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Zeppelin!
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eBook113 Seiten1 Stunde

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Über dieses E-Book

Pfingsten 1909: Von Süden her nähert sich ein Zeppelin einem kleinen schwäbischen Dorf. Der riesige Schatten des Luftschiffs fällt auf den sechsjährigen Robert Silcher. Der Schuljunge ist sofort fasziniert. Für ihn steht fest: Ich werde Zeppeliner.
Beinahe ein Jahrhundert später macht sich sein Enkel René, der als Archivar im Zeppelinmuseum arbeitet, auf Spurensuche. Der Großvater hat seinen Traum wahr gemacht. Und auch sein grenzenloses Fernweh wurde durch zahlreiche Fahrten mit den beeindruckenden Luftschiffen gestillt - bis zu dem verhängnisvollen Unglück der 'Hindenburg' im Mai 1937 in Lakehurst. Was als aufwühlende Recherche beginnt, entpuppt sich als spannende und tragische Geschichte einer Familie über drei Generationen. Und René muss die leidvolle Erfahrung machen, wie gegenwärtig Vergangenes sein kann.
SpracheDeutsch
HerausgeberPENDRAGON Verlag
Erscheinungsdatum8. Aug. 2014
ISBN9783865324283
Autor

Alexander Häusser

Alexander Häusser, geboren 1960 in Reutlingen, studierte Germanistik, Philosophie und Geschichte. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen; darunter den Literaturförderpreis der Stadt Hamburg. Sein Roman »Zeppelin!« wurde verfilmt und lief bundesweit in den Kinos. Heute lebt Häusser lebt mit seiner Familie in Hamburg und schreibt weiter fleißig Romane. Zuletzt wurde bei Pendragon sein neuster Roman »Noch alle Zeit« veröffentlicht, sowie eine Neuauflage von »Memory«.

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    Buchvorschau

    Zeppelin! - Alexander Häusser

    Der Zeitzeuge

    Ich musste es Karl versprechen: Die Geschichte von Robert Silcher wird in keiner Illustrierten erscheinen – keine neue Titelseite mit dem brennenden Hindenburg, keine Serie „Die Katastrophe von Lakehurst. Wie es wirklich war." Es mag albern klingen, aber ich gab ihm tatsächlich die Hand darauf.

    Als wäre ich noch der kleine Junge, der seinem Vater versprach, die Geschichte aufzuschreiben; an seiner Stelle, irgendwann, in das stockfleckige Heft, das er sein Tagebuch genannt hat. Ich frage mich, wer mit diesem unentwegten Versprechen-Müssen und Versprechen-Wollen eigentlich anfängt – die Erwachsenen oder die Kinder.

    Ein Versprechen ist jedenfalls eingelöst: Ich habe die Geschichte meines Großvaters geschrieben. Und es ist gleichgültig, ob es stimmt, was Karl mir bei unserem letzten Treffen über Robert sagte. Ich kann es nicht mehr nachprüfen.

    Karl ist ein alter Mann. Er dachte, wir würden uns nicht wiedersehen. Nur deshalb bot er mir beim Abschied noch das Du an. Es war ihm immer schwerer gefallen, seinen Mittagsschlaf zu unterbrechen; und der Mittagsschlaf war immer länger geworden. Zuletzt hatte er morgens nach dem Aufstehen angefangen. Ich habe jede Tageszeit ausprobiert – Karl hatte immer gerade geschlafen, wenn ich kam. Er öffnete langsam die Tür, nur einen Spalt weit, um den Kopf herauszustrecken; den kleinen Kopf mit den stoppeligen Haaren, kurzrasiert auf zwei Millimeter, um sich das Waschen zu erleichtern. Verschlafen blinzelte er mich an. Bald werde er endgültig durchschlafen müssen, sagte er beim Abschied und lachte.

    Meistens hatten wir uns am Wochenende getroffen. Wir saßen in der überheizten Stube, tranken Kaffee, aßen Brezeln, die er mit Butter bestrich und in seine Tasse tunkte, um sie überhaupt kauen zu können. Sein Leben ging durch meine Hände: Kitschpostkarten, Urkunden, Zeugnisse, Andenken aus seiner Zeit als Zeppeliner – Dinge, für die er inzwischen keine Namen mehr hatte; die er mir wortlos über den Tisch reichte, als gingen sie ihn nichts an. Einen Fetzen von der Hülle des Graf Zeppelin sah er genauso verwundert an wie ich. Er drehte den spröden, splittrigen Stoff in seiner Hand und schüttelte den Kopf. Das Material war für ihn so lange Zeit selbstverständlich gewesen, dass es ihm jetzt wie ein überzähliges Puzzleteil erscheinen musste. Für einen Moment wusste er wohl nicht, wohin damit.

    „Baumwolle. Mit Zellon fünfmal überstrichen. Da war Aluminiumpulver drin, damit das Gas nicht so heiß wird durch die Sonne. Deshalb hat’s Schiff so silbrig geglänzt. Von dem Anstrich hab’ ich Ausschlag bekommen; lauter kleine rote Punkte, die haben gejuckt wie verrückt. Den andern hat’s nichts ausgemacht."

    Sich zu erinnern machte ihn mürrisch. Ich könnte alles fürs Museum haben, meinte er; er brauche nichts davon, und Familie habe er ja keine. Aber er nahm mir immer alle Teile wieder weg, nachdem ich sie angesehen hatte.

    In der ersten Zeit war er nicht gesprächig. Über den Robert, meinen Großvater, wisse er wenig. Ein Kollege sei’s halt gewesen, ein Eigenbrötler.

    „Seinen Vater hat der Robert immer den Ortspolizisten genannt, ganz abschätzig, und geheiratet hat er die Schwester vom Schreiner."

    Mehr war nicht zu erfahren. Ich hatte geglaubt, Karl würde gerne in Erinnerungen schwelgen. Dass ich ihn nur fragen müsste, und schon würde er lossprudeln; auf Knopfdruck quasi – wie an den Displays im Museum, wo sich die Erzählungen der Zeitzeugen abrufen ließen, chronologisch und nach Fachgebieten. Sein Schweigen konnte ich mir nicht erklären.

    Er sei doch der Einzige, der mir bei Roberts Geschichte weiterhelfen könne, sagte ich und versuchte, ihn mit seiner Eitelkeit zu ködern. Ich schlug ihm vor, mich zu besuchen, das neue Zeppelin-Museum einmal anzusehen; es sei ja nicht weit, nur ein paar Schritte, und in der Ausstellung hinge schon ein Bild von ihm. Er sei doch ein wichtiger Zeitzeuge. Er winkte ab.

    Nicht einmal am Seeufer gingen wir spazieren. Er wollte mir Friedrichshafen nicht zeigen – sein Friedrichshafen und die Stadt, in der mein Vater aufgewachsen war. Er lehnte es ab, die alten Schauplätze zu besuchen und sich daran erinnern zu müssen, wie sich das Jungsein angefühlt hatte. Dem Kerl von damals wollte er nicht begegnen, der mit 20 Rumpfbeugen und einem Sack voll Steinen auf der Schulter den Fräuleins im Strandbad imponiert hatte. Jetzt könnte er sich kaum noch aufrecht halten, sagte er, also warum überhaupt drüber reden.

    Da sei mein Vater ganz anders gewesen, meinte ich, der habe mir dauernd von früher erzählt.

    „So, so …", sagte Karl.

    Ich hatte mir gewünscht, für Karl im Laufe der Zeit zu einer Art Enkel oder Sohn zu werden. Er habe ja nie Kinder haben wollen, sagte er einmal, als wir uns schon ein wenig besser kannten. Aus Angst vorm Sterben, glaubte er. Wenn er nichts zurücklasse, dann könne ihm doch auch nichts fehlen, oder?

    Karl hielt Distanz. Aber er lud mich jeden Sonntag ein, und ich hatte nicht den Eindruck, dass er es nur aus Höflichkeit tat.

    Er muss mich erst mal kennenlernen, Vertrauen schöpfen, dachte ich. Da könnte ja schließlich jeder kommen, sagen, er arbeite fürs Museum und sich dazu noch für den Enkel vom Silcher ausgeben. Karl hatte gehört, die ganze Stadt sei voll von Zeitungsleuten, die Fragen stellten: über die Rückkehr des Luftschiffes – 60 Jahre nach der Katastrophe; über den Phönix aus der Asche; über Friedrichshafen und das Ende des Dornröschenschlafs; über die Vergangenheit und Zukunft der Luftschifffahrt. Bei Zeppelin wurde ein neues Schiff gebaut, das mit dem alten nichts mehr zu tun habe, und jeder fragte nach der Vergangenheit.

    Im neuen Museum gaben sich Fernsehteams die Klinke in die Hand.

    Sie begleiteten die Veteranen durch die Hallen, schlenderten mit ihnen an den Stellwänden vorbei, hinter den Glaskästen entlang – zwanglos vor laufenden Kameras. Damit sich die alten Herren im Gespräch an die große Zeit des Luftschiffs erinnern sollten; die Zeit, als sie selbst noch ganz alltäglich unwichtig gewesen waren.

    „Erzählen Sie doch mal, wie war das denn damals so, in der großen Zeit der fliegenden Zigarren?

    Im Akkord hätten sie gearbeitet; Streben und Profile gewalzt, gestanzt und genietet; ein monströses Skelett gebaut aus riesigen Ringen und Trägern; aus Aluminium, das nichts wiegen durfte und alles halten musste; ein blau lackiertes Wunder, das sie schwindelhoch in wackeligen Körben stehend mit Stoffbahnen bespannten, von früh morgens bis zum Nachmittag. Eine Arbeit sei’s halt gewesen, aber auch ein großer Traum.

    Und jetzt blieb den alten Herren nur noch, die Attraktion des Museums zu bestaunen: den 33 Meter Nachbau des Hindenburg, 33 von 250. Sie warfen einen kurzen Blick in die Kabinen, gingen zögernd über das Aussichtsdeck mit den schräggestellten Fenstern, durch den Aufenthaltsraum, in den Schreibsalon. Sie hielten sich nirgends lange auf, blickten sich unsicher um, als wären sie nach 60 Jahren versehentlich im Teil des Schiffes gelandet, der den Reichen und Schönen vorbehalten war.

    „Ich hab’ den Hünzel im Fernsehn gesehn. Der ist auch alt geworden. Er hat im Museum von Lakehurst erzählt. Wie wir hier vom Unglück erfahren haben und nicht mehr wussten, wie’s weitergehen soll. Aber das würd’ ich nicht machen, mich da hinstellen und von früher reden."

    Er wüsste auch nicht, wofür es Museen gäbe, sagte Karl, man könne doch eh nichts festhalten.

    Der rote Himmel. Das Heck des Schiffes im Feuer versunken, während der Bug noch nach oben ragte – Gondel, Promenadendeck, Salon, Kabinen in der Schwebe hielt, für Sekunden, in denen sich Passagiere und Besatzung fragten, was geschehen war; bis sie über Stühle und Tische stürzten, übereinander fielen wie Spielfiguren in einer Schachtel, an den Wänden im Aufenthaltsraum die Weltkarte schwankte, die Aussichtsfenster sprangen, der Reihe nach, die

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