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Im Schatten des roten Stieres: Historischer Roman
Im Schatten des roten Stieres: Historischer Roman
Im Schatten des roten Stieres: Historischer Roman
eBook505 Seiten6 Stunden

Im Schatten des roten Stieres: Historischer Roman

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Über dieses E-Book

Liebe, skrupellose Machtgier und Angst – Willkommen in der Familie Borgia

Rom, 1497.  Die schöne, wohlbehütete 15-jährige Alessia Bertorelli de Salvatierra verliebt sich unsterblich in den begabten Maler Giacomo, dem sie Modell sitzt. Die beiden wollen heiraten. Alessias Vater Alvaro ist ein bekannter Anwalt, der sich mit der Familie - nach der Flucht vor der Inquisition aus Spanien – in Rom ein neues Zuhause aufgebaut hat.
Doch die Vergangenheit holt ihn ein. Er ist der uneheliche Sohn des machtgierigen und vor nichts zurückschreckenden Rodrigo Borgia, der vor fünf Jahren zum Papst Alexander VI. gewählt wurde. Und plötzlich erleben die Bertorellis hautnah, allen voran Alessia, was es bedeutet, Mitglied dieser skrupellosen Renaissancefamilie zu sein. Der Schatten des roten Stieres, das Wappenzeichen der Borgia, ist einfach überall.
Alessia muss um ihre Liebe kämpfen, sich gegen Intrigen, Unterdrückung und den brutalen Willen ihrer Verwandten wehren und wird trotzdem zum Spielball im politischen Machtspiel der Borgia. Wem kann sie überhaupt noch vertrauen?
Das Buch ist eine Reise nach Italien Ende des 15. Jahrhunderts: Das Zeitalter von Da Vinci und Michelangelo – und Rodrigo Borgia und seiner machtgierigen Familie. Sein Regiment als Papst Alexander VI. ging als das denkwürdigste Kapitel der katholischen Kirche in die Geschichte ein.
Ein ergreifender Roman voller Leidenschaft, Blut und Tränen und dem Kampf um die große Liebe.
SpracheDeutsch
HerausgeberMaximum Verlag
Erscheinungsdatum1. Feb. 2021
ISBN9783948346263
Im Schatten des roten Stieres: Historischer Roman

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    Buchvorschau

    Im Schatten des roten Stieres - Sylvia Klinzmann

    cover-imageKlinzmannStier.png

    Sylvia Klinzmann

    Im Schatten des roten Stieres

    Historischer Roman

    Logo.png

    Zum Buch

    Liebe, skrupellose Machtgier und Angst –

    Willkommen in der Familie Borgia

    Rom, 1497. Die schöne, wohlbehütete 15-jährige Alessia Bertorelli de Salvatierra verliebt sich unsterblich in den begabten Maler Giacomo, dem sie Modell sitzt. Die beiden wollen heiraten. Alessias Vater Alvaro ist ein bekannter Anwalt, der sich mit der Familie – nach der Flucht vor der Inquisition aus Spanien – in Rom ein neues Zuhause aufgebaut hat.

    Doch die Vergangenheit holt ihn ein. Er ist der uneheliche Sohn des machtgierigen und vor nichts zurückschreckenden Rodrigo Borgia, der vor fünf Jahren zum Papst Alexander VI. gewählt wurde.

    Und plötzlich erleben die Bertorellis hautnah, allen voran Alessia, was es bedeutet, Mitglied dieser skrupellosen Renaissancefamilie zu sein. Der Schatten des roten Stieres, das Wappenzeichens der Borgia, ist einfach überall.

    Alessia muss um ihre Liebe kämpfen, sich gegen Intrigen, Unterdrückung und den brutalen Willen ihrer Verwandten wehren und wird trotzdem zum Spielball im politischen Machtgefüge der Borgia. Wem kann sie überhaupt noch vertrauen?

    Das Buch ist eine Reise nach Italien Ende des 15. Jahrhunderts: Das Zeitalter von Da Vinci und Michelangelo – und Rodrigo Borgia und seiner machtgierigen Familie. Sein Regiment als Papst Alexander VI ging als das denkwürdigste Kapitel der katholischen Kirche in die Geschichte ein.

    Ein ergreifender Roman voller Leidenschaft, Blut und Tränen und den Kampf um die große Liebe.

    Inhalt

    Zum Buch

    Impressum

    Widmung

    Personenverzeichnis

    Prolog

    I. Teil: Im Vatikan (1497)

    1. Kapitel

    2. Kapitel

    3. Kapitel

    4. Kapitel

    5. Kapitel

    6. Kapitel

    7. Kapitel

    8. Kapitel

    9. Kapitel

    10. Kapitel

    11. Kapitel

    12. Kapitel

    13. Kapitel

    14. Kapitel

    15. Kapitel

    16. Kapitel

    17. Kapitel

    18. Kapitel

    19. Kapitel

    20. Kapitel

    II. Teil: Florenz (1498)

    21. Kapitel

    22. Kapitel

    23. Kapitel

    24. Kapitel

    25. Kapitel

    26. Kapitel

    27. Kapitel

    III. Teil: In der Engelsburg (1498)

    28. Kapitel

    29. Kapitel

    30. Kapitel

    31. Kapitel

    32. Kapitel

    33. Kapitel

    34. Kapitel

    35. Kapitel

    36. Kapitel

    37. Kapitel

    38. Kapitel

    Epilog

    Begriffserklärungen

    Über die Autorin Sylvia Klinzmann

    Zehn Fragen an … Sylvia Klinzmann

    MAXIMUM

    Mehr von Sylvia Klinzmann

    Impressum

    Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- oder Bildteile.

    Alle Akteure des Romans sind fiktiv, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind vom Autor nicht beabsichtigt.

    Copyright © 2021 by Maximum Verlags GmbH

    Hauptstraße 33

    27299 Langwedel

    www.maximum-verlag.de

    1. Auflage 2021

    Lektorat: Anna Hoffmann (Harper Collins/Books2read)

    Korrektorat: Dr. Rainer Schöttle

    Satz/Layout: Alin Mattfeldt

    Covergestaltung: Alin Mattfeldt

    E-Book: Mirjam Hecht

    Druck: CPI – Clausen & Bosse, Leck

    Made in Germany

    ISBN 978-3-948346-26-3

    Widmung

    Für Papa.

    Wo immer du auch jetzt sein magst. Ich weiß, du bist stolz auf mich.

    Personenverzeichnis

    Mit * gezeichnete Namen: Historisch verbürgte Personen

    Familie Bertorelli de Salvatierra:

    Alvaro Bertorelli: Anwalt, ehemaliger Sekretär der spanischen Königin Isabel von Kastilien

    Lea Bertorelli: seine Gemahlin, ehemalige jüdische Hofstickerin Isabels von Kastilien

    Alessia Bertorelli: Tochter von Lea und Alvaro

    Aaron Bensinior/Bruder Horatio: Leas Bruder, ein ehemaliger Jude, der zum Christentum übergetreten ist

    Anna: Dienerin im Hause Bertorelli

    Sara: Köchin im Hause Bertorelli

    Ricardo: Diener im Hause Bertorelli

    Familie Borgia*:

    Rodrigo Borgia: Papst Alexander VI.

    Cesare Borgia: Papstsohn

    Juan Borgia: Papstsohn

    Lucrezia Borgia: Papsttochter

    Jofré Borgia: jüngster Papstsohn

    Sancia von Aragon: Gemahlin Jofrés

    Adriana di Milo: Cousine des Papstes, Hausvorsteherin des päpstlichen Haushalts

    Giulia Farnese Orsini: Geliebte des Papstes

    Vanozza dei Cattanei: ehemalige Geliebte des Papstes und Mutter von Cesare, Juan, Jofré und Lucrezia

    Weitere Personen:

    Catalina de Mendoza/de Torralba: Nichte des spanischen Erzbischofs von Sevilla, Witwe des spanischen Herzogs Diego de Torralba

    Bianca: Catalinas Dienerin

    Carlo: Catalinas Diener

    Giacomo di Luna: Maler und Alessias Geliebter

    Pino Puccini: florentinischer Bildhauer, Giacomos Freund

    Marco Carducci: Pinos Freund, der eine Künstlerwerkstatt in Florenz besitzt

    Francesco Contarini: florentinischer Gönner Giacomos

    Miguel Coralla/Michelotto*: Cesares rechte Hand

    Johannes Burkhard*: Zeremonienmeister des Papstes

    Fabio Carafa: römischer Adeliger, ein Freund Cesares

    Piero degli Albizzi: florentinischer Adeliger, mit dem Alessia verheiratet wird

    Giulio degli Albizzi: Pieros Bruder

    Lorenzo Pisani: Pieros Kammerdiener

    Chiara: Alessias Dienerin

    Fausto: Folterknecht

    Matteo: Folterknecht

    Klosterbrüder:

    Bruder Eugenio: Eremit, der Bruder Horatio gesund pflegt

    Bruder Domenico: Prior des Klosters des Heiligen Estéban in der Estremadura

    Bruder Matias: Abt des Mutterklosters in Sevilla

    Tomás de Torquemada*: spanischer Großinquisitor

    Girolamo Savonarola*: florentinischer Dominikanermönch, der in Florenz hingerichtet wird

    Silvestre Maruffi: Dominikaner, der mit Savonarola hingerichtet wird

    Domenico Buonvicini: Dominikaner, der mit Savonarola hingerichtet wird

    Kardinal Isuagli*: Gouverneur Roms und Richter bei Alessias Gerichtsverhandlung

    Pietro Menzi*: Bischof von Cesena, Hauptauditor bei der Gerichtsverhandlung

    Prolog

    Sevilla, Ebene von La Tablada, im Jahre des Herrn 1482

    Der von Windböen gepeitschte Regen prasselte auf die Ebene von La Tablada vor den Stadttoren Sevillas nieder. Blitze, gefolgt von Donnerschlägen, erhellten die Szenerie und warfen ein gespenstisches Licht auf die sieben Scheiterhaufen, die wie schaurige Mahnmale in den Himmel hinaufragten. Die Feuer waren längst von den sintflutartigen Niederschlägen gelöscht worden. Nur das Zischen und Qualmen der nassen Holzstapel zeugte davon, dass sie zuvor lichterloh gebrannt hatten. Der Ort war bis auf einige wenige Familienangehörige der Delinquenten verlassen. Büttel, kirchliche Würdenträger und Schaulustige, die dem Hinrichtungsspektakel beigewohnt hatten, waren aus Angst zurück in die Stadt geflüchtet. Vor einem Unwetter, wie es Sevilla noch nie erlebt hatte. Als hätte Gott beschlossen, die Stadt und seine Einwohner für immer auszulöschen. Der Wind begann nachzulassen, doch noch immer goss es in Strömen.

    Aaron Bensinior öffnete vorsichtig die Augen. Er musste ohnmächtig gewesen sein, denn er wusste nicht, wo er sich befand. Sein Verstand schien von einer Nebelschicht umhüllt zu sein, und ein brennender, alles durchdringender Schmerz ließ ihn keinen klaren Gedanken fassen. Er lag zusammengekauert auf dem schwelenden Scheiterhaufen. Der Rauch brannte in seinen Augen und erschwerte ihm das Atmen. Über ihm leuchteten Blitze am Himmel, und die mächtigen Donnerschläge ließen ihn zusammenzucken. Nur langsam lichteten sich die Nebelschwaden in seinem Gehirn, kehrte nach und nach die Erinnerung an die grausame Wirklichkeit zurück. Mit einem Mal sah er alles wieder deutlich vor sich: den Prozess, das gegen seine Schwester Lea und ihn gefällte Todesurteil und schließlich den Beginn des Autodafés. Mit schmerzverzerrtem Gesicht richtete sich der junge Jude auf und schaute an sich hinunter. Er war nackt, seine Beine, die Arme und der Oberkörper waren von Blasen überzogen. Sie brannten höllisch, obwohl die kühle Nässe des Regens Linderung zu verschaffen schien. Aaron berührte seinen Kopf. Dort, wo einmal üppige Locken sein schön geschnittenes Gesicht umrahmt hatten, fühlte er nun verkohlte Haarstoppel. Ich lebe, dachte er tapfer, nur das zählt! Alles andere ist unwichtig!

    Er richtete seinen Blick nach links. Am Pfahl war niemand mehr angebunden. Wo ist Lea? Was ist mit ihr passiert? Tränen schossen in Aarons Augen. Ist ihr Körper von den Flammen verzehrt worden? Nein, das kann nicht sein! Ihr Scheiterhaufen – der letzte in der Reihe – war erst kurz vor Ausbruch des Unwetters angezündet worden. Es gab nur eine Möglichkeit – ihr musste die Flucht gelungen sein. Konnte Alvaro de Salvatierra, ihr christlicher Geliebter, die Hinrichtungsstelle rechtzeitig erreichen und Lea befreien? Aber warum hatten sie ihn dann zurückgelassen? Fragen über Fragen wirbelten dem jungen Mann durch den Kopf. Doch es blieb ihm keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Er musste den Ort des Grauens verlassen, bevor das Gewitter nachließ und die Büttel wieder zurückkamen.

    Aaron glitt von dem Holzstapel hinunter und biss sich auf die Lippen, um nicht vor Schmerz aufzuschreien. Suchend blickte er sich um und hob schließlich einen starken Ast vom Boden auf, den die Flammen verschont hatten. Er würde ihm als Stock dienen. Vorsichtig machte er die ersten Schritte. Es tat weh, aber er konnte laufen.

    Etwas weiter vorn kniete eine Frau weinend über einem schwelenden Holzstapel. Vielleicht hatte sie gesehen, was mit seiner Schwester geschehen war. Er blieb neben ihr stehen und berührte vorsichtig ihre Schulter, bevor er wieder seine Blöße bedeckte.

    Die Frau sah zu ihm auf und stieß einen Schrei aus. „Jehova steh mir bei!" Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht.

    „Bitte, gute Frau, fürchtet Euch nicht vor meinem Anblick. Ich weiß, die Flammen müssen mich schrecklich zugerichtet haben."

    Aaron schwankte vor Schwäche, sodass die Frau aufsprang und ihn stützte.

    „An dem letzten Pfahl war meine Schwester angebunden. Sie ist verschwunden. Habt Ihr gesehen, ob sie jemand befreit hat?" Aaron blickte die Frau hoffnungsvoll an.

    Sie überlegte einen Augenblick. „Ich glaube, da waren zwei Männer. Einer trug etwas auf seinen Armen davon. Es könnte ein Mensch gewesen sein, vielleicht Eure Schwester. Mehr kann ich Euch nicht sagen. Sie begann zu schluchzen. „Ich habe versucht, meinen Gemahl zu retten. Aber es war zu spät. Sie ließ Aaron los und sank wieder vor dem Scheiterhaufen mit den Überresten ihres Mannes nieder.

    „Danke. Möge Jehova Euch beistehen!", murmelte Aaron. So schnell es ging, humpelte er über das Podest und stieg an dessen Ende die hölzernen Stufen hinunter. Er lehnte sich einen Moment lang an die Plattform, um durchzuatmen. Das Laufen strengte ihn mehr an, als er sich eingestehen wollte, und er spürte, wie trotz des Regens und der kühlen Witterung der Schweiß an seinem geschundenen Körper hinablief. Über den dunklen Himmel zuckten weiterhin Blitze. Er blickte sich um. Zu seiner Linken sah er die schwachen Umrisse der Stadtmauer von Sevilla, auf der anderen Seite breitete sich die Ebene aus, an deren Ende er einen kleinen Pinienhain ausmachen konnte. Er musste es schaffen, dorthin zu gelangen, um sich erst einmal zu verstecken.

    Aaron holte tief Luft und lief los. Die Schmerzen raubten ihm fast den Verstand, sodass er ab und zu stehen blieb, um neuen Atem zu schöpfen. Er würde nicht aufgeben. Er musste weiterleben und herausfinden, was mit seiner Schwester geschehen war und warum sie ihn allein auf dem Scheiterhaufen zurückgelassen hatte. Aaron nahm all seine Kraft zusammen und zwang sich weiterzugehen. In jeder Faser seines Körpers spürte er nun den Schmerz. Selbst Gesicht und Kopfhaut brannten.

    Der Regen hatte den Boden aufgeweicht. Immer wieder blieb der junge Mann im Morast stecken. Als er glaubte, keinen Schritt weiter gehen zu können, sah er endlich die Umrisse des Waldes vor sich. So rasch wie möglich lenkte er seine Schritte dorthin. Vielleicht konnte er sich im Schutz der Bäume ein wenig ausruhen.

    Ein erneuter Blitz zuckte über den Himmel. Vor Schreck übersah er eine aus dem Boden ragende Wurzel, stolperte und schlug der Länge nach auf dem Waldboden hin. Er war nicht mehr in der Lage, sich aufzurichten. Seine Kräfte hatten ihn endgültig verlassen. Dann soll es so sein!, dachte er. Wenn Jehova es will, werde ich jetzt und hier meinen letzten Atemzug tun.

    Das Rauschen in Aarons Kopf wurde immer stärker, bis er schließlich das Bewusstsein verlor. Er merkte nicht einmal mehr, wie sich ein Fuchs näherte und ihn neugierig beschnupperte.

    Als Aaron diesmal wieder zu sich kam, spürte er, wie etwas Kühles über seine Stirn strich. Er öffnete die Augen und blickte in ein Gesicht, das er noch nie zuvor gesehen hatte. Stahlblaue, von Falten umrandete Augen musterten ihn freundlich; und ein lächelnder Mund entblößte schief stehende gelbliche Zähne. Ein grauer Haarkranz umrahmte das Gesicht des Mannes, der sich über Aaron beugte und mit einem feuchten Tuch dessen Stirn abtupfte.

    „Endlich bist du aufgewacht. Wie fühlst du dich? Hast du Schmerzen?"

    Der junge Mann nickte.

    „Das wundert mich nicht. Dein Leib ist eine einzige große Wunde."

    Aaron berührte mit einer Hand seinen bandagierten Kopf. Dann blickte er an seinem Körper hinunter und entdeckte, dass dieser ebenfalls vollständig mit Leinentüchern umwickelt war. Er lag auf einer Strohpritsche, in deren Nähe ein Feuer brannte. Es spendete nicht nur Wärme, sondern war auch die einzige Lichtquelle. Im rötlichen Schein der Flammen erkannte Aaron, dass er sich in einer Höhle befand. Neben seinem eigenen Lager gab es auf der anderen Seite des Raumes eine zweite Schlafstelle. Links davon standen ein aus grobem Holz gezimmerter Tisch und ein Schemel, rechts ein Vorratsregal, über dem an einer Schnur befestigte, getrocknete Kräuterbündel hingen.

    „Wo bin ich? Wer seid Ihr?" Aaron versuchte sich aufzurichten, doch sofort durchzuckte ihn ein stechender Schmerz. Der Mönch drückte ihn sanft zurück.

    „Du solltest dich nicht so viel bewegen, mein Junge, sagte er, „sonst könnten deine Wunden wieder aufplatzen.

    Er zog sich den niedrigen Holzschemel heran, setzte sich neben Aaron und glättete die aus grobem Wollstoff gewebte Kutte, die um seine hagere Gestalt schlackerte. „Mein Name ist Eugenio. Ich habe vor einiger Zeit den Konvent des Heiligen Estéban verlassen, um hier oben in der Einsamkeit Gott näher zu sein. Zweimal im Jahr gehe ich nach Sevilla hinunter, besuche meine Brüder im Kloster und zelebriere gemeinsam mit ihnen die Messe. Ich bringe ihnen meine Heilkräuter und erhalte im Gegenzug Waren, die ich hier in der Wildnis nicht bekommen kann."

    Eugenio legte das feuchte Tuch beiseite.

    „Es war dein Glück, mein Junge, dass ich dich ausgerechnet an jenem Tag fand, an dem ich aus Sevilla zurückkehrte. Du bist Jude, nicht wahr?"

    Aaron blickte den Mönch ratlos an. Was war geschehen? Wieso lag er hier in dieser Höhle? Wer war er? Ein Jude? In seinem Kopf herrschte nichts als Leere.

    „Ich … ich weiß nicht."

    „Als ich deinen Körper säuberte und deine Wunden versorgte, da fiel mir auf, dass du beschnitten bist. Außerdem weiß ich, dass einen Tag vor meiner Rückkehr in der Ebene von La Tablada ein großes Hinrichtungsspektakel veranstaltet wurde. In Anbetracht deiner vielen Brandwunden schloss ich daraus, dass du einer der verurteilten Juden sein musst. Aber sag, du kannst dich wirklich nicht entsinnen, was geschehen ist? Auch nicht, wie du heißt?" Eugenio blickte mitleidig auf seinen Patienten.

    Aaron versuchte, die verworrenen Gedanken zu ordnen, die in seinem Kopf herumschwirrten.

    „Ich heiße Aaron, Aaron Bensinior, brachte er schließlich hervor, „nein … ich, mein Name ist Miguel Calderon.

    „Also wie denn nun, Junge? Du kannst doch keine zwei Namen haben." Der Mönch blickte den Verletzten verwundert an.

    „Aaron Bensinior ist mein jüdischer Name. Als wir die christliche Taufe erhielten, wurde aus Bensinior Calderon."

    „Du bist ein converso – ein Konvertit?"

    Aaron nickte.

    „Und warum hat man dich dann zum Tode verurteilt? Bist du in deine alten Glaubensregeln zurückverfallen?"

    Der junge Mann schüttelte unverzüglich den Kopf. „Nein! Aber das hat man mir und meiner Schwester vorgeworfen, als man uns festnahm."

    Konnte er sich dem Klosterbruder anvertrauen oder würde ihn der Mönch zurück in das Inquisitionsgefängnis bringen? Aaron schloss für einen Moment die Lider und sah sich wieder mit Lea in dem mit dunklen Tüchern verhangenen Raum sitzen, den stechenden Blick des Inquisitors Tomás de Torquemada auf sich gerichtet. Dann erschien der Folterkeller vor seinem inneren Auge, die Streckbank, auf der ihn der Marterknecht festgebunden hatte. Er erschauderte. Es war, als spürte er wieder den Schmerz seiner gedehnten Glieder, hörte erneut den Schrei seiner Schwester, die alles mit ansehen musste.

    Nein, er würde kein Wort über seine Vergangenheit verlieren. Er war Miguel Calderon, ein Neuchrist, der zu Unrecht von der Inquisition zum Tode verurteilt worden war.

    „Wie lange bin ich schon hier?", fragte er den Eremiten.

    „Etwa zwei Wochen. Du bekamst hohes Fieber und bist die meiste Zeit ohne Bewusstsein gewesen. Doch nun genug geredet! Du musst dich ausruhen! Zuvor werde ich noch deine Verbände erneuern. Bruder Eugenio begann, die Leinentücher von Aarons Beinen abzunehmen. „Mach dir keine Sorgen! In ein paar Wochen bist du wieder hergestellt, sprach er dem jungen Mann Mut zu. „Die Wunden heilen gut. Es werden allerdings Narben zurückbleiben."

    Neben der Pritsche stand ein Tontiegel. Der Mönch tauchte seine Finger hinein und strich die daran haften gebliebene fettige Paste auf die Wunden. Angewidert verzog Aaron das Gesicht.

    „Was ist das? Es riecht ekelhaft."

    „Das mag schon sein, aber es hilft gut bei solchen Verbrennungen. Die Salbe wird aus Wacholder, ungesalzenem Schweineschmalz und Eiern zubereitet."

    Nach und nach wechselte Bruder Eugenio alle Verbände und bedeckte die Wunden dick mit der Pomade. Aarons Gesicht betupfte er mit Johanniskrautöl. Erschöpft schloss dieser die Augen. Das Gespräch mit seinem Wohltäter hatte ihn angestrengt. Sein letzter Gedanke, bevor ihn der Schlaf übermannte, galt der Zukunft.

    Er musste herausfinden, was mit Lea geschehen war.

    I. Teil: Im Vatikan (1497)

    1. Kapitel

    Rom, Italien, Januar 1497

    Leise öffnete Alessia das große Holzportal und spähte nach draußen. Auf der Straße war niemand zu sehen. Das Mädchen hielt einen Moment inne und lauschte, ob im Haus auch niemand ihr Fortgehen bemerkt hatte. Alles blieb still; und so schlüpfte sie hinaus.

    Schnellen Schrittes lief sie die Via Pelamantelli hinunter. Der warme Umhang, den sie über dem Samtkleid trug, und das Tuch, das ihre dunklen Locken bedeckte, sollten sie zum einen gegen die kühle Abendluft und zum anderen gegen neugierige Blicke schützen. Schließlich war es ungewöhnlich für ein junges Mädchen, zu solch später Stunde ohne Begleitung in den dunklen Gassen Roms unterwegs zu sein. Und in der Straße, in der ihr Wohnhaus und die Kanzlei ihres Vaters lagen, kannten viele Leute die hübsche Tochter des Advokaten Alvaro Bertorelli. Alessia fühlte sich unwohl, wenn sie darüber nachdachte, wer ihr des Nachts begegnen könnte. Aber sie wollte sich nicht von Ricardo, dem Diener ihrer Eltern, begleiten lassen, da sie befürchtete, er könne sie bei ihrem Vater verraten.

    Bald darauf erreichte sie den Campo de’ Fiori. In einem der engen Gässchen, die von dort abzweigten, lag das Haus, das sie nun schon seit einigen Wochen heimlich aufsuchte. Wie jedes Mal, wenn sie den düsteren Platz überquerte, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Der Campo war eine der öffentlichen Hinrichtungsstätten der Stadt. Hier hatten schon viele Verbrecher und Ketzer am Pranger gestanden und sogar am Galgen oder auf dem Scheiterhaufen ihr Leben verloren. Merkwürdigerweise hatten sich gerade dort Wirtshäuser und Garstuben angesammelt. Anscheinend gab es Menschen, die bei einem Krug Wein der Anblick der am Galgen baumelnden Gehenkten nicht zu stören schien. Auch an diesem Abend musste sich Alessia wieder laute Rufe und zweideutige Aufforderungen anhören, als sie, den Blick nach unten gerichtet, die Lokale schnellen Schrittes passierte.

    Endlich erreichte sie ihr Ziel. Die Eingangstür des kleinen Hauses war wie üblich nicht verschlossen, und so betrat Alessia den dunklen Flur. Rasch stieg sie die Treppe hinauf bis unters Dach und klopfte an die Tür der Kammer. Diese wurde aufgerissen, eine Hand ergriff Alessias Arm und zog sie ins Innere.

    „Endlich, cara mia! Ich habe schon gedacht, du kämest heute nicht mehr."

    Ein gut aussehender dunkelhaariger Jüngling schloss Alessia in seine Arme. Dann drückte er ihr zwei Küsse rechts und links auf die Wangen.

    „Wie könnte ich diese Stunden mit dir versäumen wollen, Giacomo?", erklärte Alessia freudestrahlend.

    Sie zog das Tuch von ihren Locken und legte es zusammen mit dem Umhang über die Lehne eines Stuhles. „Wo doch unser Werk so kurz vor der Vollendung steht. Lass es mich anschauen!"

    Sie ging zu einer großen Staffelei, die unter dem Dachfenster aufgebaut war und auf der eine Leinwand von außerordentlichem Ausmaß lehnte. Im Schein der vielen Kerzen, die Giacomo angezündet hatte, begutachtete sie das kurz vor der Fertigstellung stehende Gemälde. Es zeigte eine junge Frau in sitzender Position mit entblößtem Oberkörper. Das Mädchen wies die dunklen Locken und die katzenartigen grünen Augen Alessias auf. Die Mundwinkel waren zu einem leichten Lächeln nach oben verzogen, in die blassen Wangen zwei zierliche Grübchen eingegraben. Alessias Blick wanderte von dem schlanken weißen Hals über die wohlgeformten Schultern bis hinunter zu den spitz zulaufenden Brüsten mit den rosigen Knospen.

    „Ich denke, noch ein oder zwei Sitzungen, dann sollte das Bild fertig sein", bemerkte Giacomo, der hinter sie getreten war.

    Ein Gefühl der Traurigkeit überkam Alessia bei dem Gedanken daran, dass sie bald keinen Grund mehr haben würde, den hübschen Maler mit den unschuldig dreinblickenden braunen Engelsaugen aufzusuchen. Sie hatte sich im Laufe der letzten Wochen in den jungen Künstler verliebt.

    Giacomo di Luna stammte aus Urbino, wo er von seinem Vater in der Malerei unterrichtet worden war. Nach dessen Tod ging er nach Perugia, in die Lehre des Meisters Perugino. Und seit einem Jahr weilte er in Rom, in der Hoffnung, von den hiesigen Adeligen Aufträge zu bekommen, mit denen er sich über Wasser halten konnte. Alessia war ihm eines Tages auf der Piazza Navona begegnet. Giacomo hatte sie angesprochen, ob sie ihm nicht Modell sitzen wolle, und sie hatte eingewilligt.

    „Mach dich bereit, cara mia, ich kann es kaum erwarten, mit der Arbeit zu beginnen!"

    Als der junge Maler ihr bei ihrem ersten Besuch in seiner Kammer eröffnet hatte, sie mit entblößtem Oberkörper malen zu wollen, hatte sie sich zunächst geziert. Schließlich hatte sie sich noch nie vor einem Mann nackt gezeigt. Doch Giacomo war es mit einem schmelzenden Blick aus seinen braunen Augen gelungen, sie zu überzeugen. Trotzdem wusste sie vor Scham nicht, wo sie hinschauen sollte, als sie ihre Kleider abgelegt hatte. Giacomo hatte die peinliche Situation mit ein paar lustigen Geschichten aus seiner Zeit in Perugia überspielt und ihr so nach und nach die Scheu genommen. Ihre Sitzungen mussten allerdings im Geheimen stattfinden. Hätten Alessias Eltern gewusst, was sich in der kleinen Dachkammer abspielte, hätten sie ihre fünfzehnjährige Tochter gewiss in das nächstbeste Kloster gebracht. Da sie ihr nicht erlaubten, ohne Begleitung in die Stadt zu gehen, war es einfacher für das Mädchen, sich nachts, wenn alle schliefen, aus dem Haus zu schleichen.

    Alessia nahm auf dem Stuhl Platz und zupfte das transparente Tuch, das auf ihrem Schoß lag, zurecht. Es musste jedes Mal möglichst genauso fallen wie am ersten Tag.

    „Dreh dein Gesicht noch ein wenig nach rechts!, wies Giacomo sie an. „Ja, so ist es gut.

    Prüfend betrachtete er zuerst sein Modell und lenkte den Blick danach wieder auf die Leinwand. Mit der linken Hand griff er nach der Palette und mit der rechten nach einem Pinsel aus dem neben ihm stehenden Tongefäß. Dann konzentrierte er sich auf seine Arbeit.

    Alessia genoss es, ihn in aller Ruhe beobachten zu können, sein weich fallendes Haar, die von dichten Wimpern umrandeten Augen, seine schmalen Hände mit den feingliedrigen Fingern, die solch großartige Kunstwerke auf die Leinwände zu zaubern vermochten. Giacomo war nur ein wenig größer als sie selbst. Über seinen Beinkleidern trug er einen bis zu den Knien reichenden, weiten Kittel, der über und über mit bunten Farbflecken versehen war. Sollte Alessia ihm gestehen, was sie für ihn empfand? Fühlte er das Gleiche für sie? Bisher hatte er außer einiger tiefer Blicke noch keinerlei Andeutungen gemacht. Und wenn es so wäre, wie ginge es dann weiter? Würde ihre Liebe bestehen können? Was würden ihre Eltern dazu sagen? Alessia kannte deren eigene Liebesgeschichte zur Genüge. Ihre Mutter, eine jüdische Stickerin, liebte ihren Vater, den Sohn eines christlichen Marqués. In Spanien, wo die beiden geboren und aufgewachsen waren, war eine solche Liebe aussichtslos, ja sogar verboten gewesen. Trotz vieler Schwierigkeiten hatten sie schließlich zueinandergefunden. Sie waren zusammen aus Kastilien geflohen und hatten hier in Rom unter einem anderen Namen ein neues Leben begonnen. Wenigstens konnte Alessia somit darauf hoffen, dass ihre Eltern bei der Wahl eines Ehegatten für ihre Tochter ein gewisses Maß an Toleranz zeigen würden.

    „Alessia!, riss Giacomo sie aus ihren Gedanken. „Bitte konzentrier dich und verändere nicht ständig deinen Ausdruck!

    Unverzüglich erschien wieder das zart angedeutete Lächeln auf ihrem Gesicht, das Giacomo bereits auf der Leinwand festgehalten hatte.

    Nach zwei Stunden konnte sie nicht mehr still sitzen. Immer wieder musste sie gähnen und fühlte sich trotz des Feuers, das im Kamin brannte, durchgefroren.

    „Lass uns aufhören für heute, Giacomo!, bat Alessia den Maler. „Ich bin müde, und mir ist kalt.

    „Nur noch einen kurzen Augenblick, cara! Giacomo schaute angestrengt auf die Leinwand und setzte einige weitere Pinselstriche. „So, das wär’s! Die Feinheiten kann ich nun ohne dich zu Ende bringen.

    Bei seinen Worten stockte Alessia der Atem. So rasch hätte sie nicht mit dem Ende gerechnet. Hatte er nicht zuvor gesagt, er würde noch ein oder zwei Sitzungen benötigen? Sie erhob sich und griff nach ihren Kleidern. Jetzt sag ihm, was du für ihn empfindest, es ist die letzte Gelegenheit!, vernahm sie eine innere Stimme. Doch sie konnte sich nicht überwinden, ihm ihre Gefühle zu offenbaren.

    Nachdem sie sich angezogen hatte, bot ihr Giacomo noch einen heißen Würzwein an, den sie gern annahm.

    „Was glaubst du, wirst du das Porträt schnell verkaufen können?", fragte sie und trank einen Schluck des köstlichen Getränks.

    „Ich hoffe es. Giacomo blickte ihr tief in die Augen, sodass ihr ein wohliger Schauder über den Rücken lief. „Das Gemälde eines solch bezaubernden Geschöpfes wird gewiss rasch einen Liebhaber finden. Er nahm ihre Hand in die seine und strich mit seinem Daumen zärtlich über ihre Haut.

    Verlegen senkte Alessia die Lider.

    „Ich kann dir jederzeit wieder Modell sitzen", schlug sie ihm beflissentlich vor.

    „Ja, das wäre schön. Wenn es so weit ist, schicke ich dir eine Nachricht."

    Sie leerte den Becher und erhob sich. „Ich sollte jetzt besser gehen. Es ist schon spät geworden."

    Wie sonst auch begleitete Giacomo das Mädchen auf deren Rückweg bis zu ihrem Haus, da er sie mitten in der Nacht nicht allein gehen lassen wollte. Es war kalt, und so gingen sie Arm in Arm, um sich gegenseitig zu wärmen. Alessia genoss es, dem jungen Maler so nah zu sein. Schon bald bogen sie in die Via Pelamantelli ein und erreichten das Haus, in dem die Familie Bertorelli seit vielen Jahren wohnte. Giacomo gab dem Mädchen noch einen Kuss, bevor er sich verabschiedete.

    „Wir sehen uns bestimmt bald wieder!, sagte er. „Ich lasse es dich wissen, wenn ich das Bild verkauft habe.

    „Gut, und denke daran, ich kann dir wieder Modell sitzen, wann immer du willst." Am besten schon morgen, fügte sie in Gedanken hinzu.

    Eine kurze Berührung ihrer Hände, ein letzter Blick, dann drehte sich Giacomo um und lief die Straße hinunter.

    Alessia betrat das Haus erst, als sie ihn nicht mehr sehen konnte. Eine Träne lief an ihrer Wange hinab und verlor sich in der Flut ihrer dunklen Locken, die weit bis über ihre Brust reichten.

    Giacomo ging schnellen Schrittes zurück in Richtung des Campo de’ Fiori. Auch er war nicht gern nachts in den dunklen Straßen Roms unterwegs, in denen zu später Stunde nicht nur allerhand finsteres Gesindel herumstrolchte, sondern ab und zu sogar wilde Wölfe ihr Unwesen trieben.

    „Dio mio", stieß er hervor, als ihm plötzlich aus einer Nebengasse zwei sich jagende Katzen vor die Füße sprangen und er beinahe gestolpert wäre.

    Erleichtert atmete er auf, als er sein Wohnhaus vor sich liegen sah, wo er kurz darauf die Dachkammer betrat. Er legte seinen Umhang ab und zündete Kerzen und Kienspan an. Nachdenklich blickte er auf den Stuhl, auf dem vor nicht allzu langer Zeit Alessia gesessen hatte. Es war ihm, als hinge der frische Verbenaduft, der dem Mädchen anhaftete, noch in der Luft. Traurigkeit überkam ihn, als er das Porträt betrachtete und ihm bewusst wurde, Alessia nun nicht mehr sehen zu können. Er vermisste sie schon jetzt, ihr Lächeln, der Anblick ihrer zarten Figur. Wenn er daran dachte, dass er, um überleben zu können, gezwungen sein würde, das Gemälde zu verkaufen und bald ein anderer Mann in den Genuss käme, es jeden Tag anschauen zu dürfen, verspürte er ein eifersüchtiges Ziehen. Habe ich mich in Alessia verliebt?, schoss es ihm durch den Kopf. Wenn er ehrlich war, musste er die Frage bejahen. Er konnte sich ohne Weiteres vorstellen, sein restliches Leben mit der jungen Frau zu verbringen. Ein schöner Traum. Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Was hatte er dem Mädchen schon zu bieten? Er war zwar ein begabter, aber dennoch armer und unbekannter Maler, der in einer schäbigen Dachkammer lebte und zumeist nicht wusste, ob er die nächste Miete noch würde zahlen können. Alessia hingegen entstammte einem wohlhabenden Elternhaus. Ihr Vater war ein angesehener Advokat. Niemals würde er seine Tochter einem mittellosen Künstler zur Frau geben.

    Giacomo seufzte und verlor sich in den blaugrünen Augen Alessias, die ihm aus dem Porträt entgegenblickten.

    2. Kapitel

    Rom, Porta Laterana, Januar 1497

    Es versprach ein herrlicher Tag zu werden, als die Sonne am nächsten Morgen hinter dem Horizont hervortrat und die Ruinen längst vergangener Zeiten in rötliches Licht tauchte. Obwohl es noch früh war und eine der winterlichen Jahreszeit angemessene, kühle Temperatur herrschte, war Rom bereits zum Leben erwacht. Auf den Gassen tummelten sich Fußgänger, Eselskarren und die edlen Kutschen der Adeligen. Die Bürger waren auf dem Weg zur Porta Laterana, um der Ankunft Jofré Borgias und seiner Gemahlin Sancia von Aragon, einer unehelichen Tochter des neapolitanischen Königs Alfonso II., beizuwohnen. Jofré war der jüngste Sohn des regierenden Papstes und lebte seit seiner Hochzeit mit Sancia in Neapel.

    Auch die Familie Bertorelli wollte sich die bevorstehende Prozession nicht entgehen lassen. Alessias Mutter konnte ihre Tochter am Morgen nur mit viel Überredungskunst zu dem bevorstehenden Ausflug bewegen. Deren verquollene rote Augen waren ihr dabei nicht entgangen. Irgendetwas musste vorgefallen sein. Sie beschloss, Alessia in einem geeigneten Moment darauf anzusprechen.

    Als sie an der Piazza del Laterano ankamen, hatte sich dort bereits eine große Anzahl Schaulustiger versammelt. Ein Stimmenwirrwarr, das an das Summen von Bienen erinnerte, erfüllte die Luft, und von überallher drang der Essensgeruch der auf die Schnelle aufgestellten Garküchen und Verkaufsstände.

    „Hat der Papst eigentlich außer Jofré, Lucrezia und Cesare noch mehr Kinder?", fragte Alessia.

    Der Spaziergang an der frischen Luft tat ihr gut. Auf ihren blassen Wangen zeigte sich wieder ein Hauch von Farbe. Das Mädchen war ein Ebenbild seiner Mutter. Allerdings war Leas Haar bereits von Silberfäden durchzogen, um ihre Augen und den herzförmigen Mund hatten sich Fältchen eingegraben.

    „Ja, da sind Juan, der eine Spanierin geheiratet hat, und noch zwei oder drei Ältere, die bereits gestorben sind", antwortete Lea.

    „Ich dachte immer, Kleriker dürften keine Kinder haben", fuhr Alessia fort.

    Wie ihre Mutter trug sie ein Samtkleid nach der neuesten Mode, mit angenestelten, geschlitzten Ärmeln und einem eng sitzenden Mieder, aus dem ein fein gefälteltes Leinenhemd hervorlugte, darüber einen pelzverbrämten Umhang.

    „Das dürfen sie auch eigentlich nicht, mischte sich nun Alvaro Bertorelli in das Gespräch ein. „Aber die hohen Herren geben ihre Söhne und Töchter als ihre Neffen oder Nichten aus. Alexander nicht, er hat all seine Kinder anerkannt.

    „Und wer ist die Mutter der Papstkinder? Lebt sie mit ihnen im Vatikan?" Alessia wurde des Fragens nicht müde.

    „Vannozza dei Cattanei, die Mutter von Juan, Cesare, Jofré und Lucrezia wohnt in einem Haus in der Stadt, nicht im Vatikan", klärte Alvaro seine Tochter auf. „Dort lebt die augenblickliche Mätresse des Heiligen Vaters, Giulia Farnese-Orsini. Sie ist mit dem Sohn einer Cousine des Papstes verheiratet. Und nun genug gefragt, piccolina! Die Prozession muss jeden Moment ankommen."

    Alvaro legte den Arm um seine Tochter und küsste sie auf die Wange.

    Alessia lächelte und lenkte ihren Blick auf einige Gaukler, die die wartende Menge mit Kunststücken unterhielten. Sie konnte gar nicht so schnell schauen, wie die bunten Bälle und Keulen der Jongleure durch die Luft flogen.

    „Hoffentlich müssen wir nicht mehr zu lange warten, ich bin durchgefroren. Lea zog sich ihren Umhang fester um den Körper. „Da vorn ist ein Essensstand. Ich werde uns ein paar Leckerbissen besorgen. Der köstliche Geruch verfolgt mich schon die ganze Zeit über.

    „Gute Idee!", murmelte Alvaro und schaute seiner Gemahlin nach.

    Fröstelnd rieb er seine kalten Hände aneinander. Mittlerweile bereute er es, seinen warmen, pelzgefütterten Umhang zu Hause gelassen zu haben. Das helle Brokatwams, das er über seinen braunen Beinkleidern trug, sah zwar edel aus, bot aber kaum Schutz vor dem kühlen Wind.

    Kurz darauf kam Lea mit einer Handvoll dampfender Küchlein zurück. Gerade, als sie das köstliche Gebäck verspeist hatten, ertönten die ersten Fanfarenstöße, die die Ankunft des päpstlichen Empfangskomitees ankündigten. Vorneweg marschierten zwei Herolde, die die Wappen der Borgia und des Neapolitanischen Königshauses trugen. Ihnen folgten die in Purpur gewandeten Vertreter der Kardinalshaushalte, die Kommandeure der Vatikansgarde mit zweihundert Mann sowie die Gesandten Spaniens, Mailands, Neapels, Venedigs und des Heiligen Römischen Reiches, allesamt in Seide und Brokat gekleidet. Am Schluss der langen Kavalkade ritt Lucrezia Borgia auf einem prächtig geschmückten Pferd, um ihren Bruder und ihre Schwägerin persönlich in Empfang zu nehmen. Schon von Weitem leuchtete ihr Wahrzeichen, der grasende rote Stier auf goldenem Untergrund – das Symbol der päpstlichen Familie.

    „Ist sie nicht wunderschön, Mama?, rief Alessia, als sie Lucrezia erblickte. „Schau nur, diese glänzenden blonden Locken und die glitzernden Edelsteine auf ihrem Kleid!

    Lea blickte versonnen auf die kostbar gekleidete Papsttochter, die mittlerweile an den Anfang des Zuges geritten war.

    „Mama, hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?" Alessia stupste ihre Mutter in die Seite.

    „Was? Oh, eh, ja, sie ist wirklich eine Schönheit", antwortete Lea.

    Für einen Augenblick war es nicht Lucrezia gewesen, die sie dort auf dem feurigen Araberhengst gesehen hatte, sondern eine andere, ebenso stolze junge Frau mit kupferfarbenen langen Locken, in ein weißes, mit Löwen und Türmen besticktes Brokatkleid gehüllt – Isabel von Kastilien. Lea hatte sie einst bei einer Prozession durch Toledo bewundert. Wie immer, wenn sie an Spanien dachte, erfüllte Lea eine leise Wehmut. Obwohl sie viel gelitten hatte, blieb es dennoch das Land, in dem sie geboren und aufgewachsen war, wo ihre Familie begraben lag und sie Alvaro kennengelernt hatte.

    „Kein Wunder, dass sie so prachtvoll gekleidet ist, fuhr Alessia fort. „Bestimmt will Lucrezia ihre Schwägerin übertrumpfen.

    „Alessia! Mäßige deinen Ton!", rügte Alvaro seine Tochter mit strenger Miene, auch wenn er ihr im Geheimen zustimmen musste. Wahrscheinlich fürchtete die Tochter des Papstes um die Gunst ihres Vaters, der, wie jedermann wusste, dem weiblichen Geschlecht sehr zugeneigt war. Seine Mätresse Julia Farnese war nicht viel älter als Lucrezia selbst.

    Plötzlich ertönten Rufe von allen Seiten: „Da sind sie! Sie kommen!"

    Und tatsächlich war der sich nähernde Reisezug des Papstsohnes und seiner Gemahlin auf der anderen Seite des Stadttores zu sehen. Jofré und Sancia führten den Tross hoch zu Pferde an. Danach folgten die Gruppe ihrer Diener und dahinter die achtundzwanzig Maultiere, die mit ihrem Gepäck beladen waren. Sogar Narren und Zwerge befanden sich in ihrem Gefolge.

    Die Gemahlin des Papstsohnes war ebenso wie ihre Schwägerin auf das Kostbarste gekleidet. Sie trug ein Gewand aus karmesinrotem Brokat, dessen Mieder über und über mit Perlen bestickt war, und einen mit Fell gefütterten Umhang. Auf ihrem dunklen Haar, das ihr bis zur Taille hinabreichte, saß ein goldenes Diadem. In ihrem Gesicht dominierten die großen dunkelbraunen

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