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Der Fluch des Pharao
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eBook350 Seiten4 Stunden

Der Fluch des Pharao

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Über dieses E-Book

Alle drei Jahre fährt der Ägyptologe Dr. Philipp Bechtold zu Forschungszwecken als Privatgelehrter nach Ägypten. Immer mit dabei seine Frau und sein Berliner Faktotum Emil. Doch der diesjährige Aufenthalt scheint spannend zu werden. Ein deutschamerikanischer Millionär hält sich zur gleichen Zeit wie die Bechtolds im Tal der Könige auf. Er möchte als Erster das immer noch nicht entdeckte Grab des Pharao Scheschonk finden und öffnen. Die Expedition hat sich in Europa schon herumgesprochen. Selbst der Journalist Arthur Nothombs ist dem schwerreichen Ehepaar Sanders hinterhergereist. Und noch jemand hat seine Reiseroute geändert. Die bekannte Theosophin Jane Adams warnt eindringlich, die Totenruhe des Pharao zu stören. Doch Dr. Sanders lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Stattdessen laden er und seine Frau zur Unterhaltung der europäischen Gesellschaft zu einem Kostümball ein. Als Nofretete bestimmt er die junge Reisebegleitung von Mrs. Adams, Sabine Ritter, während seine Frau fern jeder Eifersucht sich prächtig als Nilpferd amüsiert. Plötzlich erscheint ein verhutzeltes Männchen auf dem Fest und behauptet, die Mumie von Scheschonk zu sein. Seine Todesdrohungen ängstigen Sanders nicht. Aber es wird nicht die einzige Warnung bleiben. Und dann gibt es die ersten, mysteriösen Todesfälle.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum23. Sept. 2019
ISBN9788711507384
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    Buchvorschau

    Der Fluch des Pharao - Rudolf Stratz

    www.egmont.com

    1

    Vorbericht des Privatgelehrten Dr. Philipp Bechtold

    Ich habe diesen letzten Winter wieder einmal, mit meinen Forschungen beschäftigt, in Ägypten verbracht. Ich tue es alle drei Jahre. Ich kann es tun. Ich bin Privatgelehrter. Ich bin Herr meiner Zeit und meiner Tätigkeit, an keinen Lehrstuhl in Deutschland und an keinen Lehrauftrag gebunden. Ich hätte mich seinerzeit, vor einem Vierteljahrhundert — jetzt zähle ich schon an die Fünfzig —, gern an einer Universität habilitiert. Aber ich fühlte selbst zu gut: ich besitze nicht die Gabe und die Geduld, vom Katheder zu dozieren. Ich bin für die Erforschung des Wissens, nicht für die Weitergabe des Wissens veranlagt und geniesse in ersterer Hinsicht Gott sei Dank einen guten Ruf in der internationalen Gelehrtenwelt.

    So habe ich mit meiner getreuen Gehilfin und Begleiterin auf so mancher Reise in das Pharaonenland, meiner lieben Frau Wilburg, und mit meinem langjährigen Faktotum Emil Krause aus Berlin für diesmal mein Hauptquartier in Luxor aufgeschlagen und mich ungesäumt an die Arbeit gemacht.

    Freilich: meine privaten Mittel sind bescheiden. Ich kann keine grossen Sprünge machen wie der Lord Carnavon. Ich kann nicht im Tal der Könige das Unterste zuoberst kehren, so gerne ich es auch täte. Ich kann nur einen winzigen Bruchteil des unermesslichen Totenfeldes beackern, das das Pharaonenland heisst, und habe mich für meinen nunmehrigen Aufenthalt auf die Aufhellung einiger dunkler Stellen aus dem siebzehnten Kapitel des altägyptischen Totenbuchs beschränkt und daneben an meinem grossen Lebenswerk: „Der Sinn des Seins", weitergearbeitet.

    So wäre also über meine eigene Tätigkeit am Nil für Nichtfachgelehrte nichts Bemerkenswertes zu berichten. Aber ich war Augenzeuge der die ganze Kulturwelt bewegenden Tragödie, die sich in diesem Winter im Totental von Theben abspielte. Ich war Vertrauensmann der Beteiligten. Ich fühle die Pflicht in mir, als der einzige, der in die ganzen Ereignisse eingeweiht war, Licht auf das unheimliche Dunkel zu werfen, das über der Sprengung des Grabs des Pharao Scheschonk und dessen wirklichem, wie die einen glauben, oder vermeintlichem, wie die andern wollen, Fluch wider die Störer seiner Ruhe lastet.

    Ich selber habe in diesem Streit keine Partei ergriffen, um die Darstellung der Ereignisse durch die Beteiligten nicht zu beeinflussen. Ich habe mich damit begnügt, meine eigenen Beobachtungen und die von mir erbetenen schriftlichen und mündlichen Beurkundungen vieler anderer zu einem einheitlichen Bericht zu gestalten. Ich habe — ich betone das nochmals — meine eigenen Zweifel als Mann der Wissenschaft zurückgestellt.

    Mögen also in den folgenden Blättern in bunter Folge die junge Deutsche, deren Schicksal für mich und meine Frau im Mittelpunkt des menschlichen Erlebens stand — möge der fahrende Krösus mit Frau und Tross — mögen britische Theosophinnen und schottische Gardeoffiziere, ägyptische Grosse, deutsche Fabrikanten und Schweizer Zimmermädchen, Hoteliers, Missionare und Fellachen, Altertumsfälscher, Dragomane, Schlangenbeschwörer, Geldwechsler — möge der dunkle Gast aus Indien selber uns offenbaren, was sie zu sagen haben oder was über sie zu sagen ist.

    2

    Bericht des Dr. Philipp Bechtold

    Ich habe für meinen Winteraufenthalt ein kleines eigenes Haus in der Schari el Muntazah mit netter Aussicht auf den palmenbepflanzten Platz gemietet. Wir, meine Frau und ich, führen da eigene Wirtschaft mit unserem Berliner Faktotum Emil Krause, einem Hausknecht aus Nubierland und einer alten koptischen Köchin. In den grossen Hotels raubt mir das Fremdentreiben jede Stimmung. Es geht einem auf die Nerven: — dies Getümmel von Schiffsladungen und Schnellzugspackungen von Reisekarawanen aus Old England und U.S., die Cook und Sohn täglich mit einem neuen Schub nilaufwärts und -abwärts verfrachtet — das Gehupe der Mietautos und das Geschrei der Reitesel, die Aufdringlichkeit der Dragomane, der indischen Silberschmiede, der persischen Teppichverkäufer, der eingeborenen Strassenhändler und bettelnden Greise und Kinder, und am Abend noch Smoking, Flirt und Foxtrott.

    Ich sass an diesem sonnigen Nachmittag am offenen Fenster an meinem Schreibtisch und grübelte über einer dunklen Stelle in dem altägyptischen Totenbuch. Kein Wunder, dass sie dunkel ist. Denn sie stammt aus dem vierten Jahrtausend vor Christi Geburt. Ich hörte hinter mir ein Geräusch, als sei die Tür aufgegangen. Ich drehte mich um: Ein mir unbekannter Gentleman war eingetreten. Ich hatte wohl bei dem langgezogenen Eselgejammer, dumpfen Kamelgebrüll und heiseren Hundegekläff draussen sein Klopfen überhört.

    Die kleine stämmige Gestalt des Fremden stak in einer weissen Leinenjacke und Knickerbockers. Er hatte den Tropenhelm von dem zeitlosen Napoleonkopf genommen. Immerhin schien er der Schätzung nach schon in den Fünfzig.

    „Morgen, Professor! sagte er leutselig in fliessendem Deutsch mit dem leicht näselnden amerikanischen Anklang. „Ich sah Sie an dem Fenster sitzen und trat ein.

    „Ja, das sehe ich."

    Mein Besucher nahm einen Stuhl und setzte sich. Er hatte das verbindliche Yankeelächeln um die dünnen, glattrasierten Lippen. Er nickte mir bedeutungsvoll zu.

    „Ich bin Nothomb!"

    Da er an meinem Gesicht merkte, dass mir das nicht viel sagte, wiederholte er:

    „Nothomb. Wo leben Sie, Professor, dass Sie nichts von mir gehört haben? Ich bin einer der prominentesten Zeitungsmänner der Welt. Ich versorge mehr als hundert Blätter in den Vereinigten Staaten, in Europa, Asien und Australien mit meinen Berichten!"

    „Und was verschafft mir . . . ."

    „Ich bekam in Bagdad vorgestern einen Funkspruch aus New York, dass hier in Theben ein gutes Ding für die Weltpresse sei. Ich flog hierher. Ich erkundigte mich nach der Landung auf dem Flugplatz nach dem nächsten Professor, der mit den Pharaonen Bescheid weiss . . . ."

    „Ich bin nicht Professor!"

    „Well, Professor! Mein Gast liess sich nicht stören. „Ich bekam Ihre Adresse. Ich kam hier vorbei. Sah Sie. Da bin ich. Er legte sich einen Notizblock auf die Knie, bereit zum Stenographieren. „Es handelt sich, scheint es, um eine grosse wissenschaftliche Entdeckung, die die Aufmerksamkeit des Erdballs erregt?"

    „Vorläufig nur um die Möglichkeit einer Entdeckung, sagte ich. „Die Auffindung des Grabes des Pharao Scheschonk des Ersten.

    ,,Scheschonk des Ersten, verzeichnete gewissenhaft Mr. Nothomb. „Ich bin siebenmal um die Erde gefahren. Aber niemals hörte ich diesen Namen.

    „Es ist der Sesostris, den Sie jedenfalls aus der Bibel kennen, erklärte ich, unwillkürlich vom Eifer des Fachmanns ergriffen. „Dass dieses Grab existiert, dass es existieren musste, das wussten wir längst. Denn im Berliner Alten Museum steht der kunstvoll geschnitzte Kasten, der in vier zusammenhängenden Erzkrügen die einbalsamierten Eingeweide dieses lybischen Pharao aus der Zeit um 1000 vor Christus barg. Aber wo die Königsmumie selber, mit all dem Prunk, der sicher ihren Sarg umgab, ihren Ruheplatz gefunden hat, das war völlig unbekannt.

    „Unbekannt . . ." stellte Dr. Nothomb stirnrunzelnd mit seinem Stift fest.

    „Es gab Kundige, fuhr ich fort, „die die These aufstellten, die Lybier hätten den Totenschrein des Pharao weit hinaus gen Westen in die Wüste, nach dem berühmten Ammonstempel der Oase Siwa, verschleppt. Andere vermuteten die Reste des einstigen Bezwingers Jerusalems im Nildelta, in den Trümmern von Bubastis, seiner eigentlichen Residenz. Da durcheilt jetzt eben die wissenschaftlichen Kreise eine verblüffende Kunde: In dem Institut d’Égypte in Kairo hatte man einen anscheinend unwichtigen Papyrus aufgewickelt, der auf der Brust der Mumie des königlichen Wedelträgers Kenamun in Theben gefunden worden war. Eine Stelle des kaum mehr leserlichen Streifens zeigte den eiförmigen Königsring — die Umrahmung der Herrschernamen der Pharaonen — und in der Kartusche die Hieroglyphenzeichen des Pharao Scheschonk. Aus dem begleitenden Text geht klar hervor, dass auch dieser Herrscher Ägyptens im Tal der Könige beigesetzt worden ist!

    „Ah — sehr interessant", murmelte der Napoleon in Knickerbockers.

    „Es gibt also auch heute noch dort ein unentdecktes Königsgrab, schloss ich, „reicher vielleicht, prunkvoller noch als das des Tutanchamen, dessen Aufdeckung vor zehn Jahren ein Ereignis von Weltbedeutung war. Denn dieser Scheschonk war nicht ein jugendlicher, von den Priestern gegängelter Schwächling wie der jung verstorbene Tutanchamen. Dieser Scherchonk hatte ein Menschenalter hindurch mit starker Faust regiert. Er hatte den Tempel Salomos in Juda zerstört und seine Siegestaten durch mächtige, heute noch sichtbare Wandbilder in den Säulenhallen von Karnak verewigt, auf denen er als brauner Riese mit einer gewaltigen Keule ganze Bündel gefangener Hebräer an den Schöpfen packt und erschlägt, und die Namen von genau hundert eroberten Städten aufgezählt. Sein Grab wäre eine wissenschaftliche Fundgrube von unermesslicher, über die ganze Erde hallender Bedeutung. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen!

    „Danke! Der Napoleon der Presse vertauschte seinen Notizblock mit einem Scheckbuch. „Wieviel Dollar darf ich Ihnen für Ihre Auskunft gutschreiben?

    „Das kostet nichts und hilft auch nichts! sagte ich. „Denn das Grab ist noch nicht entdeckt, und Ihr Landsmann Sanders . . . .

    „Oh nein! Herr Sanders ist Deutscher!"

    „Nun — dann hat er eben diese steinreiche Lady, Ihre Landsmännin, geheiratet. Also Herr Sanders, der dieser Tage mit seinem Reisetross eines regierenden Fürsten hier angekommen ist . . ."

    „. . . und viele Hunderte von Neugierigen hinter ihm her! Man findet kaum mehr einen Platz in den Hotels!"

    „Herr Sanders kann es sich noch so fest vornehmen, koste es, was es wolle, das Grab des Scheschonk zu entdecken — es wird ihm mit all seinen Reichtümern oder denen seiner Gattin nicht gelingen, dies verschleierte Bild von Sais zu enthüllen. Sein Vorhaben ist nichts als die Donquichotterie eines viel zu reichen und, wie es scheint, gelangweilten Mannes, der eine neue Sensation sucht. Er ist ja volkommen Laie!"

    „Ich auch! sprach Mr. Nothomb offenherzig, „und soll doch vier Erdteile darüber aufklären, was hier in dem fünften vorgeht. Nun — derlei ist mir schon öfters passiert. Ich habe mir ein Telegramm kabeln lassen und daraus heute morgen in Kairo, ehe ich nach dem Frühstück weiterflog, einen vorläufigen Bericht zusammengestellt.

    Er kramte ein paar Blätter hervor.

    „Sehen Sie doch das einmal durch, Professor! bat er, „und beachten Sie dabei, dass es für Leser über dem Grossen Wasser geschrieben ist, die starke Kost lieben! Vor dem Dinner hole ich mir das Ding bei Ihnen wieder!

    „Ich danke Ihnen! Er wartete meine Einwilligung nicht erst ab, sondern schüttelte mir kräftig die Hand. „Leben Sie wohl! Es wäre schön, wenn Herr Sanders diesem Pharao ins Antlitz leuchten könnte!

    3

    Weiterer Bericht des Dr. Philipp Bechtold

    Es war ein Winternachmittag, wie jeder Wintertag in Ägypten ist: Strahlend blauer Himmel, heisse Sonne, kühler Wind. Mr. Nothomb war gegangen. Vor mir lagen seine Quartblätter, in englischer Sprache mit der Schreibmaschine beschrieben. Ich musste mich wohl oder übel mit ihnen beschäftigen. Aber vorher trat ich, etwas unmutig über die Behelligung, meiner Gewohnheit nach mit blossem Kopf für ein paar Minuten in die grelle Helle unter den Palmen des Platzes hinaus, um etwas die kühle Nilbrise zu geniessen, die in den Mittagsstunden durch das breite Tal flussaufwärts weht.

    Eine junge Dame kam da mit dem raschen und flüchtigen Gang der europäischen Touristin vom Nilufer her. Sie war ein grosses, schlankes, lebhaftes Mädchen von etwa vierundzwanzig Jahren mit intelligenten braunen Augen in dem hübschen, heiteren und freimütigen Gesicht, das kein Schleier unter dem weissen Tropenhelm schützte. Es hätte auch nicht mehr viel geholfen. Denn ihre freundlichen Züge waren schon so braun gebrannt, als käme sie eben vom Äquator statt vom Nil. Es stand ihr übrigens ganz gut. Es passte zu ihrem unbekümmerten, offenbar entschlossen zupackenden Wesen.

    Sie sah mich — es war sonst niemand in der Nähe —, blieb stehen, lächelte liebenswürdig und frug mit einer frischen und hellen Stimme auf englisch:

    „Bitte, Sir, wie komme ich denn am schnellsten hier aus dem Städtchen ’raus?"

    Ich erkannte ihre deutsche Aussprache des Englischen und erkundigte mich auf deutsch:

    „Ja — wohin wollen Sie denn?"

    „Ach — Sie sind Deutscher! Das ist ja famos!" Sie kam zutraulich näher. Sie hatte, dabei im Wesen völlig Dame, eine grosse Sicherheit des Auftretens. Sie war offenbar schon weit in der Welt herumgekommen. Sie schaute mir vergnüglich ins Gesicht. Sie schien mir immer reizender, wie sie da, die Hände in den Jackentaschen ihres knappen, grauen Reisekleids, im Sonnengeflimmer durch die Palmenzweige fest in ihren derben, hellbraunen Schnürschuhen stand und dabei lachend die weissen Zähne zeigte.

    „Wohin? Gott — vorläufig nur ein bisschen bummeln!"

    „Allein?"

    „Na — mich stiehlt doch keiner! sagte die junge Dame mit grosser Gemütsruhe. „Sonst wäre ich da im Südzipfel von Indien längst abhanden gekommen. Da komme ich nämlich her!

    „Auch allein?"

    ,,Ach nein! Doch mit Mrs. Jane Adams!"

    „Der berühmten alten Theosophin?"

    „Ja — der! Ich bin ihre Reisebegleiterin! Wir sind eben aus Alexandrien mit dem Schnellzug angekommen. Wir mussten doch plötzlich Hals über Kopf hierher! Sie trat unbefangen noch einen Schritt näher, eine Frage in den glänzenden braunen Augen. „Bitte — seien Sie nicht böse — aber vielleicht können Sie mir Auskunft geben und ich kann es Mrs. Adams gleich rapportieren: dieser Deutschamerikaner, der sich in den Kopf gesetzt hat, das Grab des Königs Sche . . . Sche . . . Herrgott — wie heisst der Pharao nun wieder?

    „Sie meinen Scheschonk den Ersten?"

    „Ja — des Königs Scheschonk zu entdecken — der wahnsinnig reiche Mensch — der ist doch hoffentlich noch da?"

    „Drüben bewohnt Herr Sanders mit Frau, Gefolge und Dienerschaft ein ganzes Stockwerk in dem Luxushotel!"

    „Na — Gott sei Dank! Mrs. Adams wird so froh sein! Als sie gestern abend in Alexandrien in der,Egyptian Gazette’ las, Herr Sanders wisse nun den Ort, wo das lang gesuchte Grab des Scheschonk sei, und werde es bald betreten, da war sie nicht zu halten. Sie müsse rechtzeitig zu seinem Begräbnis hierher — sagte sie!"

    „Zu seinem Begräbnis?"

    „Nun ja. Er muss doch sterben!"

    ,,Sterben?"

    „So sagt Mrs. Adams! Sie ist überzeugt, dass die ersten, die einen Pharao in seiner Ruhe stören — dass die das nun mal mit ihrem Leben bezahlen müssen!"

    „Und das glauben Sie? Sie machen doch sonst einen ganz vernünftigen Eindruck?"

    „Ich will nicht klüger sein als Mrs. Adams. Wir haben da im dunkelsten Südindien tolle Sachen genug gesehen. Wenn ich die zu Hause erzähle, glaubt es mir kein Mensch, und ich selber würde es nicht glauben, wenn ich es nicht persönlich gesehen und erlebt hätte!"

    „Das sind Autosuggestionen!"

    „Lassen Sie das bloss nicht Mrs. Adams hören! Sonst wird die alte Lady ungemütlich. Sie sagt: der Fluch des Pharao sei doch über jedem Königsgrab eingemeisselt und müsse sich erfüllen. Das wisse doch jeder vernünftige Mensch ausserhalb Europas. In Europa gäbe es überhaupt keine Vernunft. Wenn Mrs. Adams das sagt, wird es schon so sein. Ich vertrau’ ihr. Sie ist doch meine mütterliche Freundin!"

    „Ja. Das scheint ein hoffnungsloser Fall! sagte ich. „Die alte Dame ist Theosophin und als solche in allen Erdteilen bekannt. Da sind Sie ja beide hier in Ägypten, im Land der Rätsel, am rechten Ort!

    „Und Sie wohnen hier und haben da Ihr Haus? Das Fräulein schüttelte bedauernd den hübschen gebräunten, nur von der Wölbung des Tropenhelms beschatteten Kopf. „Und sind gewiss Direktor einer Baumwollspinnerei oder Rohzuckerfabrikant, weil Sie dabei so ungläubig lächeln! Sie wurde lebhafter. „Fabrikanten — die kenn’ ich nämlich! Die lächeln immer, wenn Plus und Minus nicht glatt aufgeht. Eine Rechnung, die stimmt — die ist nämlich falsch, sagt Mrs. Adams!"

    „Sehr richtig!"

    „Das sagen Sie auch?"

    „Ich bin auch nicht des Geldverdienens wegen am Nil! sprach ich freundlich. „Ich bin Privatgelehrter! Gelehrter, gnädiges Fräulein — nicht Geisterseher!

    Das junge Mädchen zuckte die Achseln.

    „Ach — ohne das wäre die Welt furchtbar langweilig! sagte sie. „Da lohnte es sich ja gar nicht erst, aus Europa wegzugehen. Es ist bei mir schon das zweite Mal. Ich war schon einmal in Peru, bei den Inkas. Das war fein. Da war ich Sekretärin und Photographin bei einer ganz kleinen deutschen wissenschaftlichen Expedition. Ich erzähle es Ihnen nur, weil Sie Gelehrter sind! Sie schirmte das kluge, junge Augenpaar mit der Hand und reichte sie mir dann mit einem kräftigen Druck. „Also da geht’s hinaus ins Freie? Danke schön! Ich bin ja so wahnsinnig gespannt auf Ägypten. Alexandrien — das war ja noch nichts Rechtes!"

    Sie wanderte davon. Sie hatte einen ein wenig wiegenden flotten Gang und trug dabei den Kopf im Nacken. Ich schaute ihr nach, wie sie durch die vor Hitze zitternde Luft gross und schlank dahinschritt. Meine Frau blickte aus dem Fenster und frug lachend: „Na — du alter Schwerenöter — wer war denn das hübsche, dunkeläugige Mädel, wegen der du dir beinahe den Sonnenstich geholt hast?"

    „Ja. Ich weiss nicht! Jedenfalls ein abenteuerliches Menschenkind! sagte ich. „Da könnte sie sich doch jetzt eine Droschke mit einem Sonnendach nehmen. Nein! Sie schlägt doch wahrhaftig in der prallen Mittagsglut zu Fuss den Weg nach dem Karnaktempel ein! Na — dort kann sie gerade heute was erleben! Heute ist da ja ein ganz besonderer Abend. Da werden alle Nilgeister lebendig!

    4

    Bericht Arthur Nothombs an die Weltpresse.

    Kein härteres Ding, als augenblicklich in Luxor ein Bett zu finden! Die Ladies übernachten in Badewannen und reihenweise auf dem Bodenteppich des Drawing-Rooms, die Gentlemen auf Matratzenlagern auf den flachen Dächern. Manche schlafen sitzend in Automobilen, andere auf mondscheinbeschienenen Bänken in den Hotelparks. Man erwarte höchstens einen Stehplatz in dem Luxusexpress von Kairo! Ich möchte den Apfel sehen, der auf dem Deck der Nildampfer noch zur Erde fallen kann, wenn sie sich Luxor nähern!

    Das alles Herrn Konrad Sanders zu Ehren, der den Pharao Scheschonk aus seinem vieltausendjährigen Schlaf aufrütteln will!

    Wer in den kleinen und auserwählten Kreisen, die mit ihrem Geld zu ihrem Teil die Welt kontrollieren, kennt Herrn Sanders nicht, diesen vorbildlichen Gentleman zweier Erdhälften? Vor wenigen Jahren leuchtete plötzlich sein Name wie ein Meteor am Gesellschaftshimmel Amerikas und Europas auf, und man weiss nicht, was man an diesem Löwen der Salons als erstes erwähnen soll: seine glänzende Erscheinung, seinen Ruf als Sportsmann, seine Liebenswürdigkeit, sein Glück in allen Dingen, die er anfasst.

    Herr Sanders ist kein Mann der grossen Menge. Aber er wird es jetzt, als der Grüftesprenger der Totenstadt von Theben, werden.

    Kirchenmänner mahnen: Lasset die Toten ruhen! Hausväter meinen: Mögen die Toten die Toten begraben! Geschäftsleute fragen: Lohnt es sich, in diese Katakomben einzudringen?

    Ja. Es lohnt sich. Denn dies sind keine einfachen Keller, voll von Särgen und moderndem Gebein. Dies sind unterirdische, tausendjährige Museen. Dies sind Schatzkammern aus Tausendundeiner Nacht. Dies sind märchenhafte Fundgruben für die Wissenschaft, in die Aladins Wunderlampe in der Hand des Herrn Konrad Sanders hineinleuchten will.

    Der tote Pharao brauchte diesen Prunk. Denn er starb nicht. Von seinem Tod ab begann er erst zu leben. Er und seine Untertanen am Nil.

    Dass dem so ist und warum dem so ist — darüber hat mich mein gelehrter hiesiger Freund, der deutsche Professor Philipp Bechtold, aufgeklärt. Er hatte die Güte, in den wenigen noch zur Verfügung stehenden Stunden diese ernstliche Frage an der Hand meiner vorläufigen Aufzeichnungen mit mir durchzusprechen, ohne sich freilich, wie er ausdrücklich bemerken möchte, mit meinen Schlussfolgerungen einverstanden zu erklären. Das ist begreiflich. Denn er ist strenger Fachmann, und wir sind Gott sei Dank leichtgläubige Kinder der Welt. Wo kämen wir hin, wenn wir al das beweisen müssten, was wir für wahr halten?

    Wir hören also in meinen nun folgenden Worten eines auf Motor, Morseapparat und Schalltrichter eingestellten Globetrotters der Druckerschwärze die Stimme der vorurteilslosen Wissenschaft, die sich die Geheimnisse Ägyptens zum Ziel gesetzt hat.

    Ich kenne Ägypten zu allen Jahreszeiten. Ägypten ist ein glühendes Sonnenland. Man kann Monate dort zubringen, ohne dass ein Wölkchen das flammende Blau des Himmels trübt. In einem satten Blaugrün gleissen zu beiden Seiten die fruchtbaren Niederungen. In violettem Dunst umrahmen kahle Steingerippe die riesige grüne Oasenschlange mit dem Nil als Rückgrat, die Ägypten heisst, oder brennend schwefelgelb wie sonst in dem Innern der Sahara schlägt gleich einem erstarrten Meer der Wellenschlag der Sanddünen. Alles ist ein Rausch von Farben und Feuer.

    Man sollte meinen, dass unter dieser ewig heiteren Himmelswölbung ein unbeschwertes Geschlecht sich seines Lebens freuen würde, sorglose Söhne der Sonne, eins mit blauem Himmel, Spiel der Nilwogen, fächelnder Brise, wie der Lazzarone in Neapel. Nein. So lange wir um die Ägypter wissen — und wir wissen von ihnen länger in die Urzeit hinauf als von irgendeinem Volk der Weltgeschichte —, haben sie sich auf dieser schönen Gotteswelt nie recht zu Hause gefühlt. Ihre Koffer waren immer gepackt zur Reise ins Jenseits.

    Sie waren ein Geschlecht gigantischer Ameisen, in ihrem praktischen Verstand, ihrer kribbelnden Geschäftigkeit, ihrer Freude an Mammutbauten die Amerikaner ihrer Zeit. Und zugleich so bigott, so weltabgewandt, so daseinsverneinend wie heute etwa noch der Dalai - Lama von Tibet und sein Land voll Mönche und Gebetsmühlen.

    Sie errichteten Bauwerke, gegen die unsere Zentralbahnhöfe, Talsperren, Schwimmdocks nur Babyklappern sind. Aber diese Quadergebirge der Pyramiden waren Grabmale über einem einzigen winzigen Königssarg, und in dem Karnaktempel bei Luxor, wahrscheinlich dem grössten Bauwerk, das Menschen je auf Erden geschaffen haben, grüsst überall, wie in einem ungeheuren Vorhof zu einem andern Leben, mit seinem Schakalskopf Anubis, der Tutengott, und raunen die Hieroglyphen: „Er öffnet dir die Strasse, wenn du dich zur Unterwelt begibst!"

    Die Unterwelt. Die eigentliche Welt.

    Denn nach der düsteren altägyptischen Glaubenslehre ist das Menschenleben nur ein flüssiges Flackerpünktchen zwischen zwei schwarzen Unendlichkeiten. Das Erdendasein ist nur ein kurzer Traum. Man erwacht aus ihm im Sterben. Der Tod ist die Wirklichkeit. Darum heissen in den Rätselstellen der Hieroglyphen die Verstorbenen „die Lebenden, die Häuser „Herbergen auf der Wanderschaft, die Gräber „Ewige Wohnungen, die Särge „Schreine des ewigen Lebens.

    Jenseits des breiten fruchtbaren Überschwemmungsgeländes des linken Flussufers lag damals und liegt heute noch in furchtbarer Einsamkeit einer wildzerklüfteten, baum- und strauchlosen, viele Hunderte von Fuss hohen Berg- und Steinwildnis die Totenstadt Theben. Nicht nur die Pharaonen fanden da ihr neues Heim. Sie hatten nur ihr eigenes „Tal der Könige" oder eigentlich zwei in den Felsschlünden sich gabelnde, schauerlich öde Wüstenschluchten. Ziemlich entfernt davon besitzen die Königinnen ihr eigenes Schattenreich. Überall im Umkreis gähnen aus gelbem Gestein die schwarzen Pforten zu den in den Felsen gehauenen Gräbern: Massengrüfte thebanischer Priesterfamilien, Friedhöfe der hohen ägyptischen Bürokratie, Grabkammern ehrbarer Bürger, von Bestattungsgesellschaften angelegte Massenkatakomben, mit Reihenstätten rechts und links des Bergtunnels für die weniger bemittelten Mumien. Dazwischen Kapellen, zerfallene Mauern, in den Tälern und in die Ebene hinausgebaute riesige Tempel — das war Theben. Das ist heute noch Theben. Denn seine Totenkammern haben viele Jahrtausende der Lebenden, der Völker Kommen und Gehen, die Schicksale der Weltteile, Kriege, Thronkämpfe, Entdeckungen — alle die Nichtigkeiten des Erdendaseins überdauert.

    Die Toten von Theben und ihre Könige.

    Konnte man die Königskatakomben, die unermessliche Schätze bargen, in weltverlorener Einsamkeit vor den Hyänen der Grüfte bewahren? Man vermochte es, solange der Staat stark genug war, sie mit seinen Polizeimitteln zu schützen. In der Blüte des Pharaonenreichs war die Totenstadt links des Nils auch von vielen Tausenden von Lebenden bewohnt — von Priestern, Wandmalern, Friedhofbeamten, Aufsehern, Einbalsamierern, Steinmetzen — allem, was zum Betrieb des ungeheuren Bergfriedhofs gehörte.

    Aber dann verödete im Verfall des Reiches das lebende Theben, die Hauptstadt am anderen Ufer des Nils, an deren Stelle heute nur noch, mit Ausnahme der Tempel, armselige Dörfer und Weiler stehen. Nur noch die Schatzale winselten nächtens drüben im Tal der Könige! Unbehütet standen die viereckigen, schmalen, vermauerten Pforten, von denen aus Treppenstufen und Gänge mit Seitenkammern und Zwischentoren tief in das Innere des Berges bis zur Mumiengruft führten. Wohl waren diese Tore mit Baststricken versiegelt. Aber was half das gegen Gottlose und Gierige in stundenweiter Wildnis?

    So sind diese sechzig und mehr Grüfte im Tal der Könige, in denen an die dreissig Pharaonen ihre ewige Ruhe zu finden wähnten, grösstenteils schon zur Zeit der alten Ägypter selbst erbrochen und ausgeraubt worden. In Theben bestand bereits um das Jahr 1000 vor Christus eine organisierte Gangstergesellschaft, deren sich Chicago nicht zu schämen brauchte, zur Ausplünderung der Königsgrüfte unter Führung des Oberpriesters, zweier Stadtmeister und dreier

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