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Frau Rosenzopf und der störrische Garten
Frau Rosenzopf und der störrische Garten
Frau Rosenzopf und der störrische Garten
eBook386 Seiten5 Stunden

Frau Rosenzopf und der störrische Garten

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Über dieses E-Book

Drei Frauen, zwei Gärten, ein Familiengeheimnis.

Tritt. Trittbrett. Trittleiter. Trittschemel. Trittfläche. Trittbrettfahrerin. Tritt in den Hintern.
Wenn Rita Rosenzopf aufgewühlt ist, arbeitet sie sich an Wörtern ab. Wie eine Beschwörungsformel dreht sie Wortmühlen, bis sich ihr Magenschmerz beruhigt. Gründe dafür gibt es ausreichend: Einen Mann mit einem inneren Organ für Ordnung, das ihn nicht davon abhält, eine Affäre zu beginnen. Eine knapp 80 Jahre alte Nachbarin mit hochgradiger Fruchtkleptomanie, eine Psychologie-Freundin mit Ratgeberneurose. Ein Haus wie ein lebendiges Wesen, durch dessen Türen und Fenster es zieht und einen Garten der sich störrisch ihren gestalterischen Vorhaben widersetzt. Zu all dem kommt, dass sich ihr geistiger Zufluchtsort, das Gartentagebuch ihrer verstorbenen Tante, als launenhaftes Testsammelsurium entpuppt und kryptische Andeutungen über ein Familiengeheimnis enthält.
Frau Rosenzopf und der störrische Garten erzählt die Geschichte von drei Frauen und ihren Gärten. Zwischen Rita, die sich eine Auszeit von ihrer Ehe nimmt, ihrer Nachbarin Frau Gerti, die mit ihren knapp 80 Jahren immer noch Kirschen klaut und Ritas verstorbener Tante Mali, die aus ihren Tagebuchaufzeichnungen spricht, entwickelt sich eine turbulente Dreiecksbeziehung, die vom Noch-Ehemann, der Psychologie-Freundin und der übrigen Nachbarschaft ungefragt Nahrung erhält.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum2. Aug. 2021
ISBN9783754330593
Frau Rosenzopf und der störrische Garten
Autor

Elisabeth Heydeck

Elisabeth Heydeck, geboren 1963 in Klagenfurt, freie Fernsehjournalistin, Dokumentarfilmerin und Bloggerin sowie mittelspät berufene Unkrautjäterin Kartoffelsetzerin, Baumschneiderin und Erntehelferin im eigenen Garten.

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    Buchvorschau

    Frau Rosenzopf und der störrische Garten - Elisabeth Heydeck

    Frau Rosenzopf und der störrische Garten

    Elisabeth Heydeck, Roman 2021

    Impressum

    Texte: Copyright by Elisabeth Heydeck

    Umschlagsgestaltung: Copyright by Elisabeth Heydeck

    eMail: Tantemalisgarten@gmail.com

    Blog: https://tantemalisgartenblog.blogspot.com/

    Vertrieb: BoD Books on Demand GmbH

    ISBN: 9783754330593

    Ich habe einen Weg und dieser Weg führt in den Garten.

    Prolog

    Liebste,

    was wäre gewesen, wenn nicht…? Auch wenn du diese Frage nicht stellst, weil du ein so behutsames und bedachtes Menschenkind bist, irrlichtert sie durch deine Zeilen und erinnert mich ein wenig an die Glühwürmchen, die neuerdings im Garten sind. Mein Hans meinte, ich hätte sie mit Totholz aus dem Wald mitgebracht. Mir soll’s recht sein, denn sie malen nicht nur zarte Muster in die Nacht, sondern fressen wohl auch die unliebsamen Schnecken. Was wäre gewesen, wenn nicht …? Um es kurz zu halten und nicht den Gedanken und Bildern zu folgen, die dieser Tag und die darauf folgenden Tage und Wochen und Monate und Jahre tief in mir eingepflanzt haben: Ich hätte ein anderes Leben! Wir alle hätten ein anderes Leben! Doch vorne, an der Stirnseite des Gartens wurde, wie du es mir aufgetragen hast, Schafgarbe gepflanzt. Das Allheilkraut gedeiht gut an diesem sonnigen Platz. Wenn sich jetzt in diesem heißen Sommer ein Tagpfauenauge oder gar ein Schwalbenschwanz auf seinen Blüten niederlässt, denke ich gerne an unsere gemeinsamen Stunden zurück. Weißt du noch, wie wir mit den klapprigen Rädern in den Wald gefahren sind, um Erdbeeren auszugraben, damit ein wenig Obst im Garten wächst? Und auch wenn ich sie nicht mehr koche, rieche ich in meiner Erinnerung noch immer die wilden Kräuter, die wir für Suppen gesammelt haben. Wegrandsuppe hast du sie genannt.Was wäre gewesen, wenn nicht …? Ich habe mir diese Frage verboten. Schon in der ersten Nacht.Ich weiß, du verzeihst mir die Kürze. Mag sein, dass es mehr zu sagen gibt oder auch nichts. Die Pfirsichmarmelade steht auf dem Ofen und wartet auf meine Hände, die sie in Gläser füllt.

    Sei umarmt und beruhigt

    deine Mali

    Rita

    Das darf doch nicht wahr sein! Das gibt es doch nicht! Bist du verrückt geworden?

    Der Bademantel lag auf dem Boden, das Handtuch ebenfalls. Rita Rosenzopf konnte kaum glauben, was sie soeben gesehen hatte, sie stieg von der Waage, wartete, bis das Anzeigefeld die Zahl vergessen hatte, tippte mit ihrer großen Zehe noch einmal auf das matte Aluminium und stieg erneut hinauf. Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen. Augen öffnen, beherzt nach unten blicken. 68.7 stand da in diesem Digitalgrün und blinkte auch noch frech.

    Dich habe ich zu all dem noch gebraucht, zischte Rita. Ohne das Display aus den Augen zu lassen, machte sie einen Schritt nach hinten. Die Ziffern verschwanden. Erneut hob Rita ihr rechtes Bein, bog die Fußspitze nach unten, verharrte für die Dauer weniger Herzschläge in dieser Position, schüttelte den Kopf und stellte sich bequem auf den Badezimmerboden.

    68.7, um 200 Gramm mehr, als beim ersten Mal. 68.5 hatten Rita schon gereicht, um den Tag mit einem Adrenalinschock zu beginnen, dem nun ein guter Vorsatz hinterher gelaufen kam. Heute ist Montag, Obsttag bei Rita, sagte sie zu ihrem Spiegelbild, beugte sich vor, damit sie besser verstanden wurde und wiederholte: Hast du gehört? OBSTTAG bei RITA!

    „Obst, Obst, Obst, wiederholte Rita während sie den Bademantel anzog und beruhigte sich mit dem, was sich aus Obst alles machen ließ. „Obstkuchen, Obstschnitten, Obsttorten, Obstbauer, Obstbaum, Obstwurm, Obstkiste, Obstverkäufer, Obststand, Obstsalat, Obstpresse, Obstfliege, Obstmarkt, Obstlager, Obstkorb, Obstkuchenteig, Obstnetz, Obstteller, Obstdörrer, Obstdessert, Obstdiät, Obstgarten, Obstverwertung, Obstler.

    Mein Sparen-Sie-die-Mehrwertsteuer-Modell, dachte Rita, während sie die Waage unter das Waschbecken rückte, minus 20 Prozent auf alles, außer Tiernahrung, Sonderposten und Körpergewicht. 68 Kilo und 700 Gramm. Sie schob die Waage erneut heraus. Rita hatte vergessen, dass das Abflussrohr tropfte.

    „Hier muss seit einer Woche eine Schüssel hin", sagte sie, hängte das Handtuch auf eine Stange aus Messing und verließ das Badezimmer, das sich seit einem halben Jahr in ihrem Besitz befand und zu einem Haus gehörte, das gleichermaßen liebenswert wie sanierungsbedürftig war.

    Gekauft?, hatte der Architekt gefragt, ein Bekannter von einem Bekannten, der vor einer knappen Woche hier gewesen war, um die Bausubstanz zu prüfen. Wie ein Dieb auf der Suche nach einem verborgenen Safe war er in seinen olivgrünen Wildleder-Mokassins durch das Haus geschlichen. Hatte mit der Spitze eines Schraubenziehers im Keller am Verputz gekratzt und war mit Spinnweben im Haar vom Dachboden gekommen. Er hatte an Fensterflügeln gerüttelt, die Haustüre geöffnet und wieder geschlossen, mit den Handflächen die Wände befühlt und auf seiner Oberlippe gekaut.

    Nein, geerbt. Worauf der Architekt den Schraubenzieher weggesteckt und gemeint hatte, er verstehe, was auch immer, und er generiere einen Sanierungsplan.

    Die Welt war frisch gestrichen. Auf der Wiese diskutierten Spatzen über den Tag. Eine Amsel verschwand in der südlichen Hecke, die genausogut ein Dschungel hätte sein können, ein undurchdringlicher, nach oben und nach der Seite ausgefranster Wall, der, falls er jemals wieder eine ordentliche Grundstücksbegrenzung sein sollte, radikal zurückgeschnitten werden müsste. Auf dem untersten Ast des Apfelbaumes saß ein Rotschwänzchen, wippte mit den Schwanzfedern, bis es sich fallen ließ und mit seiner Beute im Schnabel aus Ritas Blickfeld flog. Die Buchskugeln waren aus der Fasson gewachsen, was sie selber nicht zu stören schien, der Efeu war zum Ganzkörperkondom des Wirtschaftsgebäudes mutiert. Am hinteren Sitzplatz gebärdete sich der wilde Wein so, dass er seinem Namen alle Ehren erwies. Mit meterlangen Trieben prahlte die Forsythie und ließ den unfrisierten Eiben kaum Platz. Vom Holunderstrauch rieselten die Blüten, als würde es weiße Sterne schneien.

    Milchstraßenweg wird Rita später in Tante Malis Gartentagebuch lesen. Wenn der Holunder seine Blüten fallen lässt, spaziere ich über einen Milchstraßenweg und säe Sternschnuppen aus.

    Rita sah einen dichten Flokatiteppich aus Farnen, erkannte in den wilden Erdbeeren eifrige Wandergesellen. Eine Krähe ließ sich auf der Dachkannte nieder und neigte ihr Haupt. Rita deutete die Geste als Guten-Morgen-Gruß. Sie grüßte zurück.

    Der Garten war eine Oase. Er entsprach der Konvention für Biodiversität. Abgesehen davon, dass die Waldfläche fehlte, blühte, wuchs, gedieh und spross hier viel - und viel von dem, was mit den besten Absichten nicht in die Gattung Nutz- und Ziergewächse einzugliedern war.

    Rita saß auf den Stufen der Veranda, ihr gegenüber wucherte dem alten Birnenbaum die Krone zu. Wassertriebe stachen senkrecht nach oben. Er erinnerte an ein Stachelschwein in erstarrter Gefahrensituation. Super, dachte Rita, stützte beide Ellenbogen auf ihre Oberschenkel und legte den Kopf in ihre Handflächen, kein Job, kein Mann aber Haus- und Grundbesitz.

    Die Birne war der Onkelbaum. Er hatte vom Stamm und von den Ästen das Moos abgebürstet, die Wildtriebe entfernt, ihn ausgelichtet und in Form gehalten. Im Spätsommer hatte Onkel Johann die Leiter aus dem Wirtschaftsgebäude getragen und auf die oberen Astreihen Marmeladengläser mit gezuckertem Weißwein als Wespenfallen gehängt.

    „Alle Tiere saufen", hatte er gesagt und die Geschichte von den Hühnern des Nachbarn so oft erzählt, dass es ein wenig ebenfalls Ritas Geschichte war, dass sie beim Nacherzählen die Stimme senkte und die Augenbrauen hob, wie er.

    „Wer Brot weg wirft, versündigt sich, hatte Onkel Johann gesagt, habe seine Mutter ihn ermahnt, den Schnaps schüttete sie weg! Weil jedoch kein Mensch kein Lebensmittel verkommen lassen darf und die Hühner vom Nachbarn ständig hungrig waren, haben wir das Brot im Schnaps getränkt, damit es leichter runter rutscht in so einem engen Hühnerhals."

    Diesen Sätzen waren drei Reaktionen gefolgt: Onkel Johann hatte mit dem rechten Auge gezwinkert. Tante Mali hatte, Hans, bring’ mir die Kinder nicht auf dumme Gedanken, gemahnt und Rita war der Geruch von Arnikaschnaps in der Nase gestiegen, der in Tante Malis Apothekerschränkchen gestanden war.

    Vom gesamten Garten sind sie zusammengelaufen und haben gegackert und gepickt bis ein Huhn nach dem anderen einfach umgefallen ist, hatte Onkel Johann unbeirrt fortgesetzt. Erst nach diesem Satz hatte er eine Pause gemacht, mit den Schultern gezuckt und tief Luft geholt. Rita hatte gewusst was nun folgen würde, den Kopf eingezogen und sich ein wenig tiefer in den Sessel gedrückt.

    Zusert kam die Nachbarin zur Mutter gelaufen. Dann suchte der Nachbar meinen Vater in der Werkstätte auf. Kurze Zeit geschah nichts. Aber dann ..., hier hatte Onkel Johann ebenfalls eine Pause eingebaut, dann brach ein Donnerwetter los. Es begann mit einer vielstimmigen Schimpfkanonade. Die Mutter, der Vater, die Frau Nachbarin und der Herr Nachbar redeten gleichzeitig auf uns ein. Als wir schließlich ins Haus geschickt wurden, haben wir geglaubt, sie hätten ihr Pulver verschossen, aber denkste, hier ging die Strafpredigt der Mutter erst richtig los. Schluss war erst, als mir der Vater eine Ohrfeige gab."

    Danach hatte Onkel Johann in die Hände geklatscht und kein einziges Mal zu erzählen vergessen, dass sich die Hühner von ihrem Rausch wieder erholt hatten. Da die Eier zwei Tage ausgeblieben waren, hatte sich der Unmut über die Blödheit der Kinder bis in die Wochenmitte hingezogen. Es hatte sich nämlich um einen Samstag und einen Sonntag gehandelt und zum Kirchgang hatte die Nachbarin regelmäßig einen Kuchen für den Pfarrer in ihrem Korb. An diesem Sonntag nicht.

    Wir haben intensiv überlegt, ob wir den Schnapsdrosseln heimlich Eier von den Hühnern der anderen Nachbarin unterzuschieben sollten. Frei nach dem Motto: Nach einem heftigen Rausch legen die Hühner zwei Tage nichts und dann doppelt so viel. Onkel Johanns Lachen in den Augen war das eines halbwüchsigen Jungen gewesen.

    Am Ende der Erzählung hatte Onkel Johann den Zeigefinger der rechten Hand gehoben, einen Blick in die Runde geworfen und einen Satz proklamiert, den sich Rita und die Kinder aus der Nachbarschaft als Moral der Geschichte zu merken hatten: »Nur die Erfahrung macht uns reicher, Erkenntnis allein genügt häufig nicht.« Hatte er in dieser rechten Hand ein aufgeklapptes Taschenmesser gehalten, dessen Klinge von wiederholtem Schleifen mondsichelförmig gebogen war, war Birnenzeit. In Ritas Erinnerung konnte ihr Onkel nie vernünftig beißen, Messer schleifen und Sensen dengeln, das konnte er.

    Das Birnbaumstachelschwein trug in diesem Jahr unzählig viele Früchte. Wie kleine grüne Tropfen mit Rüschenbäuchen saßen sie auf den Ästen und passten in ihrer Zartheit so gar nicht zu dem faltigen Stamm.

    Wie viele Sommerferien hatte Rita hier verbracht? Wie viele Polsterzipfel, Marillenknödeln und Schwarzbeerstrudel wurden hier gegessen, wie viele Portionen Schneenockerln mit Vanillesauce? Wie viel Liter Arnikaschnaps für die Schürfwunden verbraucht? Onkel Johann und Tante Mali waren kinderlos, dafür hatten sie Hasen und einen dicken Hund und mit ihnen einen ganzen Schock Kinder aus der Nachbarschaft. Ein einziges Mal kam die Konstanze zum Spielen. Der Birnenbaum wurde zum Marterpfahlbaum. In weißer Strumpfhose und dunkelblauem Faltenrock war sie das Greenhorn des Tages und taugte nur zur Dekoration.

    Stell dir vor, wie sich die arme Stanzi gefühlt haben muss, hatte später ihre Psychologie-Freundin angemerkt, da darf sie einmal von ihren Klavierübungen in den Nachbargarten und landet am nächsten Marterpfahl.« Daran denkt man doch nicht mit sieben oder acht. Dieselbe Psychologie-Freundin hatte vor kurzem erläutert, verantwortlich für das Fremdvögeln von Ritas Mann sei die irreduzible Innenperspektive seines erlebten Ichs. Rita hatte sich gefragt, wo sie das gelesen hatte. Auf die Fragen, was das zu bedeuten hätte, hatte sie geantwortet, dass dies jetzt den Rahmen des Gespräches sprengen würde und Rita solle nicht laufend ihrem Impuls nachgeben, alles zu hinterfragen. Dies könne sich schnell zu einer fetten Neurose auswachsen, oder sich in einer adipösen Depression" manifestieren. Stichwort: Grübelsucht. Rita zeige ohnehin eine gewisse Disposition zu Zweitem, weil sie vom Typ her doch eher dysphorisch sei.

    Frau Gerti

    Wer arbeitet, muss auch essen. Rita ballte die Faust um die Kaffeetasse. Brüllen? Zuschlagen? Losrennen? Alles eilte gleichzeitig durch ihren Kopf. Sie entschied sich für das Sitzenbleiben. Es war zu spät für Verteidigung und Flucht. Als sie sich umdrehte, sah sie auf einen Teller voll Kirschkuchen und weiter oben auf zwei blitzblaue Augen, von einem weißen Wuschelkopf gerahmt. Ist das eine ungezähmte Dauerwelle oder echt?

    Wer arbeitet, muss auch essen, wiederholte die Frau und setzte sich auf die Stufe, während sie den Kuchen etwas näher an Ritas Nase balancierte.

    Dem fehlt nichts, glauben Sie mir.

    Rita stellte die Kaffeetasse ab, griff zum Teller und registrierte die Geste erst, als sich die Frau ein Stück vom Kuchen nahm.

    Nun sind Sie doch nicht so verschreckt, Kindchen, der ist zum Essen da, zum Anschauen habe ich ihn nicht gemacht.

    Ja, natürlich. Entschuldigung. Danke.

    Die Kerne sind noch drin, sagte die Frau, nahm einen zwischen Daumen und Zeigefinger, zielte auf den Blumentopf am Fuße der Veranda, in dem der Löwenzahn in voller Blüte stand.

    Wieder einmal über das Ziel hinausgeschossen, warten Sie, beim nächsten Mal.

    Beim nächsten Mal driftete der Kern nach links.

    Das haben wir als Kinder auch gemacht. Rita nahm einen Kern und traf ebenfalls nicht. In einem müden Bogen fiel er auf die unterste Stufe.

    Zu wenig Schmackes. Da muss mehr Power rein. Wo ist denn Ihr Selbstvertrauen?

    Rita betrachtete den Kuchen, als wäre dort, zwischen dem goldbraunen Teig und den noch warmen Kirschen die Antwort zu finden.

    Schmeckt sehr gut, Frau ...

    20, 20, 20, fünf. Na, wer sagt’s denn, getroffen. Geht doch.

    Mit einem leisen Tock war der Kern auf den Blumentopf geprallt, als Beweis hinterließ er einen dunklen Fleck. Rita versuchte es erneut, zuerst das Treffen, was nicht gelang, anschließend das Fragen, nur anders herum.

    Ich bin die Rita...

    ... die Rita Novak, ich weiß doch wer Sie sind. Die Kirschen sind übrigens von Ihrem Baum. Ich war heute Früh schnell hier.

    Rosenzopf, ich heiße jetzt Rita Rosenzopf. Sie waren heute Morgen schon hier?

    Weiß ich doch, das Sie geheiratet haben und wo ist Ihr Mann?

    Nicht hier, Frau - Sie heißen doch nicht 20, 20, fünf?

    20, 20, 20, fünf. Das Rezept. 20 Dekagramm Zucker, 20 Dekagramm Mehl, 20 Dekagramm Butter und fünf Eier, etwas Vanillezucker, Backpulver und Rum. Das Eiweiß zu Schnee schlagen, Butter und Zucker schaumig rühren, Rum und Vanillezucker dazu, das Mehl mit dem Backpulver mischen und unterrühren, dann den Schnee und die Kirschen hinein und ab ins vorgeheizte Rohr, 200 Grad, etwa vierzig Minuten, fertig. Ich bin die Gerti, die Nachbarin von gegenüber. Wo ist denn Ihr schickes, dunkles Auto jetzt?

    Nicht hier, Frau Gerti, nicht hier.

    Ach so, wie auch der Mann. Lernen Sie das mit den Kernen zuerst. Das Treffen meine ich, der Rest ergibt sich von selbst.

    Rita wollte widersprechen, doch Frau Gerti war aufgestanden, stemmte beide Hände in den Rücken, zog eine Schulter nach der anderen nach oben, schob das Becken vor, senkte den Kopf und verharrte für ein paar Sekunden in dieser Stellung.

    Und machen Sie sich keine Gedanken über ihre Figur, der fehlt gar nichts.

    Im Gehen winkte sie mit der Hand nach hinten, dann wurde sie von der Hausecke verschluckt.

    Deutlich hörte Rita, wie die Gartentüre geöffnet wurde. Sie quietschte. Deutlich hörte sie, wie sie kräftig in Schloss gezogen wurde. Sie klemmte. Wo hat Onkel Johann das Öl für die Angeln versteckt?

    War Frau Gerti hier, als ich im Badezimmer die Waage angebrüllt habe?, dachte Rita, und im Übrigen, was heißt: Das sind ihre, also meine Kirschen im Kuchen und sie hat sie heute schnell gepflückt?

    In ihren Gedanken folgte Rita Frau Gerti zur Gartentüre, die seit jeher grün war und ein wenig rostig. Schon damals, als sie als Kind mit dem dicken Koffer kaum durchgekommen war. Der Hund war ihr entgegen gehüpft und hatte sich zwischen Rita und Tante Mali gedrängt, wenn sie sich umarmten. Rita war mit durchgestreckten Knien und nach vorne gebeugtem Oberkörper auf dem Gartenweg gestanden. Nur so war es ihr gelungen, mit ihren Händen Tante Mali unterhalb der Mitte zu fassen und sie hatten ausgesehen, wie ein armenischer Buchstabe oder wie ein krummes h in Spiegelschrift, gemalt von einer ungeübten Kinderhand. Auf diese Weise hatten sie sich gehalten und geherzt und der Hund war zufrieden gewesen.

    Rita rutschte auf den Stufen an die Stelle, die noch im Blätterschatten lag. Es war still. Kein Geräusch drang von dem Ort, der „hinter dem Haus" hieß und noch so heißt, in den Garten. Hinter dem Haus wächst das Gras struppig und blühen die Tulpen spät. Hinter dem Haus ist es schattig und der Efeu rankt über den Zaun. Hinter dem Haus hielt sich nie jemand auf, nur der dicke Hund ab und an, um den Vorbeigehenden seine Geschichte zu erzählen. Hinter dem Haus steht die Mülltonne. Es ist die Seite, der Straße zugewandt. Der Besuch von Tante Mali und Onkel Johann kam von hinter dem Haus. Als Onkel Johann starb, wurde er hinter das Haus getragen, auf die Straße, zum wartenden Auto. Da war der dicke Hund schon längst tot, der, laut Tante Mali, hinter dem Haus begraben lag. Hinter dem Haus war Norden und vor dem Haus der Garten mit der Veranda, auf der Rita saß, um mit Kirschkernen auf Blumentöpfe zu zielen.

    Was sein wird, vielleicht

    Der Himmel wird blau sein oder grau, die Bäume werden ihre Schneelast tragen oder ihre Blüten. Rita wird auf den Stufen der Veranda sitzen, wird Zeigefinger und Daumen zusammenpressen und mit einem kurzen Druck den Kern freigeben. Die Bilderreihe der Erinnerung. In dieser Stunde war die Beziehung zu ihrem Haus noch wie ein Wesen, ohne feste Umrisse, ohne scharfe Konturen, ohne eine erkennbare Figur. Wie Wolkenfetzen, die von Strömungen zusammengetragen, zu Drachen, Seeungeheuern, Fabelwesen werden, zu Windhunden manchmal bevor sie, so schnell wie sie entstanden sind, ihre Erscheinung wechseln, um über kurz oder lang ihre Form ganz zu verlieren. Später, wenn sie gefragt wird, warum sie sich das aufgebürdet hat, die Arbeit, die Kosten, das bescheidenere Leben wird sie auf die Stufen ihrer Veranda zurückkehren. „Es war Juni, Frau Gerti hatte Kirschkuchen von meinen Kirschen gebacken und ich habe mit den Kernen Zielschießen geübt."

    Tante Malis Gartenbuch

    Rita holte eine weitere Tasse Kaffee, nahm das zweite Stück Kuchen - Kirschkuchen ist ebenfalls Obst!, und klemmte sich eine dicke Mappe unter den Arm. Etwas ungelenk erreichte sie den hinteren Sitzplatz, erlöste Tisch und Bank vom wildgewordenen Wein und setzte sich in den Schatten.

    Die Mappe war Tante Malis Gartenbuch. Ein Exemplar, das es nicht zu kaufen gab. Keine von diesen hardcovergebundenen, mit Hochglanzumschlag versehenen Prachtausgaben mit mehr Bildern als Text. Großformatig, mit Gärten, wie sie ein durchschnittlicher Mensch nie besitzen wird. Es war nicht eines dieser alten, in Leinen geschlagene Bücher, auf denen mit Goldprägung der Titel steht. Es war ein Sammelsurium. Die Mappe, aus Kartonteilen gebastelt, wurde von einem Umschlag mit Gobelinstickerei gehalten. Tante Mali, so vermutete Rita, hatte sie angelegt, als all ihr, aus den unterschiedlichsten Quellen zusammengetragenes Wissen und all ihre Notizen nicht mehr in dem Buch Platz fanden, das ebenfalls in der Mappe aufbewahrt wurde. Sie hatte die Angewohnheit, die Gartenrubriken aus Zeitschriften auszuschneiden und zwischen die Seiten zu legen. Gründüngung mit Klee, Luzerne, Lupine, Ackerbohnen und Bienenfreund. Der richtige Heckenschnitt. Pflegeleichte Bodendecker-Rosen.

    Das Stickbild imitierte das Gemälde eines alten Meisters. Ein, mit dünnem Faden gearbeitetes, Stillleben. Rote und Gelbe Rosen auf schwarzem Grund. Um den Umschlag verschließen zu können, hatte Tante Mali an zwei Seiten ein olivgrünes Samtband angenäht. Es war speckig und dort, wo über Jahre hinweg der Knoten zu liegen gekommen war, hatte sich eine dicke Falte eingekerbt. Rita versuchte sie mit dem Daumennagel zu glätten. Ohne Erfolg. Sie legte die Zettel, die eng und in geraden Zeilen mit Tante Malis schnörkeliger Kurrentschrift gefüllt waren, auf den Gartentisch, ebenso einen Stapel Zeitungsartikel, Postkarten, einzelne Blätter eines Abreißkalenders und Bauernkalenderbüchlein. Ein paar gedruckte Seiten, offensichtlich Teile eines Buches, die in einem Bogen Butterpapier steckten, ließ Rita in der Mappe.

    Sie las nicht, dass Mr. Botes aus Duffield im Jahre 1823 stolzer Besitzer eines Stachelbeerstrauches war, dessen Äste 36 Fuß im Umfang hielten und der scheffelweise Früchte trug. Nach Angaben von Mr. Botes wurde er mit Seifensiederasche und Mist gedüngt. Sie las ebenfalls nicht, dass dieser Stachelbeerstrauch von jenem des Mr. Banks aus Overton Hall übertroffen wurde. Mit nur 30 Jahren wies er einen Astumfang von 53 Fuß vor. Er war von Mr. Banks in leichten Lehmboden gepflanzt worden. Den Aufruf des verdienstvollen Sekretärs der Pariser Gartengesellschaft, Ritter Soulange Bodin, wird Rita Monate später entdecken. Im Januar des Jahres 1828 versprach dieser einen Preis von 400 Franken demjenigen, der ein chemisches oder anderes wohlfeiles Mittel gegen Engerlinge fände. Voraussetzung: Es durfte den Gewächsen nicht schaden und die natürliche Beschaffenheit des Bodens nicht verändern.

    Der Buchdeckel war vergilbt, fleckig und mit groben Stichen am Rücken festgenäht. Auf der Innenseite wiederholte sich das Blumenmotiv der Mappe als Bundstiftzeichnung. Der Ratgeber für Erfolg im Garten war Tante Malis Gartenbibel gewesen. Ein anderes Gebetsbuch, hatte sie gesagt, besaß ich nicht.

    Rita suchte nach dem Kapitel Gartenarbeit im Juli. Das, was vom Juni verblieb, passte in ein Schneckenhaus. Sie blätterte durch Seiten mit Fotos von lachenden Frauen in Schürzen. Sie gossen Balkonblumen, pflanzten Gemüse und ernteten Obst. Männern mit ernsten Gesichtern schnitten Bäume, mähten den Rasen und bedienten komplizierte Maschinen, die niemand mehr kannte. Alles in Schwarzweiß. Wahllos Sätze lesend schlenderte Rita durch die Kapitel. Was blüht denn da? Fruchtfolge im Gemüsegarten. Erziehungsschnitt. Sie versuchte Tante Malis Anmerkungen an den Seitenrändern zu entziffern und las die Überschriften der Zeitungsartikel, die zwischen den Seiten lagen.

    Gärtnern mit dem Mond. Lostage im Mai. Kartoffelkäfer und ihre gefräßige Brut. Gesundheit durch wiederentdeckte Hausmittel. Blühende Frühlingsboten. Brennnesseljauche kräftigt und düngt.

    Auf Seite 397 fand Rita, was sie suchte.

    Gartenarbeit im Kalendermonat Juli.

    Was jetzt zu tun ist.

    Im Juli beginnt der Hochsommer und mit ihm ist die Gartensaison in vollem Gang, erfuhr Rita. Sie trank einen kräftigen Schluck Kaffee und tippte mit den Fingern die Kirschkuchenbrösel vom Teller. Die nächsten Zeilen las sie flüchtig. Rita besaß keine Balkon- und Topfpflanzen, die sie gießen sollte. Lange Trockenperioden zehren an deren Kräften, lernte Rita und auch das Gemüse benötige jetzt ihre Zuwendung. Die Tomaten sind auszugeizen, ausgeizen - stand in Klammern, siehe Kapitel Gemüsepflanzen. Rita schlug nicht nach. Werden Gurken regelmäßig geerntet, erhöht das den Ertrag. Dieser Absatz war für die Resi Tant’, würde Onkel Johann jetzt sagen. Das hatte er zeitlebens getan, wenn etwas oder jemand für ihn nicht zu gebrauchen war. Verwandte konnte das gleichermaßen treffen, wie Stabmixer, elektrische Dosenöffner, Fernsehsendungen, das Kirchenblatt und die Politik. „Dieser Schauspieler da drüben in Amerika in seinem weißen Haus, hatte Onkel Johann gesagt, „ist samt seiner Kommunistenphobie für die Resi Tant’ und diese intriganten Suffragetten aus Denver ebenfalls. Er war kein Fan von J.R. Ewing gewesen. „Der mit seinem am Kopf angewachsenen Hut", hatte er ihn genannt und die Zeitung weitergelesen, während im Fernsehen Dallas lief. Bei Denver Clan reagierte er anders, bei Denver Clan erhob er sich von seinem Sessel, ging zum Fernsehapparat und drückte auf AUS.

    Diese Alexis ist wirklich absolut umsonst. UMSONST habe ich gesagt, nicht gratis. Die kann sich doch keiner leisten, bei den Ansprüchen die die stellt.

    Onkel Johann war kein Mann des schnellen Urteils. Er beschäftigte sich mit der zu beurteilenden Materie mehr oder minder intensiv. Manchmal genügte ein flüchtiger Blick, bevor er einen Menschen oder eine Sache oder eine Angewohnheit für akzeptabel erklärte oder verwarf. Es war nie für die Resi Tant’, wenn Tante Mali den Frisiersalon besuchte. Für Rita wohnte die Resi damals in zwei Zimmern im dritten Stock ohne Lift. Umgeben von Krempel und Plunder, Cousins und Cousinen zu Besuch, an manchen Tagen auch Onkel Johanns unmittelbarer Chef und mitten drin der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der, unbeeindruckt von jedem und allem, Dallas und Denver Clan schaut.

    Im Sommer haben die Gartenbesitzer den Eindruck, dass das Unkraut schneller wächst, als die gewünschten Pflanzen im Beet. Die Hausfrau jätet jetzt eifrig und wirft die Wurzelunkräuter nicht auf den Kompost. Aha, dachte Rita und unterdrückte den Impuls, einen Blick auf das Erscheinungsjahr zu werfen. (Die Gender Correctness war zu diesem Zeitpunkt bis zu den Bienen vorgedrungen. Die männliche Biene hieß nicht mehr die Drohne, sondern der Drohn.)

    Der Rasen darf nicht mehr zu kurz gemäht werden und weiterhin soll, wie bereits im Kalendermonat Juni erklärt, mit geduldiger Regelmäßigkeit Verblühtes von den Rosen entfernt werden. Im Juli schneiden Gärtnerin und Gärtner erneut den Efeu, der gerne etwas ausufernd rankt.

    Na dann los! Ein weiteres Mal hatte sie laut mit sich selbst gesprochen und sich dabei ertappt. Wie unangenehm.

    Hornveilchen

    Denk noch einmal darüber nach, hatte ihre Psychologie-Freundin gesagt, denk noch einmal darüber nach, ob es nicht deine eigene Entscheidung ist, wie groß du ein Ereignis in deinem Leben werden lässt. Das war zwölf Tage bevor Rita die schwarze Gobelinmappe ins Haus trug und die Gartenschere suchte. Rita hatte in einem unscheinbaren Café ihren Entschluss, in das Haus zu ziehen auf den Tisch gelegt, wie man den Kaffeelöffel hinlegt, nachdem damit ein paar Mal umgerührt wurde. Im Innenhof blühten blassblaue Hornveilchen in Töpfen, die in weiße Tortenspitze eingeschlagen waren. Die Kuchenstücke lagen auf Tellern mit geschwungenem Goldrand, deren Rosendekor ausgewaschen wirkte. Rita erinnerte sich an einen Freund, der ihr vor Jahren erzählte, dass er einen Maler kannte, der Selbstmord beging, weil seine Bilder verblassten. Sie verloren die Farbe, wie Hortensien, die man trocknet, ohne sie davor in ein Gemisch aus Wasser und Glycerin zu stellen. Die Psychologie-Freundin hatte ihre Sonnenbrille abgenommen und ihr intensiv in die Augen geschaut. Denk noch einmal darüber nach.

    Sechs Tage später verbrachte Rita die erste Nacht im Haus. Sie war gemeinsam mit dem Architekten gekommen und geblieben und das ist wiederum sechs Tagen aus.

    In sechs Tagen fliegt eine Raumkapsel zum Mond und wieder zurück.

    In sechs Tagen sind sechs Kilogramm abzunehmen, vertraut der Mensch auf die Wirkung der Kohlsuppendiät.

    In sechs Tagen keimen die Samen von Kresse und Bockshornklee.

    In sechs Tagen sprießen viele Gedanken. Rita hatte keine Ahnung, welcher Wurzeln schlagen wird.

    Der gemeine Efeu

    Der gemeine Efeu (Hedera helix) ist eine immergrüne, ausdauernde und krautige Kletterpflanze. Als solche rankt er sich - wenn vorhanden, in Dachrinnen hinein. Das hatte Rita gesehen, als sie

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