Geschichte eines Untergangs
Von Stefan Zweig
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Über dieses E-Book
Stefan Zweig (1881-1942) war ein österreichischer Schriftsteller. 1934 flüchte-te er vor den Nationalsozialisten über London und New York nach Brasilien. In der Nacht vom 22. zum 23. Februar 1942 nahm sich Stefan Zweig in Petrópolis bei Rio de Janeiro das Leben. Depressive Zustände begleiteten ihn seit Jahren. Seine Frau Lotte folgte Zweig in den Tod. In seinem Abschiedsbrief hatte Zweig geschrieben, er werde "aus freiem Willen und mit klaren Sinnen" aus dem Leben scheiden. Die Zerstörung seiner "geistigen Heimat Europa" hatte ihn für sein Empfinden entwurzelt, seine Kräfte seien "durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft". Stefan Zweig wurde ein Symbol für die Intellektuellen im 20. Jahrhundert auf der Flucht vor der Gewaltherrschaft.
Stefan Zweig
Stefan Zweig (1881-1942) war ein österreichischer Schriftsteller, dessen Werke für ihre psychologische Raffinesse, emotionale Tiefe und stilistische Brillanz bekannt sind. Er wurde 1881 in Wien in eine jüdische Familie geboren. Seine Kindheit verbrachte er in einem intellektuellen Umfeld, das seine spätere Karriere als Schriftsteller prägte. Zweig zeigte früh eine Begabung für Literatur und begann zu schreiben. Nach seinem Studium der Philosophie, Germanistik und Romanistik an der Universität Wien begann er seine Karriere als Schriftsteller und Journalist. Er reiste durch Europa und pflegte Kontakte zu prominenten zeitgenössischen Schriftstellern und Intellektuellen wie Rainer Maria Rilke, Sigmund Freud, Thomas Mann und James Joyce. Zweigs literarisches Schaffen umfasst Romane, Novellen, Essays, Dramen und Biografien. Zu seinen bekanntesten Werken gehören "Die Welt von Gestern", eine autobiografische Darstellung seiner eigenen Lebensgeschichte und der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, sowie die "Schachnovelle", die die psychologischen Abgründe des menschlichen Geistes beschreibt. Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland wurde Zweig aufgrund seiner Herkunft und seiner liberalen Ansichten zunehmend zur Zielscheibe der Nazis. Er verließ Österreich im Jahr 1934 und lebte in verschiedenen europäischen Ländern, bevor er schließlich ins Exil nach Brasilien emigrierte. Trotz seines Erfolgs und seiner weltweiten Anerkennung litt Zweig unter dem Verlust seiner Heimat und der Zerstörung der europäischen Kultur. 1942 nahm er sich gemeinsam mit seiner Frau Lotte das Leben in Petrópolis, Brasilien. Zweigs literarisches Erbe lebt weiter und sein Werk wird auch heute noch von Lesern auf der ganzen Welt geschätzt und bewundert.
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Geschichte eines Untergangs - Stefan Zweig
Geschichte eines Untergangs
Titel Seite
Impressum
Stefan Zweig
Geschichte eines Untergangs
Als Madame de Prie an jenem Tage, da der König ihrem Geliebten, dem Herzog von Bourbon, die Leitung der Staatsgeschäfte entzog, von ihrer morgendlichen Spazierfahrt zurückkehrte, fing sie gleichzeitig mit dem devoten Bückling der beiden Türsteher ein unterdrücktes Lächeln auf, das sie irritierte. Sie ließ zunächst nichts merken, schritt gelassen an ihnen vorbei und die Treppe hinauf, wandte aber, als sie zum ersten Absatz der Stufen kam, jäh den Kopf zurück, und nun sah sie das Lachen breit auf den geschwätzigen Lippen der beiden schmatzen, rasch freilich untertauchend in einen erschreckten neuerlichen Bückling.
Jetzt wußte sie genug. Und oben in ihrem Salon, wo ein betreßter Offizier der königlichen Leibgarde sie mit einem Brief in der Hand erwartete, zeigte sie ein so unbesorgtes und fast übermütiges Wesen, als ob sie nur einen konventionellen Besuch in einem befreundeten Hause machte. Wiewohl sie das königliche Siegel auf dem Briefe sah und die ein wenig verwirrte Art des Offiziers, der seiner peinlichen Botschaft bewußt war, verriet sie weder Neugier noch Besorgnis. Ohne den Brief zu öffnen oder nur näher anzusehen, plauderte sie mit dem jungen und adeligen Soldaten, erzählte ihm, als sie an der Aussprache einen Bretonen in ihm erkannte, von einer Dame, die partout die Bretonen nicht leiden mochte, weil einer einmal gegen ihren Willen ihr Liebhaber wurde. Sie war frivol und übermütig, halb aus Berechnung, ihre Sorglosigkeit zu zeigen, halb aus Gewohnheit, wie überhaupt eine vergeßliche und unbeschwerte Leichtfertigkeit jede ihrer Verstellungen natürlich scheinen ließ und sie sogar wirklich in Aufrichtigkeit verwandelte. Sie plauderte so lange, bis sie wirklich an den königlichen Brief vergaß, den sie knitternd in den Händen hielt. Aber schließlich brach sie doch das Siegel auf.
Der Brief enthielt kurz und mit bedenklich geringem Aufwand an Höflichkeit den königlichen Befehl, unverzüglich den Hof zu verlassen und sich auf ihr Landgut Courbépine in der Normandie zurückzuziehen. Sie war in Ungnade, ihre Feinde hatten endlich gesiegt: am Lächeln ihrer Türhüter hatte sie das schon gewußt, ehe die königliche Botschaft kam. Aber sie verriet sich nicht. Der Offizier beobachtete sorgsam ihre Augen, wie sie den Zeilen auf und nieder folgten. Sie zuckten nicht, und nun, da sie sich ihm wieder entgegenwandte, funkelte ein Lächeln darin. »Seine Majestät ist sehr besorgt um meine Gesundheit und wünscht, daß ich die heiße Stadt verlassen und mich auf mein Schloß zurückziehen solle. Melden Sie Seiner Majestät, daß ich seinem Wunsche unverzüglich Folge leisten werde.« Sie lächelte bei den Worten, als sei geheimer Sinn in ihrer Rede. Der Offizier schwenkte den Hut und trat mit einer Verbeugung ab.
Aber kaum, daß die Tür sich hinter ihm schloß, fiel das Lächeln von ihren Lippen wie ein welkes Blatt. Sie zerknitterte zornig den Brief. Wie viele solcher Briefe, jeder ein Schicksal, waren mit dem königlichen Namen in die Welt gegangen, denen sie die Feder geführt hatte! Und nun wagte man sie, die durch zwei Jahre ganz Frankreich regiert hatte, mit einem solchen Blatt vom Hof zu verbannen: so viel Mut hatte sie von ihren Feinden nicht erwartet. Freilich, der junge König hatte sie nie geliebt, er war ihr übel gesinnt; aber hatte sie dazu Maria Leszińska zur Königin von Frankreich gemacht, daß man sie exilierte, nur weil ein Volkshaufe vor ihren Fenstern gelärmt hatte und irgendeine Hungersnot im Lande war? Sie überlegte einen Augenblick, ob sie Widerstand leisten sollte: der Regent von Frankreich, der Herzog von Orleans, war ihr Geliebter gewesen, wer heute Macht und Stellung bei Hof besaß, dankte es einzig ihr. An Freunden fehlte es ihr nicht. Aber sie war zu stolz, um als Bettlerin zu erscheinen, wo man sie als Herrin kannte, niemand in Frankreich sollte sie je anders als lächelnd gesehen haben. Die Verbannung konnte ja nur Tage dauern, bis die Gemüter beruhigt waren, dann würden ihre Freunde die Rückberufung durchsetzen. Sie freute sich schon voraus im Gedanken der Rache und