Wasserspringen: Kunst, Athletik, Perfektion
Von Thomas Meyer
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Buchvorschau
Wasserspringen - Thomas Meyer
Kapitel 1:
Die Olympische Sportart Wasserspringen
Ein Kurzporträt Wasserspringen
Wasserspringen ist der Überbegriff für die Disziplinen des Kunstspringens, vom 1-Meter- und 3-Meter-Sprungbrett und des Turmspringens (5 Meter, 7,5 Meter und 10 Meter) von der festen Plattform. Für Training und Wettkampf gibt es beim Kunstspringen keine Altersbeschränkung, beim Turmspringen dürfen Wettkämpfe aus 10 Metern Höhe erst ab dem Alter von 14 Jahren durchgeführt werden.
Achtung!
Die in diesem Buch beschriebenen Sprungtechniken von Sprungbrettern können nur auf Duraflex-Brettern, die vollkommen waagrecht ausgerichtet sind, angewendet werden. Vor allem Sprungbretter, die nach oben gekrümmt sind, haben ein anderes Abwurfverhalten und können dazu führen, dass man bei Ausübung der hier beschriebenen Techniken zu nahe an das Brett kommt oder es gar berührt.
Ausbildung im Wasserspringen
Wasserspringen schult die Kontrolle der Bewegungsabläufe des eigenen Körpers und die Orientierung im Raum. Es werden die Beweglichkeit und die Haltung des Körpers trainiert, was in erster Linie durch entsprechende Gymnastik an Land geübt wird. Ganz besonders schult es die Konzentrationsfähigkeit und die Selbstwahrnehmung. Eine wichtige Grundkompetenz für das Leben – das Zur-Ruhe-kommen, das Zu-sich-selbst-kommen – ist innerer Ausgangszustand jeden Sprungs in jedem Alter.
Methodik und Didaktik
Einfache Bewegungsabläufe bilden die Basis für schwierigere, in den komplexeren Bewegungsabläufen finden sich immer Elemente aus den einfachen. Auch internationale Spitzenspringer greifen immer wieder auf einfachste Bewegungsabläufe zurück. Das ist vergleichbar mit Ballsportlern, die immer wieder einfache Ballbehandlungen üben (passen, Korbleger etc.).
Es ist ein langer Weg zu den schwierigeren Sprüngen, aber: Wasserspringer haben mehr Zeit zur Entwicklung als in anderen Sportarten. Trainer und Aktive können mit Geduld und langem Atem arbeiten. Bestes Beispiel ist die Weltmeisterin 2015 vom 1-m-Brett, Tania Cagnotto, die »erst« im Alter von 30 Jahren ihren ersten WM-Titel gewann und in diesem Buch besondere Erwähnung findet.
Mut
Für jeden Übenden ist es eine besondere Situation, sich zum ersten Mal zu einem neuen Sprung überwinden – sei er aus Sicht der Trainer, Eltern oder Partner auch noch so einfach. Dazu benötigt man eine gewisse Form von Mut. Diese Form des Mutes aufzubringen und sich zu überwinden ist eine sehr prägende Erfahrung für jeden Menschen; ebenso kann es aber auch zu einem problematischen Erleben führen, wenn man sich nicht traut diesen Schritt zu tun.
Bei Kindern ist vonseiten der Trainer (und Eltern) mit Einfühlungsvermögen vorzugehen und dem Kind seine Zeit zu lassen, damit es nicht den Spaß am Wasserspringen verliert. Die Trainer können über Umwege wieder die einfacheren Bewegungsabläufe festigen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder neu an das Thema heranführen, denn in gewisser Weise gilt »Mut haben nur die Dummen« (Zitat von Horst Görlitz).
Diese andere Form von Mut meint Dinge zu tun, die man nicht überschauen bzw. beherrschen kann. »Zwingende« Aufforderungen der Trainer (»Jetzt spring doch! Los, ich zähle bis drei.«) können hilfreich sein, werden vonseiten der Trainer aber nicht als »Zwang« ausgelegt. Andererseits ist es ein sehr befriedigendes Erlebnis, sich etwas getraut und sich überwunden zu haben. So heißt die andere Seite der Medaille: Mut tut gut. Es ist die Aufgabe eines verantwortungsvollen Trainers, den richtigen Zeitpunkt zu finden, einen Sprung zu fordern bzw. anzubieten.
Lockerheit
Die Lockerheit der Bewegungsausführung ist ein wichtige Voraussetzung für die Schönheit, die Ästhetik de Bewegungsablaufes. Voraussetzung für die Lockerheit ist das Kontrollieren des Bewegungsablaufes. Kontrollierte Lockerheit führt zur Ästhetik. Um Lockerheit der Bewegungsausführung auszubilden werden spielerische Übungsformen am Trampolin, vom Sprungbrett, in der Gymnastikhalle durchgeführt.
Infrastruktur
Die Trainingsmöglichkeiten orientieren sich an der vorhandenen Infrastruktur. Die Trainingsstätte in Karlsruhe verfügt beispielsweise derzeit über zwei 1-Metersowie zwei 3-Meter-Sprungbretter, ein großes Trampolin mit Longe, eine Trockensprunganlage und eine Gymnastikhalle, aber keinen Turm.
Trainingsstätten an den Bundesstützpunkten wie Leipzig, Dresden, Berlin, Rostock und Halle verfügen über eigene Springerhallen mit allen Plattformen und mehreren Sprungbrettern, Gymnastik-, Trampolin- und Trockensprunganlagen sowie Saltomaschinen, Turnhallen, etc.
Trainingsgruppen
Falls organisatorisch möglich, empfiehlt es sich bei großen Gruppen Springer ähnlichen Niveaus gemeinsam zu trainieren, weil man ähnliche Themen erarbeiten kann. Bei kleinen Gruppen kann man individueller trainieren.
Trainingsinhalte
Gymnastik:
Entspannen, aufwärmen, dehnen und lockern der Muskulatur und zum Einüben grundlegender Haltungen und »Schlüssel-Positionen«; z. B. das Stoppen der Drehbewegung vorwärts und rückwärts.
Imitationen von Bewegungsabläufen als Techniktraining zum besseren Verständnis des Bewegungsablaufes und als »mentale« Trainingsform.
Trockenspringen auf eine Schaumstoffmatte
Trampolin:
Spiel und Spaß beim Springen, Sprungausdauer, Körperbeherrschung, Orientierung im Raum. Wassersprungspezifische Bewegungsabläufe als Vorbereitung für die Sprünge vom Brett.
Trockenspringen:
Anlauf und Absprungübungen ohne nass zu werden, höhere Effektivität als im Wasser.
Entspannungstraining,
Mentale Trainingsformen,
Imitationen
Wasserspringen:
Optimierung der Sprünge, Üben des Eintauchen, Wettkampfvorbereitung, Spaß und Freude. Bei entsprechenden Fähigkeiten und Motivation ist die Teilnahme an Wettkämpfen der nationalen Schwimmverbände möglich.
Geschichte des neuzeitlichen Wasserspringens
»Schon 1728 ließ sich der preußische König Friedrich Wilhelm I. von den ›Halloren‹ Wassersprünge zeigen; und nicht zu Unrecht sagt man, dass in Halle an der Saale die Wiege des Wasserspringens stand. Waren es doch die Halloren Tichy und Lutz, die 1840 in Berlin (Bad an der Unterbaumbrücke) einen Verein zur Förderung des Wasserspringens, die sogenannten ›Tichyschen Frösche‹ gründeten.
Die Turner H. O. Kluge und K. Euler traten den ›Tichyschen Fröschen‹ bei und erweiterten die schon 1833 von Kluge herausgegebene Liste von 50 Sprüngen auf 89 Sprünge, davon 53 aus dem Stand, 22 mit Anlauf und 14 Paarsprünge, die wiederum in Abfaller, Kopfsprünge, Salti und Schrauben unterteilt waren. Als sich die ›Tichyschen Frösche‹ 1845 auflösten, trieben die Turner Kluge und Euler die Entwicklung des Wasserspringens voran. Das Wasserspringen wurde zum Turnen in der Luft und in dieser Form in Europa anerkannt. Nachdem 1889 der Österreicher Wernau die ersten Europameisterschaften gewann, dominierten von 1893–1901 die deutschen Springer Hax, Schwarz, Wundram, Hof und Walz.
1904 gewann der Amerikaner G. E. Sheldon die ersten olympischen Wettkämpfe im Wasserspringen und mit E. Dichey ein zweiter Amerikaner den einzigen Olympischen Wettkampf im ›Kopfweitsprung‹. Damals gab es weder allgemeingültige Wettkampfbestimmungen noch eine einheitliche Auffassung über den Sprungstil.
Erst als in den USA die deutsche Schule des Kunstspringens (exakte Ausführung vom Sprungbrett) und die schwedische Schule des Turmspringens (gutes, fast spritzerloses Eintauchen) zusammengefasst und durch das ›Brandstenbrett‹ (aus Pitchpine) bessere Voraussetzungen geschaffen wurden, begann sich eine einheitliche Auffassung über den Sprungstil herauszubilden.
Der so genannte amerikanische Sprungstil hat sich international durchgesetzt, und die USA sind bis heute (1971; der Verfasser) die führende Nation im Wasserspringen geblieben. Die Ursache dieser Überlegenheit sind beste Trainingsmöglichkeiten, große Konkurrenz im eigenen Land und ständiges Bemühen, sich durch Verbesserung der Sprungbretter (Duraflex-Sprungbrett) und Verwendung von Hilfsgeräten (Trampolin) die Voraussetzungen für immer schwierigere Sprünge zu schaffen. Trotzdem haben andere Nationen, besonders in Europa, aufgeholt.« (Horst Görlitz in Beyer, 1972).
Karl »Carlo« Dibiasi 1937 am Montiggler See in der Nähe von Bozen
Die historische Entwicklung des Wasserspringen in Karlsruhe
Geschichte der Karlsruher Springerschule von Peter Strähle, ehem. Springwart des Deutschen Schwimmverbandes¹:
»Das Wasserspringen kann in Karlsruhe auf eine bald 100-jährige Tradition zurückblicken, denn zu Beginn des Verbands- und Vereinssports bildeten Wasserspringen und Schwimmen zusammen mit Tauchen eine schwimmsportliche Einheit im Wettkampf.
In der Nachkriegszeit fand in Karlsruhe das Training der Wasserspringer zunächst im Vierordtsbad statt. Als Trainer waren für den Karlsruher Schwimmverein Neptun 1899 Claus Bastian und Dr. Rolf Stellrecht und für den Freie Spiel- und Sportverein 1898 Karlsruhe Hans Anderer tätig.
Aus deren Arbeit gingen dann die Springer Helmut Hünerfauth und Peter Strähle (siehe Kapitel 7) hervor, die erfolgreich an Badischen, Süddeutschen und Deutschen Meisterschaften teilnahmen und nach ihrer aktiven Zeit weiter als Trainer und Funktionäre arbeiteten.«
Heute, 2019, sind Peter und Helmut immer noch aktiv, Peter als gefragter Mentor und Berater, Helmut am Beckenrand; er wurde am 23. 1. 2018 mit dem Trainerpreis 2017 des Landessportverbandes Baden Württemberg für sein Lebenswerk geehrt – beide geben im Abschlusskapitel wegweisende Interviews.
Horst Görlitz, Nationaltrainer der DDR, von Italien und der BRD, war seinerzeit der erfolgreichste Trainer der Welt – hier am Beckenrand des Karlsruher Tullabades.
Ende der 1950er Jahre wurde die Idee des damaligen Badedirektors Döring einer vereinsübergreifenden Trainingszeit der Springsportler in Karlsruhe von Peter Strähle verwirklicht und die Springerinnen und Springer der Karlsruher Vereine, unter Beibehaltung ihrer jeweiligen Vereinszugehörigkeit, zur Karlsruher Springerschule zusammengeführt. Die ab 1955 im Karlsruher Tullabad organisiert war (erster Hallenneubau der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik und der damals einzigen wettkampfgerechten Turmanlage).
Die Entwicklung unter Horst Görlitz
1956 begann der Aufschwung des Springsports in Karlsruhe durch den aus der DDR gekommenen Trainer Horst Görlitz, der dann aber bereits 1958 als Staatstrainer für Wasserspringen nach Italien wechselte. Seine Arbeit übernahmen Helmut Hünerfauth, der spätere Landestrainer Baden-Württemberg und der spätere Springwart des Deutschen Schwimm-Verbandes, Peter Strähle.
Nach der Rückkehr von Horst Görlitz 1970 nach Karlsruhe als neuer Bundestrainer des Deutschen Schwimm-Verbandes, verwirklichte Peter Strähle als Organisator zusammen mit Helmut Hünerfauth die Idee von Horst Görlitz, einer erste systematische Talentsuche und Talentförderung im Wasserspringen in der Bundesrepublik. Dadurch entwickelten sich eine Reihe national und international erfolgreicher Athleten.
In Italien trainierte Horst die beiden damals erfolgreichsten Springer Klaus Dibiasi (Vgl. Vorwort) und Giorgio Cagnotto².
Die Welt- und Europameisterin Tania Cagnotto³ ist Giorgios Tochter. Oft wurde Horst noch bezüglich ihres Trainings um Rat gebeten.
Horst Görlitz legte zeitlebens darauf Wert, dass er ein Autodidakt sei. Sein in der Ausbildung zum Flugzeugbauer erworbenes Wissen der Biomechanik wendete er für das Wasserspringen an. Die Beschreibung des Anlauf Aufsatzschrittes auf Seite 85 ff. belegt die Genauigkeit und Akribie seiner Arbeit.
Seine Lebensgeschichte kann man in einem Brief an seinen Freund, den amerikanischen Trainer Sammy Lee (Trainer und Entdecker von Greg Louganis) nachlesen⁴.
Die zuvor erwähnte Geschichte des neuzeitlichen Wasserspringens hat er 1971 selbst für Reclams Sport Führer (Vgl. Beyer, 1971) geschrieben.
Synchronspringen
Am 8. und 9. 12. 1984 fand im Karlsruher Fächerbad der weltweit erste offizielle Wettkampf im Synchronspringen vom 3-m-Brett statt.
2012 wurde die Karlsruher Springerschule mittlerweile ganz im SSC/KSN 1899 Karlsruhe integriert zum DSV-Nachwuchsstützpunktes ernannt. Horst Görlitz erlebte noch die feierliche Präsentation, verstarb im November dann mit 91 Jahren.
2016 wurde Horst Görlitz als einziger deutscher Wasserprungtrainer posthum in die International Swimming Hall of Fame in Fort Lauderdale aufgenommen⁵, wo auch schon Carlo Dibiasi⁶, der Vater von Klaus⁷ verewigt wurde.
Protokoll des ersten offiziellen Wettbewerbs im Synchronspringen im Karlsruher Fächerbad
Die Sprunganlage
Die Sprunganlage zur Austragung internationaler Wettkämpfe befindet sich in einem eigenen Becken. Sie besteht aus einer Turmanlage mit 0,6- bis 1-m- sowie 2,6- bis 3-m-Trainingsplattformen und 5-m-, 7,5-msowie 10-m-Wettkampfplattformen.
Die Plattformen sind jeweils seitlich versetzt. Meist sind 3-m-Sprungbretter noch auf dieser Seite untergebracht. Auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich 1-m-Bretter und unter Umständen auch nochmals eine 0,6- bis 1-m-Plattform.
Für die Plattformen und deren Konstruktion gelten strenge Normen, die im Regelwerk des DSV genannt werden⁸.
Auszug aus den Richtlinien für Sprunganlagen Turmspringen
1.Jede Plattform muss stabil und horizontal sein.
2.Die Plattformen müssen folgende Mindestmaße betragen:
0,6- bis 1,0-m-Plattform: Breite 0,60 m, Länge 5,0 m
2,6- bis 3,0-m-Plattform: Breite 0,60 m (vorzugsweise 1,50 m), Länge 5,0 m
5,0-m-Plattform: Breite 1,5 m, Länge 6,0 m
7,5-m-Plattform: Breite 1,5 m, Länge 6,0 m
10,0-m-Plattform: Breite 2,0 m, Länge 6,0 m (…)
Auf 10-m-Plattformen, die weniger als 3 m breit sind, können die Geländer auf beiden Seiten, mindestens auf einer Länge von 3 m von der vorderen Kante an gerechnet, seitlich ausragend montiert werden. Vorzugsweise wird für den normalen Gebrauch der Anlage ein leicht entfernbares Zusatzgeländer angebracht. Für das Synchronspringen sind zwei nebeneinanderliegende 10-m-Plattformen zulässig.
3.Die Stärke der Turmvorderkante muss maximal 0,2 m betragen und kann senkrecht verlaufen oder einen nach innen geneigten Winkel – nicht größer als 10° – aufweisen.
4.Die Oberfläche und die Turmvorderkante müssen gänzlich mit einer elastischen und rutschsicheren Auflage versehen sein.
5.Die 10-m- und die 7,5-m-Turmkanten müssen mindestens 1,50 m über die Beckenkante hinausragen. Für 2,6-m bis 3,0-m- und 5,0-m-Plattformen wird ein Vorragen von 1,25 m akzeptiert. Bei 0,6-m bis 1,0-m-Plattformen ist ein Vorsprung von 0,75 m zulässig.
6.Wenn sich eine Plattform direkt unter einer anderen Plattform befindet, muss die obere Plattform mindestens 0,75 m (vorzugsweise 1,25 m) über die untere Plattform hinausragen.
7.Die Rück- und Längsseiten der Plattformen (mit Ausnahme der 1-m-Plattform) müssen mit Geländern mit mindestens zwei Horizontalstreben umgeben sein. Diese müssen außerhalb der eigentlichen Plattformen befestigt werden, 0,8 m hinter