Gangschule Band1
Von Angela Kindler
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Über dieses E-Book
Ich bin selber Betroffene und habe fast nicht mehr laufen können und musste es teilweise wiedererlernen. Da es keine praxisorientierte Übungsliteratur für diesen Fall gab, habe ich mir mit Unterstützung meiner Therapeuten und Ärzte über fünf Jahre ein Konzept erarbeitet und danach geübt. Heute kann ich wieder laufen und freue mich über die wiedergewonnene Selbstständigkeit und die Möglichkeiten, die sich mir nun bieten. Mein Wissen will ich medizinischem Fachpersonal und insbesondere anderen Betroffenen mit diesem Buch zur Verfügung stellen, damit auch sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten wieder an Lebensqualität gewinnen.
Die "Gangschule" ist in zwei Teile gegliedert:
Band1: Theorie und Übungen zum Gehen in der ebenen Fläche
Band2: Theorie und Übungen zu den Begleitbewegungen des Gehens, zum Automatisieren und zum Gang auf unebener Fläche/Treppe
Angela Kindler
Angela Kindler, geb. 28.1.1972, mehrfachbehindert u. a. durch Schwerhörigkeit seit Kindheit, Stoffwechselerkrankung der Nebenniere und Ataxie (neurologische Störung der Bewegungskoordination). Studium der Verwaltungswissenschaften (FH), Staatl. geprüfte Hauswirtschafterin, LOGL geprüfte Gartenfachwirtin. Verheiratet, Mutter einer Tochter. Bedingt durch die Ataxie und einen Unfall ging die Gehfähigkeit zu einem großen Teil verloren. Um ihre Gehfähigkeit wieder zu erlangen entwickelte sie in Zusammenarbeit mit ihren Therapeuten und Ärzten ein Konzept für neurologische Patienten mit dem die Gehfähigkeit trainiert werden kann. Nachdem sie ihre Gehfähigkeit wieder erlangte, veröffentlichte sie das zweibändige Werk "Gangschule", um anderen Patienten ihr Wissen zur Verfügung zu stellen.
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Buchvorschau
Gangschule Band1 - Angela Kindler
Hinweise
Die Gangschule besteht aus zwei Bänden.
Band1:
Theorie und Übungen zum Gehen in der ebenen Fläche
In diesem Teil wird der klassische Vorgang des korrekten Gehens in der Ebene beschrieben und geübt.
Für die Leser von Band 1 sind Glossar und Literaturverzeichnis zusätzlich am Ende des Bandes eingefügt.
Band 2
Theorie und Übungen zu den Begleitbewegungen des Gehens, zum Automatisieren und zum Gang auf unebener Fläche/Treppe
In diesem Teil wird das Gehen in der ebenen Fläche automatisiert. Die Begleitbewegungen des Gehens (Pendeln der Arme während des Gehens) werden beschrieben und geübt. Weiterhin wird das Gehen in der unebenen Fläche, z.B. in schräger Fläche (Abhang/Berg/Hügel) oder Treppe erläutert. Hierzu folgen viele Übungen.
Autorin : Angela Kindler
Hinweise:
Die Informationen und Übungen in diesem Buch dürfen in keinem Fall als ein Ersatz für die individuelle ärztliche Beratung und die professionelle, auf den Einzelfall bezogene Physiotherapie gesehen werden. Obwohl die Übungen in diesem Buch langjährig erprobt sind und von der Autorin und dem Verlag sorgfältig geprüft wurden, kann keine Garantie übernommen werden. Jegliche Haftung der Autorin und des Verlages und seiner Beauftragten für Gesundheitsschäden und/oder Personenschäden ist ausgeschlossen. Dies gilt ebenso für Nichteintritt des Erfolges.
Übersicht über die Symbole der Trainingsarten
(zum Herausschneiden)
Bei allen Übungen beachten:
In der Anstrengungsphase erfolgt die Ausatmung. Die Einatmung erfolgt in der Ruhephase bzw. in einer weniger anstrengenden Phase der Übung.
Dynamische Übung
Empfohlene Belastungsdosierung: 2 x 5-10 (Sätze x Anzahl der Wiederholungen)
Statische Übung
Empfohlene Belastungsdosierung: 2-5 x 5-10 Sekunden
Sensomotorische Übung
Empfohlene Belastungsdosierung: 1-7 Wiederholungen
Übung zur Bewegungspräzision, Koordination, Gleichgewicht
Empfohlene Belastungsdosierung: 1-7 Wiederholungen
Übung zur Konstanz der Bewegungsausführung
Empfohlene Belastungsdosierung: 2-3 x 15-25 (Sätze x Wiederholungen)
Muskeltraining mit dem Ziel größtmöglicher Ausdauer
Empfohlene Belastungsdosierung für Anfänger: 1-2 x 10-20 (Sätze x Wiederholungen)
Empfohlene Belastungsdosierung für Fortgeschrittene: 2-3 x 10-20 (Sätze x Wiederholungen)
Muskeltraining mit dem Ziel größtmöglicher Kraft
Empfohlene Belastungsdosierung für Anfänger:
1 x 8-12 (Sätze x Wiederholungen)
Empfohlene Belastungsdosierung für Fortgeschrittene:
2 x 8-12 (Sätze x Wiederholungen)
Dehnung
Empfohlene Belastungsdosierung: 3-5 x 8-10 Sekunden
Ausdauerbelastung des Herz-/Kreislaufsystems
Empfohlene Belastungsdosierung:
z.B. 20 Minuten Ausdauerbelastung, dazwischen eine Pause von 2-4 Minuten
Hinweis: Es ist eine sehr individuelle Anpassung an die körperliche Belastbarkeit nötig. Begleiterkrankungen, die sich auf die Ausdauerbelastung auswirken, müssen beachtet werden.
Übungen zur Bewegungsqualität/-sicherheit bei erhöhter Geschwindigkeit oder unter erschwerten Bedingungen
Empfohlene Belastungsdosierung: Sehr individuell anzupassen
Alltagsfreundliche Übung
Manche Übungen wiederum können ohne Material und ohne Auf- und Abwärmen problemlos in den Alltag zwischendurch integriert werden (z.B. beim Warten auf den Bus). Diese Übungen sind im Buch mit einem Smiley gekennzeichnet.
Inhaltsverzeichnis:
Band 1
A-B Geleitworte
Prof. Dr. Grau (Direktor der neurologischen Klinik Ludwigshafen)
Frau Kathani, Herr Ruhstorfer (Physiotherapeuten)
0. Einleitung Oder „Aller Anfang ist schwer!"
1. Physiologisches Gangbild Oder „Wie läuft man entspannt, kraftsparend und gesund?"
1.1. Gemeinsamer Stand
1.2 Standbeinphase
1.3. Spielbeinphase
1.4 Physiologisches Gehen am Rollator
2. Typische und häufige Störungen bei Ataxie Oder „Bewegen ist nicht gleich Bewegen."
2.1 Typische und häufige Störungen bei Ataxie
2.2 Ganganalyse mittels Schuhsohle Oder „Was uns unsere abgelaufenen Lieblingsschuhe erzählen"
3. Allgemeines zur Durchführung von krankengymnastischen Übungen sowie der Gangschule im Besonderen Oder „Lernen zu Lernen"
3.1. Kenntnis der physiologischen Vorgänge, Kenntnis der Pathologie, Körperwahrnehmung
3.2. Lerntheorien kennen/Kenntnis des motorischen Lernens und der Automatisierung
3.3. Zielfestlegung (Zwischenziele/Endziele)
3.4. Geeignete Übungen kennen, verstehen und selbständig ausführen können
3.5. Organisation des Trainings
3.6. Regelmäßiges Üben (Trainingsarten und Belastungsdosierung)
3.7. Integration der Übungen in den Alltag
3.8. Erfolgskontrolle
Anlage1 Krankengymnastisches Ablaufschema
Anlage2 Standardisierte Tests
4. Übungen Oder„Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen."
4.1. Sensomotrisches Training
4.1.1 Propriozeptives Training
4.1.2 Posturale Balance
4.1.3 Dynamische Balance
4.1.4 Gleichgewichtskontrolle/Autostabilisation
4.2. Verbesserung der Bewegungssteuerung und - regelung/Bewegungskoordination
4.2.1 Koordination der oberen Extremitäten
4.2.2 Koordination der unteren Extremitäten
4.2.3 Zeitgleiche Koordination von oberen und unteren Extremitäten
4.2.4 Koordination der Augenbewegungen
4.3. Gangschule i.e.S. bezogen auf ebene Flächen
4.3.1 Stand
4.3.2 Spurbreite
4.3.3 Gangtempo
4.3.4 Schrittlänge
4.3.5 Abrollphase
4.3.6 Training der Rumpfmuskulatur
4.3.7 Training der Beinmuskulatur
4.3.8 Training der Kniemuskulatur
4.3.9 Training der Fußmuskulatur
4.3.10 Übungen zum kompletten Gangzyklus
Band 2
5. Begleitbewegungen des Gehens Oder„Was mache ich mit meinen Armen während des Gehens?"
5.1. Funktion/Zweck der Begleitbewegungen
5.2. Physiologischer Ablauf der Begleitbewegungen
5.3. Pathologische Begleitbewegungen
5.4. Übungen zu den Begleitbewegungen
5.5. Integrieren der Begleitbewegungen in den Gang
6. Automatisieren der erlernten Bewegungen durch Bewegungsqualität, Bewegungssicherheit, Bewegungsvielfalt und Bewegungsschnelligkeit Oder„Das kann ich im Schlaf!"
6.1. Bewegungsqualität
6.2. Bewegungssicherheit
6.3. Bewegungsvielfalt..
6.4. Bewegungsschnelligkeit
7. Gang auf unebener Fläche Oder„Die Königsdisziplin der Ataktiker".
7.1 Physiologisches Gehen auf unebener Fläche sowie krankheitsbedingte Abweichungen
7.1.1 Einführung
7.1.2 Gehen in der schrägen Fläche
7.1.3 Treppenkonstruktion und „Goldener Schnitt" einer bequemen und sicheren Treppe in Abhängikeit von den menschlichen Proportionen
7.1.4 Treppe aufwärts
7.1.5 Treppe abwärts
7.1.6 Unphysiologisches (=krankheitsbedingtes) Treppensteigen
7.2 Übungen zum Gehen auf unebener Fläche
7.2.1 Gehen mit oftmaligen Richtungswechseln, auf verschiedenen Untergründen kombiniert mit Hindernissen..
7.2.2 Übungen zum Treppensteigen
8. Auf- und Abwärmübungen
9.Glossar
10. Literaturverzeichnis
11. Schlusswort Oder„Ende gut – Alles gut?"
Vorwort der Physiotherapeuten
Dieses Buch entstand aus der ganz normalen physiotherapeutischen Behandlung von Frau Kindler. Wir die Physiotherapeuten, Frau Kathani und Herr Ruhstorfer erarbeiteten Übungen und vor allem Eigenübungen für den Alltag von Frau Kindler. Sie zeigte sehr großes Interesse und wollte alles schriftlich dokumentieren. Des Weiteren machten wir Fotos mit ihr, um ihre Defizite zu erkennen und daran zu arbeiten.
Aus diesem Projekt ist dann dieses Buch entstanden. Es zeigt viele Übungsbeispiele, die mit einfachsten Mitteln umzusetzen sind. Wichtig für alle neurologischen Patienten ist die konsequente physiotherapeutische Behandlung, um sein eigenes Körpergefühl und die Wahrnehmung der Bewegung zu vertiefen und zu verbessern. Wir Physiotherapeuten wünschen uns jetzt natürlich, dass es vielen anderen neurologischen Patienten hilft und sie mit diesen Anleitungen gut zu Recht kommen, um natürlich Spaß an der Bewegung zu haben und die wiedergefundene Freude am Leben.
Sabine Kathani
Timo Ruhstorfer
Einleitung
Oder
„Aller Anfang ist schwer!"
Ich erreiche mein Ziel!
Ataktische Symptome und Störungen (→ siehe Glossar), insbesondere des Gehens, sind weitaus häufiger als allgemein angenommen. Sie treten bei einer Vielzahl von neurologischen Erkrankungen auf, z.B. hereditäre und idiopathische Ataxien (=erbliche Ataxien und Ataxien unbekannter Ursache), Multiple Sklerose, Schlaganfall, Parkinson, Chorea-Huntington, Störungen des Gleichgewichtes und Schwindel.
Die ataktischen Störungen zeichnen sich durch mangelnde Bewegungskoordination aus. Oft sind hiervon die Feinmotorik, das Sprechen, das Sehen und insbesondere das Gehen betroffen.
Die Fähigkeit des Gehens ist eine sehr wichtige, die der Mensch jeden Tag braucht und ausführt. Wie komplex und kompliziert diese Fähigkeit ist, merkt man meist erst dann, wenn sie gestört ist bzw. verloren geht. Dies ist oft auch der Zeitpunkt, erstmalig darüber nachzudenken, was Gehen eigentlich ist, wie es funktioniert und welche Bedeutung es hat.
Als gesunder Mensch ist man automatisch gegangen, ohne sich der Bewegungsabläufe beim Gehen bewusst zu sein. Und dies war auch gut so, denn das Leben würde nicht funktionieren ohne erlernte, automatisch ablaufende Bewegungsmuster, über die man im Alltag nicht nachdenken muss.
Die ataktische Erkrankung hat dies verändert. Das korrekte Gehen ist nicht mehr automatisch abrufbar und ohne Überlegung ausführbar. Die Fähigkeit richtig zu gehen, muss wieder erlernt werden. Dies ist Thema der Gangschule. Die Gangschule ist somit ein zentrales Element in der Physiotherapie von ataktischen Erkrankungen.
In diesem Buch werden die wichtigsten Aspekte der Gangschule für Patienten mit ataktischen Störungen praxisnah dargestellt. Der Schwerpunkt liegt auf der Beschreibung und Erklärung der krankengymnastischen Übungen. Auf theoretisches Wissen wird möglichst wenig zurückgegriffen und nur das nötige Hintergrundwissen vermittelt, welches zum Verständnis der Übungen wichtig ist.
Folgende Aspekte der Gangschule werden besprochen:
Kapitel 1: Physiologisches Gangbild(→ siehe Glossar)
Kapitel 2: Typische und häufige Störungen bei Ataxie
Kapitel 3: Allgemeines zur Durchführung von krankengymnastischen Übungen sowie der Gangschule im Besonderen
Kapitel 4: Übungen
Kapitel 5: Begleitbewegungen des Gehens (Theorie und dazu passende Übungen
Kapitel 6: Automatisieren = Festigen des Gelernten (vertiefende Übungen für Fortgeschrittene)
Kapitel 7: Gehen auf nicht ebenen Flächen (Theorie und dazu passende Übungen)
Kapitel 8: Auf- und Abwärmübungen
Kapitel 1-3 beinhalten die für das praktische Üben unverzichtbaren theoretischen Grundlagen. Ab Kapitel 4 überwiegt der praktische Teil mit den Übungen, der den Schwerpunkt dieses Buches bildet.
Weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie wichtig die innere Einstellung, Humor und Motivation sind, habe ich zu diesem Thema einiges geschrieben und Zeichnungen hinzugefügt. Hier z.B. den Satz „Ich bin motiviert!", den ich mir oft vorgesagt habe. Weiterhin sollen die Einschübe den Lern- und Übungsstoff auflockern und so dafür sorgen, dass er besser im Gedächtnis bleibt.
Das korrekte, gesunde Gehen wieder zu erlernen ist sehr mühsam und langwierig. Deshalb muss man sich immer wieder selbst motivieren. Hierbei hilft es, ein Ziel zu haben, für das es sich zu kämpfen lohnt. Ich selbst habe eine Heredo-Ataxie und konnte nach einem Knieunfall nicht mehr laufen. Meine Tochter malte mir dieses Bild und brachte es mit ins Krankenhaus:
Zeichnung :
Julianas großer Wunsch: Gemeinsam mit Mama Fahrrad fahren
Auf dieses Ziel habe ich hingearbeitet und es ungefähr drei Jahre nach dem Unfall erreicht.
Wieder körperlich mobil zu sein war für mich ein großes Glück und hat mir so viel Lebensqualität zurückgegeben, dass ich meine Erfahrungen und mein erworbenes Wissen anderen weitergeben möchte. Mein Wissen ist nicht vollständig - menschliches Wissen ist nie vollständig!-, aber es ist vielleicht ein hilfreicher Anfang. Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben. Oder wie mein ehemaliger, inzwischen verstorbener Nachbar, Salesianer-Pater Konrad Boja in einer seiner Predigten sinngemäß sagte: „Niemand ist zu arm, als das er nicht etwas geben könnte; sei es Geld, Wissen, Zeit oder sein Herz. Jede Gabe ist wichtig und hilft; sei sie auch noch so klein."
Als ich die Übungen mit meinen Krankengymnasten/innen ausprobierte und einübte, entstanden die Fotos. Sie entstanden zunächst nicht in der Absicht ein Buch zu schreiben, sondern, um für das Üben zu Hause eine Anleitung und Gedächtnisstütze zu haben. So sind die Bilder zum