen und gehört.«

    Ruth schenkte dem Kapitän ein Lächeln. »Ich zähle nicht zu den Menschen, die aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes einer Person ein Urteil über ihren Charakter oder ihre Fertigkeiten fällen«, erklärte sie.

    Felix sah sie verblüfft an. »Vor dir kann man wohl gar nichts verbergen.«

    »Was meinst du?«, fragte Ruth harmlos.

    »Ich

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