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Rätselhafte Küsse
Rätselhafte Küsse
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eBook353 Seiten4 Stunden

Rätselhafte Küsse

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Über dieses E-Book

Vom Alltag gelangweilt, ist Andrew Hunter auf der Suche nach weiblicher Abwechslung. Doch viel zu schnell erliegen die Damen der Londoner Gesellschaft seinem Charme. Es gibt für ihn keine Herausforderung mehr - bis er auf die rätselhafte Lady Lace trifft. Zwar schenkt sie ihm überraschend schnell einen leidenschaftlichen Kuss, aber dann wendet sie sich von ihm ab. Das kann er sich nicht gefallen lassen! Schon gar nicht, da Andrew zutiefst von ihrer unergründlichen Schönheit fasziniert ist. Er will ihr Geheimnis lüften - und schneller als er ahnt, ist sein eintöniges Dasein vorbei: Plötzlich sind er und Lady Lace in höchster Gefahr ...

SpracheDeutsch
HerausgeberCORA Verlag
Erscheinungsdatum30. Nov. 2016
ISBN9783733769475
Rätselhafte Küsse
Autor

Gail Ranstrom

Geboren und aufgewachsen ist Gail Ranstrom im Nordwesten der USA, in den Weiten von Montana. Schon damals hörte sie gerne Geschichten über vergangene Epochen und weit entfernte Länder, und dabei durfte natürlich auch Abenteuer, Spannung und Romantik nicht zu kurz kommen! Bevor sie jedoch selbst mit dem Schreiben anfing, machte sie alle möglichen und unmöglichen Jobs, einmal nähte sie sogar die Kellneruniformen für einen deutschen Biergarten. Erst als ihr jüngstes Kind zur Schule ging und sie etwas Zeit für sich fand, erfüllte sie sich ihren Traum, spannende Liebesromane zu schreiben, die zur Zeit des englischen Regency spielen. Zum Glück wohnt einer ihrer Brüder in London, sodass sie immer wieder zu Recherchezwecken nach England fahren kann. Und die langen Winter in Montana sind geradezu geschaffen, um ihre preisgekrönten Romane zu verfassen. Gail Ranstrom hört immer gerne von ihren Lesern und Leserinnen, sie freut sich über jede E-Mail an gail@gailranstrom.com.

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    Buchvorschau

    Rätselhafte Küsse - Gail Ranstrom

    IMPRESSUM

    Rätselhafte Küsse erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

    © 2007 by Gail Ranstrom

    Originaltitel: „Lord Libertine"

    erschienen bei: Harlequin Books

    © Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL

    Band 270 - 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

    Übersetzung: Maria Fuks

    Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

    Veröffentlicht im ePub Format in 11/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

    E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

    ISBN 9783733769475

    Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

    Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

    BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

    Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

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    PROLOG

    London, 25. Mai 1821

    Isabella eilte den schäbigen Flur im zweiten Stock des Hospitals entlang. Ihre Angst war so groß, dass sie am liebsten geflohen wäre. Doch trotz ihrer Furcht folgte sie dem Mann vom Innenministerium, der so unerwartet bei ihr aufgetaucht war.

    Jetzt blieb er vor einer Tür stehen, öffnete sie. Isabella schlüpfte an ihm vorbei und fand sich in einem Zimmer wieder, in dem es nach Krankheit und Tod roch. Mehr als zwanzig schmale Betten standen an den Wänden.

    „Hier entlang, Miss O’Rourke", sagte ihr Begleiter und führte sie zu einem Bett am anderen Ende des Raums, das halb hinter einem Vorhang verborgen war.

    Ihre Schritte wurden immer langsamer. Oh, diese Angst! Lord Wycliffe, ein Mitarbeiter des Ministeriums, hatte versucht, Isabella auf das vorzubereiten, was sie hier erwartete. Er hatte gesagt, dass sie Cora möglicherweise auf den ersten Blick gar nicht erkennen würde, dass sie stark sein müsse und tapfer. Sie warf ihm einen Hilfe suchenden Blick zu. Aber er schaute starr geradeaus.

    Wenn sie doch nur auf die Rückkehr ihrer Mutter hätte warten können! Mrs. O’Rourke war mit Lilly, der jüngsten ihrer Töchter, in den Park gegangen, um nach Cora zu suchen. Aber Wycliffe hatte behauptet, man dürfe keine Zeit verlieren. Also hatte Isabella ihre Schwester Eugenia gebeten, mit Lilly und Mama sobald wie möglich zum Hospital zu kommen. Dann war sie mit Seiner Lordschaft aufgebrochen, um Cora zu identifizieren.

    Unterwegs hatte er ihr berichtet, was ihrer jüngeren Schwester zugestoßen war. Sie war geschlagen und entehrt worden. Man hatte ihr Gesicht verunstaltet und sie schließlich wie einen Haufen Lumpen in einer schmutzigen Gasse liegen lassen. Dort war sie am frühen Morgen von einem der Londoner Nachtwächter gefunden worden.

    Isabella schluckte.

    „Brauchen Sie einen Moment, um sich zu sammeln, Miss O’Rourke?"

    Sie schüttelte den Kopf.

    Lord Wycliffe schob den Vorhang beiseite. Dann berührte er sanft ihre Schulter. „Ich werde auf Sie warten."

    Hinter dem Vorhang war es nicht sehr hell. Es gab auch nichts zu sehen, was an Cora erinnert hätte. Da war weder ihr Mantel noch ihr Kleid. Nur zögernd beugte Isabella sich vor. Erst jetzt bemerkte sie die von der Decke fast verborgene Gestalt, die das Gesicht abgewandt hatte. Alles, was man von ihr erkennen konnte, war bandagiert.

    „Cora?" All ihren Mut zusammennehmend, berührte Isabella die verbundene Hand.

    Mühsam und unter Schmerzen wandte ihre Schwester den Kopf.

    Isabella hatte geglaubt, sie sei auf alles vorbereitet. Doch nun schluchzte sie laut auf. Cora! Ja, sie war es. Ihr wunderschönes honigblondes Haar aber war wirr und blutverkrustet. Die blauen Augen hatten jeden Glanz verloren. Ihre Lippen waren geschwollen und an einer Stelle aufgeplatzt, ihre einst makellose Stirn war durch eine große dreieckige Wunde entstellt.

    „Bella …", brachte die Verletzte mühsam hervor.

    „Liebes!Vorsichtig drückte Isabella die Hand ihrer Schwester. „Hab keine Angst mehr. Ich bin bei dir. Alles wird gut. Ich nehme dich mit nach Hause.

    „Nein. Eine einzelne Träne lief über Coras Wange. „Nein, ich werde nie mehr nach Hause gehen.

    Isabella zwang sich, ganz ruhig zu bleiben. Sie durfte jetzt nicht weinen. „Aber, Cora, wir …"

    „Du brauchst nicht zu lügen." Die Träne hatte eine helle Spur auf der schmutzigen Wange hinterlassen.

    „Ich …" Isabella konnte nicht weitersprechen.

    „Sei tapfer! Coras Lippe fing wieder an zu bluten. Aber die junge Frau war noch nicht fertig. Sie sammelte ihre Kraft und fuhr leise fort: „Er hat mir nie die Wahrheit gesagt. Er war nicht der, für den er sich ausgegeben hat. Du musst ihn finden!

    „Wen?", stammelte Bella. Dann wurde ihr klar, dass Cora sich offenbar mit einem Mann getroffen hatte, mehrfach, heimlich … Ja, das erklärte ihre häufigen Spaziergänge im Park.

    „Räche mich!", forderte ihre Schwester mit schwacher Stimme.

    „Aber, begann Isabella, „wenn er dich in allem belogen hat, wenn du nicht einmal seinen Namen weißt, wie soll ich ihn dann finden?

    „Er gehört zur guten Gesellschaft, ist charmant, dunkelhaarig mit dunklen Augen, größer als Papa …"

    „Das reicht nicht. Du musst gesund werden, um mir mehr über ihn berichten zu können. Bitte, Cora, du musst durchhalten, du …"

    Ein tiefer Seufzer entrang sich der Brust der Verletzten. „Wenn er mich geküsst hat … Sein Mund schmeckte bitter. Und nach dem Küssen fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen, so als ob …" Ihre Stimme erstarb.

    „Liebes, bitte!"

    Cora richtete den Blick fest auf Isabellas Gesicht. „Versprich mir, mich zu rächen!"

    „Ich verspreche es. Doch nun ruh dich aus. Mama wird bald hier sein. Dann werden wir …" Sie spürte, wie die Hand ihrer Schwester schlaff wurde. O Gott, Coras Blick brach! Sie war tot.

    Vor dem Bett sank Isabella auf die Knie. „Nein, nein, nein", wimmerte sie.

    Plötzlich spürte sie Wycliffes Hände auf ihren Schultern. „Kommen Sie, Miss O’Rourke, sagte er mit unerwartet sanfter Stimme, „wir werden im Büro der Oberschwester auf Ihre Mutter warten.

    Sie wandten sich der Tür zu, als diese aufgerissen wurde und drei Frauen hereinstürzten. „Bella!, rief eine von ihnen, die älteste. „Bella, bitte, sag, dass es nicht unsere Cora ist! Alles war ein Irrtum, nicht wahr?

    „Oh, Mama …"

    Isabella stellte sich ihren Schwestern und ihrer Mutter in den Weg. Es war besser, wenn die drei nicht sahen, was man Cora angetan hatte. Aber Mrs. O’Rourke stieß sie so heftig zur Seite, dass sie gegen Lord Wycliffe prallte, der sie stützen musste, damit sie nicht stürzte.

    Gleich darauf war lautes Wehgeschrei zu hören. „Mein Liebling! Meine Kleine!" Schluchzend warf Mrs. O’Rourke sich über Coras leblosen Körper.

    Plötzlich richtete sie sich auf und schaute sich nach ihrer ältesten Tochter um. „Bella, wie konnte das geschehen? Wie konntest du das nur zulassen?"

    „Mama, ich …"

    „Es war deine Pflicht, auf sie aufzupassen! Ein neuer Schluchzer, und Mrs. O’Rourke warf sich wieder über ihr totes Kind. Undeutlich waren die Worte zu vernehmen: „Du warst für sie verantwortlich! Es hätte dich treffen sollen …

    Die Worte wollten Isabella schier das Herz zerreißen. Einen Moment lang war sie nicht einmal in der Lage zu atmen. Dann begann sie lautlos zu weinen. Die Tränen rannen ihr die Wangen hinunter. Aber niemand kam, um sie zu trösten. Eugenia und Lilly klammerten sich aneinander. Und ihre Mutter hielt noch immer die tote Cora in den Armen.

    Nie zuvor hatte Isabella sich so allein gefühlt.

    Plötzlich spürte sie, wie ihr jemand den Arm um die Taille legte. Es war Lord Wycliffe. Er, ein ihr völlig Fremder, bemühte sich, ihr den Schmerz erträglicher zu machen. Er flüsterte ihr ein paar tröstende Worte zu. Langsam versiegten ihre Tränen.

    Das Gefühl der Einsamkeit aber blieb, ebenso wie die Last der Verantwortung und die verzweifelte Trauer um die tote Schwester.

    Ruhe in Frieden, Cora. Ich werde dich rächen.

    1. KAPITEL

    London, 2. Juli 1821

    „Warum langweilen wir uns eigentlich auf diesem Maskenball, obwohl wir uns bei einem Hexensabbat amüsieren könnten? Es ist Sommer, Hunter! Die Nächte sind kurz, aber voll wilder Vergnügungen. Da wird es doch etwas Besseres für uns zu tun geben, als die Argyle Rooms zu besuchen!"

    Etwas Besseres? Was? Andrew Hunter gähnte und ließ den Blick über die Menschen gleiten, die den Ballsaal füllten. Fast alle waren verkleidet, wie es sich für einen Maskenball gehörte. Nur er und seine Freunde hatten es nicht für nötig gehalten, sich zu kostümieren. Sie trugen nicht einmal einen Domino oder eine Maske, was eigentlich ungehörig war und keineswegs den Regeln entsprach. Andererseits wusste er wahrhaftig nicht, wozu er sich die Mühe hätte machen sollen, ein Kostüm auszusuchen. Für ihn hatte das Leben seinen Reiz verloren, war uninteressant geworden, hier ebenso wie an allen anderen Orten in und außerhalb Londons.

    Nun, es hatte wohl so kommen müssen. Während der letzten Monate und Jahre hatte Hunter eine Menge Dinge ausprobiert, ohne sich wirklich für etwas begeistern zu können. Jetzt blieb nicht mehr viel, das sich überhaupt auszuprobieren lohnte …

    Sein Freund Henley stieß ihn noch einmal an. „Haben Sie mich überhaupt gehört, alter Knabe? In den Katakomben des Whitcombe Friedhofs findet eine Schwarze Messe statt. Aber wenn Sie eine bessere Idee haben …"

    Andrew nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas, genoss das sanfte Brennen in seiner Kehle und schüttelte den Kopf. „Gehen Sie ohne mich nach Whitcombe. Ich denke, ich werde mich heute einmal früh nach Hause begeben."

    „Sie wollen früh zu Bett? Sind Sie etwa krank, Hunter?"

    Krank? Konnte man einen Anfall von unüberwindlicher Langeweile und von Lebensüberdruss als Krankheit bezeichnen? Wenn ja, dann war er sehr krank. Aber darüber wollte er nicht sprechen. Also sagte er nur: „Diese Schwarzen Messen sind doch bloß ein dummes Spiel, Henley. Keiner glaubt wirklich daran. Hexen? So ein Unsinn! Unterhaltung für ein paar Stunden, mehr nicht! Ganz gleich, ob es sich um Teufelsanbetung, Hahnenkämpfe oder Weiber handelt, es langweilt mich."

    Sein Freund musterte ihn einen Moment lang nachdenklich. „In letzter Zeit blasen Sie zu oft Trübsinn. Das macht mir Kummer. Es ist an der Zeit, dass wir etwas finden, was Ihr Interesse weckt und es dann eine Weile fesselt."

    Er lachte. „Sie werden doch hoffentlich nicht vorschlagen, ich solle mir eine Geliebte suchen!"

    „Nun, meiner Erfahrung nach kann nichts und niemand die Stimmung eines Mannes besser heben als ein hübsches williges Mädchen."

    Er dachte tatsächlich einen Moment lang darüber nach. Dann wurde ihm klar, dass selbst die Vorstellung, sich mit einer bezaubernden jungen Frau einzulassen, ihn nicht wirklich reizen konnte. Wie viele Frauen hatte er in den letzten Jahren besessen? Mit wie vielen hatte er geflirtet? Wie viele hatte er geküsst? Wie viele verführt? Wahrhaftig, er war selbst dieser Beschäftigung überdrüssig geworden!

    Als sein älterer Bruder, der Earl of Lockwood, vor vier Monaten geheiratet hatte, war Andrew in ein kleines Stadthaus gezogen. Bis dahin hatte er mit seinen drei Brüdern unter einem Dach gewohnt. Doch nach der Eheschließung des Ältesten verspürte er keinerlei Lust, das junge Glück – so amüsant es ihm auch manchmal erschien – aus der Nähe mitzuerleben. Seinen jüngeren Brüdern James und Charles war es offensichtlich ähnlich ergangen. Sie hatten sich Wohnungen genommen, um dem frisch vermählten Paar ein ungestörtes Privatleben zu ermöglichen.

    Andrew musste einen Seufzer unterdrücken. Solange es nötig gewesen war, gewisse Unternehmungen vor seinem ältesten Bruder geheim zu halten, waren sie ihm bedeutend spannender und unterhaltsamer erschienen als nun, da niemand mehr seine Handlungen mit kritischem Blick beobachtete. Ja, sein Dasein war eindeutig langweiliger geworden.

    In dieser Nacht allerdings verspürte er ein seltsames Prickeln. Fast war es, als wolle ihm ein sechster Sinn sagen, dass das Leben doch noch etwas Besonderes zu bieten hatte. Irgendetwas Ungewöhnliches stand bevor. Etwas, das ihn aus seiner Lethargie reißen würde. Allerdings würde er es nicht dort finden, wo er normalerweise nach Unterhaltung suchte.

    Mit einem kaum merklichen Lächeln wandte er sich an Henley. „Keine Frau heute, erklärte er. „Wie ich schon sagte: Mir steht der Sinn nicht danach, etwas zu unternehmen. Vielleicht besuche ich noch kurz meinen Club. Mehr nicht …

    Henley verzog unwillkürlich das Gesicht. Er konnte einfach nicht glauben, was er da hörte. „Was ist los mit Ihnen, Hunter? Woher kommt diese Erschöpfung? Es ist noch nicht lange her, da sind Sie – genau wie wir anderen – nächtelang wach geblieben, ohne die geringsten Anzeichen von Ermattung zu zeigen! Was ist los? Sie machen mir Sorgen. He, schauen Sie sich um: Wir sind umgeben von Menschen, interessanten Männern und reizenden Frauen, die sich ein bisschen amüsieren wollen!"

    Erneut ließ Andrew den Blick über die Anwesenden gleiten. Es stimmte, die meisten von ihnen schienen Spaß an dem Kostümball zu finden und bester Laune zu sein. Wer seine Identität hinter einer Maske verbergen konnte, fühlte sich gleich freier und scheute sich nicht, sich ein wenig unzüchtig zu benehmen. Oder reichten schon die langen warmen Sommerabende, um die Moral zu lockern? Der Mangel an Zurückhaltung war jedenfalls deutlich spürbar, hier und auch anderswo. Abenteuerlustige Männer und Frauen drängten sich auf Bällen und Soireen, auf Jahrmärkten und in Vergnügungsparks.

    „Wir kennen das alles doch längst, Henley, stellte Andrew mit einem Schulterzucken fest. „Nichts an all diesen Vergnügungen ist neu. Himmel, wie sehr er sich nach etwas Anderem, etwas Neuem sehnte! Er brauchte etwas, das ihn aus seiner dumpfen Langeweile riss!

    „Unsinn! Es gibt immer wieder etwas Ungewöhnliches und Interessantes. Beispielsweise ist Lady Lace kürzlich zum ersten Mal auf der Bildfläche erschienen."

    „Lady wer?"

    Henley wandte den Kopf und schaute zu einer Gruppe hin, die sich in einer Ecke des Saals versammelt hatte, aus der immer wieder lautes Gelächter zu hören war. Gentlemen und Damen schienen sich bestens zu unterhalten. Eine der Frauen fiel besonders auf, weil sie ganz in Schwarz gekleidet war. Sie trug ein tiefschwarzes Seidenkleid und dazu eine genauso dunkle, mit schwarzer Spitze besetzte Maske. Die Dame war klein, zierlich, schlanker als die Frauen, die Andrew im Allgemeinen gefielen. Dennoch hatte sie etwas an sich, das auch ihn sogleich in den Bann zog.

    Jetzt bewegte sie die Hände in einer abwehrenden Geste, und zwei blonde junge Männer, die vor ihr gestanden hatten, traten einen Schritt zurück. Sogleich nahmen zwei andere deren Platz ein. Einer von ihnen war, wie Andrew bemerkte, sein Freund Conrad McPherson.

    Hunter kniff die Augen zusammen, um beim flackernden Kerzenlicht besser sehen zu können. Lady Lace war wirklich schlank, aber sie war nicht so dünn, wie er zuerst gedacht hatte. Tatsächlich waren ihre Formen durchaus weiblich. Aufregend weiblich. Das schwarze Kleid betonte die Rundung ihrer Brüste, und der tiefe Ausschnitt gab den Blick frei auf ihre weiße, wie Samt schimmernde Haut. Auch ihr Haar glänzte. Die braunen Locken waren mit Hilfe eines schwarzen Bändchens hochgebunden und hätten vielleicht langweilig gewirkt, wenn da nicht dieser rötliche Glanz gewesen wäre. Bei jeder Bewegung schienen einzelne Strähnen rötlich aufzublitzen.

    „Reizend …, murmelte er. „Was können Sie mir über die Dame erzählen, Henley?

    Sein Freund lächelte zufrieden. Es gefiel ihm, dass er Hunters Interesse hatte wecken können. „Als Erstes, begann er, „muss ich Ihnen sagen, dass Lady Lace meiner Meinung nach nicht ihr richtiger Name ist. Sie geht allen Fragen nach ihrer Herkunft geschickt aus dem Weg. Man vermutet, dass sie aus dem nördlichen England kommt, aus Yorkshire vielleicht. Es könnte aber auch ein gälischer Akzent sein, den sie gut zu verbergen versteht. Vielleicht stammt sie aus Irland oder Schottland? Jedenfalls ist sie erst kürzlich in London aufgetaucht. Seit einer Woche vielleicht besucht sie die Ballhäuser. Sie trägt stets Schwarz, woraus einige schließen, dass sie verwitwet ist. Andere behaupten, sie sei eine Kurtisane, die mit ihrer Aufmachung Aufsehen erregen will, weil sie auf der Suche nach einem neuen Liebhaber ist. Spekulationen …

    „Eine Kurtisane? Hm …" Andrew runzelte die Stirn.

    „Nun ja, sie gestattet ihren zahlreichen Verehrern gewisse Freiheiten. Das heißt, wie wir wissen, erlaubt sie – wo auch immer sie auftaucht – einem der anwesenden Gentlemen, sie zu küssen. Damit meine ich nicht, dass er ihr einen brüderlichen Kuss auf die Wange geben darf. Nein, ich spreche von einem richtigen Kuss, einem, den sie voller Leidenschaft erwidert. Wahrhaftig, er fuhr sich mit der Hand durch sein blondes Haar, „ich frage mich, warum ich noch nicht zu den Glücklichen gehören durfte.

    „Wer weiß, vielleicht gefallen Sie ihr einfach nicht. Ein paar Minuten lang beobachtete er Lady Lace aufmerksam. „Sie scheint eine kluge und geschäftstüchtige Frau zu sein. Eine Kurtisane von Format … Innerhalb weniger Tage ist es ihr gelungen, alle Welt auf sich aufmerksam zu machen. Man spricht von ihr, die Männer erwarten sehnsüchtig ihre Ankunft und sehen sich schon als Ziel ihrer leidenschaftlichen Hingabe. Zweifellos wird sie sich bald für einen wirklich wohlhabenden Gentleman als neuen Beschützer entscheiden. Und der Auserwählte wird vermutlich bereit sein, sich finanziell für sie zu ruinieren.

    „Vielleicht liegt ihr ja weniger am Geld als daran, einen besonders attraktiven Liebhaber zu finden. Da Sie seit einiger Zeit ohne Mätresse sind, könnten Sie einen Versuch wagen, mein Freund."

    „Sie ist nicht mein Typ. Zu dünn …"

    „Eben haben Sie sich noch beklagt, dass es nichts Neues gibt. Und jetzt sind Sie noch nicht einmal bereit, etwas Neues auszuprobieren. Wenn Sie bisher nie eine zierliche Geliebte hatten, wird es allmählich Zeit, sich eine anzuschaffen. Und stellen Sie sich nur vor, wie man Sie beneiden wird! Lady Lace ist seit ihrem ersten Auftreten zweifellos die begehrteste Frau von ganz London. Welche andere Dame könnte sich mit ihr messen?"

    Andrew lachte. Ihm lag nichts daran, beneidet zu werden. Allerdings musste er sich eingestehen, dass die Unbekannte ihn nicht ganz kalt ließ. Eine geheimnisvolle Aura schien sie zu umgeben. Und Geheimnisse hatten ihn von jeher angezogen. Selbst wenn es nur darum ging, herauszufinden, was sich wirklich unter diesem schwarzen Kleid und hinter dieser dunklen Maske verbarg …

    Eine Frau, die ihre Identität nicht preisgeben wollte … Eine, die sich nicht scheute, einen Gentleman, mit dem sie keine tiefen Gefühle verbanden, leidenschaftlich zu küssen … Eine, die, wenn man ein wenig flirtete, nicht gleich einen Heiratsantrag erwartete …Wenn sie allen Vermutungen zum Trotz doch keine Kurtisane war, dann musste sie eine mutige, unkonventionelle und wahrhaftig interessante Dame sein. Vielleicht würde es sich tatsächlich lohnen, ihre Bekanntschaft zu machen.

    „Wie ich schon sagte, Henley: Wenn Sie zum Friedhof von Whitcombe gehen wollen, dann warten Sie nicht auf mich. Allerdings könnte es sein, dass ich doch noch nachkomme. In meinen Club kann ich auch morgen gehen." Damit wandte Hunter seine Aufmerksamkeit wieder der geheimnisvollen Schönen zu.

    Isabella O’Rourke musste gegen die Übelkeit ankämpfen, die in ihr aufstieg, als der Schwarzhaarige sie küsste. Dabei war er keineswegs ungeübt oder linkisch. Er litt auch nicht unter Mundgeruch. Das Problem trat stets auf, wenn sie einem Fremden diese Intimität gestattete. Immerhin wusste sie nun, woran sie mit McPherson war: Er hatte Cora nicht getötet.

    Sie setzte eine verwirrte Miene auf und schob ihn von sich. „Ach, Mr. McPherson, Sie rauben mir den Atem! Ich bekomme ja fast Angst vor Ihnen!"

    Er lachte und deutete eine Verbeugung an.„Fürchten Sie sich nicht! Ich verbürge mich für Ihre Sicherheit."

    Sie lächelte und berührte mit dem zusammengelegten Fächer leicht seine Wange. „Das beruhigt mich. Doch nun möchte ich Sie bitten, mich eine Weile allein zu lassen."

    Er zögerte einen Moment, wandte sich dann aber gehorsam ab und verließ den Alkoven.

    Bella atmete ein paar Mal tief durch und straffte die Schultern. Ein verspäteter Schauer überlief sie. Himmel, wie sie sich davor ekelte, Fremde zu küssen! Aber es musste sein …

    Ihr Blick fiel auf ein Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit, das vergessen auf dem Tisch stand. Whisky? Cognac? Es war gleichgültig. Hauptsache, der Alkohol vermittelte ihr das Gefühl, sie von McPhersons Berührung zu reinigen. Sie griff nach dem Glas und leerte es in einem Zug. Das Getränk brannte ihr in der Kehle. Sie schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen die Wand. Seit sie sich auf ihren Rachefeldzug begeben hatte, kam sie sich manchmal kaum noch menschlich vor. Es war schrecklich. Aber es war auch unumgänglich. Schließlich hatte sie Cora ein Versprechen gegeben.

    „Wie ich sehen konnte, hat es Sie heftig geschüttelt, sagte eine Stimme neben ihr. „Zweifellos der Abscheu … Aber galt er ihrem Partner oder Ihnen selbst?

    Sie wandte sich um und betrachtete den Gentleman, der ungebeten in den Alkoven getreten war.

    Er beobachtete sie aufmerksam. Dabei hatte er sich entspannt an die gegenüberliegende Wand gelehnt, und ein zynisches Lächeln spielte um seinen sinnlichen Mund. Seine Augen waren sehr dunkel, und sein Blick, der eine ungewöhnliche Intensität ausstrahlte, schien sie ganz und gar durchdringen zu wollen.

    Plötzlich befürchtete sie, dass er schon mehr über sie wusste, als ihr lieb war. Wahrhaftig, sie musste ihn loswerden. Aber wie? Er sah nicht so aus, als ließe er sich einfach fortschicken.

    „Finden Sie, dass ein Kuss Abscheu hervorrufen sollte?", fragte sie.

    „Keineswegs. Es war Ihre Reaktion, die den Gedanken an Ekel in mir wachrief. Er verbeugte sich, schien sich dabei jedoch über die geltenden Anstandsregeln lustig zu machen. „Ich bin Andrew Hunter. Ihr ergebener Diener, Madam.

    Sie tat, als wolle sie in einen tiefen Hofknicks versinken, richtete sich dann aber rasch wieder auf und schaute ihr Gegenüber scheinbar gelassen an. Ihren Namen nannte sie nicht. „Ich habe durchaus nichts dagegen, geküsst zu werden, Mr. Hunter, erklärte sie. „Im Gegenteil, ich mag es! Ob er wohl ahnte, dass sie ihren ersten Kuss vor kaum einer Woche bekommen hatte? Und dass sie noch nicht einen einzigen erhalten hatte, der sie nicht mit Ekel erfüllte? Nun, immerhin war sie eine ganz passable Lügnerin. Unwahrheiten kamen ihr inzwischen erstaunlich leicht über die Lippen.

    Er lächelte. „Sie widmen sich also einem ganz besonderen Spiel, Lady Lace? Sie sammeln Küsse?"

    Es wunderte sie nicht, dass er das Pseudonym kannte, unter dem sie sich ins Londoner Nachtleben gestürzt hatte. Vermutlich war sie auf dem besten Wege, in gewissen Kreisen eine Berühmtheit zu werden. Dennoch gefiel ihr die Vertrautheit nicht, mit der dieser Mr. Hunter sie behandelte. Sollte sie ihn zurechtweisen? Sie runzelte die Stirn.

    „Vermutlich habe ich mich noch nicht an das Leben in der Stadt gewöhnt, sagte sie dann. „Es verwirrt mich noch immer, wie wenig man hier von Diskretion hält und wie unbekümmert man hier intime Fragen stellt.

    Seine Augen nahmen einen nachdenklichen Ausdruck an. „Sie sind also noch nicht lange in London? Trotzdem dürfte es Sie nicht wundern, dass Ihr Name hier und da genannt wird. Natürlich ist er auch mir zu Ohren gekommen."

    „Aber soweit ich weiß, sind wir einander bisher gar nicht begegnet!"

    „Nun, jetzt habe ich mich Ihnen sogar vorgestellt. Er beugte sich nach vorn und nahm ihr die Maske ab. „Sie gestatten doch?

    Isabella wollte protestieren. Aber ein Blick auf Hunters Gesicht bewies ihr, wie sinnlos das gewesen wäre. Dieser Gentleman gehörte nicht zu den Männern, die, ehe sie etwas taten, auf die Erlaubnis dazu warteten. Er war gefährlich. Außerdem war er groß mit dunklen Haaren und braunen Augen. Er hätte Coras Verehrer sein können. War er der Mörder, den sie so verzweifelt suchte?

    In diesem Moment wurde ihr klar, was sie tun musste. Sie trat dicht an ihn heran und schlang die Arme um seinen Nacken. Um seinen Mund zu erreichen, musste sie sich auf die Zehenspitzen stellen. Sie küsste ihn.

    Als sie ihre Lippen auf die seinen presste, spürte sie, wie er sich – wahrscheinlich vor Überraschung – einen winzigen Moment lang versteifte. Doch schon beugte er sich zu ihr herab, legte ihr die Hände um die Taille und drehte sich mit ihr, bis sie mit dem Rücken zur Wand stand. Dann erwiderte er ihren Kuss.

    Selbst wenn sie sich die größte Mühe gegeben hätte, hätte sie ihm nicht entkommen können. Tatsächlich aber machte sie nicht einmal den Versuch. Sein Kuss war so leidenschaftlich! Bella spürte, wie ihre Knie weich wurden und sich in ihrem Kopf alles zu drehen begann. Sie klammerte sich an den Fremden, unfähig, ihm auch nur den geringsten Widerstand entgegenzusetzen.

    Sein Mund schmeckte fremd und doch vertraut. Hunter knabberte leicht an ihrer Unterlippe, fuhr dann mit der Zunge über die empfindsame Stelle.

    Ein Schauer überlief sie. Doch diesmal war es kein Ekel. Isabella war sich ihres Körpers und seiner seltsamen Reaktionen sehr bewusst. Deutlich fühlte sie, wie ihre Brüste Hunters Oberkörper berührten. So etwas hatte sie noch nie erlebt! Ein seltsamer, irgendwie angenehmer Schmerz schien sich in ihren Brüsten zu konzentrieren. Es war wundervoll und gleichzeitig beängstigend. Himmel, sie musste dem ein Ende bereiten!

    Aber sie war nicht in der Lage dazu. Sie hatte die Kontrolle über ihren eigenen Körper verloren. Sie hatte die Kontrolle über die Situation verloren! Vergeblich bemühte sie sich, vernünftig zu sein. Es war unmöglich …

    Irgendwie war es Hunter gelungen, ihre Lippen zu öffnen. Seine Zunge hatte den Weg in Bellas Mund gefunden und spielte jetzt mit ihrer. Der Kuss wurde drängender, fordernder.

    O Gott, was sollte sie nur tun?

    Sie

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