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Die Glückseligen: Ein Roman aus den Schattenbreiten
Die Glückseligen: Ein Roman aus den Schattenbreiten
Die Glückseligen: Ein Roman aus den Schattenbreiten
eBook356 Seiten4 Stunden

Die Glückseligen: Ein Roman aus den Schattenbreiten

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Über dieses E-Book

Im Großen und Ganzen geht es um nichts. Jedenfalls um nichts Wesentliches. Das Schwagerwesen mit vielen seiner Unterarten spielt eine gewisse Rolle, darüber hinaus noch eine Reihe mehr oder weniger involvierter Adepten und Deppen, die Rassenfrage wird gestreift, auch die der Doppelnamen, ebenso der desolate Zustand des schwedischen Gesundheitswesens. Erwähnung finden u. a. Napoleon, Marx, Fontane in gebührender Form und der künftige König von Frankreich, jawohl, richtig gelesen, den gibt es, oder wird es jedenfalls geben, oder sollte, könnte, eventuell.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum11. März 2014
ISBN9783847678922
Die Glückseligen: Ein Roman aus den Schattenbreiten

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    Buchvorschau

    Die Glückseligen - Gerhard Schumacher

    Kapitel 1

    Für Lenas Schumacher

    Es macht den Eindruck, dass Nichtiges sich breitmacht, wenn große Gefahren uns umdrohen: in einer Zeit, wo allgemein Böses getan wird, ist es beinahe lobenswert, wenn man nur Unnützes von sich gibt.

    Michel de Montaigne (1533 – 1592); Die Essais

    Jeder, der kommt, kommt mit was.

    Wenzel Wiener

    Bier… Bier…

    Paul Landmann

    Ein Tag ohne Bier ist wie ein Tag ohne Wein

    Thomas Kapielski

    personae dramatiis

    Paul Landmann Altschwager

    Wenzel Wiener sein Nachfolger

    Manfred Cholera dessen Hund

    Leroy stummer Neger

    Axel Meister Ejakulationsexperte

    Monika Meister seine Frau

    Ismael osmanischer Multikulti

    Frau von Mirow Fontanekennerin

    Egbert Reißmüller Nachrichtenhändler

    Ludwig „Luggi" Hinterleitner bajuwarischer Verbalterrorist

    Tödel Hausmeister

    Herr André Schlühmke Kleinunternehmer

    Herr Jens Betzow sein Kompagnon

    Herr Peter Betzow dessen älterer Bruder

    Genosse Purtin ehemaliger Komsomolze

    Jenny Marx gut gebaut

    Marquis de Lamornais Dauphin von Frankreich

    Fred Schankknecht

    Hugo desgleichen

    Schorsch Greisendepp

    Knut Waldorf Gehörkoch

    Kladdetzke Erlebnisgastronom

    Susi Bürstmann-Pümpel Namenskönigin der Herzen

    Percy Pümpel ihr Ehemann

    Muschi/Kathrin knochige Hetäre

    Roland Meier Gossendichter

    Knut alter Schwede

    Björn junger Schwede

    Ilja Reifel Finanzjongleur

    Gabi Thümann Geburtstagskind

    Lilly ihre Katze

    Fräulein Greiner Knuddelchen

    Morbi Chronist (ich)

    ante nihil esse Vor dem Nichts

    Es ist guter Sitte Brauch, den Ausführungen, zumal den schriftlichen, Einführungen vorauszustellen, damit ein jeder alles versteht und nicht weiter ahnungslos umhertappt. So will ich es denn auch halten, obwohl ich diese Angewohnheit nicht unbedingt als eine sinnvolle begreife. Sie kann schnell ins Gegenteil umschlagen und dann steht er da, der Herr Verleger, bzw. sitzt, und zwar auf Tausenden Exemplaren der vorschnell gedruckten Erstauflage. Und der Autor verarmt, bzw. hungert, also verhungert. Aber ein Restrisiko ist stets gewärtig. Schließlich kann der Leser das Buch auch nach der Hälfte weglegen/schmeißen/in die Tonne treten, weil er meint, der erste Teil habe ihm nichts gebracht, der zweite Teil werde es erst recht nicht. Oh tempora, oh mores! Geduld kann ich dem Leser nur zurufen, hab´ er Geduld und Ausdauer, es wird schon. Ganz sicher.

    Wie immer, wenn große Ereignisse, trotz oder gerade wegen der vorausgeworfenen Schatten, schief gehen, will es keiner gewesen sein, hat niemand etwas geahnt, noch weiß jemand zu berichten, wie alles angefangen und sich entwickelt hat.

    Ein gewisser Herr Hock soll schon zum Beginn der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts in der damals noch real existierenden Restauration Alt-Heidelberg in Frankfurt am Main den entscheidenden Satz von sich gegeben haben: „Niemand weiß Bescheid". Jedenfalls ist es so in einem zeitgenössischen Dokument nachzulesen, und wenn man auch dem Verfasser dieser Schrift manch dreiste Schelmerei zutrauen kann, scheint er sich hier an die Wahrheit gehalten zu haben.

    Es wird nun kaum noch jemand in der Lage sein, nachzuprüfen, inwieweit auch der Urheber dieser Aussage unter dieselbe fällt und ob er sich der epochalen Bedeutung seines Satzes bewusst war. Egal, sicher ist, dass besagter Herr Hock mit seiner Äußerung das Lebensbild ganzer Generationen bis in unsere heutige Zeit hinein geprägt und mitbestimmt hat. Und so fallen die Ereignisse, von denen hier berichtet werden soll, obwohl sie gut ein Vierteljahrhundert später und noch nicht einmal in Frankfurt, sondern größtenteils im dörflichen Berlin sich abgespielt haben, unter die Hocksche Feststellung und sollten so verstanden werden, so weit es überhaupt etwas Verstehenswertes zu entdecken gibt.

    Worum geht´s? Eine Frage, die zwar dumm aber dennoch nicht zu beantworten ist, denn wäre sie es, würde sie die These des Herrn Hock elegant aushebeln. Sie ist es aber nicht, sonst hätte das vorliegende Werk weder geschrieben, noch in Satz und Druck gehen dürfen. Welch ein Glück, dass der Herr Hock recht hat.

    Vielleicht aber ist eine Annäherung möglich.

    Im Großen und Ganzen geht es um nichts. Jedenfalls um nichts Wesentliches. Das Schwagerwesen mit vielen seiner Unterarten spielt eine gewisse Rolle, darüber hinaus noch eine Reihe mehr oder weniger involvierter Adepten und Deppen, die Rassenfrage wird gestreift, auch die der Doppelnamen, ebenso der desolate Zustand des schwedischen Gesundheitswesens. Erwähnung finden u. a. Napoleon, Marx, Fontane in gebührender Form und der künftige König von Frankreich, jawohl, richtig gelesen, den gibt es, oder wird es jedenfalls geben, oder sollte, könnte, eventuell.

    Aufgrund der äußeren Umstände kam ich nicht umhin, das Folgende aufzuzeichnen. Es war die Zeit, so obrigkeitsseitig verfügt, der Um- und Aufbrüche. Oder auch die Zeit des Zusammenfügens von Teilen, die angeblich zueinander gehörten wie die Faust aufs Auge oder jedenfalls so ähnlich. Der Sprüche unterschiedlichen Unterhaltungswerts, von Qualität soll an dieser Stelle die Schrift nicht künden, waren gar viele. Unsere kleine Stadt, verpennter, als Thornton Wilder es sich je hätte erdenken können, unser großstädtisches Provinznest, als Pfahl im verwesenden Fleisch des abgestorbenen Staates mit den Karnevalskürzeln DäDäRä ganz besonders fies betroffen, ging an ihren fest gefügt geglaubten Rändern in die Brüche, da die zum Schutzwall geadelte Betonhürde erst bröckelte, dann unter tösigem Hammergepicke ins Schwanken kam und schließlich in sich zusammenfiel. So verlässlich waren der staatliche Sozialismus und seine Plattenbauten.

    Was wissen bajuwarische Waldläufer oder württembergische Viertelesschlotzer vom aasigen Minolgestank des großspurig Trabant benamten zweitaktigen Hilfsmobils? Sie, die weit weg waren vom Geschehen, vom wirklichen Leben sozusagen, hinterm Berg irgendwie herumhausten, genau wie vor hundert Jahren schon. Was wissen sie von den Leuten erst, die in der stinkigen Pappmascheemasse zusammengepfercht die Grenze zur Freizeit überfuhren und plötzlich in Horden auf den Straßen des Klassenfeinds herum flanierten, dass es für die Ureinwohner der dörflichen Althauptstadtenklave schnell zum Graus wurde? Was wissen die süddeutschen Naturvölker, weit ab jeden körperlichen Kontakts mit feindlichen Stämmen, sieht man von den österreichischen einmal ab, in ihren Gebüschen hockend, über längst vergessen geglaubte Verwandtenschwärme, die sonntags zu nachtschlafender Frühe auf Klingeltableaus drückten, an Türen hämmerten ohn´ Unterlass und, aus dem Nichts kommend, durch Ausdauer, Erfindungsgeist und Improvisationstalent Einlass erzwangen. Eben.

    Aber darum geht es eigentlich gar nicht.

    Bliebe noch die Frage zu klären, warum die Kapitelüberschriften neben der deutschen auch in der lateinischer Sprache abgefasst sind. Wie so oft gibt es auch hier eine einfache Erklärung. Nämlich die:

    Ursprünglich sollte das Werk komplett in Latein, ich schwör´s, es war nicht meine Idee, exklusiv im Vatikan erscheinen. Wegen der vielen sexuellen Geschlechterverkehranspielungen und sonstiger obszöner Stellen. (Gerade deshalb.) Mehrmals zum Beispiel kommen die Worte Schwanz, Muschi vor u. Ä. (an entscheidender Stelle sogar einmal der Ausdruck: Ejakulation), das war´s dann allerdings auch fast schon. Aber für die Schwarzröcke doch ganz schön saftig, oder? Stille Hoffnung regte sich auch, durch derart unflätige Ausdrucksweise auf den Index zu kommen, respektive verboten zu werden und in den Kellern des Vatikans fröhliche Urständ´ feiern zu dürfen. War aber nicht, im letzten Moment zog des Verlegers natürliche Bremse. Gut so. Es hätte ein großes Geschäft werden können, unter jeder Kutte dieses Buch. Allerdings hege auch ich meine Zweifel, ob der Abverkauf für beide, Autor und Verleger, gereicht hätte, Millionäre zu werden. So muss halt einer verzichten. Genau.

    Wie auch immer. Möge den Leser das Nichts denn umfangen.

    unus: adventus et ientaculum Eins: Ankunft und Frühstück

    In dieser schwurbeligen Zeit, Anfang der neunziger Jahre, des Oktobers Dritter war schon zum bedenklichen Tag befördert, fuhr ich mit der Eisenbahn, von Hannover kommend, über das verkackte Magdeburg auf abenteuerlich schlackernden Geleisen gemächlichen Tempos an grauer Dörfer Mauern vorbei Richtung künftiger, mit ausreichender Mehrheit beschlossener Hauptstadt.

    Die Fahrt gestaltete sich durchaus nicht angenehm noch komfortabel, die Mitropa war mit altbekannter Kundenfeindlichkeit und ebenso erprobtem Personal noch voll in Fahrt und alles rappelte, klackerte, schuckelte, stank lysolig und dauerte zum was weiß ich wessen Erbarmen lang.

    »Warum gerade ich?«, fragte ich beim düsteren Blick auf Schwarz-Weiß-Landschaften mitten im Sommer, die Kraft Kanzlerwort einmal bunte, sprich: blühende werden sollten? Warum gerade ich? Weil du es so gewollt hast, raunte mir der Gepäckträger zu, oder die Hutablage, oder der dreckige Aschenbecher, oder alle zusammen im Chor, weil dich keiner gezwungen hat, in das verschnarchte Hannover zu fahren, dort zwei Tage rumzuhängen und zum Dornen krönenden Abschluss noch mit der Reichsbahn, ehrlich, so hieß das damals, heimzukehren. Keiner hat dich gezwungen, es war dein ureigenster Entschluss. Und dafür musst du leiden. Aber wie.

    Und ich litt.

    Es war weniger der tumbe Kellner mit seiner befleckten Jacke und dem taumeligen, immerhin, Bemühen zwischen schnoddrigem Desinteresse und neu gefordertem Dienstleistungseifer einen für ihn gangbaren Mittelweg zu finden, der mit lässiger Handbewegung und sächsisch eingefärbten Amerikanismen das pisswarme Radeberger auf den fahrbewegten Tisch knallte, auch nicht der beißende Gestank nach Toilettensteinen aus dem Klo, der immer dann mich umwaberte, wenn die Milchglas bestückte Tür des Speise(hä,hä)wagens sich fully automatically öffnete, sobald jemand unverständlicherweise Einlass begehrte, unter denen ich leiden musste.

    Es war vielmehr die Lektüre der dörflichen Hauptstadttageszeitung, die ich in Ermangelung anderen Lesestoffs, die mitgeführte Reiselektüre hatte ich im niedersächsischen Metropolis im Suff verloren oder gar versetzt, was weiß ich, auf Hannovers Hauptbahnhof erstanden hatte und die kaum dazu angetan war, des Reisenden Herz zu erquicken, noch ihn der Kurzweil zu überantworten.

    Nun denn, so geht es. Ein Fehler, der mindestens drei Stunden lang nicht zu korrigieren ist, weil man trotz des maroden Schienenstrangs (wie, stellt sich bei dem Gerumpel die Frage, wollte der Sozialismus eigentlich darauf vorwärtskommen? Und wenn nicht darauf, worauf sonst?) und dem dadurch bedingten mäßigen Tempo nicht abspringen kann. Es hätte auch nichts genutzt, das Abspringen, denn in den, ich sag´ mal wohlwollend: Ortschaften, die der Zug durchschlich, gab es zwar jede Menge umfallorientierter Schornsteine und windanfälliger Rinderbaracken, von holzwurmigen Schweinekoben nicht zu reden, aber mit Sicherheit keinen Zeitungskiosk. Und wenn doch, dann keinen, der etwas wirklich Lesbares zum Kauf anbot. Aber das tat der Kiosk auf dem Hauptbahnhof in Hannover eigentlich auch nicht. Oder ich habe das Falsche gewählt. Wovon man ausgehen kann, denn ich habe mein ganzes Leben lang das Falsche gewählt. Oder das Richtige. Kommt drauf an, von welcher Seite man es sieht.

    Immer, wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Das Lichtlein, das mein trauriges Dasein im vormaligen Interzonenzug schlagartig erleuchtete, in gleißende, Spot an, Helligkeit tauchte und das Gemüt mit aller Unbill der vergangenen Tage versöhnte, fand sich im Anzeigenteil besagter Tageszeitung, genauer gesagt, in der im unteren Teil der Todesanzeigen (sic!) eingerückten Rubrik „Ärzte". Und es war wunderschön, gerahmt und doppelnamig. Aber das zuhauf.

    Christine Jurk-Knallfass zum Beispiel teilt schwarz auf weiß und wahrscheinlich allen Ernstes mit, ihre Praxis demnächst an Mirjam Klein-Ballwenge zu übergeben und macht, quasi nebenbei und in einem Abwasch, für allerlei von ihr praktizierten medizinischen Zauberkram und sonstiges Beschwörungs- und Besprechungsgedöns Reklame. Na bitte, das war doch schon mal ein gelungener Auftakt, der Interessierte, wie mich zum Weiterlesen animierte. Zwischen annoncetechnischem Mittelmaß ohne pornografische Doppelnamen stand dann allerdings die absolute Knalleranzeige, für die sogar ein Jahres-, nun, bleiben wir auf dem Teppich, mindestens aber ein Halbjahresabonnement dieses verbröselten Blattes ohne Weiteres zu rechtfertigen wäre.

    Die Anzeige selbst war in geschicktem Understatement schlicht gehalten, schwarz gerandet, nur mäßigen Umfangs und in zwei Bereiche geteilt. Im ersten, oberen Teil verkündete ein anspruchsloser Einzelname, aus Altersgründen die gemeinsame Praxis zu verlassen und diese verlassene Praxis nun ganz alleine, voll und ganz, ohne Wenn und Aber, geschweige denn Widerspruch, ihrer bisherigen Partnerin (oder sagt man Compagneuse?) zu überlassen. Und dann kam, fett gedruckt, oh holde Melodei wie süßer Glocken Klang, der alles verzeihende, alles beschreiende, nicht zu überbietende Rexysexisupername der sicherlich überglücklich durchgenässten Socia:

    Susi Bürstmann-Pümpel.

    Hat man so was Schönes je gesehen, gelesen, und wenn ja: wo? Es war wie Donnerknall und –fall, wie wetterleuchtende Kopulation am weißen Strand im warmen Gewitterregen bei subtropischem Feuerwerk und einem nie enden wollenden Orgasmenstakkato, es war wie das Öffnen der aladinschen Wunderlampe, es war schlicht Balsam auf die mitropageschundene Seele.

    Flugs orderte ich bei dem vorbeischlafenden Kellner ein neues Fläschchen Radeberger und als verdiente Zugabe einen doppelten Wilthener Weinbrand. Im Glas, wenn gerade eins frei sei.

    Natürlich entzieht es sich (Gott sei Dank) meiner Kenntnis, wer von den beiden mit Bindestrich Zusammengefügten wen zuerst gebürstet respektive gepümpelt oder zum Bürsten respektive Pümpeln überredet oder mit sonst welchen Mitteln bürsten- oder pümpelmäßig flachgelegt hat.

    (Flott stochert Pümpels Dideldum in Susi Bürstmanns Bürste rum! Ach Kindermund, wie bist du doch weise und erfrischend.)

    Das spielt eigentlich auch nicht die große Rolle. Tatsache ist und bleibt doch, dass zwei Individuen mit strotzdummen Nachnamen, zugegeben, dafür kann keiner wirklich was, nicht die Chance genutzt haben, bei ihrer Heirat wenigstens einen davon elegant loszuwerden. Nein, stattdessen haben sie den Horror durch Vereinigung nebst Bindestrich noch potenziert, die Verbrecher.

    Gerade so, wie es die Regierenden mit diesem unserem Land taten. Jedes für sich war schon schlimm genug, aber beide zusammen? Nicht auszudenken.

    Zur Blödheit der schwartigen Zusammenfüger kommt natürlich noch die Oberblödheit der elterlichen Erzeuger von Bürstmann und Pümpel junior. Wer, der schon mit dem Namen Bürstmann geschlagen und dennoch einigermaßen bei Sinnen ist, (oder schließt sich das aus?), nennt das vermutlich pausbäckige Töchterlein auch noch Susi? In toto: Susi Bürstmann. Da ist ja, verhext, verhext, Bibi Blocksberg noch besser dran. Bei diesem defekten Namen scheint eine größere Karambolage auf dem weiteren Lebensweg in persona eines Partners mit mindestens gleichwertig bescheuerter Benennung, z. B. Pümpel, geradezu programmiert. Ich weiß zum Glück nicht, wie der Herr Pümpel mit erstem Vornamen gerufen wird, könnte mir aber Maik (mit ai, wohlgemerkt), Paul oder, besser: Percy gut vorstellen. Percy Pümpel. Das hat was.

    Bist du, Susi Bürstmann bereit, den hier anwesenden Percy Pümpel zu deinem dir angetrauten Gatten … in guten wie in schlechten Zeiten … und so weiter, laber laber?

    Den Saal verlassen Frau Susi Bürstmann-Pümpel nebst Gatten Percy Pümpel. Die Kakophonie des auditiven Grauens Arm in Arm mit der abgründigsten Verbalität, die man sich denken kann. In Stereo, Quadro und was es sonst so gibt. (Subwoofer? Bin auch ich berufen? Es möge bitte an der Endstufe hapern.)

    Dass nicht der Susi Bürste nach Percys Pümpel dürste.

    Jetzt ist es aber genug, Kindermund, stillgestanden. Spötter, die ihr seid, unschuldigen aber treffsicheren Auges.

    Es läuft schon einiges schief mit den Genen, aber gewaltig, Damen und Herren (der Wilthener Weinbrand, doppelt, im Glas, zeigte erste Wirkung). But nobody is perfect. Gell, Frau Leutheusser-Schnarrenberger? Oder wie?

    Der stressgeplagte sächsisch-amerikanophile Mitropakellner weigert sich, eine erneute Bestellung meinerseits zur Kenntnis zu nehmen, mit mir überhaupt in Blickkontakt zu treten und hat es sich am äußersten Ende des Waggons in einer Nische bequem eingerichtet. Auch dezente erst, dann kräftigere, schließlich lautstarke Zurufe ignoriert er standhaft, obwohl er sie trotz Schienengeklapper nicht überhören kann, denn ich bin der einzige, alleinige Gast, wenn die Bezeichnung denn zutrifft, im Speise- (noch mal: hä, hä) wagen.

    Doch das sind Traditionen, gegen die unsereins nicht ankommen kann, weil sie gepflegt werden über Generationen hinweg, vom Großvater weitergegeben an den Sohn, von dem wiederum an seinen Sohn und so weiter, bis alle Mitropakellner abgeschafft werden und es nichts mehr weiterzugeben gibt. Doch solange wollte ich nicht warten.

    Als auch wildestes Armgefuchtel nichts ändert, muss ich ein neuerliches Bier nebst Weinbrand aus Wilthen zur Feier der Bürstmann-Pümpelschen Verbalinjurie auf einen späteren Zeitpunkt verschieben und ergebe mich diesem Schicksal erstaunlich klaglos. So denn alles gut geht, wartet in etwa zehn Minuten am Perron des Bahnhofs Zoologischer Garten mein Aushilfsschwager Wenzel Wiener, mich abzuholen und nach Hause zu geleiten, auf dass es mir wieder wohlergehe nach meiner Rückkehr aus der niedersächsischen Provinz in das noch provinziellere Hauptstadtdorf, inmitten Sumpf und Sandbergen gelegen, von denen der Rote Adler hoch und immer höher steigen möge, dunkle Kiefernwälder von oben mit seinem rückwärtig versprühten Dünger zu bedecken, auf dass es dem Brandenburger Land zum Heil genüge, mit Stumpf, Stiel und Stolpe noch einmal.

    Und der penetrant negierende Mitropaknecht kann mich mal, aber nach Strich und Faden, dieser Überbringer warmer Biere. Das Trinkgeld hau ich lieber selbst auf den Kopf. Jawoll.

    Das Quietschen der Bremsen kündet von der Freude der Räder, die Qual der Interzonenstrecke einigermaßen heil überstanden zu haben, zeigt aber auch Erschöpfung und Ermüdung an. Wir sind durch Deutschland gefahren. Jedenfalls durch einen Teil, den grauen. Einfahrt in den Bahnhof, Schluss, Aus, Ende einer Dienstfahrt. Glücklich träumt das Gefährt sich ins Depot.

    Der Ersatzschwager ist nicht kleinwüchsig zu benennen. Als ich mit meiner Zeitung aus dem Waggon kletterte, sah ich ihn, an der Rolltreppe stehend, schon von Weitem beidarmig winken. Er hatte Tag und Uhrzeit nicht vergessen, oder aber doch zumindest sich wieder daran erinnert. Wenzel war körperlich vorhanden. Er war, Wort haltend, da, vor Ort, und seine Anwesenheit ehrte ihn, jedenfalls in meinen überraschten Augen.

    Noch etwa dreißig Meter von ihm entfernt, dröhnte seine kräftige Stimme schon gewaltig auf mich ein, nicht wenige Mitreisende duckten die Köpfe. Wenn man es genau nimmt, war Wenzel Wiener nur unwesentlich leiser als der quäkende Lautsprecher der Bahnhofsanlage, aber deutlich besser zu verstehen:

    „Mensch Morbi, dass du noch gekommen bist, mit der Bahn, dem Dings, dem Zug, klasse, ehrlich, ein Stück weit, kein Quatsch, huhu, hier, Morbi, hier, du musst nach links gucken, alter Sappel, hier bin ich…", und so weiter und sofort ohne Punkt und Komma, vom Semikolon ganz zu schweigen und schwallte schon aus der Entfernung gnadenlos auf mich nieder und ein und verwehrte mir aufgrund des Abstands zwischen uns jede Möglichkeit körperlicher oder verbaler Gegenwehr.

    Aber den Leuten hat es offensichtlich gefallen. Bis auf ein paar der Deutschen, nein, der Berliner Sprache wahrscheinlich nicht mächtigen Migranten hat die Mehrzahl der dem Ausgang Zustrebenden gelacht und nur wenige haben mit dem Zeigefinger an die Stirn getippt. Bahnpolizei war weder anwesend, noch anscheinend alarmiert. Wenzel hatte ein Auditorium und für seine Verhältnisse war es ein Maximum, das er nicht alle Tage zur Verfügung hatte und das es auszunutzen galt.

    Als ich etwa zehn Meter vor ihm war, brüllte er mit einer Stimmgewaltigkeit, die bis zum nächsten Stellwerk reichte:

    »Morbi, wie war´s bei den Leinepissern? Hast du wenigstens gut gemauselt, ha ha, in Hannover an der Leine, ham die Mädchen dicke Beine und der Arsch ist kugelrund, was Morbi, stimmt doch, oder, sag mal, alter Torfstecher?«

    Ich merkte leichte Röte in mir aufsteigen, als verschiedene Leute mich anguckten, zumal just zu diesem Zeitpunkt der verkommene Kellner des Mitropa-Speise-(mir-ist-der-Appetit-vergangen)wagens aus einem Abteilfenster lugte, hämisch sabbrig grinsend erst Wenzel, dann mir den nackten Zeigefinger entgegenstreckte und sich dabei offensichtlich nicht nur köstlich zu amüsieren schien, sondern dies auch noch einem im hintergrundigen Halbdunkel lauernden Unter- oder Hilfskellner mitteilte. Diesem Arsch, der vierzig lange Jahre hochnäsig Club-Cola durch die Gegend geschmissen hatte, wenn er denn nicht auf der Parteischule den Fahnenappell verschlief, diesem HO-Gauner, der er immer noch war, der nie irgendwo, schon gar nicht in der Zivilisation, ankommen würde, dem hätte ich seine Schadenfreude am allerwenigsten gegönnt. Aber was soll´s, ich konnte es mir ja nicht aussuchen. So ist das postsozialistische Wendeleben, zumindest reichsbundesbahnmäßig gesehen.

    Ich war inzwischen fast bei Wenzel angelangt. Er hatte das bärtige Köpfchen leicht angewinkelt, zwinkerte vergnügt mit den blitzblanken Äugelein und streckte mir beide Arme empfangsbereit entgegen, so, als würde er mich gleich inniglich in selbige schließen. Im letzten Augenblick überlegte er es sich anders, zog die Ärmchen wieder in ihre Grundposition und ich war froh, nicht vor all den Leuten an seine Brust gedrückt und eventuell auch noch abgeknutscht zu werden.

    »Du kommst ja pünktlich«, schrie er mich an, »das ist schön, da braucht man nicht solange zu warten«, schlussfolgerte er messerscharf. Dass Wenzel schrie, war normal, es war ihm von der Natur nicht gegeben, in angemessener Lautstärke zu reden.

    Dann lud er mich zum Frühstück ein und auch mein Hinweis, es sei ja nun doch schon früher Nachmittag, brachte ihn nicht davon ab, denn er hatte höchst Wichtiges mit mir zu besprechen.

    »Hast du schon gefrühstückt Morbi, mein Freund, komm mit frühstücken, ich lad´ dich ein, ein Stück weit, ins Omero, ein gutes Frühstück gibt´s da, geh´ schon mit, Schwager, ehrlich…«

    Wer konnte da schon Nein sagen? Wir schnürten die Treppen hinunter zur Haupthalle, vorbei an zugedröhntem Drogenvolk, Bahnpolizisten und sonstigen Pennern und kamen durch schwingende Türen ins Freie. Wenzels Volvo, in der Grundfarbe ursprünglich einmal weiß, stand mitten auf dem Trottoir des kleinen Bahnhofsvorplatzes direkt an einer Notrufsäule. Ob er keinen Schiss hätte, abgeschleppt zu werden, wo es doch hier von Polizisten nur so wimmelte, fragte ich ihn erstaunt. Wenzel verneinte und schloss den Wagen umständlich auf. Er habe da einen einfachen aber wirksamen Trick, erklärte er und reichte mir aus der Windschutzscheibe einen Notizbuchzettel, auf dem mit Bleistift in Druckbuchstaben geschrieben stand: EILIGER NOTDIENST!!! und darunter war mit Filzstift ein rotes Kreuz nicht ganz symmetrisch gemalt. Das Ganze sah aus wie die ungelenke Krakelei eines Zehnjährigen.

    »Und den Wisch kaufen dir die Bullen ab?«, fragte ich ungläubig.

    »Immer«, antwortete Wenzel vergnügt. Und richtig, ich konnte kein Strafmandat entdecken. Was ja auch wieder einiges über die grünen Jungs und Mädels aussagt.

    Wir fuhren die Joachimstaler Straße und Bundesallee Richtung Steglitz und Wenzel bemühte sich, allzu dunkle Ampelphasen zu vermeiden indem er zügige Hochgeschwindigkeit vorgab. Unter dem Rückspiegel baumelte ein Duftbäumchen in Tannenform vor sich hin, sonderte aber gnädigerweise keinen Nadelwaldgestank mehr ab. Es hatte schon beim Kauf des Wagens dort gehangen und war inzwischen zu alt für diese Art von Spielereien. Nachdem wir endlich in die Leonorenstraße einbogen, parkte er den Wagen vorschriftsmäßig am Straßenrand einer Seitenstraße und wir schlenderten durch wärmende Sonnenstrahlen zur Restauration Omero.

    Es ist dies nun ein nicht eben gut beleumdetes Etablissement, das sich seit immerhin fast 15 Jahren einer mir unverständlichen Beliebtheit bei bestimmten Bevölkerungsschichten erfreut. Wir Alten gehen nur ungern in diese Suff- und Fresshöhle, da hier unbestritten die noch Älteren das Zepter schwingen, das sie erst bei ihrem biologisch bedingten Abgang an den sorgsam herangezüchteten Nachwuchs unter sich weitergeben, der es dann genauso hält, das Zepter. Ein verschworener Zirkel von Greisen, in sich geschlossen, abgeschirmt durch die eigene Senilität wie weiland das Zentralkomitee im Moskowiter Kreml. Im Omero tagte das richtungskompetente Oberorgan der gerontologischen Bewegung in permanenter Sitzung.

    Die Räumlichkeit selbst, deutsche und internationale Spezialitäten, besteht aus einem langen schlauchartigen Saal, der sich meterweit im Hintergrund durchs Halbdunkel kämpft und wohl auch darin verliert. Kein Bild stört die schlichte Schmucklosigkeit der Wände, die beidseitig mit Tischchen für jeweils vier Greise vollgestellt sind. Die Tischreihen trennt eine Art Laufsteg für das Bedienungspersonal, das, wie sich mir bald erschloss, aus einer einzigen, mehr als zwielichtigen, Person besteht, die offensichtlich Tag und Nacht hier schlaflos ihr Wesen treibt und mittels des schmalen Knüppeldamms allerlei Gemenge von der Feuerstelle an die Tische speditiert, Bier und Schnaps sowieso.

    Im hinteren, fast schon dunklen Teil der schlauchigen Schankstube gelangt man durch ein Gewirr verschiedener Türen und tückisch auf ihre Chancen lauernder Stufen in den per Schild deklarierten „Raum für Festlichkeiten aller Art", in dem die Untoten ihre Jubiläen, Gedenkfeiern, letzte Tänze und, wer weiß, schwarzen Messen oder andere kultischen Orgien bei tauchsiedergewärmten Gerstensaft und sonstigen Gaumenkitzlern abfeiern.

    Kurz vor dem Türgewirr, gerade noch im rauchgeschwängerten Dunst zu erahnen, befindet sich der Tresen mit Zapfanlage, Waschgelegenheit und Schränken aller Größen und Couleur, die Gläser unterschiedlicher Abmaße, Zubehör und sonstige Accessoires des Suffs bergen und verwahren.

    Ein weiteres Schild im Eingangsbereich weist großspurig auf einen sommerlich zu nutzenden Biergarten hin, den jedoch keiner, den ich kenne, je gesehen, geschweige denn betreten hat. Nicht wenige behaupten sogar, der Biergarten existiere ausschließlich in der blühenden Phantasie des Schildermalers. Wer weiß.

    In diese Lokalität verbrachte mich Wenzel Wiener, der Substitut aller Schwäger.

    Kaum, dass wir den Gastraum betraten, schleuderte Wenzel ein behände gedonnertes »zwei Halbe Fred«, in Richtung eines sich undeutlich im Halbdunkel herumdrückenden Individuums, das hier augenscheinlich den Schankkellner gab und sich infolge der wienerschen imperativen Diktion beherzt am Zapfhahn zu schaffen machte. Ich war einigermaßen verblüfft, denn der Ersatzschwager schien hier offensichtlich wohl bekannt und gelitten zu sein, stand mit dem Personal auf vertrautem Fuß, duzte hierhin und dorthin die zwielichtigen Diener des Suffs und deren halbseidene Klientel und schämte sich auch keineswegs, mir diese mehr als fragwürdigen Bekanntschaften bislang verheimlicht zu haben. Was lief hier ab? Was ist jahrelang an mir vorbeigeschlittert?

    Um diese Zeit, dem frühen Nachmittag, war das Omero nur mäßig besucht, so dass wir ohne Mühe Plätze fanden. Der Vertretungsschwager bugsierte mich an einen freien Greisentisch in strategische Nähe zur Theke und dem in ihrer Umgebung lauernden Kellner Fred, der, unmittelbar, nachdem wir saßen, schiefmäulig grinsend die georderten Biere vor uns stellte und sich dann flugs in das Zwielicht seiner Tresenexistenz zurückzog.

    Von dem angekündigten Frühstück war keine Rede mehr. Wenzel starrte einige Sekunden auf sein Glas, bevor er es konzentriert an die Lippen führte und ansatzlos etwa die Hälfte des Bieres in seinen Hals schüttete, es sodann absetzte und mit Schwung auf den Tisch zurückknallte.

    »Ahhh, das tut gut, ein Stück weit, was Schwager?«, schwallte Wenzel mich an und guckte verträumt durch den Raum.

    Was für eine hochwichtige Mitteilung er mir denn nun eigentlich machen wolle, versuchte ich vorsichtig den Grund unserer Anwesenheit herauszufinden, hatte aber vorerst kein Glück bei Wenzel, der voll und ganz damit beschäftigt war, sein Bier auszutrinken, mich blinzelnd ebenfalls zum Trinken aufzufordern, beim Kellner zwei neue Halbe in Auftrag zu geben und außer seinem Standardrepertoir: Ahhh, Prost, gut was, ein Stück weit, nichts weiter von sich gab.

    Wir tranken recht tapfer mit hoher Frequenz fast schweigend vor uns hin. Ich sinnierte beschaulich über Susi Bürstmann-Pümpels knalligen Doppelnamen, Wenzel erfreute sich seiner Umgebung und scherzte auf deftig humorige Art mit den Greisen vom Nachbartisch, »Na, heute schon die Skelette rhythmisch bewegt, Companeros, oder wie? Was sagt das Friedhofsamt dazu?« und ähnliche Büttenreden mehr.

    Nach dem dritten Halben schlich sich mir ein leichter Schwurbel ins Hirn.

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