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Die Leiche im Sieltief. Ostfrieslandkrimi
Die Leiche im Sieltief. Ostfrieslandkrimi
Die Leiche im Sieltief. Ostfrieslandkrimi
eBook210 Seiten2 Stunden

Die Leiche im Sieltief. Ostfrieslandkrimi

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Über dieses E-Book

Eine Leiche im Greetsieler Sieltief! Die Kommissare Ruth Fasan und Hagen Reese stoßen auf fragwürdige Ermittlungen ihres Vorgängers bei der Polizei Greetsiel. Der neue Fall beginnt mit einer lebensgefährlichen Attacke auf das Auto des hiesigen Staatsanwalts. Der Staatsanwalt ist sich sicher, dass er die Grundschullehrerin Elisabet Scheurer erkannt hat, zudem soll sie im Ort die Zeche geprellt haben. Was ist bloß mit der sonst so friedlichen ostfriesischen Grundschullehrerin los? Ein Alibi für eine der Taten erhält sie allerdings ausgerechnet von Peer Wieler, dem pensionierten ehemaligen Kommissar von Greetsiel! Seine Nachfolger Ruth Fasan und Hagen Reese finden den Vermerk einer polizeilichen Akte über Elisabet Scheurer. Aber die Akte existiert nicht mehr und wurde nie digitalisiert. Warum will der pensionierte Kommissar Wieler nicht über die damaligen Ermittlungen gegen die Grundschullehrerin sprechen? Und was verbindet ihn mit der Verdächtigen? Der rätselhafte Fall nimmt eine mörderische Wendung, als im Greetsieler Sieltief eine Leiche auftaucht …
SpracheDeutsch
HerausgeberKlarant
Erscheinungsdatum22. Jan. 2023
ISBN9783965867161
Die Leiche im Sieltief. Ostfrieslandkrimi
Autor

Jan Olsen

Jan Olsen ist das neue Pseudonym eines seit 1991 in verschiedenen Genres erfolgreichen Schriftstellers. Jan ist mit einer Hebamme verheiratet, hat drei inzwischen erwachsene Kinder und darf sich seit Kurzem auch Großvater nennen. Als Kind des Nordens ist er der Nordsee mit all ihren rauen und lieblichen Facetten besonders zugetan und ließ kaum eine Ferienzeit verstreichen, ohne diese Gestade mit seiner Familie zu besuchen. Auch heute noch stehen Ferien an der Nordsee jedes Jahr auf dem Programm. Seine Vorliebe für die Nordsee und die dort lebenden Menschen kann er in seinen Ostfrieslandkrimis nun nach Herzenslust ausleben.

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    Buchvorschau

    Die Leiche im Sieltief. Ostfrieslandkrimi - Jan Olsen

    Kapitel 1

    Vereinzelte Schneeflocken tanzten über die flache, endlos erschei­nende Landschaft der Krummhörn hinweg und verliehen dem tristen Morgengrauen dieses Januartages mit ihrer verträumten Verspieltheit eine heitere, luftige Note. Die mattweißen Flocken schienen unent­schlossen, ob sie sich auf den brachliegenden Feldern und Straßen niederlassen wollten oder das unbeschwerte Herumschweben noch ein wenig ausdehnen sollten.

    Der niedergefallene Schnee zeichnete weiß die Linien der Acker­furchen nach, bedeckte die Äste der kahlen Bäume, die die Straße säumten oder die einsamen Gehöfte umstanden; er hatte sich in einer dünnen Schicht auf dem Asphaltband gesammelt oder war am Fahrbahnrand zu niedrigen Wällen zusammengeweht worden. Der Schneefall hatte in der Nacht eingesetzt, war jedoch nicht stark genug gewesen, um die Landschaft unter einer weißen Decke zu begraben. Die Krummhörn wirkte eher, als wäre sie sparsam mit Puderzucker bestäubt worden.

    Dem selbstvergessenen Schweben einiger Flocken wurde ein jähes Ende gesetzt, als sie gegen die Windschutzscheibe des in gemäßig­tem Tempo dahinfahrenden Fords klatschten und von dem Scheiben­wischer prosaisch beiseite gewischt wurden. Staatsanwalt Henning Lindau, der auf dem Beifahrersitz saß, klammerte sich mit einer Hand am Haltegriff fest, während die andere flach und mit abge­spreizten Fingern auf der Klappe des Handschuhfachs ruhte.

    »Wäre es nicht besser gewesen, wir hätten die Bundesstraße genommen?«, fragte er an die hochgewachsene, schlanke Frau gerichtet, die das Fahrzeug lenkte. »Dort wäre der Winterdienst womöglich bereits längsgefahren.« Er hob die Hand und deutete fahrig nach vorn. »Hier aber … das reinste Chaos!« Hastig platzierte er die Hand wieder auf dem Armaturenbrett.

    Carla Oberlander warf ihrem Chef einen flüchtigen Blick zu. »Das bisschen Schnee wird uns schon nicht umbringen«, sagte sie begütigend. Mit dem Mittelfinger schob sie sich eine Strähne ihres brünetten Haars aus der Stirn, was ihr einen missbilligenden Blick des Staatsanwaltes eintrug.

    »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie beide Hände am Lenkrad behalten würden«, sagte er.

    Carla deutete mit einem Kopfnicken auf den nach vorn ausgestreck­ten Arm des Staatsanwaltes. »Und Sie sollten die Hand da wegneh­men. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass uns etwas zustößt und der Beifahrer-Airbag auslöst, könnte das sehr schmerzhaft für Sie werden.«

    Als hätte der stämmige Mann mit der Halbglatze sich die Finger an einer heißen Herdplatte verbrannt, zog er die Hand zurück und umklammerte stattdessen den Rand des gepolsterten Sitzes. »Sie haben es echt raus, einem die Furcht zu nehmen«, merkte er säuerlich an.

    »Ich fahre Ihnen zuliebe nur sechzig«, gab Carla geduldig zurück. »Bei dieser Geschwindigkeit kann uns einfach nichts passieren.« Sie drehte am Lenkrad und folgte einer scharfen Biegung, von denen die Cirkwehrumer Straße nicht gerade wenige aufzuweisen hatte.

    Henning Lindau verkrampfte noch mehr. Voller Sorge blickte er über seine Schulter hinweg auf die Rückbank und die kreisrunde Friesentorte, die dort stand. Sie war dick mit Puderzucker bedeckt und sah aus, als hätte sie eine Menge von dem Schnee draußen abbe­kommen. Das geschichtete Kunstwerk aus Mürbeteig, Blätterteig, Schlagsahne und Pflaumenmus ruhte unverrückbar auf der Servier­platte, die sich in der Kurve jedoch ein paar Millimeter bewegt zu haben schien, wie es dem Staatsanwalt vorkam.

    »Alles in Ordnung mit unserem Mitbringsel für die Greetsieler Polizeistation?«, erkundigte sich Carla.

    »Noch ja«, gab Henning angestrengt zurück. »Wir hätten die Bundesstraße nehmen sollen«, begann er dann aber von Neuem. »Da gibt es bei Weitem nicht so viele halsbrecherische Kurven.«

    Die Sekretärin seufzte. »Das wäre ein deutlicher Umweg gewesen und hätte die Fahrt von Emden nach Greetsiel nur unnötig in die Länge gezogen.«

    »Ich möchte meiner Frau aber nicht beichten müssen, dass es ihre schöne Torte nicht unversehrt bis zu den Greetsieler Ermittlern geschafft hat, weil meine Sekretärin …«

    »Wenn der Torte etwas geschieht, werde ich mit Ihrer Frau sprechen«, versprach Carla mit einem Unterton in der Stimme, der keinen Zweifel daran aufkommen ließ, dass sie fest davon ausging, dass eine solche Unterhaltung nicht stattfinden würde, weil der Torte nichts Schlimmeres widerfahren würde, als von Ruth Fasan, Hagen Reese und Alice Bergmann mit Genuss verspeist zu werden.

    Henning bedachte seine Sekretärin mit einem verkniffenen Grin­sen. »Ich werde Sie beim Wort nehmen, Frau Oberlander«, drohte er spielerisch.

    »Es wird schon nichts …« Die Sekretärin verstummte und schaute angestrengt in den Rückspiegel.

    »Was ist?«, wollte Henning wissen.

    »Ein Raser«, antwortete Carla missbilligend. »Und Licht hat er auch nicht an!«

    Lindau neigte sich in seinem Sitz nach vorn und sah in den Seiten­spiegel auf der Beifahrerseite. Das unbeleuchtete Fahrzeug, das sich ihnen in hoher Geschwindigkeit von hinten näherte, war wegen der schlechten Sichtverhältnisse nur schwer auszumachen.

    »Ein Sportwagen«, stellte Henning fest, als der Wagen sich ihnen bis auf wenige Meter genähert hatte. »Die taubengraue Lackierung macht ihn bei diesen Witterungsbedingungen fast unsichtbar.«

    Carla nickte angespannt. »Ein Mazda MX-5 mit flexiblem Ver­deck«, sagte sie. »Ein schöner Wagen, der seinen Besitzer in diesem Fall aber leider zum Rasen animiert.«

    Ein Hupen schallte zu ihnen herüber.

    »Lassen Sie sich von dem bloß nicht nervös machen!«, mahnte Henning.

    In diesem Moment setzte der Sportwagen zum Überholen an. Carla schüttelte fassungslos den Kopf. »Da vorne kommt eine Kurve … und der überholt trotzdem!«

    »Sie überholt trotzdem«, berichtigte Lindau, der einen Blick ins Innere des Mazdas warf, als dieser an ihnen vorbeizog. »Es sitzt eine Frau am Steuer.«

    »Und wenn schon!« Carla war sichtlich angespannt. Sie schrie spitz auf, als der Sportwagen vor ihnen plötzlich haarscharf einscherte und dann hart abbremste.

    In einem Reflex riss die Sekretärin das Steuer herum und verhinder­te so gerade eben noch einen Auffahrunfall. Der Ford verlor die Bodenhaftung und geriet ins Rutschen. Carla versuchte, den Wagen abzufangen, konnte es aber nicht verhindern, dass er auf den Seitenstreifen geriet. Das schneebedeckte welke Grün hätte einen idealen Untergrund für eine Schlittenfahrt abgegeben, eignete sich aber überhaupt nicht dazu, um ein außer Kontrolle geratenes Fahr­zeug wieder auf die Spur zu bringen. Der Ford rutschte trotz durch­getretener Bremse und eingescherten Lenkrads mit der Kühlerhaube voran geradewegs in den Straßengraben, wo seine Schlitterpartie ein abruptes Ende fand.

    *

    Geschockt und für den Moment unfähig, sich zu regen, saßen Henning Lindau und Carla Oberlander in den Sitzen des schräg im Straßengraben feststeckenden Autos. Die Scheinwerfer beleuchteten effektvoll die Böschung des Grabens, während die Scheibenwischer trotz der misslichen Lage gleichmütig ihren Dienst verrichteten. Der Motor war abgewürgt und die beiden Airbags hatten sich mit einem Knall zu beachtlichen Ballons aufgeplustert. Jetzt sackten sie vor den Fahrzeuginsassen langsam in sich zusammen.

    Henning drückte den Balg nieder und spähte angestrengt zur Straße hinauf. Nach einem Fahrzeug hielt er jedoch vergebens Ausschau. Der Mazda war hinter der Kurve verschwunden. »Sie ist einfach weitergefahren!«, konstatierte er fassungslos. »Sie muss doch mitgekriegt haben, was uns widerfahren ist!«

    »Ein Fall von Fahrerflucht oder zumindest ein Fall von unterlas­sener Hilfeleistung«, kommentierte Carla zornig. Sie sah nach hinten und verzog dann das Gesicht. »Drehen Sie sich lieber nicht um«, sagte sie.

    »Die Friesentorte?«, fragte Henning voller böser Vorahnungen.

    »Liegt im Fußraum«, bestätigte Carla bedauernd.

    Der Staatsanwalt rang die Hände. »Als hätte ich es nicht geahnt!«

    Carla drückte den Wagenschlag auf, was wegen der Schräglage des Fahrzeugs nicht ganz einfach war. Mühsam kletterte sie ins Freie, während Schneeflocken um sie herum wirbelten. Kurz darauf musste sie feststellen, dass ihr mintgrünes Kostüm nicht dafür gemacht war, die Böschung eines Straßengrabens zu erklimmen. Ihre Hacken­schuhe waren ihr dabei auch keine große Hilfe. Dennoch schaffte sie es und stand schließlich auf dem Seitenstreifen der Straße. Kalter Wind griff in ihr Haar und strich ihre Beine entlang.

    Da die Beifahrertür von der Böschung blockiert wurde, musste Henning ebenfalls auf der Fahrerseite aussteigen. Aufmerksam, wie er war, bemerkte er sogleich, dass seine Sekretärin fror. Umständlich kletterte er zum Heck des Wagens, öffnete den Kofferraum und nahm die beiden Mäntel an sich, die verstreut darin herumlagen. Als er sich wenig später neben Carla aufrichtete, legte er ihr fürsorglich ihren Mantel um die Schultern. Dann erst zog er seinen eigenen an.

    »Danke«, sagte Carla, während sich Henning verärgert Schnee­matsch von den Knien seiner Anzughose klopfte.

    »Und nun?«, fragte er verstimmt. »Rufen wir bei der Greetsieler Polizei an und fragen, ob man uns hilft?«

    Carla wiegte abwägend den Kopf. »Was wir jetzt brauchen, ist ein PS-starkes Fahrzeug, das unseren Wagen aus dem Graben ziehen kann. Ich fürchte, ein normaler PKW wird uns beim Bergen des Wagens nichts nützen.«

    Henning drehte sich um und betrachtete den Ford kritisch. Dann sprang er auf die andere Seite des Grabens und setzte die Inaugen­scheinnahme des verunglückten Fahrzeugs fort. »Vorne rechts haben wir eine Beule!«, rief er herüber. »Aber sonst scheint alles in Ord­nung!« Er nickte Carla anerkennend zu. »Das hätte für uns schlim­mer enden können, wenn Sie nicht so gut reagiert hätten.«

    »Ich habe das Auto in den Straßengraben gefahren und die Friesen­torte ruiniert«, rief sie ihrem Chef in Erinnerung.

    Henning winkte ab und setzte mit einem erneuten Sprung zu ihr herüber. »Sie haben Ihr Bestes gegeben, um diesen Anschlag zu ver­eiteln, meine Teuerste.«

    Carla sah ihn erschrocken an. »Glauben Sie, diese Frau hat uns absichtlich von der Straße gedrängt?«

    »Sie denn nicht?«, fragte Henning aufgeregt. »Die Scheinwerfer waren nicht eingeschaltet … und dann dieser halsbrecherische Fahr­stil. Das war vorsätzlich!«

    »Aber wer sollte …« Carla verstummte, als ihr klarwurde, dass es eine Menge verurteilter und inzwischen wieder auf freiem Fuß befindlicher Straftäter geben musste, die meinten, noch eine Rech­nung mit jenem Staatsanwalt offen zu haben, der sie hinter Gitter gebracht hatte. »Ich … habe mir das Nummernschild gemerkt«, sagte sie.

    »Wunderbar«, freute sich Henning. Er deutete in nördliche Richtung. »Dort hinten sehe ich die Lichter eines Gehöfts. Bestimmt haben die einen Traktor.« Er straffte seine Körperhaltung und rückte den Mantel zurecht. »Sie bleiben hier und ich gehe hin und frage, ob …« Er verstummte und betrachtete seine Sekretärin. »Nein … es behagt mir nicht, Sie allein hier zurückzulassen. Was, wenn diese Durchgedrehte zurückkommt, um nachzusehen, ob sie uns auch wirklich erledigt hat?«

    Carla zog ihr Handy aus der Tasche und ließ die Finger geschäftig über das Display gleiten. »Das da hinten ist der Hof von Familie Werner«, las sie von dem Gerät ab und deutete mit einem Kopfnicken zu den beleuchteten Fenstern in der Ferne hinüber. »Ich rufe dort an und bitte um Hilfe. Sie können sich den Weg also sparen, Herr Lindau.«

    *

    Ruth Fasan warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und zog missbil­ligend eine Augenbraue in die Stirn. »Jetzt sind sie schon eine halbe Stunde überfällig«, stellte sie fest. »Ich hatte Herrn Lindau als einen zuverlässigen Menschen eingestuft und nicht als einen, der die Zügel schleifen lässt und bedeutend zu spät zu einem Termin erscheint, den er selbst anberaumt hat.«

    »Genau genommen war es Carla Oberlander, seine Sekretärin, die dieses Treffen mit uns vereinbart hat«, warf Hagen Reese ein, der einmal mehr an seinem Schreibtisch saß und am Computer arbeitete. »Eigentlich sollte es eine Überraschung werden. Aber weil Frau Oberlander sichergehen wollte, dass wir auch anwesend sind, wenn sie gemeinsam mit dem Staatsanwalt hier erscheint, hat sie uns quasi vorgewarnt.«

    »Das entschuldigt nicht ihr Zuspätkommen.« Ruth drehte sich mit dem Bürosessel, auf dem sie vor ihrem Schreibtisch saß, müßig hin und her. Ihrer schlanken Statur war deutlich anzusehen, dass sie sich durch regelmäßigen Sport fit hielt. Wie weit sie die fünfzig bereits überschritten hatte, war allerdings nur schwer zu erraten. Ihr dunkles, lockiges Haar, die hellbraunen Augen und die ausgeprägten Gesichtszüge verliehen ihr zwar ein leicht herbes Aussehen, aber sie ließen sie gleichzeitig auch überaus attraktiv und juvenil erscheinen. Mit ihrer Jeans und dem Jackett, unter dem sie eine luftige Bluse trug, sorgte sie zusätzlich für einen legeren Look.

    »Termin ist Termin, ob nun heimlich anberaumt oder hochoffi­ziell«, sagte sie und fuhr mit den Fingern die Kante ihres Schreib­tisches entlang. Dann sah sie zu ihrem jungen Kollegen hinüber. Hagen Reese war kräftig gebaut, hatte dunkelblondes Haar und graublaue Augen, die momentan unverrückbar auf den Computer­bildschirm gerichtet waren. »Was machen Sie da überhaupt?«, wollte sie wissen.

    Hagen verzog säuerlich das Gesicht. »Ich fülle einen Fragebogen des Qualitätsmanagements aus.«

    Ruth blies die Wangen auf und ließ hörbar Luft entweichen. »Ist man etwa nicht davon überzeugt, dass wir hier in Greetsiel gute Polizeiarbeit leisten?«

    Ungerührt machte Hagen eine Eingabe mit der Tastatur. »Das sind Routinefragen. Die müssen von jeder Dienststelle beantwortet wer­den.« Er sah kurz zu ihr herüber. »Wenn Sie eine Beschäftigung brauchen, kann ich Ihnen gerne einige Seiten des Fragebogens abtreten«, bot er an.

    Ruth hob abwehrend die Hände. »Ich bin froh, dass Sie diese Arbeit erledigen, glauben Sie mir.«

    Hagen musterte sie spitzbübisch. »Langweilen Sie sich etwa?«

    Ruth spürte Empörung in sich aufsteigen. Aber dann zuckte sie bloß mit den Schultern. »Mitunter geht es mir hier tatsächlich ein wenig zu ruhig und beschaulich zu«, musste sie einräumen. »Untätig herumsitzen und auf einen Staatsanwalt warten, der sich verspätet … so etwas wäre in Hamburg wohl nicht passiert. In unserem Kommis­sariat herrschte ununterbrochen Hektik und Betriebsamkeit. Da war kaum Zeit, mal in Ruhe einen Kaffee zu trinken.«

    »Oder einen Tee«, sagte Hagen, der sich wieder dem auf seinem Bildschirm dargestellten Fragebogen widmete.

    Ruth sah sich müßig in dem hell erleuchteten Büroraum um. Dieser wurde von zwei modernen, funktionalen Schreibtischen und einer antiken Anrichte dominiert. Das dunkle Sideboard, das in der guten Stube eines Friesenhauses besser aufgehoben gewesen wäre, wurde von einem darauf bereitstehenden Drucker, einem Faxgerät und einem Kopierer optisch stark verunstaltet. Ruth gefiel diese Zusam­mensetzung jedoch irgendwie. Auch das schlichte Aktenregal und der Schließfachschrank für die Dienstwaffen rundeten nach ihrem Dafürhalten das Bild dieses ein wenig steril wirkenden Dienstraumes perfekt ab. Dass die Greetsieler Polizeistation in einem kleinen, schmucken Friesenhaus untergebracht war, war diesem Raum kaum anzusehen. Von dem Liebreiz des denkmalgeschützten Hauses hatte das Büro der beiden Kommissare nur wenig abbekommen. Lediglich die kleinen Sprossenfenster ließen etwas von dem Charme des Schmuckstücks erahnen, in dem sich Ruth gerade aufhielt. Diese Wache protzte genauso wenig mit ihrer eigentlichen Urtümlichkeit wie die meisten Ostfriesen; beides empfand Ruth als überaus sympathisch und war einer der Gründe, warum sie sich in Greetsiel, ihrer neuen Wirkungsstätte, so wohlfühlte.

    Das Scheinwerferlicht eines Fahrzeugs, das auf den Parkplatz der Polizeistation einschwenkte, huschte draußen am Fenster vorbei und zog Ruths Aufmerksamkeit auf sich. »Sind sie das endlich?« Sie erhob sich halb und spähte nach draußen, aber als sie sah, dass einer

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