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Du bist meine Heimat
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eBook314 Seiten4 Stunden

Du bist meine Heimat

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Über dieses E-Book

Romana wächst als Kind bei Pflegeeltern fernab der Heimat auf, welche das Mädchen so gut wie möglich von der Außenwelt abschirmen. Warum genau? Das weiß Romana nicht. Nur, dass sie sich fortwährend in großer Gefahr befindet. Als junge Frau lernt Romana Gunter Valberg kennen und die beiden verlieben sich ineinander. Jedoch droht ihre dunkle Vergangenheit alles zu zerstören ... -
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum16. Sept. 2022
ISBN9788726950496
Du bist meine Heimat

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    Buchvorschau

    Du bist meine Heimat - Hedwig Courths-Mahler

    Hedwig Courths-Mahler

    Du bist meine Heimat

    Saga

    Du bist meine Heimat

    Coverimage/Illustration: Shutterstock

    Copyright © 1929, 2022 SAGA Egmont

    Alle Rechte vorbehalten

    ISBN: 9788726950496

    1. E-Book-Ausgabe

    Format: EPUB 3.0

    Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

    Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

    www.sagaegmont.com

    Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

    1

    Vom Meer herüber kam eine frische Brise und fegte das Dünengras auf und nieder. Es sah aus, als wenn grüngelbe Wogen die Hänge überfluteten und dem zerzausten Kiefernwald zuflössen. Die ganze Nacht hatte es gestürmt, nun war der Wind abgeflaut und trieb nur noch sein Spiel mit all den Dingen, die er zuvor so wütend geschüttelt hatte. Er lockerte den feinen Dünensand und blies ihn davon, um dann, als sei er des Spiels müde, wieder in sich zusammenzusinken.

    Noch einmal erhob er sich, um spielerisch über die schlanke Frauengestalt herzufallen, die soeben aus dem Wald trat und auf die Düne emporkletterte. So recht übermütig faßte er ihre Kleider und trieb sie so fest um die schlanke Gestalt, daß sich die jugendschönen Formen zart abzeichneten. Er schien großen Gefallen an diesem übermütigen Spiel zu finden, denn immer wieder erhob er sich, und die junge Dame mußte sich lachend des Ungestümen erwehren und konnte kaum vorwärtskommen. Aber das lustige Spiel schien ihr ebensoviel Spaß zu machen. Tapfer hielt sie stand und kletterte bis auf den Kamm der Düne empor. Hier blieb sie aufatmend stehen, strich sich das Haar aus der Stirn und ließ den Blick weit über das noch aufgewühlte Meer gleiten. Der Wind schien nun keine Lust mehr zu haben, alles durcheinanderzuwirbeln, er flaute ganz plötzlich ab und spielte nur noch ein wenig mit dem hellblonden Haar, das in der Sonne flimmerte wie gesponnenes Gold.

    Die junge Dame sah wie traumverloren ins Weite. Endlich wandte sie den Blick hinüber zum Badeort, der etwa eine Wegstunde entfernt am Strande lag. Auch dort hatte der Sturm allerlei angerichtet, die Strandkörbe lagen umgeweht, und das Wasser war fast bis an die Laufbretter herangetrieben worden. Die Fischer waren gerade dabei, ihre Segelboote wieder flottzumachen, denn es gab genug unternehmungslustige Badegäste, die sich gern ein wenig auf den aufgewühlten Wellen schaukeln lassen wollten.

    Sehnsüchtig flogen die Blicke der jungen Dame zum vielbesuchten Seebad hinüber. Hier an der Hornklippe, über die hinaus man ihr nicht erlaubte zu gehen, war es still und menschenleer. Selten verirrte sich einer der Badegäste von Swinemünde bis hierher und noch seltener zum Dorf, das eine Viertelstunde weit landeinwärts lag und von der Hornklippe seinen Namen erhalten hatte.

    Es war ein armseliges Fischerdorf mit niederen strohgedeckten Katen. Etwas abseits, dem Walde zu, standen einige kleine Sommerhäuser. Ihre Besitzer waren meist alte Leute, die nichts mehr vom Leben verlangten als ihr Gärtchen und ein paar Hühner.

    Zu einem richtigen Badeort konnte sich Hornklippe zum Leidwesen der Eingesessenen nie auswachsen, denn vorn am Meer lag die felsig vorspringende Klippe, und um sie her war nur schmaler, steiniger Strand. So hatten sich die Bewohner von Hornklippe damit abgefunden, für die Badegäste von Swinemünde Fische zu fangen und zu räuchern, um auf diese Weise an dem goldenen Segen, den die Fremden an den Ostseestrand bringen, teilzuhaben. Auch lieferten sie Eier und Gemüse, Milch und Butter, denn fast jeder Fischer hatte noch eine tüchtige Frau, die eine kleine Landwirtschaft betrieb. Dies alles wußte Romana Harland, die nun schon seit Jahren in diesem Nest lebte. Sie wohnte in dem größten der kleinen weißen Sommerhäuschen, die aber auch im Winter bewohnt waren. Es gehörte dem pensionierten Geheimrat Dürkopp.

    Wie oft stand Romana hier oben auf der Düne und sah sehnsüchtig und traurig hinüber zum belebten Badestrand von Swinemünde, wo jeden Sommer Tausende von Menschen Erholung suchten. Oft nahm sie ein Fernglas mit, so daß sie ganz deutlich das Leben und Treiben da drüben beobachten konnte. Aber das steigerte nur die Sehnsucht, auch einmal zwischen all den frohen Menschen sein zu dürfen.

    Es war ihr jedoch strikt untersagt, nach Swinemünde zu gehen, solange sich dort Badegäste aufhielten. Ganz still und zurückgezogen mußte sie den ganzen Sommer mit ihren Pflegeeltern, Herrn und Frau Dürkopp, in dem Haus am Waldrand leben, und erst, wenn alle Gäste abgereist waren, durfte sie wieder frei und ungehemmt umherstreifen und auch zuweilen nach Swinemünde hinübergehen.

    Mit den Töchtern der Pensionsinhaber und ihren Brüdern, soweit diese zu Haus waren, durfte sie im Herbst und Winter an einigen Geselligkeiten teilnehmen, aber daran fand sie wenig Gefallen. Diese jungen Leute hatten ihr viel zu einseitige Interessen, als daß sie sich gut mit ihnen hätte unterhalten können. Und doch mußte sie froh sein, daß sie wenigstens mit ihnen in die, wenn auch bescheidene, Gesellschaft kam. So einfach diese winterlichen Feste auch waren, ließ sie doch keines aus, nur um wieder einmal tanzen und lachen zu können.

    Sobald aber dann die ersten Fremden in Swinemünde auftauchten, mußte Romana wieder in ihre Einsamkeit zurück.

    Warum sie das nicht durfte? Sie wußte es nicht – wußte nur, daß ein Geheimnis über ihrem Leben stand und daß irgendeine große Gefahr ihr drohte, wenn sie nicht dem strengen Gebot ihrer sonst sehr liebevollen Pflegeeltern folgte und sich von allem Verkehr mit Fremden zurückhielt. Sie wußte auch, daß ihr Vater, der von seiner letzten großen Reise nach Rußland nicht wiedergekehrt war, vor seiner Abreise alles so bestimmt hatte. Und die Liebe zu diesem ihr so früh entrissenen Vater, den sie angebetet hatte und den sie schon verlor, als sie kaum fünfzehn Jahre zählte, hatte ihr immer wieder geholfen, sich in alles zu fügen, was man von ihr verlangte.

    Der Vater hatte sie damals nicht selbst zu ihren Pflegeeltern gebracht, sondern sein Freund und Sachverwalter, Justizrat Harland. Nie hatte sich der Vater mit ihr in der Öffentlichkeit gezeigt. Nur heimlich hatte er sie zuweilen besucht, als sie noch in einer Pension in Genf untergebracht war. Meist kam er da am späten Abend und blieb immer nur wenige Stunden; aber in diesen kurzen Stunden schüttete er allen Liebesreichtum seines Herzens über seine Tochter aus. Sie hingen beide mit einer fast schmerzhaften Innigkeit aneinander, und nach jedem Wiedersehen wurde ihnen der Abschied schwerer. Daß der Vater aus irgendeinem Grunde nicht bei ihr bleiben konnte, wußte Romana. Er hatte ihr gesagt, daß er von schweren Gefahren bedroht sei und daß ihr auch Gefahren drohten, wenn man sie an seiner Seite sehen oder nur in Erfahrung bringen würde, wo sie sich aufhalte. Und deshalb müsse sie immer streng befolgen, was er oder die wenigen Menschen, denen er sein Vertrauen schenken könnte, über sie beschließen würden.

    Und er hatte sich das Zusammensein mit ihr immer nur unter vielen Vorsichtsmaßregeln gegönnt. Nach wochenlangen Pausen kam er in das kleine Genfer Pensionat, dessen Besitzerin ihm treu ergeben war, und labte sein vereinsamtes Herz an dem Anblick seines Kindes.

    Und als Romana fünfzehn Jahre alt geworden war, hatte sie der Vater wieder einmal besucht und ihr gesagt, daß er sie jetzt lange Zeit nicht würde sehen können, daß aber sein Freund, Justizrat Harland, in den nächsten Tagen kommen werde, um Romana abzuholen. Er werde sie zu guten, treuen Menschen bringen, die sie liebevoll aufnehmen würden und bei denen sie bleiben solle, bis er sie eines Tages abholen oder andere Weisung geben werde. Es würde nur zu ihrem besten geschehen, wenn es ihr auch zuweilen unverständlich oder lästig scheinen sollte.

    An jenem Abend hatte der Vater sich gar nicht losreißen können von seiner Tochter, und sein alter Diener Wladimir hatte dringlich werden müssen, damit sein Herr endlich aufbrach. Vielleicht hatte dieser geahnt, daß er sein heißgeliebtes Kind zum letztenmal in die Arme schloß, daß er es nie wiedersehen würde. Das Scheiden von Vater und Tochter war an jenem Abend besonders qualvoll und schmerzlich gewesen. Immer wieder hatte der Vater Romana an sich gerissen, und in seinen Augen hatten Tränen gefunkelt.

    Wenn Romana später an diese Abschiedsstunde dachte, dann sah sie im Geiste immer das schmale, leiddurchfurchte Gesicht des Vaters vor sich. Jeder Zug darin hatte sich ihr eingeprägt für immer. Und auch heute, nachdem schon fast acht Jahre vergangen waren, empfand Romana noch immer dieses sehnsüchtig schmerzliche Bangen für ihren toten Vater.

    Wie er gestorben war, hatte man ihr nicht gesagt. Justizrat Harland, der sie einige Tage später in Genf abgeholt hatte, war mit ihr unmittelbar nach Hornklippe gefahren und hatte sie im Haus des Geheimrats Dürkopp untergebracht. Und schon kurze Zeit danach war er wiedergekommen und hatte ihr schonungsvoll mitgeteilt, daß ihr Vater auf einer Reise nach Rußland verunglückt und nicht mehr am Leben sei. Der alte Wladimir habe ihm die Kunde von seinem Tod gebracht, und ihr Vater habe diesem noch aufgetragen, seine geliebte Tochter ein letztes Mal zu grüßen und sie zu bitten, immer genau nach den Weisungen ihres Vormundes zu handeln. Justizrat Harland war Romanas Vormund geworden.

    Romanas Schmerz über den Verlust ihres Vaters war unbeschreiblich groß und tief gewesen. Sie wußte, fühlte, daß mit ihrem Vater der letzte Mensch aus ihrem Leben schied, der zu ihr gehörte und der sie so liebte, wie es ihr liebesbedürftiges Herz ersehnte. An ihre Mutter konnte sich Romana nur noch ganz wenig erinnern. Zuweilen, wenn im Halbschlaf ein Erinnern über sie kam, sah sie eine stolze schöne Frau in glänzenden Gewändern, die sich liebevoll zärtlich über ihr Bettchen beugte und sie »meine süße kleine Romana« nannte. Noch hörte sie in der Erinnerung die liebe weiche Stimme dieser schönen Frau, von der man ihr eines Tages gesagt hatte, sie sei in den Himmel gegangen, zu dem kleinen Brüderchen, das der liebe Gott wieder zu sich genommen habe und das nicht allein sein sollte. So machte sie sich in ihrem kindlichen Verstand damals klar, daß Mütterchen bei dem Brüderchen und Väterchen bei ihr geblieben sei, damit auch sie nicht allein bleiben sollte.

    Später einmal, kurz vor ihrem letzten Zusammensein mit dem Vater, hatte dieser zu ihr gesagt, die Mutter sei Romana durch böse, schlechte Menschen genommen worden, und wenn sie einmal groß und verständig sein werde, werde sie alles erfahren.

    Und auch ihr Vormund, der Justizrat, sagte ihr immer, wenn sie ihn zuweilen nach diesem und jenem fragte, was ihr unklar erschien und sie quälte: »An deinem fünfundzwanzigsten Geburtstag sollst du alles erfahren, was man dir jetzt aus Fürsorge verschweigen muß. Und solltest du früher heiraten, dann wirst du es schon am Tag deiner Hochzeit wissen. So hat es dein lieber, unvergessener Vater bestimmt.«

    Es war auch der Wunsch ihres Vaters gewesen, daß Romana den Namen seines Freundes annahm. Justizrat Harland war Junggeselle und hatte Romana liebgewonnen wie ein eigenes Kind. Gern hatte er ihr seinen Namen vor der Öffentlichkeit gegeben, und da sie ihn »Onkel Justizrat« nannte, glaubten die Leute, Romana sei die Tochter eines Bruders von ihm. Romana wußte freilich, daß ihr Vater ein Graf Soblikoff gewesen war, aber sie verriet es niemand. Ihr Vater war russischer Aristokrat, ihre Mutter Deutsche gewesen, die der Vater unaussprechlich geliebt hatte und deren frühen Tod er nie hatte verwinden können.

    Es machte Romana gar nichts aus, daß sie den Titel einer Gräfin nicht führen konnte, sie legte keinen Wert darauf.

    Mit brennendem Interesse verfolgte sie freilich in den Zeitungen alles, was mit Rußland zusammenhing. Aber es war ihr dabei nie, als sei Rußland ihre Heimat, da sie schon seit ihrer Kindheit von Rußland entfernt war.

    Ihr Vormund hatte nun auch nach dem Tod ihres Vaters bestimmt, daß sie in dem stillen Fischerdorf bleiben sollte, und so weilte Romana nun schon seit Jahren in dieser abgeschiedenen Einsamkeit im Hause des Geheimrats Dürkopp. Dieser hatte sich die kleine weiße Villa, die allerdings die ansehnlichste und besteingerichtete in Hornklippe war, schon in Friedenszeiten bauen lassen und damals geglaubt, sie sei nur für den Sommeraufenthalt bestimmt. Aber dann war er »abgebaut« worden, hatte auch noch in der Inflation sein Vermögen verloren und war nun froh, daß ihm das kleine Haus geblieben war, in dem er mit seiner Frau seine alten Tage verleben konnte.

    Die beiden alten Herrschaften hatten Romana herzlich aufgenommen, als sie von ihrem Vormund, einem Freund des Geheimrats, gebracht worden war, und jetzt, nachdem sie jahrelang ihr Leben teilte, war sie ihnen lieb und teuer geworden. Alles drehte sich um das Pflegetöchterchen. Romana nannte die beiden alten Herrschaften »Papa« und »Mama Dürkopp« und hatte sie ebenfalls in ihr Herz geschlossen. War sie doch froh, wenn sie von dem Liebesreichtum ihres Herzens ein wenig austeilen konnte. Sie fügte sich immer vertrauensvoll ihren Anordnungen, wenn es ihr auch manchmal schwerfiel, sich immer von allem zurückzuhalten, was jungen Menschen Freude macht.

    Im ganzen Dorf war Romana wohlbekannt. Man nannte sie »Fräulein Harland« und ahnte nicht, daß dieses lichtblonde, sanfte Wesen eine russische Grafentochter war. Auch die jungen Mädchen, mit denen Romana im Winter verkehren durfte, wußten nicht anders, als daß sie Harland hieß.

    Romana hatte eine erstklassige Erziehung genossen, sie beherrschte mehrere Sprachen und musizierte viel. In der Pension hatte sie Malunterricht von einem hervorragenden Lehrer bekommen, da man bei dem Reichtum ihres Vaters mit ihren Erziehungskosten durchaus nicht zu sparen brauchte, und sie vertrieb sich nun manche Stunde mit ihren Malereien, die ein schönes Talent verrieten. Mit dem Geheimrat trieb sie wissenschaftliche Studien, plauderte mit ihm englisch und italienisch und mit seiner Gattin französisch. Mit den Kindern auf dem Dorfe aber »snakte« sie plattdeutsch, als sei sie hier geboren.

    Geldsorgen kannte Romana nicht. Sie war sehr schlicht und anspruchslos, obwohl sie wußte, daß sie sich alle Wünsche, die mit Geld zu bezahlen waren, erfüllen konnte. Wenn der Vormund sie immer wieder danach fragte, ob er ihr keinen Wunsch erfüllen könne, dann sagte sie ruhig: »Ich habe alles, was ich brauche.«

    Aber später kam sie ihm dann zuweilen mit Anliegen. Da war einmal im Dorf eine Frau, die ihren Mann verloren und für sich und die Kinder keinen Unterhalt hatte. Der kaufte sie eine kleine Kate, wo sie sich durch fleißige Arbeit vorwärtsbringen konnte, und kleidete die Kinder zum Weihnachtsfest neu ein. Das sprach sich natürlich herum, und bald kamen alle zu Romana, die irgendwie von Geldsorgen geplagt waren, und es machte ihr Freude, helfen zu können. So war sie sehr beliebt in Hornklippe, und besonders die Kinder hingen an ihr.

    Die einzige Abwechslung im Sommer war der Besuch von Onkel Justizrat. Er verbrachte immer einige Wochen bei ihnen. Für ihn war stets ein freundliches Gaststübchen bereit. Dann unterhielt und stritt sich Romana eifrig über allerlei ernste und gewichtige Tagesfragen mit den beiden alten Herrn. Aber das war natürlich kein vollwertiger Ersatz für Jugendfreuden und Geselligkeit.

    Trotzdem freute sich Romana stets sehr auf den Besuch ihres Vormunds, denn mit ihm konnte sie immer wieder über ihren Vater sprechen.

    In den letzten Jahren war es zuweilen dem Justizrat angst und bange geworden bei dem Gedanken, daß Romana doch nun in dem Alter sei, wo man ihr Gelegenheit geben müßte, mit jungen Männern zusammenzutreffen. Sie mußte doch Bekanntschaften machen, die es ihr ermöglichten, einen Lebensgefährten zu finden! Hier in Hornklippe war es ganz ausgeschlossen, daß sie mit geeigneten jungen Herren zusammentraf. Aber er hatte von seinem verstorbenen Freund, Romanas Vater, mit dem zusammen er die Universität besucht hatte, strenge Weisung bekommen, Romana soviel wie möglich im Verborgenen zu halten. Er wußte auch sehr wohl, warum sein Freund das so angeordnet hatte und warum es nötig war. Aber daran, daß Romana eines Tages heiraten würde, hatte ihr Vater auch gedacht, hatte damit gerechnet und deshalb zu dem Justizrat gesagt: »Hoffentlich findet sie eines Tages einen Gatten, der ein ganzer Mann ist und sie gegen alles Ungemach schützen kann.«

    Justizrat Harland überlegte nun schon lange, wie er es bewerkstelligen konnte, daß Romana in sicherer Hut blieb und doch Bekanntschaften machen konnte, die notwendig waren. Endlich kam ein Zufall zu Hilfe. Ein Freund von ihm, Professor Peter Marks, ein bekannter Kunsthistoriker, war vor einigen Jahren mit seiner Gattin nach Venedig gegangen, um dort Kunststudien zu betreiben. Kürzlich hatte nun der Professor an den Justizrat geschrieben, daß er sich mehr und mehr von seinen Studien gefangennehmen lasse und daß er seine kinderlose Gattin bedauere, weil sie dadurch ein wenig einsam sei.

    »Du weißt, meine Annelie ist eine betriebsame Frohnatur und muß Geselligkeit und Umgang haben. Ich kann aber noch lange nicht von Venedig fort. Meine Frau aber fortzuschicken, um allein hierzubleiben, ist ausgeschlossen. Sie würde sich die größten Sorgen machen, was ich in meiner Zerstreutheit wohl für Dummheiten mache, und, offen gesagt, ich glaube, diese Sorge ist nicht unberechtigt! Und – ich kann es ohne meine Annelie auch nicht aushalten, obwohl ihr geringes Kunstverständnis mich oft aus der Fassung bringt, wenn ich ihr etwas erklären will. Aber es ist ganz gut so, daß sie nicht auch noch über dem Kunsteifer ihre praktische Lebensklugheit und ihren frischen Lebensmut verliert.

    Sie müßte hier eine junge Gesellschafterin haben. Aber um eine solche Dame anzustellen, für die ich hier immerhin eine ganz beträchtliche Pension zahlen müßte, ganz abgesehen von Gehalt und Reisekosten, reichen meine Einkünfte nicht. So muß ich wohl diesen Plan fallenlassen.«

    Als der Justizrat das gelesen, war ihm ein Gedanke gekommen. Nach reiflichem Überlegen hatte er dem Professor auf diese Angelegenheit geantwortet:

    »Ich wüßte eine Gesellschafterin für Deine Frau, für die Du keinen Pfennig bezahlen müßtest. Es ist mein Mündel, eine junge Dame von liebenswürdigen Eigenschaften, für die ich gern einen geselligen Anschluß hätte und die ich gern auf einige Zeit in Eure Obhut geben möchte.«

    Es waren noch einige Briefe hin und her gewechselt worden, und nun stand es bei Justizrat Harland fest, daß er Romana nach Venedig bringen würde. Sie wußte jedoch nichts davon. Er wollte es ihr selber sagen oder doch nur kurz vor seinem Kommen mitteilen.

    Hätte Romana geahnt, was ihr bevorstand, dann hätte sie wohl nicht so traurig auf das lustige Strandleben geblickt, das sich nun drüben in Swinemünde, da sich der Sturm gelegt hatte, wieder entwickelte. Ihre Augen rissen sich endlich los, und sie wandte sich um und schritt langsam, in Gedanken verloren, die Dünen hinunter, dem Wald zu.

    Mit großen ernsten Augen vor sich hin sehend, durchschritt sie den Wald, in dem sie jeden Baum kannte, und langte bald im Fischerdorf an. Vor einer der ersten Fischerhütten spielten die Kinder mit einem Gummiball. Lächelnd blieb Romana stehen und sah dem Spiel zu. Als ein kleiner Blondkopf den Ball lachend zu ihr hinüberwarf, fing sie ihn auf und sagte, während sie ihn betrachtete: »Oh, was habt ihr für einen schmutzigen Ball – der ist sehr garstig. Da muß ich doch Fiken Töls gleich sagen, daß sie einen neuen mit aus Swinemünde herüberbringt, wenn sie nachher ihre Räucherfische hinüberträgt.«

    Die Kinder jubelten auf.

    »Ick wull och een lütten Ball hebben, Frölen Harland!«

    »Ick hev och all keen«

    Und diesen beiden Kühnen folgten die anderen schnell mit ihren Wünschen. Die Kinder wußten schon, daß »Frölen Harland« immer etwas zu verschenken hatte. Romana zählte lachend die erhobenen Hände. Sechs Kinder bettelten um einen Gummiball. Romana nickte lachend.

    »Is god. Ji süllt een nigen Ball hebben«, sagte sie in Hornklipper Mundart.

    Und sie ging gleich zu Fiken Töls, um ihr den Auftrag zu erteilen. Die ganze kleine Schar begleitete sie, damit sie ja nicht einen vergaß. Fiken Töls war eine Fischerfrau, die jeden Tag frische Räucherwaren nach Swinemünde hinüberbrachte.

    Sie versprach lachend, die sechs Gummibälle mitzubringen, und Romana schärfte ihr ein, möglichst gleich große und bunte Bälle zu kaufen, denn sie kannte ihre Pappenheimer. Kam einer zu kurz, dann gab es Rauferei. Sie gab Fiken Töls Geld und setzte dann ihren Weg fort. Die Kinder begleiteten sie nun nicht weiter, sondern setzten vorläufig ihr Spiel mit dem alten Ball fort. Nun, da die Bestellung der Bälle geschehen war, hielten sie es nicht mehr für nötig, Romana weiter zu folgen.

    Überall im Dorf nickten Romana freundliche Gesichter zu. Und hier und da blieb eine der von harter Arbeit gebeugten Gestalten stehen und sah wohlgefällig hinter der graziösen, weißgekleideten Frauengestalt her. Romana wirkte natürlich wie ein Wesen anderer Art zwischen diesem schlichten Fischervolk, aber immerhin waren die Hornklipper alle schon im Sommer drüben in Swinemünde gewesen und an elegante Erscheinungen unter den Badegästen gewöhnt.

    Für sie war Romana eben nichts anderes als so ein Badegast. Und da die Badegäste auch ins Dorf guten Verdienst brachten, sah man sie mit wohlgefälligen Augen an. Es war den Hornklipper Einwohnern ein fortwährender Stachel, daß ihr Strand sich nicht für den Badebetrieb eignete, weil eben die wie ein Horn gebogene Klippe sich im Wasser vorlagerte und das Meer gerade hier alle Steine anspülte, die es loswerden wollte. Und da Geheimrats mit ihrem jungen Gast und die wenigen anderen aus der Stadt stammenden Ansiedler für Hornklippe gewissermaßen die Badegäste ersetzen mußten, standen sie schon deshalb in großem Ansehen. Und nun gar Romana, die so oft helfend in die armseligen Verhältnisse der Fischer eingriff, war für sie alle das Mädchen aus der Fremde, das für jeden etwas mitbrachte.

    Romana hatte die kleine Villenstraße am Waldrand erreicht und schritt auf Dürkopps Haus zu. Ein sorgfältig gepflegter Obst- und Gemüsegarten umgab das schlichte, schmucke Haus, das wie die anderen einen weißen Anstrich hatte, der in der reinen, klaren Luft keinen Schmutz ansetzte. Den Garten pflegte der Hausherr zusammen mit seinem alten Diener, der mit in das stille Dorf gezogen war, um sich nicht von seiner Herrschaft trennen zu müssen. Bei der gemeinsamen Gartenarbeit pflegten sich die Standesunterschiede zwischen den beiden Männern vollständig zu verwischen, ja, es kam vor, daß der auf dem Land großgewordene Diener seinem Herrn Vorwürfe machte, wenn sich dieser ungeschickt anstellte. Mit heiligem Eifer waren sie beide bei ihrem Werk, und der Diener betrachtete Villa Elisabeth und alles, was dazu gehörte, gewissermaßen auch als sein Eigentum.

    Zwischen diesen beiden Männern gab es keine sozialen Fragen zu lösen, sie hatten das auf die einfachste Weise selbst getan, indem jeder für das Gedeihen des kleinen Grundstückes, das ihnen ein friedliches Alter sicherte, sein Bestes tat.

    Beide freuten sich über jeden Apfel, den sie ernteten, und über jede Blume.

    Außer dem alten Angestellten gab es nur noch ein ganz junges Dienstmädchen in der Villa Elisabeth. Frau Dürkopp tat ebenfalls das ihre, um die soziale Frage zu lösen: sie lernte alle aus der Schule entlassenen Mädchen aus Hornklippe in ihrem Haushalt an, damit sie dann draußen in der Welt eine gute Stellung bekommen und, was den Hornklippen das Wichtigste war, Geld verdienen konnten.

    Im übrigen kochte sie selbst – das hatte sie nie anders gehalten und hielt es jetzt für noch viel nötiger. Denn es mußte gespart werden in dem kleinen Haushalt, damit das knappe Einkommen reichte. Und wer mit Liebe kocht, kocht gut. So war ihre Küche sehr gut, trotz der einfachen Gerichte, die auf den Tisch kamen. Das Pensionsgeld, das der Justizrat für Romana bezahlte, sparte Frau Elisabeth für unvorhergesehene

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