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Mörder, Monster, Münster: 4 Münsterland Krimis
Mörder, Monster, Münster: 4 Münsterland Krimis
Mörder, Monster, Münster: 4 Münsterland Krimis
eBook752 Seiten9 Stunden

Mörder, Monster, Münster: 4 Münsterland Krimis

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Über dieses E-Book

Mörder, Monster, Münster: 4 Münsterland Krimis

Von Alfred Bekker

 

Dieser Band enthält folgende Krimis:

 

Hinter dem Mond (Alfred Bekker)

Kubinke und der Killer von Münster (Alfred Bekker)

Das Elbenkrieger-Profil (Alfred Bekker)

Münster-Wölfe (Alfred Bekker)

 

Ein Mann wird während einer Fahrt auf der Autobahn erschossen. In seinem Kofferraum befinden sich Leichenteile, die zu einem lange zurückliegenden Fall gehören: Damals machte das sogenannte Monster von Münster die Gegend unsicher. Der Fall galt als restlos aufgeklärt. Aber jetzt stellen sich unbequeme Fragen. Harry Kubinke und Rudi Meier vom Bundeskriminalamt ermitteln.

 

Über Alfred Bekker

 

Alfred Bekker ist Autor zahlreicher Romane und Erzählungen mit einer Gesamtauflage von über 4,5 Millionen Exemplaren. Außerdem ist er Verleger und Jazz-Musiker. Alfred Bekker schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane und Bücher für junge Leser.

SpracheDeutsch
HerausgeberAlfred Bekker
Erscheinungsdatum20. Feb. 2021
ISBN9781393224846
Mörder, Monster, Münster: 4 Münsterland Krimis
Autor

Alfred Bekker

Alfred Bekker wurde am 27.9.1964 in Borghorst (heute Steinfurt) geboren und wuchs in den münsterländischen Gemeinden Ladbergen und Lengerich auf. 1984 machte er Abitur, leistete danach Zivildienst auf der Pflegestation eines Altenheims und studierte an der Universität Osnabrück für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Insgesamt 13 Jahre war er danach im Schuldienst tätig, bevor er sich ausschließlich der Schriftstellerei widmete. Schon als Student veröffentlichte Bekker zahlreiche Romane und Kurzgeschichten. Er war Mitautor zugkräftiger Romanserien wie Kommissar X, Jerry Cotton, Rhen Dhark, Bad Earth und Sternenfaust und schrieb eine Reihe von Kriminalromanen. Angeregt durch seine Tätigkeit als Lehrer wandte er sich schließlich auch dem Kinder- und Jugendbuch zu, wo er Buchserien wie 'Tatort Mittelalter', 'Da Vincis Fälle', 'Elbenkinder' und 'Die wilden Orks' entwickelte. Seine Fantasy-Romane um 'Das Reich der Elben', die 'DrachenErde-Saga' und die 'Gorian'-Trilogie machten ihn einem großen Publikum bekannt. Darüber hinaus schreibt er weiterhin Krimis und gemeinsam mit seiner Frau unter dem Pseudonym Conny Walden historische Romane. Einige Gruselromane für Teenager verfasste er unter dem Namen John Devlin. Für Krimis verwendete er auch das Pseudonym Neal Chadwick. Seine Romane erschienen u.a. bei Blanvalet, BVK, Goldmann, Lyx, Schneiderbuch, Arena, dtv, Ueberreuter und Bastei Lübbe und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

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    Buchvorschau

    Mörder, Monster, Münster - Alfred Bekker

    Mörder, Monster, Münster: 4 Münsterland Krimis

    Von Alfred Bekker

    Dieser Band enthält folgende Krimis:

    Hinter dem Mond (Alfred Bekker)

    Kubinke und der Killer von Münster (Alfred Bekker)

    Das Elbenkrieger-Profil (Alfred Bekker)

    Münster-Wölfe (Alfred Bekker)

    Ein Mann wird während einer Fahrt auf der Autobahn erschossen.  In seinem Kofferraum befinden sich Leichenteile, die zu einem lange zurückliegenden Fall gehören: Damals machte das sogenannte Monster von Münster die Gegend unsicher. Der Fall galt als restlos aufgeklärt. Aber jetzt stellen sich unbequeme Fragen. Harry Kubinke und Rudi Meier vom Bundeskriminalamt ermitteln.

    Über Alfred Bekker

    Alfred Bekker ist Autor zahlreicher Romane und Erzählungen mit einer Gesamtauflage von über 4,5 Millionen Exemplaren. Außerdem ist er Verleger und Jazz-Musiker. Alfred Bekker schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane und Bücher für junge Leser.

    Alfred Bekker wurde vor allem durch seine Fantasy-Romane bekannt. Als Fantasy-Autor erreichte Alfred Bekker ein großes Publikum mit seinen Romanen um DAS REICH DER ELBEN, sowie den Trilogien um die DRACHENERDE, GORIAN und DIE HALBLINGE VON ATHRANOR. Außerdem schrieb Alfred Bekker die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER (7 Bände), DIE WILDEN ORKS (5 Bände) und ZWERGENKINDER (bislang 4 Bände).

    Für junge Leser erfand Alfred Bekker Buchserien wie TATORT MITTELALTER und DA VINCI’s FÄLLE.

    Alfred Bekker schreibt außerdem regelmäßig Ostfrieslandkrimis um Kommissar Steen von der Kripo Emden.

    Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Kommissar X, John Sinclair, Bad Earth und Jessica Bannister.

    Alfred Bekker benutzte auch die Pseudonyme Neal Chadwick,  Henry Rohmer, Adrian Leschek, Brian Carisi, Leslie Garber, Robert Gruber, Chris Heller, Sidney Gardner und Jack Raymond. Als Janet Farell verfasste er die meisten Romane der romantischen Gruselserie Jessica Bannister. Historische Romane schrieb er unter den Namen Jonas Herlin und Conny Walden.  Einige Gruselromane für Teenager verfasste Alfred Bekker als John Devlin. Die Romane von Alfred Bekker erschienen u.a. bei Lyx, Blanvalet, BVK, Goldmann, Schneiderbuch, Arena, dtv, Ueberreuter und Bastei Lübbe und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, darunter Englisch, Niederländisch, Dänisch, Türkisch, Indonesisch, Vietnamesisch, Finnisch, Bulgarisch und Polnisch.

    HINTER DEM MOND

    Krimi von Alfred Bekker

    ––––––––

    © der Digitalausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

    All rights reserved.

    www.AlfredBekker.de

    postmaster@alfredbekker.de

    Der Umfang dieses Ebook entspricht 20 Taschenbuchseiten.

    **

    Eine laue Julinacht Anno 1969

    Da ist ein Raumschiff.

    Da ist ein blutiges Messer.

    Und da ist ein Junge, der tot im Gras liegt.

    Das alles ist in der Erinnerung untrennbar miteinander verbunden.

    Aber alles der Reihe nach...

    ––––––––

    Im Jahr 1864 steht Friedrich Wilhelm Kötter aus Ladbergen im Münsterland an Deck eines Schiffs, das gerade in den New Yorker Hafen einläuft und blickt seinem neuen Leben entgegen.

    Der Mond geht auf und Kötter kann in diesem Augenblick nicht ahnen, dass man ein Jahrhundert später den Mond vor lauter Lichtern in der Stadt, die niemals schläft, gar nicht mehr zu sehen vermag.

    Für noch weniger wahrscheinlich hätte Kötter die Möglichkeit gehalten, dass 1969 ein Mensch den Mond betritt.

    Dass es sein Urenkel sein wird, der diesen großen Schritt für die Menschheit vollbringt, hätte er sich wohl nicht einmal vorzustellen vermocht.

    „Das ist Amerika!, ruft einer der anderen, zerlumpten Auswanderer Kötter zu und klopft ihm auf die Schulter. „Sieh es dir an! Hier ist alles möglich.

    Aber Kötter macht eine wegwerfende Handbewegung.

    „Bauer bleibt Bauer!, meinte er „Auch hier.

    ––––––––

    Ein Jahrhundert später...

    Am 21. Juli 1969 ist keine Nacht wie andere Nächte. Überall sitzen die Menschen an den Fernsehern, sehen auf ein paar verwackelte Schwarzweißbilder und auf die klugen Gesichter von Raumfahrtexperten, die erläutern, was dort gerade zu sehen ist und herumorakeln, wie lange es wohl noch dauern wird, bis der Adler gelandet und Neil Armstrongs Fuß seinen Abdruck in den Mondstaub geprägt hat.

    Überall versuchen weltraumbegeisterte Kinder und Jugendliche, die ihren Eltern die Erlaubnis abgetrotzt haben, diesen größten Moment der Menschheitsgeschichte live mitzuerleben, verzweifelt ihr Gähnen zu unterdrücken und nicht einzuschlafen, bevor der große Moment gekommen ist.

    Überall...

    Aber da gibt es ein kleines Dorf im Münsterland, das diesem zwang zur kollektiven andachtsvollen Menschheitsverbrüderung widersteht. Ein Dorf, das zum Mantel der Geschichte sagt: Geh mir aus den Augen und streife mich ja nicht! Ein Dorf, dessen größter Sohn gerade die größte Tat der Menschheitsgeschichte vollendet und dabei der Versuchung widersteht hinzuschauen.

    Denn als Neil Armstrong, der Urenkel eines gewissen Friedrich Wilhelm Kötter aus Ladbergen sich gerade bei seinem berühmten Satz verhaspelt, als er von einem kleinen Schritt für einen Menschen, aber einem Riesenschritt für die Menschheit spricht, ist in der Bauernschaft Ladbergen-Wester Schützenfest. Und wer käme schon auf die Idee, das wichtigste Ereignis des Jahres zu verschieben. Selbst das Ereignis des Jahrhunderts – ja, des Jahrtausends! - wird daran nichts ändern.

    In Ladbergen-Wester sitzt niemand vor dem Fernseher.

    Fast niemand.

    Nur ein fünfjähriger Junge sieht fern. Er hat sich den Wecker gestellt, der ihn alle zehn Minuten aufschrecken lässt, damit er nicht einschläft. Er gähnt und sieht auf den Fernsehschirm, wo ein Mann im kobaltblauen Anzug und mit wichtiger Miene gerade sagt: „Wir bekommen jetzt gerade Neuigkeiten aus Houston..."

    Er heißt Ralf und seine Eltern sind nicht zu Hause, sondern sitzen zusammen mit dem Rest der erwachsenen Dorfbevölkerung im Festzelt. Und die Kinder schlafen. Manche vor Erschöpfung, weil sie vorher soviel Unsinn gemacht haben und herumgetobt sind, weil niemand da war, um es zu verbieten.

    Vielleicht hat auch von denen der eine oder andere davon geträumt, sich die Mondlandung anzusehen, wenn er schon nicht nicht ins Festzelt und Biertrinken darf. Aber Ralf ist wohl der einzige der es geschafft hat, dies auch in die Tat umzusetzen.

    Er ist das Ganze sehr planvoll angegangen. Er hat sich darüber informiert, wann mit der Landung zu rechnen ist, hat vorher etwas geschlafen und sich dann den Wecker gestellt, damit er pünktlich aufwacht. Schließlich wollte er nicht das Risiko eingehen, alles zu verpassen.

    Auf dem Boden verstreut liegt ein halbes Dutzend Bücher über die Raumfahrt, über die Planeten und über ferne Sterne. Da steht alles drin, was man bisher darüber weiß.

    Aber das ist nicht sehr viel.

    Ralf ist erst fünf, aber er kann besser lesen als manch einer aus dem vierten Schuljahr, von denen einige noch ziemlich herumstottern, wenn sie ein Stück vorlesen sollen, das sie vorher nicht geübt haben.

    Die vier Tage Reise zum Mond, die Umkreisungen des Orbiters, das Ausklinken der Landefähre und schließlich das Aufsetzen auf der Mondoberfläche... Ralf kennt jeden einzelnen Schritt auf dem Weg dorthin. Er hat die Berichte über die vorhergehenden Apollo-Missionen verfolgt, die nur bis in die Umlaufbahn des Mondes gekommen sind und er hat keine Folge der Sendungen von Professor Heinz Haber verpasst, der einem all das erklärte.

    Ralf hatte nicht alles verstanden, aber vieles. Und das, was er nicht verstanden hat, ließ sich begreifen, wenn man in Büchern nachschlug.

    Er hatte sich das Lesen selbst beigebracht und war deshalb ein Jahr früher in die Schule gekommen.

    Wäre doch gelacht gewesen, wenn es da etwas gegeben hätte, was er nicht hätte herausfinden können.

    Seine Neugier war so grenzenlos wie das Universum selbst.

    Ralf sieht auf die Uhr.

    Eigentlich hat sein Freund Andreas angekündigt, in der Nacht zu ihm zu kommen, damit sie gemeinsam die Mondlandung erleben konnten.

    Andreas wohnt ein Haus weiter – gut hundert Meter entfernt und seine Eltern hätten es nicht gemerkt, wenn er das Haus verlässt.

    Schließlich sind sie bis zum frühen Morgen ebenso im Festzelt beschäftigt wie Ralfs Eltern.

    Andreas ist ein Jahr älter aber Ralf hatte trotzdem immer schon den Eindruck, dass er nicht ganz so helle war. Man musste ihm manchmal die Dinge dreimal erklären, wenn man sicher sein wollte, dass er sie auch richtig begriffen hatte.

    Und deshalb hatte sich Ralf auch große Mühe gegeben, ihm eindringlich klarzumachen, wie er den Wecker zu stellen hätte, damit er auch pünktlich aufwachte.

    Offenbar vergeblich.

    Andreas hätte längst hier sein müssen!, geht es Ralf ärgerlich durch den Kopf.

    Dieser Dussel!

    „Ey, bist du ein Lehrer oder was?, hatte ihn Andres noch angefahren, als Ralf seine Kontrollfragen gestellt hatte, um herauszufinden, in wie fern sein Freund tatsächlich begriffen hatte, was zu tun war. „Du brauchst nicht zu denken, dass ich doof bin, du Schlaumeier. Und nur, weil du vorzeitig eingeschult wurdest, brauchst du dir auch nichts einzubilden!

    Auch wenn Andreas nicht der Hellste war – Ralf fand es doch angenehm, ihn um sich zu haben.

    Dann hatte er jemanden, dem er von seinen Ideen erzählen konnte. Jemanden, der ihm fasziniert zuhörte, wenn er davon sprach, wie eine Mondfähre aufgebaut war, wie der Orbiter funktionierte, wie stark die Rakete sein musste, die all das aus der Anziehungskraft der Erde herauskatapultierte und so zielgenau in den Weltraum hineinschleuderte, dass es den Mond erreichte.

    Über dreihunderttausend Kilometer.

    Eine Zahl, die sich nicht mal Ralf vorstellen kann.

    Andreas kann fehlerfrei bis 22 zählen. Ralf hat es immerhin schon mal geschafft einfach so und aus Spaß die Zahlen bis 1000 aufzuschreiben, ohne eine zu vergessen.

    Aber 300 000 – das ist einfach nur ein magischer Begriff.

    Einen Kilometer – das weiß er ziemlich genau, wie viel das ist. Einen Kilometer muss man laufen, um ins Dorf zu kommen und im Kiosk von Oma Oelrich ein Bessy-Heft zu kaufen.

    Genau tausend Schritte. Ralf hat es abgezählt.

    Und hundert Schritte sind es bis zum Haus von Andreas‘ Eltern. Wenn er den Wecker richtig gestellt hätte, wäre er aufgewacht und hergekommen!, denkt Ralf.

    ––––––––

    Er sieht die verwackelten Schwarzweißbilder der Landefähre >Eagle>, sieht die Umrisse von Neil Armstrong. Das ist er also. Der zweite große Moment. Der Adler ist gelandet und jetzt ist Armstrong ausgestiegen und der erste Mensch betritt den Mond. Mit so einer Fähre möchte ich mal fliegen, denkt Ralf. Wenigstens einmal.

    Nach dieser Nacht wird er das nie wieder denken.

    Einige Augenblicke lang versinkt er in seinem Traum von einer Zukunft als Astronaut. Den ersten Mann auf dem Mond gibt es ja nun schon, aber da draußen sind noch viele Planeten. Warum sollte er nicht der erste Mann auf dem Mars werden?

    Dass Neil Armstrongs Vorfahren aus Ladbergen stammen, darüber haben sie in der Schule geredet. Was ein Ladberger geschafft hat, könnte doch auch einem zweiten gelingen, denkt Ralf.

    Er hört einen Schrei und fährt zusammen.

    Ein Schrei so hell und schrill wie eine Kinderstimme.

    Ralf sitzt da und kann sich nicht bewegen, denn obwohl sie so verzerrt klang, hat er die Stimme sofort erkannt. Andres!

    Ein Geräusch lässt ihn sich zum Fenster drehen. Auf dem Fernseher hat man jetzt gerade wieder zurück ins Studio geschaltet und ein Experte sagt ein paar kluge und salbungsvolle Worte über die Zukunft der Menschen und den Blick von einem anderem Himmelskörper auf die ferne Erde, der uns allen doch bewusst machen könnte, wie verwundbar wir doch sind. Die Erde als verletzliche Insel des Lebens im All. Ralf hört nicht zu. Er geht zum Fenster.

    Ist Andreas vielleicht in einen Kuhfladen getreten? Hat er deshalb so geschrien? Memme!

    Er nimmt seine Taschenlampe, die er letztes Weihnachten bekommen hat und die seitdem fast ständig seine Hosentasche ausbeult.

    Ralf öffnet das Fenster.

    Ein kühler Hauch kommt herein. Und zusammen mit diesem Hauch auch ein wimmernder Laut. Da ist irgend etwas geschehen. Irgend etwas Schlimmes.

    Ralf sieht nochmal zum Fernseher. Immer noch Studio. Nicht Houston. Nicht der Mond. Kein Armstrong, keine EAGLE.

    „Andreas?", ruft Ralf.

    Aber da gibt es keine Antwort. Das Wimmern verstummt.

    Ralf steigt nach draußen. Er läuft ein paar Schritte. Der aufkommende Wind biegt die Bäume und lässt sie rascheln.

    „Wo bist du denn, du Blödmann?"

    Er lässt den Strahl seiner Taschenlampe suchend herumfahren.

    Und dann sieht er ihn. Andreas liegt im Gras.

    Er sieht das Blut.

    Viel Blut.

    Und in den starren Augen spiegelt sich das Mondlicht. Der Mund steht offen – wie gefroren im Schrecken.

    Da liegt auch ein Messer.

    Die Klinge blitzt auf.

    Zumindest dort, wo sie nicht mit Blut beschmiert ist.

    Dann knackt ein Ast. Ralf lässt den Lichtkegel seiner Lampe herumfahren. Eine Gestalt schält sich aus der Dunkelheit heraus.

    Ein Mann.

    Er hebt den Arm vor das Gesicht, denn die Lampe blendet ihn. Ralf sieht nur die Hand und die Stirn und die hakenförmige Narbe.

    Und das Blut an seinem Hemd und dem Ärmel.

    Der Mann dreht sich um, stolpert davon. Er geht ganz seltsam. Mit seinem Bein stimmt was nicht.

    Ralf hat schon mal jemanden gesehen, der sein Bein so bewegte. Das war im Urlaub am Strand.

    Ralf hatte die ganze Zeit das Bein eines Mannes angestarrt, der vor ihm herlief, dann bei einer Sandburg stehenblieb, zum Schenkel griff, das Bein abschnallte und in den Sand steckte.

    „Das kommt vom Krieg", hatte ihm sein Vater später gesagt.

    Dieser Mann geht genauso. Er hat ein Holzbein.

    Aber schon einen Moment später sieht Ralf ihn nicht mehr. Er ist einfach verschwunden, so als hätte es ihn nie gegeben – und Andreas liegt da, wie eine starre Puppe, so als hätte er nie gelebt.

    Anno 2009...

    Vierzig Jahre später.

    Der Fernseher läuft. Die alten Bilder werden noch einmal gezeigt. Immer wieder aufs neue. Die Landung von Apollo 11 – in einigen Programme sogar die Originalübertragung in voller Länge.

    Ralf sieht den Adler landen.

    Und sitzt wie erstarrt da. Denkt plötzlich an das Blut, das Messer, den toten Andreas und den Mann in der Dunkelheit.

    „Wolltest du nicht auch immer Astronaut werden?", fragt die demente Achtzigjährige im Rollstuhl, die ab und zu nochmal einen hellen Moment hat, ansonsten mit Ralfs Mutter aber nur den Name gemein zu haben scheint.

    Ralf antwortet nicht.

    „Komisch, du hast dich so sehr dafür interessiert, dass weiß ich noch genau. Aber das hatte sich dann plötzlich erledigt..."

    „Ja, murmelt er. „Das hatte es.

    „Schade, dass du so weit weg wohnst."

    Nein, denkt er. Das ist gut so.

    „Ich hoffe, man sorgt hier in diesem Altenheim gut für dich", sagt er.

    Sie beugt sich vor. „Ich habe da einen Herrn kennengelernt. Der ist nett."

    „Ah, ja..."

    „Hat aber genauso wenig Haare wie dein Vater früher."

    52 war Ralfs Vater nur geworden. Verkehrsunfall, Kreuzung Lengericher Straße/ Saerbecker Straße. So etwas nannte man wohl Schicksal.

    ––––––––

    Eine Dorfkneipe.

    Ralf ist wegen eines Klassentreffens nach Ladbergen gekommen. Und jetzt sitzen sie beim Bier – alle die, die damals das Lesen lernten, als Neil Armstrong zum Mond flog.

    „Aber der Ralf, der konnte dat schon!, sagt einer. „Obwohl er der Jüngste war.

    „Hatte ich mir selbst beigebracht", sagt er.

    „Du wolltest doch damals immer schon was besonderes werden. Astronaut, glaube ich, oder? So wie unser größter Ladberger, hier, wie heißt er noch – Nils Armstrong."

    Neil – nicht Nils!, will Ralf ihn korrigieren, aber er behält die Worte für sich. Was soll‘s?

    „Naja, aber Professor für Chemie ist ja auch nix Schlechtes oder? Nicht gerade sowas wie eine Reise zu den Sternen, aber ich schätze mal das liegt ja auch daran, dass die mit den Astronautenprogrammen damals erstmal eine Pause eingelegt hatten, wenn ich das richtig sehe..."

    „Ist damals nicht der Andreas umgekommen?", fragt eine Frau. Jetzt ist sie dünn und hager wie ein Hering. Damals, hat Ralf noch gut in Erinnerung, konnte sie kaum aus den Augen sehen, wenn sie lachte, so dick waren ihre Wangen. Wie die meisten, die am Tisch sitzen, ist sie nie aus Ladbergen herausgekommen. Anders als Ralf.

    Ilona heißt sie. Die dicke Ilona, denn es gab auch noch eine andere, die dünn war. Zu Ralfs Verwirrung ist allerdings in den letzten vierzig Jahren die dünne Ilona dick geworden und die dicke dünn.

    „Ja, richtig der Andreas..., sagt jemand anderes. „Ralfi, dass war doch dein bester Freund, oder?

    „Ja", murmelt Ralf. Er hört den Stimmen der anderen zu, ihrem Wortschwall aus Erinnerungen und Halbwahrheiten. Das gesammelte Dorfgerede eben, abgeschliffen und in seinem wahren Kern etwas verfälscht durch die Zeit.

    „Ich meine die Polizei, die hat ja damals nicht so richtig herausfinden können, wer das nun eigentlich gewesen ist."

    „Ja, aber es gab in den nächsten Jahren noch drei weitere Kinder, die hier in der Gegend umgebracht wurden."

    „Ich meine, so'n Wort wie Kinderschänder, da hat man ja damals nur hinter vorgehaltener Hand von gesprochen."

    „Ich weiß noch, dass wir einige Zeit kaum raus durften und unsere Eltern uns überall hingebracht hatten."

    „Ja, das hat sich dann bald auch gelegt. Ich meine du kannst Kinder doch nicht rund um die Uhr überwachen!"

    „Hat sich das nicht in der Nacht des Schützenfestes abgespielt?"

    „Die Nacht des Schützenfestes! Das war doch die Nacht der Mondlandung, sagt jemand. „Allerdings muss ich zugeben, dass mir das auch jetzt erst aufgefallen ist, weil alle Leute über das Jubiläum von Nils Armstrong sprechen.

    Wieder Nils!, denkt Ralf, weil ihn das etwas ablenkt. Eigentlich will er nichts mehr davon hören. Seit er Andreas gefunden hatte, war sein Interesse an Raumschiffen wie weggeblasen. Und wenn jemand das Wort Apollo aussprach oder Armstrong oder EAGLE oder Orbiter, dann konnte es sein, dass er Schweißperlen auf die Stirn bekam. Immer noch. Wahrscheinlich würde das auch nicht mehr aufhören. Nur ganz dunkel erinnert sich Ralf daran, wie er später vom Dorfpolizisten befragt wurde und noch später von einem Kriminalhauptkommissar und danach von einem Mann, von dem er bis heute nicht wusste, wer er war, aber der immer sehr verständnisvoll nickte, wenn er einen Satz beendete.

    Die Zeit nach dieser Nacht erschien Ralf im Rückblick wie ein verworrener Alptraum. Und manchmal hatte er das Gefühl, bis heute nicht wirklich daraus aufgewacht zu sein.

    „Echt, dat muss ein Auswärtiger damals gewesen sein", hört er jemanden sagen.

    „Ja, und warum sind dann noch weitere Kinder umgekommen?", fragt jemand anderes und stört damit den lokalpatriotischen Grundkonsens am Tisch.

    „Ja, aber kannst du dir denn vorstellen, das jemand, der mit unseren Eltern zusammen im Festzelt gesessen und Bier gesoffen hat, sowas tun würde? Jemand, hier aus der Gegend?"

    „Vielleicht sogar jemand, der mit Neil Armstrong verwandt ist, sagt Ilona. Diesmal die dünne, die jetzt dick ist. Einen Augenblick herrscht Schweigen, diese Bemerkung findet jeder unpassend. „Ich mein‘ ja nur, sagt sie.

    Ihre Namensvetterin erlöst die Runde aus ihrer bedrückenden Stille.

    „Fährst du morgen nochmal deine Mutter besuchen, Ralf?"

    „Ja."

    „Meine ist auch im Haus Widum Lengerich. Wir sind zufrieden. Also – sie und ich."

    „Verstehe."

    „Wann fährst du?"

    „Weiß noch nicht."

    „Kannst du mich mitnehmen? Unser Wagen ist nämlich kaputt, aber wenn ich ihr zu erklären versuche, dass ich deswegen nicht zu ihr kommen kann, versteht sie das nicht."

    „In Ordnung", sagt Ralf.

    ––––––––

    Ralf sitzt mit seiner Mutter im Tagesraum des Seniorenheims Haus Widum in Lengerich – zehn Kilometer von Ladbergen entfernt. Aber für Mutter ist das Ausland. Schon das Platt, das man hier spricht unterscheidet sich hörbar vom Ladberger Platt. Wie soll man sich da wohlfühlen? Darum hat sie sich lange gesträubt, hier her zu ziehen. Aber schließlich war es unumgänglich gewesen.

    „Ich hatte ja immer gehofft, dass du mal unseren Hof übernimmst, sagt sie. „Aber das ist ja alles anders gekommen. Weißt du, was der Onkel Friedhelm gesagt hat: Selbst schuld, wenn du das Kind erst ein Jahr früher zur Schule lässt und dann auch noch aufs Gymnasium schickst. Selbst Schuld!

    Ralf hat seit ein paar Jahren einen Lehrstuhl für Chemie in Zürich. Zuvor war er in New York, Sydney, Tokio und Delhi. Mal in der universitären Forschung und mal als Mitarbeiter an einem Forschungsprojekt in der Industrie. „Hauptsache weit weg, was?"

    Das musste einer von Mutters hellen Momenten sein.

    Sie sah ihn an.

    „So kann man das nicht sagen", meinte er.

    „Nee? Sie runzelt die Stirn. „Du bist doch der Ralf, oder?

    „Ja, der bin ich."

    ––––––––

    Die Tür geht automatisch und Rollatorengerecht zur Seite, aber der Mann der jetzt hereingefahren wird, sitzt im Rollstuhl. Er blickt starr drein. Aber Mutters Blick hellt sich auf, als sie ihn sieht.

    „Das ist der Herr, der so nett ist, sagt sie. „Er hört mir zu.

    „Ah, ja...", murmelt Ralf.

    Die Altenpflegerin fährt den Rollstuhl an den Tisch.

    Der Mann lässt durch nichts erkenne, dass er Mutter überhaupt bemerkt hat. Er interessiert sich mehr für den Kuchen, der an seinem Platz steht, den er aber nicht ohne Hilfe essen kann.

    Die Altenpflegerin will ihn etwas näher an den Tisch fahren, aber die Rollen des Stuhls treffen auf einen Widerstand. Der linke Fuß ist vom Tritt gerutscht.

    „Oh tut mir leid", sagt die Altenpflegerin. Sie ist noch jung. Eine neue. Und wohl auch etwas ungeschickt.

    „Das macht nichts, sagt Mutter. „Links ist alles aus Holz bei ihm!

    Ralf erstarrt, als er die hakenförmige Narbe auf der Stirn des Mannes sieht.

    Das ist er!, wird ihm klar und ein eisiger Schauder überläuft seinen Rücken. Wie oft hat er in die Gesichter gestarrt, immer wenn er Menschen begegnet war, die im passenden Alter waren, hinkten und eine Narbe am Kopf aufwiesen. Aber in diesem Moment gab es keinerlei Zweifel.

    „Ist er nicht nett?, hört er Mutter sagen. „Ich weiß nur seinen Namen gerade nicht...

    Kubinke und der Killer von Münster

    Krimi von Alfred Bekker

    Der Umfang dieses Buchs entspricht 121 Taschenbuchseiten.

    Ein Mann wird während einer Fahrt auf der Autobahn erschossen.  In seinem Kofferraum befinden sich Leichenteile, die zu einem lange zurückliegenden Fall gehören: Damals machte das sogenannte Monster von Münster die Gegend unsicher. Der Fall galt als restlos aufgeklärt. Aber jetzt stellen sich unbequeme Fragen. Harry Kubinke und Rudi Meier vom Bundeskriminalamt ermitteln.

    Über Alfred Bekker

    Alfred Bekker ist Autor zahlreicher Romane und Erzählungen mit einer Gesamtauflage von über 4,5 Millionen Exemplaren. Außerdem ist er Verleger und Jazz-Musiker. Alfred Bekker schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane und Bücher für junge Leser.

    Alfred Bekker wurde vor allem durch seine Fantasy-Romane bekannt. Als Fantasy-Autor erreichte Alfred Bekker ein großes Publikum mit seinen Romanen um DAS REICH DER ELBEN, sowie den Trilogien um die DRACHENERDE, GORIAN und DIE HALBLINGE VON ATHRANOR. Außerdem schrieb Alfred Bekker die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER (7 Bände), DIE WILDEN ORKS (5 Bände) und ZWERGENKINDER (bislang 4 Bände).

    Für junge Leser erfand Alfred Bekker Buchserien wie TATORT MITTELALTER und DA VINCI’s FÄLLE.

    Alfred Bekker schreibt außerdem regelmäßig Ostfrieslandkrimis um Kommissar Steen von der Kripo Emden.

    Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Kommissar X, John Sinclair, Bad Earth und Jessica Bannister.

    Alfred Bekker benutzte auch die Pseudonyme Neal Chadwick,  Henry Rohmer, Adrian Leschek, Brian Carisi, Leslie Garber, Robert Gruber, Chris Heller, Sidney Gardner und Jack Raymond. Als Janet Farell verfasste er die meisten Romane der romantischen Gruselserie Jessica Bannister. Historische Romane schrieb er unter den Namen Jonas Herlin und Conny Walden.  Einige Gruselromane für Teenager verfasste Alfred Bekker als John Devlin. Die Romane von Alfred Bekker erschienen u.a. bei Lyx, Blanvalet, BVK, Goldmann, Schneiderbuch, Arena, dtv, Ueberreuter und Bastei Lübbe und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, darunter Englisch, Niederländisch, Dänisch, Türkisch, Indonesisch, Vietnamesisch, Finnisch, Bulgarisch und Polnisch.

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

    Alfred Bekker

    © Roman by Author / COVER STEVE MAYER

    © dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

    Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Alle Rechte vorbehalten.

    www.AlfredBekker.de

    postmaster@alfredbekker.de

    Folge auf Twitter

    https://twitter.com/BekkerAlfred

    Zum Blog des Verlags geht es hier

    https://cassiopeia.press

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    Prolog

    „Mein Name ist Saatkamp, ich bin Leiter der Kripo Münster", stellte sich der eher schüchtern wirkende Mann vor. Er hatte den Job gerade erst übernommen und jetzt musste er sich vor der Presse zu einem Fall äußern, der überregional für Aufsehen gesorgt hatte.

    Das Blitzlichtgewitter und die Kameras des Boulevard-Fernsehens waren nicht so seine Sache. Er war eigentlich eher von schlichtem Gemüt, introvertiert. Ein Mann, der aufgeräumte Schreibtische liebte – aber nicht den großen Auftritt in der Öffentlichkeit.

    Ein Westfale eben, wie man ihn sich als Klischee vorstellte.

    Kein Tadel ist Lob genug. Das war seine Devise.

    „Herr Saatkamp, was haben Sie gefühlt, als Sie das Monster von Münster endlich gefasst hatten?", fragte ein Reporter.

    „Bin froh, dass wir den Fall weitgehend aufklären konnten", sagte Saatkamp.

    „Haben Sie in Ihrer Zeit bei der Polizei schonmal mit einem ähnlichen Fall zu tun gehabt?"

    „Nein, der Fall Altinowitsch ist schon sehr... besonders", sagte Saatkamp, wobei er einen kurzen Moment gezögert hattte, bevor er weitersprach.

    „Was ist Ihre Meinung? Kann Münster jetzt wieder ruhig schlafen, nachdem das Monster hinter Schloss und Riegel sitzt – oder denken Sie, dass da draußen noch weitere Täter dieser Art ihr Unwesen treiben?"

    „Tja..., sagte Saatkamp etwas ratlos. „Da steckt man ja nicht drin.

    „Also habe ich das richtig verstanden: Sie halten das für möglich?"

    „Nun..."

    „Oder sogar für wahrscheinlich?"

    „Ich wollte eigentlich nur sagen, dass ich dazu nichts sagen kann, erklärte Saatkampf so stur  und bockig, wie es nunmal seiner Art entsprach. „Tja, wenn Sie dann keine weiteren Fragen mehr haben...

    1

    Jahre später...

    „Ich möchte gerne Ihren Führerschein sehen", sagte der Beamte der Autobahnpolizei.

    „Kein Problem", gab der Fahrer des SUV zurück. Er war grauhaarig und hager. Seine Hand glitt unter sein Jackett und berührte dabei leicht den Griff der Automatik, die er in einem Schulterholster trug.

    Wenig später gab er dem Polizeimeister die Fahrerlaubnis.

    „Herr Jörg Kohms aus Bielefeld?"

    „Der bin ich."

    „Sie sind zu schnell gefahren."

    Kohms hielt die Hände am Lenkrad, so dass der Polizist sie sehen konnte. Seine Muskeln waren gespannt. Kohms hätte keine Skrupel gehabt, blitzschnell unter die Jacke zu greifen, die Waffe herauszureißen und den Bullen einfach zu erschießen.

    Allerdings hätte das seine Pläne fürs Erste durchkreuzt...

    *

    Mach jetzt keinen Fehler - sonst gibt es in zwei Sekunden einen Bullen weniger!, dachte Kohms. Der Polizeibeamte sah sich die Papiere eingehend an. „Scheint alles in Ordnung zu sein", meinte er.

    „Was muss ich bezahlen?", fragte Kohms.

    „Ich belasse es bei einer Verwarnung", sagte der Polizist an dessen Uniformhemd der Name stand: Polizeimeister Pascal J. Schmidt. „Aber achten Sie in Zukunft auf das, was Ihr Tacho anzeigt."

    „Ja."

    „Wo fahren Sie hin?"

    „Ins Münsterland."

    „Welche Stadt?"

    Kohms verdrehte die Augen. Doofe Frage, schien sein Gesicht zu sagen.

    „Münster."

    „Privat oder geschäftlich?"

    „Geschäftlich. Ich bin Handelsvertreter."

    Polizeimeister Pascal J. Schmidt sah durch die Seitenscheiben zum Gepäckraum des SUV. „Sie haben eine Menge Gepäck."

    „Musterkoffer. Und ein frisches Hemd und was man sonst noch so braucht."

    „Machen Sie mal einen davon auf."

    „Gibt es dafür einen besonderen Grund?"

    „Die Fragen stelle ich. Machen Sie bitte einen der Koffer auf - und zwar den da!" Er deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf einen Koffer, der sich nicht im Gepäckraum, sondern zwischen Hinterbank und Vordersitzen befand. Das weiche, elastische Plastikmaterial, aus dem er bestand, beulte sich an einer Stelle auf eigenartige Weise aus.

    Kohms Hand war in den letzten Momenten bereits in Höhe des mittleren Jackettknopfs gewandert. Aber jetzt knöpfte er sich die Jacke einfach nur zu, damit seine Waffe nicht zum Vorschein trat.

    „Soll ich aussteigen und die Tür öffnen?"

    „Bleiben Sie sitzen, Herr Kohms!"

    Polizeimeister Schmidt öffnete die Tür und machte sich an dem Koffer zu schaffen. Kohms’ Hand öffnete unterdessen den Jackettknopf wieder und war an der Waffe.

    Der Verschluss des Koffers sprang auf. Der Inhalt des überladenen Koffers platzte heraus: Boxer-Shorts, ein Pyjama, eine Zahnbürste, ein frisches Hemd, dem man jetzt nicht mehr ansah, dass es mal gebügelt worden war.

    Es war undenkbar, den Koffer einfach so wieder zu schließen.

    „Tut mir leid, sagte der Polizeimeister. „Aber der war wohl ein bisschen voll.

    „Lassen Sie einfach alles so liegen", sagte Kohms.

    Schmidt schloss die Hintertür des SUV wieder und verhinderte gerade noch, dass ein paar Socken auf den Asphalt fiel.

    „Nichts für ungut, sagte er. „Wir haben hier in letzter Zeit ein gehäuftes Vorkommen von Drogentransporten, sagte Schmidt.

    „Und ich sehe für Sie ein Drogenhändler aus, oder was?", fragte Kohms etwas gereizter, als er es eigentlich beabsichtigt hatte.

    „Nein. Sie nicht. Aber Ihr Wagen steht auf der Liste der Fabrikate, auf die wir besonders achten sollen."

    „Naja, ist ja sicher im Sinne der Allgemeinheit, dass Sie die Augen offenhalten."

    „Fahren Sie weiter."

    „Ja."

    Kohms startete den SUV und ließ die Seitenscheibe hochfahren. Dann verließ er den Standstreifen und fuhr weiter Richtung Münster.

    Er drehte das Radio auf. Irgendeine Schlager-Schnulze lief in dem Sender, den er eingestellt hatte. Kohms atmete tief durch. Nochmal gut gegangen!, dachte er. Aber es war knapp gewesen.

    Auf der linken Fahrbahnseite tauchten jetzt mehrere Gebäude auf. Es handelte sich um einen gewaltigen Gebäudekomplex, der sich allerdings erst im Stadium des Rohbaus befand. Von außen waren Gerüste zu sehen. Allerdings war auf der Baustelle im Moment kein Betrieb.

    DAS GRÖSSTE SHOPPING CENTER EUROPAS stand da in riesigen Buchstaben auf einem großen Plakat.  Davon, dass der Bau des Einkaufszentrums sich noch eine ganze Weile verzögern würde, davon hatte Kohms in den Medien jede Menge Einzelheiten mitbekommen. Die Insolvenz des Hauptinvestors legte dieses mit großem PR-Aufwand gestartete Projekt vermutlich auf Jahre hinaus lahm.

    In diesem Moment brach sich für den Bruchteil eines Augenblicks ein roter Laserstrahl in der Scheibe in der Frontscheibe.

    Ein Projektil schlug durch die Scheibe. Durch Kohms Körper ging ein Ruck, als die Kugel durch seinen Brustkorb schlug. Eine zweite folgte, dann eine dritte. Beide trafen ihn ebenfalls im Bereich des Oberkörpers. Sein Hemd verfärbte sich innerhalb von Augenblicken dunkelrot. Ein letzter Treffer erwischte ihn am Kopf. Zwei weitere Kugeln gingen an ihm vorbei und fetzten in die Lehne des Beifahrersitzes hinein, denn inzwischen war der Wagen von seiner Bahn abgekommen.

    Mit starren, toten Augen saß Kohms hinter dem Steuer, aber trat immer noch das Gaspedal voll durch. Die Frontscheibe war inzwischen völlig zerschossen. Ausgehend von den in die Scheibe hineingestanzten Einschusslöchern verzweigten sich spinnnartigen Rissstrukturen.

    Der Wagen drehte seitwärts, kam von der Fahrbahn ab, mähte einen Begrenzungspfahl um, ehe er schließlich eine Böschung hinunterrutschte und liegen blieb. Das Fahrzeug hatte offenbar einen Heckantrieb. Die Hinterräder drehten durch und schleuderten Erde in die Höhe, aber vorne saß der Wagen fest.

    *

    Eine halbe Stunde später waren zwanzig Einsatzfahrzeuge in der Nähe abgestellt worden. Man hatte den Autobahn-Abschnitt in beide Richtungen komplett gesperrt. Polizisten durchkämmten das Gelände rund um das unvollendete Einkaufszentrum. Dass der Killer von dort aus geschossen haben musste, lag auf der Hand. Dazu brauchte man nicht erst irgendein ballistisches Gutachten abwarten.

    Ebenso klar war aber auch, dass der mysteriöse Schütze, der diesen Mord mit einer geradezu unglaublichen Präzision durchgeführt hatte, von einer Position gefeuert haben musste, die innerhalb des Gebäudekomplexes lag.

    „Der Fahrer des Wagens hieß Kohms, sagte Polizeimeister Pascal J. Schmidt an seine Kollegin Rita Jendrikson gewandt. Sie leitete diesen Einsatz. „Die Papiere waren in Ordnung.

    „Er hatte eine Waffe bei sich", sagte Rita Jendrikson.

    „Ich habe Kohms nicht durchsucht, sagte Schmidt. „Es bestand kein Anlass dazu. Bei seinem Gepäck habe ich eine Sichtprobe durchgeführt, aber ohne Ergebnis.

    „Sie hatten nicht den Eindruck, dass er einer von diesen Drogenhändlern sein könnte, die uns im Moment zu schaffen machen?"

    „Nein, ehrlich gesagt hatte ich sehr schnell den Eindruck, dass er damit wohl nichts zu tun hat, sagte Schmidt. Er zuckte mit den Schultern. „Kann ich jetzt auch nicht weiter erklären. Nennen Sie es Fahndungsinstinkt. Er passte einfach nicht ins Raster. Allerdings... Schmidt zögerte, ehe er weitersprach. „Ich hatte andererseits schon das Gefühl, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmte. Ein merkwürdiger Typ. Ich kann es nicht genauer sagen. Letztlich ist seine Überprüfung ja auch ergebnislos geblieben."

    Das Gespräch wurde unterbrochen, als sich bei Frau Jendrikson jemand über Funk meldete.

    „Hier ist niemand mehr und es gibt auf den ersten Blick zumindest auch keinerlei Spuren des Killers", meldete sich einer der anderen Polizisten zu Wort, die gerade dabei waren, jeden Quadratzentimeter der Bauruine abzusuchen, aus der eigentlich das größte Einkaufszentrum hätte werden sollen.

    „Das war leider zu erwarten, sagte Frau Jendrikson. „Ich werde zusätzliche Kräfte anfordern und dafür sorgen, dass der abgesuchte Radius erweitert werden kann.

    Einer der Spurensicherer, die sich an dem verunglückten Wagen zu schaffen machten, stieß jetzt einen kurzen Laut des Entsetzens aus. „Kollegen! Bitte kommen Sie mal her! Das müssen Sie sich ansehen! Ich habe gerade einen der Koffer geöffnet... Scheiße so etwas habe ich in all in meinem Dienstjahren noch nicht erlebt..."

    Polizeiobermeister Jendrikson beeilte sich, um zu Kohms’ Wagen zu kommen. Pascal J. Schmidt folgte ihr.

    Der Spurensicherer trug einen weißen Schutzoverall. In Brusthöhe war das Zeichen des LKA und sein Name zu sehen. Er hieß Melnik. Sein Gesicht wirkte aschfahl. Er deutete auf den geöffneten Koffer.

    Das Erste, was Rita Jendrikson und  Pascal Schmidt auffiel, war eine sorgfältig in transparente Plastikfolie verpackte menschliche Hand.

    „Oh mein Gott", murmelte Schmidt vor sich hin.

    Und Rita Jendrikson sagte trocken: „Sie hatten recht, Herr Schmidt. Ein Drogenhändler war dieser Kohms offenbar tatsächlich nicht..."

    2

    Als ich Rudi an diesem Morgen an der bekannten Stelle abholen wollte, war er nicht da. Ich sah auf die Uhr. Nicht Rudi war zu spät dran, sondern ich zu früh. Offenbar hatten es die Verkehrsverhältnisse in Berlin an diesem Morgen möglich gemacht, dass ich den Weg von meiner Wohnung bis hier her ein paar Minuten schneller geschafft hatte als üblich.

    Hinter mir hupte ein ungeduldiger Verkehrsteilnehmer und zog dann an meinem Dienst-Porsche vorbei. Ein Rentner in einem Mercedes, der sich nicht nehmen ließ, mir während des Überholmanövers durch ein paar mehr oder minder eindeutige Gesten klarzumachen, was er von mir hielt.

    Aber mir blieb keine Zeit, um mich darüber zu ärgern, denn genau in diesem Moment geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Erstens tauchte Rudi jetzt auf und legte die letzten Schritte bis zu unserem Treffpunkt im Spurt zurück. Und zweitens erreichte mich ein Anruf. Ich nahm ihn über die Freisprechanlage entgegen.

    „Hier Harry Kubinke", sagte ich.

    „Guten Morgen", begrüßte mich eine sonore Männerstimme mit unverkennbar bayerischem Akzent.

    Rudi öffnete die Beifahrertür des Dienst-Porsche und stieg ein.

    „Da sind eine Menge störende Hintergrundgeräusche, stellte unterdessen die Stimme mit dem bayerischen Akzent fest. „Egal, was Sie da gerade tun, es wäre schön, wenn Sie sich einen Moment darauf konzentrieren könnten, mit mir abzusprechen, wann Sie sich zeitnah mit mir hier in Quardenburg treffen könnten, damit wir über die Sache mit den Altinowitsch-Leichen sprechen können.

    Bei dem Bayer handelte es sich um niemand anderen als Dr. Gerold M. Wildenbacher, den Pathologen des Ermittlungsteam Erkennungsdiensts in Quardenburg, dessen Dienste meinem Kollegen Rudi Meier und mir jederzeit zur Verfügung standen, seit man uns zu BKA-Kriminalinspektoren befördert hatte.

    Rudi saß jetzt neben mir auf dem Beifahrersitz und machte ein ziemlich irritiert wirkendes Gesicht.

    Ich sah unterdessen zu, dass ich mich mit dem Dienst-Porsche wieder in den fließenden Verkehr einfädelte, was mir schließlich auch gelang.

    „Habe ich mich irgendwie unverständlich ausgedrückt?", fragte Wildenbacher auf seine hemdsärmelige Art, nachdem ich nicht sofort geantwortet hatte.

    „Tut mir Leid, aber ich musste meine Aufmerksamkeit für einen Moment dem Straßenverkehr widmen", sagte ich.

    „Und ich habe noch ein paar andere Leichen auf dem Tisch des Hauses, wenn Sie verstehen, was ich meine."

    „Natürlich", versicherte ich.

    „Um ehrlich zu sein, ich weiß im Moment nicht, wo mir vor lauter Arbeit der Kopf steht und deswegen ist es um so wichtiger, dass wir uns absprechen."

    „Sie sprachen von den Altinowitsch-Leichen", mischte sich Rudi ein.

    „Schön, dass man auch von Ihnen mal was hört und Sie Ihren Kollegen etwas dahingehend entlasten können, dass er sich besser auf den Straßenverkehr konzentrieren kann", gab Wildenbacher zurück.

    „Ich habe keine Ahnung, welche Laus Ihnen heute über die Leber gelaufen ist, Gerold, sagte Rudi. „Allerdings möchte ich Sie darauf hinweisen, dass ich keine Ahnung habe, von welchem Fall Sie gerade sprechen.

    „Sie wollen behaupten, dass Sie noch nichts von den Altinowitsch-Morden gehört haben?", wunderte sich Wildenbacher.

    „Der Name sagt mir irgendetwas, aber ich kann ihn im Moment nicht richtig einordnen, stellte mein Kollege klar. „Allerdings bin ich mir sicher, dass die Morde eines gewissen Altinowitsch im Moment nicht zum Aufgabenbereich gehören, um den Harry und ich uns kümmern, geschweige denn dass wir an diesem Fall zurzeit arbeiten würden.

    „Sollte Kriminaldirektor Hoch mich völlig falsch informiert haben?, zweifelte Wildenbacher. „Kann ich mir ehrlich gesagt kaum vorstellen.

    „Wann haben Sie mit unserem Chef gesprochen?", mischte ich mich ein.

    „Vorhin. Und er sagte, dass ich mit Ihnen beiden in dieser Sache zusammenarbeiten würde."

    „Dann sind Sie offenbar mal wieder früher darüber ins Bild gesetzt worden als wir, stellte ich klar. „Ich nehme an, dass Herr Hoch das noch nachholen wird...

    „Das sollte uns jetzt aber nicht davon abhalten, einen Termin festzulegen, knurrte Wildenbacher. „Es gibt hier nämlich ein paar Dinge, die ich Ihnen gerne zeigen möchte, weil Sie sonst vielleicht nicht so richtig begreifen, worum es in diesem Fall eigentlich geht...

    *

    Wir vereinbarten mit Dr. Wildenbacher einen Termin für den Nachmittag. Allerdings unter Vorbehalt, denn bislang arbeiteten wir offiziell nicht an dem Fall. Schlimmer noch, weder Rudi noch ich hatten auch nur ansatzweise eine Vorstellung davon, worum es dabei eigentlich ging.

    Aber es war nicht das erste Mal, dass Wildenbacher früher darüber informiert war, mit welchem Fall wir als nächstes betraut werden sollten, als mein Kollege und ich. Das lag bis zu einem gewissen Grad in der Natur der Sache, denn manchmal hing es ja erst von den Untersuchungsergebnissen des Ermittlungsteam Erkennungsdiensts ab, ob ein Fall überhaupt in unsere Zuständigkeit fiel oder nicht.

    „Der Name Altinowitsch kommt mir irgendwie bekannt vor, sagte Rudi. „Und im Zusammenhang mit dem Begriff Leichen...

    „Da haben sich mit Herr Hoch und dem Leichendoktor aus Bayern offenbar mal wieder zwei Frühaufsteher zu einer morgendlichen Telefonkonferenz zusammengefunden, meinte ich. „Warte ab, Rudi! Eines Tages wird man von uns erwarten, dass wir daran auch teilnehmen...

    „Bis dahin ist das Schlafbedürfnis für BKA-Ermittler dann wohl durch ein Bundesgesetz offiziell außer Kraft gesetzt worden, Harry. Aber zurück zu Altinowitsch. Hieß nicht vor Jahren so ein irrer Killer so?"

    „Kann sein. Aber unser Fall war das nicht."

    „Das heißt nur, dass sein Gemetzel nicht in Berlin stattgefunden haben kann, sonst hätten wir das mitgekriegt. Rudi nahm sein Smartphone. Er wischte und tippte etwas auf dem Display herum. Ich ging davon aus, dass mein Kollege eine kurze Online-Recherche durchführte. „Ich habe ihn, stellte Rudi dann fest. „Hansgeorg Altinowitsch, das sogenannte Münster-Monster. Hat junge Männer zu sich nach Hause eingeladen, sie umgebracht, zerstückelt und die Leichenteile fein säuberlich in seiner Wohnung aufbewahrt."

    „Jetzt erinnere ich mich auch. Über den Prozess wurde ausführlich berichtet, wie ich mich dunkel erinnere."

    Da wir nichts mit dem Fall zu tun gehabt hatten und ich wie immer eine Menge anderer Dinge um die Ohren gehabt hatte, waren mir die Einzelheiten nicht im Gedächtnis geblieben.

    „Der Fall ist eigentlich abgeschlossen", meinte Rudi.

    „Vielleicht sollen wir die Akte noch mal öffnen, gab ich zurück. „Cold Cases gehören ja durchaus zu unserem Zuständigkeitsbereich.

    „Ich meinte abgeschlossen im doppelten Sinn, sagte Rudi und steckte dann sein Smartphone ein. „Das Verbrechen wurde vollständig aufgeklärt, Hansgeorg Altinowitsch hat ein umfangreiches Geständnis abgelegt, man hat die Sammlung von Leichenteilen in seiner Wohnung gefunden und es gab ein Urteil mit Sicherheitsverwahrung. Und einige Zeit später ist Altinowitsch dann im Knast an einer Überdosis Drogen gestorben. Ich kann mir kaum vorstellen, wieso man diese Geschichte nochmal aufrollen sollte.

    „Auf jeden Fall scheinen einige der Leichen von damals auf dem Seziertisch von Dr. Wildenbacher gelandet zu sein", gab ich zu bedenken.

    „Wenn schon, dann Leichenteile, korrigierte mich Rudi. „Der Kerl hatte die Angewohnheit, seine Opfer zu zerteilen, weil er sie anders offenbar nicht aufbewahren konnte.

    „Wie auch immer. Warten wir einfach ab, was Herr Hoch uns dazu zu sagen hat", sagte ich.

    3

    Wir erreichten das Hauptpräsidium in Berlin, wo sich unsere Büros befanden, seit man uns zu Kriminalinspektoren des Bundeskriminalamtes befördert hatte.

    Wir suchten unsere eigenen Dienstzimmer gar nicht erst auf, sondern begaben uns gleich zum Büro unseres Chefs.

    „Guten Morgen, begrüßte uns seine Sekretärin Dorothea Schneidermann. „Schön, dass Sie im Haus sind. Ich hätte Sie ohnehin jetzt hergebeten.

    „Habe ich es doch geahnt."

    „Verfügen Sie über hellseherische Gaben?"

    „Sagen wir so: Gewisse Umstände habe die Annahme nahegelegt, dass uns Herr Hoch in Kürze sprechen möchte."

    Sie lächelte. „Gehen Sie einfach durch. Er erwartet Sie bereits."

    Wenig später begrüßte uns Jonathan Hoch in seinem Büro mit einer Handbewegung. Er telefonierte gerade mit Herrn Saatkamp, dem Chef der Polizeiinspektion Münster und daher nahm ich an, dass das Gespräch mit unserem Fall zusammen hing.

    „Ich höre dann wieder von Ihnen, sagte Kriminaldirektor Hoch zum Abschluss des Telefonats und beendete das Gespräch dann. Wir hatten uns inzwischen gesetzt. „Guten Morgen, begrüßte er uns dann knapp. „Sie haben einen neuen Fall auf dem Tisch. Dr. Wildenbacher erwartet Sie möglichst bald zu einem Termin in Quardenburg. Bitte melden Sie sich bei ihm. Worum es dort gehen wird, werden Sie schnell erfassen, wenn ich Ihnen gesagt habe, worum es bei der Sache geht."

    Ich widerstand der Versuchung, Kriminaldirektor Hoch jetzt zu sagen, dass ich das schon wusste. Und Rudi hielt es genauso. Unser Respekt vor ihm war einfach zu groß.

    „Wir sind gespannt", sagte mein Kollege.

    „Vor kurzem hat es auf einem Autobahn zwischen Osnabrück und Münster ein Attentat gegeben. Ein gewisser Jörg Kohms ist von einem Scharfschützen erledigt worden. In seinem Wagen fand man mehrere Koffer. Einer davon enthielt Kohms’ persönliche Sachen, die anderen waren mit Leichenteilen gefüllt. Inzwischen ist durch genetische Untersuchungen zweifelsfrei erwiesen worden, dass es sich bei den Leichenteilen ausnahmslos um Opfer des sogenannten Münster-Monsters handelt..."

    „Hansgeorg Altinowitsch", murmelte Rudi.

    Kriminaldirektor Hoch hob die Augenbrauen. „Sie scheinen ein bemerkenswert gutes Gedächtnis zu haben, Rudi."

    „Danke."

    „Wir hatten damals ja nichts mit dem Altinowitsch-Fall zu tun, aber allein die Dinge, die man so über die Medien mitbekommen hat, konnten dafür sorgen, dass sich einem die Nackenhaare aufstellen, fuhr Kriminaldirektor Hoch fort. „Dieser Altinowitsch war ein psychopathischer Mörder, der junge Männer ermordet und zerstückelt hat. Die Leichenteile fand man später in seiner Wohnung. Kriminaldirektor Hoch atmete tief durch. Die Ärmels seines Hemdes waren wie üblich hochgekrempelt. Die Hände wanderten in die weiten Taschen seiner Flanellhose. „Spätestens mit Altinowitschs Tod während der Haft galt der Fall eigentlich als restlos abgeschlossen, sieht man mal von dem Aspekt ab, dass es wahrscheinlich nie wirklich nachvollziehbar sein wird, was einen Menschen zu einem derartigen Monster werden lassen kann. Aber durch das, was auf der Autobahn Richtung Münster passiert ist, haben Sie jetzt den Fall auf dem Tisch."

    „Demnach ist es jetzt in erster Linie unsere Aufgabe, herauszufinden, wer diesen Jörg Kohms getötet hat", stellte ich fest.

    „Er heißt in Wahrheit nicht Kohms, sagte Kriminaldirektor Hoch. „Auch das haben die Kollegen vor Ort recht schnell ermitteln können. Kohms‘ Identität war falsch. Sein wahrer Name lautete Raimund Teckenhorst. Teckenhorst war ein gesuchter Lohn-Killer. Wir dachten bisher, dass er vor Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Aber anscheinend war dieser Unfall Teil einer Inszenierung, die dazu dienen sollte, Raimund Teckenhorst unter einem neuen Namen ein zweites Leben zu ermöglichen.

    „Hat er in diesem zweiten Leben seine Tätigkeit als Lohnkiller für das organisierte Verbrechen fortgesetzt?", hakte Rudi nach.

    „Die Kollegen gehen davon aus, dass er das getan hat, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Es gibt bereits zum jetzigen Stand der Ermittlungen ein paar Indizien dafür. Unter anderem ist die Waffe, die bei Kohms alias Teckenhorst gefunden wurde, den ballistischen Tests nach die Tatwaffe bei einem bisher ungeklärten Auftragsmord.

    „Worum ging es da?", fragte ich.

    „Es war jemand, von dem wir annehmen, dass er innerhalb des kriminellen Netzwerkes von Stefan Kurlano in Ungnade gefallen ist, sagte Kriminaldirektor Hoch. „Die Daten kriegen Sie natürlich. Kurlano war mutmaßlich auch früher schon Raimund Teckenhorsts bevorzugter Auftraggeber. In so fern würde das durchaus Sinn machen.

    „Aber bewiesen ist das nicht?"

    „Sie wissen doch, wie das ist, Herr Kubinke: Die Kollegen können sich einiges zusammenreimen, aber vor Gericht hätte das meiste davon keinen Bestand. Dass Kurlano Teckenhorst früher für Mordaufträge angeheuert hat, ist ebenso mutmaßlich wie die Annahme, dass Kurlano der Chef dieser Organisation ist, die man auch den Münster Trust nennt. Denn wenn das zu beweisen wäre, befände sich ein Mann wie Stefan Kurlano nicht mehr auf freiem Fuß, sondern würde seine Tage in einem Gefängnis verbringen."

    „Was mir schon die ganze Zeit im Kopf herumschwirrt ist die Frage: Was hat ein psychopathischer Triebtäter mit dem organisierten Verbrechen in Münster zu tun?, meinte Rudi. „Ich meine, es ist ja wohl erwiesen, dass die Leichenteile, die man bei Kohms alias Teckenhorst gefunden hat, zu den Toten gehören, die man in der Wohnung dieses Irren sicherstellen konnte.

    „Das ist eine gute Frage, Rudi, stellte Kriminaldirektor Hoch fest. „Und möglicherweise auch die entscheidende. Er machte eine kurze Pause, ehe er schließlich weitersprach. „Ich bin überzeugt davon, dass Sie und Harry darauf eine zufriedenstellende Antwort finden werden."

    *

    Rudi und ich machten uns zunächst einmal mit dem vorhandenen Datenmaterial einigermaßen vertraut. Dann trafen wir uns in Rudis Dienstzimmer, um das weitere Vorgehen im Groben festzulegen. Anschließend führten wir eine Reihe von Telefonaten. Unter anderem sprachen wir mit den Polizeichefs von Bielefeld und Münster sowie dem Leiter der JVA Münster, in dem Hansgeorg Altinowitsch bis zu seinem überraschenden Tod eingesessen hatte.

    Der überraschende Tod des Serienmörders würde voraussichtlich bei unseren Ermittlungen eine zentrale Rolle spielen.

    „Also wenn Altinowitsch jetzt nicht ein psychisch gestörter Serientäter gewesen wäre, sondern sagen wir mal ein Lohnkiller der Drogen-Mafia", begann Rudi.

    „Was wäre dann?", fragte ich.

    „Na, was würdest du dann denken, wenn so jemand so schnell nach Haftantritt zu Tode kommt?"

    „In den Akten steht, dass Altinowitsch an einer Überdosis Drogen starb, stellte ich fest. „Es ist sogar aufgeklärt worden, von wem er die Drogen bekommen hat.

    „Von einem Kriminellen, der ohnehin keine Aussicht mehr hatte, jemals wieder auf freien Fuß zu kommen", gab Rudi zu bedenken.

    „Du denkst, dass das ein Mordanschlag war?"

    „Wie gesagt - wäre Altinowitsch ein Mafia-Killer gewesen oder hätte irgendetwas mit dem organisierten Verbrechen zu tun gehabt, wäre das unser erster Gedanke gewesen."

    „Ja, ich gebe ja zu, dass ich auch schon darüber nachgedacht habe."

    „Siehst du!"

    „Der Gefängnisinsasse, von dem Altinowitsch den Stoff bekommen ist als Knast-Dealer bekannt gewesen, stellte ich fest. „Allerdings konnte keine Verbindung zwischen ihm und beispielsweise Stefan Kurlano und seiner Organisation damals nachgewiesen werden.

    „Wenn ich dieser Kurlano wäre, hätte ich mir meinen potenziellen Killer auch so ausgesucht, dass niemand die Befehlskette zurückverfolgen kann, gab Rudi zurück. „Und einen Punkt sollten wir auch nicht außer Acht lassen.

    Ich hob die Augenbrauen. „Welchen?"

    „Ich habe die Unterlagen nach Hinweisen darauf durchforstet, ob Altinowitsch vor Antritt seiner Haft schonmal mit Drogen in Kontakt gekommen ist."

    „Ich nehme an, das Ergebnis deiner Suche war negativ."

    „So negativ, wie du es dir gar nicht vorstellen kannst! Da ist nichts bekannt. Er ist noch nicht einmal mit ein paar Gramm Hasch in seiner Jugendzeit erwischt worden oder dergleichen. Das Durchsuchungsprotokoll seiner Wohnung führt zwar jede Menge Leichenteile einzeln auf und darüber hinaus alle möglichen Werkzeuge, mit denen er dann die Toten offenbar zerteilt hat. Außerdem besaß er eine Maschine zum Vakuumverschweißen von Lebensmitteln... Aber man hat nicht ein Gramm irgendeiner Droge gefunden! Nicht einmal irgendwelche angehäuften Vorräte an Medikamenten..."

    „Altinowitsch wäre nicht der Erste, der während der Haft mit den Drogen angefangen hat", sagte ich.

    „Das ist richtig", gab Rudi zu.

    „Was auch immer für Spannungen in ihm geherrscht haben - er scheint sie durch die Ermordung junger Männer bis dahin losgeworden zu sein. Im Gefängnis musste er sich dann etwas Neues suchen..."

    „Harry, das mag alles sein, aber auf der anderen Seite muss es irgendeinen Zusammenhang zwischen diesem Psychopathen und dem organisierten Verbrechen geben."

    Ich atmete tief durch. „Wenn wenigstens die Waffe schonmal benutzt worden wäre, mit der Teckenhorst

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