Meteorologie des Herzens: Über meinen Großvater, Zbigniew Herbert, Petrarca und mich
Von Michael Krüger und Matthias Bormuth
()
Über dieses E-Book
Mehr von Michael Krüger lesen
Das große Buch der EAV: Band 1 & 2 Grundlagen und praktischen Anwendungen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Gott hinter dem Fenster: Erzählungen Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Autogenes Training: Der neue Grundkurs Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMein Europa: Gedichte aus dem Tagebuch Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSchlank in Sicht: Ein Abnehmbuch Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHimmelfarb: Roman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenVorübergehende: Roman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMythen und Metaphern: geschichte für heute 3/2017 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Irrenhaus: Roman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Ähnlich wie Meteorologie des Herzens
Ähnliche E-Books
Abtrünniger vor Inselpanorama Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenPater Filucius Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDemian: Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Tagebuch der Begine Renitenta Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenRoadtrip mit Gott: Leben ist Freiheit und jeden Tag ein Abenteuer Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAbenteuer: Ein Ganzes Leben Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEin böhmischer Urlaub Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEinmal Vergangenheit mit Sahne-Häubchen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWaldheimat Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDemian Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Kaffee, Tee oder Blut? Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Moralist Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Gerechten des Luberon: Historischer Roman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenFrank Heller-Krimis: Dr. Joseph Zimmertür Kriminalfälle + Phillip Collins Kriminalfälle Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDublin Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGesammelte Werke: Dr. Joseph Zimmertür Kriminalfälle + Phillip Collins Kriminalfälle + Odysseus oder Die sieben Menus Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenErbe der Alten Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDAS HAUS DER MONSTER: Gruselroman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWaldheimat - Kinderjahre Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas wunderbare Leben: Wahrheit und Dichtung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenLinhart: Die wahre Schuld Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenOkaasan: Meine unbekannte Mutter Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWer bist Du, Papa?: oder: Der lange Weg zu mir Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenLockruf der Unendlichkeit Bd.2 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWie ein Engel auf Erden: Ein unmoralischer Krimi aus der Nachwendezeit Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Kind mit den sieben Namen: Roman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAdelsspross: Die Erste Tochter 1 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMeine heile Welt: Gedichtband 3 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Vogelkundlerin: Frauenroman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Pilgerreise nach der Himmlischen Stadt Sion: Zwei Teile in einem Band. Illustrierte Ausgabe. Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Biografien – Literatur für Sie
Die Leben des Paul Zech: Eine Biographie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMartin Walser - Chronist der deutschen Seele: Ein SPIEGEL E-Book Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenÜber Ludwig Börne Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenFriedrich Nietzsche - Der Wille zur Macht Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGeorg Trakl: Eine Biographie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenNachtflug Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Lion Feuchtwanger: Münchner - Emigrant - Weltbürger Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGoethes Briefwechsel mit einem Kinde Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenLou Andreas-Salomé: Eine Bildbiographie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenBerühmte Frauen der Weltgeschichte: Zehn beeindruckende Biografien. nexx classics – WELTLITERATUR NEU INSPIRIERT Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDirektor Beerta: Das Büro 1 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenStefan Zweig: Die Welt von Gestern, Brasilien, Reise nach Rußland & Reisen in Europa Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHemingway: Ein Mann mit Stil Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Manns: Der >Zauberer< und seine Familie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKafkas letzter Prozess Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenThomas Bernhard: Eine Biografie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Soldat und das Mädchen Monique: Fahnenflucht in den Ardennen 1944 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenJohann Wolfgang von Goethe – Basiswissen #01: Leben (1749–1832), Werke, Bedeutung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMark Twain: Leben auf dem Mississippi Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Der unbekannte Thomas Bernhard Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDinge zurechtrücken: Gespräche aus vierzig Jahren Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenIngeborg Bachmann. Ein Portrait Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMartin Walser - Der weise Mann vom Bodensee Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAstrid Lindgren: Eine, die Individualität großschrieb Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenBerliner Kindheit um Neunzehnhundert: Die 41 Miniaturen zeichnen sich als Schlüsseltexte der Moderne aus Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5City Boy: Mein Leben in New York Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMarcel Reich-Ranicki: und die Frankfurter Allgemeine Zeitung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Welt von Gestern: Erinnerungen eines Europäers - Das goldene Zeitalter der Sicherheit Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenZu Besuch bei Zsuzsa Bánk und Peter Härtling Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Rezensionen für Meteorologie des Herzens
0 Bewertungen0 Rezensionen
Buchvorschau
Meteorologie des Herzens - Michael Krüger
Wo ich geboren wurde
1.
Mein Großvater konnte über hundert Vögel
an ihren Stimmen erkennen, nicht gerechnet
die Dialekte, die in den Hecken gesprochen wurden,
dunklen Schulen hinter dem Hof,
wo die Braunkehlchen Aufsicht hatten.
Mein Großvater war Spezialist für Kartoffeln.
Mit den Händen grub er sie aus, zerbrach sie
mit den Daumen, die weiß wurden,
und ließ mich an der Bruchstelle lecken.
Mehlig, gut für Schweine und Menschen.
Auch nach der Enteignung wollte er unbedingt
an Gott glauben, weshalb ich die Kartoffeln
ausbuddeln mußte aus seinem ehemaligen Acker.
Wie auf holländischen Bildern zogen
schwere Wolken über den sächsischen Himmel,
sie kamen aus Rußland und Polen
und fuhren nach Westen, ihre Fracht wurde leichter,
durchsichtiger und feiner, bis sie in Frankreich
als Seide verkauft wurde. Im Westen, sagte er,
finden Verwandlungen statt, wir werden verwandelt.
Im Dorf fehlten einige seiner Freunde,
die mußten in Rußland die Wolken beladen.
2.
Meine Großmutter benutzte die Brennschere,
um ihre dünnen Haare zu wellen. Man muß
dem Herrgott ordentlich frisiert gegenübertreten.
Der kam meistens nachts, wenn ich schon
schlafen sollte, setzte sich auf den Bettrand
und unterhielt sich mit ihr auf sächsisch.
Beide flüsterten, als hätten sie ein Geheimnis.
Manchmal waren sie freundlich zueinander,
dann wieder zankte sie mit ihm wie
mit dem Großvater, wenn der sein Glasauge
neben den Teller legte. Wenn man es falsch herum
einsetzt, kann man nach innen sehen,
in den Kopf hinein, wo die Gedanken leben,
sagte er und stopfte seine Pfeife mit Eigenbau,
der neben dem Tisch an der Wand hing, labbrige Blätter,
von einem Faden durchzogen. Die Ärmel der Joppe
des Großvaters waren von Brandlöchern genarbt.
Wie deine Lunge, sagte die Großmutter, beides
aus braunem Stoff. So vergingen die Tage.
Abends gab es Kartoffeln mit Sauce oder ohne.
Wenn auf dem Hof geschlachtet wurde, fand ich
Wellfleisch auf meinem Teller, aber ich durfte nicht
fragen,, wie es zu uns gefunden hatte.
Wellfleisch kann fliegen, damit war alles gesagt.
Ich stellte mir Gott als einen Menschen vor,
der alles mit sich machen ließ.
3.
Mein Großvater las nicht mehr. Alle Bücher stehen
in meinem Kopf, sagte er, aber ganz durcheinander.
Dafür erzählte er gerne, am liebsten vom König,
der sich angeblich für ihn interessiert hatte.
Auf der Jagd sollte er ihm einen Hasen
vor die Flinte treiben, aber der Großvater hatte
das Tier unter seinem Mantel versteckt.
Ich kann noch heute das Hasenherz schlagen hören,
rief er und faßte sich an die Stelle, wo seine Uhr
hing. Hasen haben ein schlechtes Herz,
damit kann man keinen Staat machen. Vom Staat
war nicht viel zu erwarten. Wenn die Großmutter
nicht im Zimmer war, hörten wir Radio, messerscharfe
Stimmen, die den Rauch seiner Pfeife zittern ließen.
Saubande, sagte mein Großvater, der sonst nie
fluchte. In der Nähe von Beromünster war die Musik
zu Hause, da fahren wir eines Tages hin, sagte er,
und hören Bach und Tschaikowsky. Dann schlief er ein.
Das Lid über seinem Glasauge war nie ganz geschlossen.
4.
Als ich mein Dorf kürzlich besuchte,
fiel mir alles wieder ein, nur ungeordnet:
der Kunsthonig und der schwarze Sirup, der sämig
durch die Löcher im Brot tropfte, die fauchenden Feuer
über Meuselwitz, die kyrillischen Gewehre im Steinbruch
von Keyna, der Kohlenstaub, Warmbier, der ängstliche Gott,
der schnatternde Alarmruf des Wiedehopfs,
die puckernden Flüsse auf dem Handrücken des Großvaters,
der blaue Teppich unter den Pflaumenbäumen,
die Eselsohren in der Bibel, die fromme Armut,
das Glück. Auch die Toten redeten mit, von fern her
angereist in altmodischen Kleidern, die Frauen
mit Haarnetzen, die Männer in gewendeter Uniform,
mit Schußlöchern auf der eingefallenen Brust.
Und in der Mitte mein Großvater, ein Auge auf die Welt
und eines nach innen gerichtet, vor sich ein Teller
Kartoffeln, mehlig und buttergelb, gut für Schweine
und Menschen und mich.
5.
Das alles bin ich, der Mann mit dem Hasenherz.
Nicht mehr, eher weniger.
Es gibt noch eine andere Welt
Gespräch mit Matthias Bormuth
MATTHIAS BORMUTH: Herr Krüger, Sie haben einmal von sich gesagt: »Ich bin ein Schriftsteller, der einfachen Verhältnissen entstammt und das Verlegen der Bücher auch als Handwerk betrachtet.« Diese Selbstbeschreibung verdankt sich nicht zuletzt den ersten Lebensjahren, die Sie bei Ihren Großeltern verbrachten.
MICHAEL KRÜGER: Das Bestellen eines Ackers und die Leitung eines Verlages haben vieles gemeinsam. Auch der Bauer träumt natürlich davon, zweimal im Jahr ernten zu dürfen, im Frühling und im Herbst. Mein Großvater mütterlicherseits war Landwirt, der in der Nähe von Zeitz einen größeren Hof, ein Rittergut, bewirtschaftete. Dort kam ich im Dezember 1943 zur Welt. Mein Vater, damals Postbeamter im besetzten Polen, meinte ohne jede Illusion: »Irgendwann wird Berlin bombardiert, so dass das Kind auf dem Land erst einmal gut aufgehoben ist.« Die drei älteren Geschwister blieben in der Stadt.
MB Wie verlief Ihr Leben mit den Großeltern?
MK Als sich die Amerikaner bald nach Kriegsende aus Sachsen zurückzogen, wurde der Großvater von heute auf morgen von der nun russischen Besatzung ohne Gerichtsurteil enteignet und erhielt eine Dachkammer als letztes Refugium. Er konnte von Glück sagen, dass er nicht erschossen wurde! Im Zusammenleben habe ich, ohne es wirklich begreifen zu können, erstmals gespürt, dass ein Mensch regelrecht schrumpft, wenn man ihm seinen Lebens- und Gestaltungsraum nimmt.
MB Was passierte mit dem Hof?
MK Das Gut verfiel, weil der neue Verwalter ohne Kenntnisse war, die man für die Bearbeitung der relativ kargen Böden im Schlagschatten des Harzes benötigte. Er gehörte zu den politisch opportunen Leuten, die natürlich wussten, dass sie nichts wussten, und deshalb besonders arrogant auftraten.
MB Es fehlte eine kundige Hand zur Bewirtschaftung?
MK Für den Großvater bestand die größte Demütigung nicht in der Enteignung, sondern in der Erfahrung, dass alle seine Fertigkeiten nun brachlagen und er verurteilt war, vom Fenster seines Dachzimmers aus zuzusehen, wie die Sache schiefging. Als er sah, wie der ehemalige Verwalter vom Hof ging, fiel seine große, knochige Hand in den Schoß. Von nun an umgab meinen Großvater eine tiefe Traurigkeit, die ihn nicht mehr verließ. Die Erfahrung der großen Ungerechtigkeit war die stärkste Lektion, die ich aus dieser Zeit bewahrt habe. Man darf nicht ohne Begründung jemandem etwas wegnehmen, vom dem her er lebt. Es gab kein Maß, das die Enteignung gerechtfertigt hätte. Sie war Ausdruck politischer Willkür, die auf ganz andere Weise zuvor schon geherrscht hatte.
MB Als kleines Kind erlebten Sie diese ersten Lebensjahre mit den Großeltern allerdings ganz anders .
MK Es herrschte in unserem gemeinsamen Leben eine ursprüngliche, liebevolle Atmosphäre. Mit dem Großvater ging ich gerne über das Land. Er erklärte mir die verschiedenen Vögel an ihren Stimmen, und er führte mich in die weitere Fauna und Flora ein. Die Natur war etwas Elementares, uns Beglückendes, auch wenn wir ein beengtes, ärmliches Leben führten. Für mich sind bis heute Spaziergänge durch den Wald notwendig, um mich als Person ganz zu fühlen.
MB Neben dem Erleben der Ungerechtigkeit und den Natureindrücken erfuhren Sie im Leben mit dem Großvater eine dritte Dimension, es war das Erlebnis der Frömmigkeit .
MK Eine der seltsamsten Erfahrungen war das Vaterunser. Und vergib uns unsere Schuld – ein Kind versteht nicht, was damit gemeint ist. Welche Schuld? Damals gab es, vor allem auf dem Lande, noch ein protestantisches Leben im Zyklus des Kirchenjahres. Der Glauben hatte seinen Ort in der kleinen Dorfkirche, schlug sich in Predigt und Musik nieder. Die Frömmigkeit litt unter der geschichtlichen Katastrophe ungeheuer. Für die Großmutter brach eine Welt zusammen. Ihr Gottvertrauen hatte einen schweren Schlag erlitten. Ihr war nicht nur der äußere Besitz genommen worden, sondern auch ihr treusorgender Gott: »Du warst da, und jetzt bist du plötzlich unsichtbar. Du warst anwesend, und plötzlich bist du abwesend. Wir